Autonomie fördern (bei Langzeittherapien)?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

MariJane
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Beitrag So., 08.01.2017, 23:00

Das mag sein. Mir schien aber, dass ihre therapeutische Haltung eher zu so einem "ihr egal, mir dann auch egal"-Gefühl geführt hat. Deshalb kann ich mir das persönlich schlecht vorstellen, dass das was für mich wäre und da Erfolge mit erzielt werden könnten. Sympathisch war die Frau ja sogar irgendwie, soweit ich das beurteilen kann, weil ich ja nicht viel von ihr mitbekommen habe. Aber vom ersten Eindruck her, wollte ich nicht gleich davon laufen. Immerhin.

Das ist wahrscheinlich Geschmackssache und ne Frage persönlicher Vorlieben, was man therapeutisch bevorzugt.

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Mondin
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 02:00

isabe hat geschrieben:Es ist nicht nur so, dass man es sich "erspart", sich mit Reaktionen auseinandersetzen zu müssen; wichtiger erscheint mir die Lücke, die durch die ausbleibenden Reaktionen entsteht und die gefüllt wird mit eigenen Phantasien.
Ich hatte es ja schon häufiger erwähnt, dass mein Analytiker eigentlich kaum etwas gesagt hat, während der ganzen Therapie nicht. Oft saß er einfach da, manchmal mit geschlossenen Augen und im Anfang dachte ich immer, er wäre eingeschlafen. Bis mich das so sehr genervt hat, dass ich ihn mal konkret darauf ansprach, ob er mir überhauopt zuhört oder ob ich irgendwann mit einem Schnarchen rechnen müsste? Und was ich dann tun solle?

Da grinste er und meinte: "Und, wie hat es sich angefühlt?" - "Ähm, was?" - "Das Fragen." ....

So war er immer. Er fragte, sonst nichts. Und dann ließ er mich vor mich hinlaufen, gedanklich, sinnierend und redend. Manchmal fragte er dazwischen, korrigierte den Kurs der Gedankengänge. Und ganz selten sagte er mir mal den ein oder anderen Satz, so eine Art Grundsätzlichkeit, die er mit mir teilte. Ich habe diese Sätze bis heute fast alle noch parat.

Ich halte den Mann für ein Genie. Ein echter Glücksfall. Und ich kann bis heute nicht wirklich sagen was er genau tat, dass er mir so sehr helfen konnte, in solch kurzer Zeit. Ich denke, es war diese Kombination aus totaler Zurückhaltung und vollkommener Akzeptanz meiner Person, egal was ich auch immer sagte, er gab mir immer das Gefühl, dass es okay wäre, dass ich okay wäre - und frage dann einfach weiter.

Er war wie ein Neutrum, ein Geist der im Raum schwebte und dennoch absolut für mich da war, mich rückhaltlos respektierend und annehmend. Ja, vermutlich war das in meinem Fall der Schlüssel, den es brauchte. Wir kamen nach etwa 1,5 Jahren zu dem Ergebnis, dass ich nun soweit sei es allein zu versuchen. Das Kontingent war nicht ansatzweise ausgeschöpft, begleitend hatte ich zwei Klinitktherapien mit Verhaltens- und Körpertherapie hinter mich gebracht, zu denen mich die Analyse erst befähigt hatte.

Ich weiß nicht ob er alle Patienten so behandelt hat wie mich. Aber mir hat er genau das gegeben was ich brauchte. Das ist lange, sehr lange her und ich benötigte danach nie wieder Therapie, weil ich das Rüstzeug erlernt hatte um mit mir selbst weiter zu arbeiten. (edit: Mir fällt ein, ganz stimmt das nicht. Ich nahm ca. 2010 an einer Studie zu Onlinetherapie und ihren Möglichkeiten teil, die die Uni Leipzig anbot. Eine Schreibtherapie, die ich zwar nicht wirklich brauchte, die mir aber dennoch vieles hat geben können.)

Ich persönlich denke, dass es nicht nur auf die Leistung des Therapeuten ankommt, sondern auch auf die Art der Therapie und die Haltung, mit der der Patient diese beginnt. Bei manchen Menschen ist der Wunsch nach Autonomie stärker ausgeprägt als bei anderen. Bei mir war er gigantisch. Dafür habe ich auch in Kauf genommen mit vielen Symptomen, deren Bearbeitung erst mit der Zeit Wirkung zeigte, allein zurechtkommen zu müssen. Für mich war das das Richtige. Aber das ist eben ein rein persönliches Empfinden.

Um Autonomie zu fördern, denke ich, dass es wichtig ist, dass der Therapeut darauf achtet, dem Patienten das Gefühl der Eigenmacht zu vermitteln und nicht, wie es wohl oft der Fall ist, als eine Art seelische Krücke zu fungieren, ohne die der Betreffende nicht mehr meint seinen Alltag bewältigen zu können. Mein Thera hat immer wieder betont, eigentlich nach jeder Stunde, dass ICH da wieder einmal sehr gute Arbeit geleistet hätte. Das hat mir sehr geholfen in meinem Bestreben den Ohnmachtsgefühlen zu entkommen.

Grüßerle!
Mondin


pivello
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 08:43

Mio, es solle ja keine „Macht“ sein, wenn du dich in ärztliche Behandlung begibst. Wenn du alles „selbst“ kannst, dann brauchst du ja kein Gegenüber. Ich halte mich nicht für fachlich ausgebildet, gemeinsam mit meiner A. zu besprechen, wie der Ablauf ist. Ich kann ansprechen, wie es mir damit geht, aber letztlich erklärte sie auch mal, dass ich nur schlechte Abhängigkeiten kenne und da ist viel Wahres dran. ….Da möchte mir jemand etwas schlechtes, fühlt sich nach Macht und Eingrenzung an, usw. Auch in anderen, nahen Beziehung fühlt es sich sehr schnell danach an. Aber nur in Nahen!
Wenn User hier schreiben, sie wollen sich ihre Autonomie erhalten, kann ich das sehr gut nachvollziehen, aber in einem Zustand, in dem wir lieben (außerhalb von Therapie) werden wir meist auch alle wieder klein, zum Beispiel, ohne das uns das so bewusst ist, zum Beispiel, wenn wir verliebt sind. Ein Mensch sollte (gleichgültig welche Diagnose) immer als Gesamtheit gesehen werden. Nicht immer so auseinander geschnitten werden, in klein und groß. In der Welt draußen wirst du auch als ganzer Mensch gesehen. Man selbst kann nur sehr wenig fühlen, was jetzt klein und groß ist. In sehr intensiven, nahen Beziehung zeigen sich erst richtig die Probleme. Es bedeutet für mich nicht zwangsläufig, dass ein Pat. klein gehalten wird, weil er fühlt, liebt, usw.
Auch wenn du einen Arzt konsultierst, begibst du dich in Abhängigkeit. In der PA ist es zum Beispiel „normal“ sich mit dem Therapeuten zu befassen, bzw. mit der Beziehung, zum Beispiel, ohne diese Abhängigkeit hätte keine Entwicklung stattgefunden. Ich denke auch, dass es ein Scheinbild ist, sich vorzumachen, man sei nicht abhängig, sondern der Thera fördere die Autonomie, also bedeutet das auch, ich sei Unabhängigkeit. Ich spüre in „guten, bzw. stabilen Beziehungsphasen, auch keine Abhängigkeit, sondern fühle mich freier. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich es auch bin! Es gibt nur keinen Anlass, zur Sorge Ich spüre es nur nicht so, weil es dann eine sichere Basis gibt. Die Beständigkeit in einer Therapie, ist aber fast ein Idealzustand. Abhängigkeit zeigt sich nicht immer bei jedem Pat. gleich. Wir wachsen ja auch alle unterschiedlich auf, daher kann man das mit der Abhängigkeit nie allgemein sehen, wird aber oft im Forum gar nicht differenziert. Die meisten Pat. spüren erst dann Abhängigkeit, wenn es kriselt und der Therapeut sich entzieht, die Beziehung ins Wanken gerät.
Das bedeutet nicht, dass die anderen Pat. autonomer sind, nur weil sie stabile und beständige Therapeuten haben. Diese Beständigkeit wünscht sich fast jeder, aber es kratzt auch an der Realität. Selbst als Mutter komme ich an meine Grenzen und kann mein Kind nicht nur sättigend und versorgen, immer beständig und wohlwollend sein. Der Mensch (das ist nur meine persönliche Auffassung) lernt dann in der Therapie, dass es nur Ideale in der Welt außerhalb der Therapie gäben müsse, finde ich „heute“ grundverkehrt. Ein Mensch müsse lernen, Ambivalenzen so zu bewältigen, dass er auch in anderen Beziehung damit umzugehen weiß. Eine Ideal kann das nicht verkörpern. Immer gut gestimmt, wohlwollend und transparent sein, auf Augenhöhe sein, usw. Ich weiß dann nicht, wie man sich entwickeln sollte oder lernen könne, wie es ist anderen Beziehung abläuft.
Wie funktioniert das, über den Verstand? Ja, es solle auch Menschen geben, die etwas für den Verstand brauchen. Ich bin davon „heute“ überzeugt, dass sich Prozesse nur verändern lassen, wenn sie nochmal fühlbar sind, in der Beziehung. Ich hätte auch kein Trauma ohne Beziehung gefühlt, aber es bleibt ja dann unbewusst und wirkt mit, das habe ich selbst so erfahren, in nahen Beziehung.


pivello
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 08:47

Es sucht sich auch körperliche Ventile. Schmerzen, Ängste, usw. Da es dann auch unbewusst bleibt, kennt man die Gründe gar nicht. Dann wird man plötzlich von der Angst überfallen und kennt den Grund nicht. Ein Therapeut hat auch die Aufgabe, diese Muster bewusst zu machen, denn nur was dir bewusst ist, kannst du auch verändern, denke ich. Wenn ein Therapeut also alles nur oberflächlich und rational hält, dann kann kaum Entwicklung stattfinden, denke ich. Auch wenn das Schweigen hier immer so negativ bewertet wird, ich habe davon irgendwann angefangen, sehr zu profitieren, weil ich dann irgendwann ganz bei mir selbst war, bzw. ja, auch im Beisein meine A. fühlen konnte, in Themenbereichen, die für mich sehr schmerzhaft waren. In meiner VT hat mich immer das sofortige Wegmachen der Emotionen extrem gestört. Ist man schlecht drauf, muss das sofort eleminiert und weggeschoben werden, bis es mich wieder einholte… da musste dann jede Emotion mit Sport, Ablenkung, usw. kompensiert werden. Was kann ich tun, damit es mir besser geht? Es ist zwar ein richtiger Gedanke, aber es half mir immer nur kurz, bis ich dann das nächste Ventil brauchte, um mich vollkommen zu erschöpfen. Innere Ruhe fand ich dadurch nie. (aber das ist bei mir etwas eigenes) sage nicht damit aus, dass es bei anderen Pat. nicht hilfreich sein kann, sie anzutreiben, sich zu bewegen, usw.
Heute ist es so, dass ich das nicht mehr muss. Ich kann besser schlechte Emotionen aushalten und sie so sein lassen. (Besser! nicht so, dass es nur aushaltbar wäre, aber da hat Entwicklung stattfinden können. Meine A. war immer auch ein Mensch. Damals habe ich das sehr kritisiert, diese leichte Unbeständigkeit. Heute empfinde ich das anders. Es ist mir lieber so, als jemanden zu haben, der mir Beziehung so vorlebt, wie sie draußen nie sein werden, auch wenn ich mir das oft anders wünsche. Beständig, usw. Aber wir alle sind IMMER auch abhängig davon, wie der andere Mensch die Beziehung gestaltet.

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isabe
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:05

Ja, das Nicht-Wegmachen ist es, was ich an der Analyse so schätze. Denn wenn man sich mal seine Kontakte (beruflich, freundschaftlich, nachbarschaftlich, familiär, institutionell usw.) so anschaut, muss i.a. schon festgestellt werden, dass es fast immer auf ein "Wegmachen" hinausläuft, weil kaum jemand aushält, wenn etwas Unangenehmes passiert, gesagt oder gefühlt wird. Immer muss ein passender Spruch, eine passende Geste dafür sorgen, dass das Unangenehme weggemacht wird, damit man sich anderen Dingen zuwenden kann. Es ist für unangenehme, peinliche, leidvolle Dinge kein Platz in dieser Gesellschaft: Meist ist es tatsächlich die Endlichkeit, die problematisch ist: der (nahende) Tod oder das Ende einer Beziehung; das Ende einer Beschäftigung usw. Alles wird weggemacht mit Sprüchen wie: "Wird schon wieder" / "Kenne ich auch" / "Tu was, damit es dir besser geht" und so fort.

Langeweile ist ein ähnliches Phänomen. Das (nur scheinbare) Nichtstun wird gleichgesetzt mit einer Art Vakuum, dem man entkommen muss, koste es, was es wolle: essen, trinken, fernsehen, masturbieren, shoppen - Hauptsache, man ist nicht in der Situation, gerade nichts zu tun. Und so wird auch der nicht-sprechende Therapeut wahrgenommen als jemand, der sein Geld nicht wert ist, weil er scheinbar nichts Produktives tut.

Wer, bitte, nimmt sich die Zeit, die Leere auszuhalten und darauf zu warten, was DANN passiert.


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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:10

Ich mache VT und meine Gefühle dürfen auch immer da sein, die werden nicht weggemacht.


MariJane
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:18

Das nicht Wegmachen, wie du es beschreibst, gibt es aber auch in anderen Therapieformen. Nur, zumindest scheint mir das so, dass der Therapeut dabei bei dir ist. Du fühlst dich damit nicht alleine. Das fand ich persönlich eben heilsam. Während ich es merkwürdig fand, mit jemandem zu reden, der so gut wie keine menschliche Regung zeigte. Weder positiver noch negativer Natur.

Mir hat eben viel mehr geholfen, dass mein Therapeut bei mir war. Das er, wenn ich gleichgütig irgendwas erzählt habe, vielleicht eine negative Bewertung vornahm, teilweise emotionale Reaktionen zeigte, die bei mir in der Form oft nicht zu finden sind. Ich hab über ihn gelernt, dass ich mich auch einfach mal ins Bett verkrümeln darf, dass nicht gleich als Depression verstehen muss und dagegen vorgehen muss, wenn etwas einfach belastend war. Da ich nicht immer funktionieren muss und wie du sagst, keinen Stillstand haben darf. Aber das zu Lernen ging eben für mich nur in der Arbeit mit einem Therapeuten (vielleicht sogar nur mit meinem Therapeuten), der eben nicht als weiße Wand fungiert.


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isabe
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:29

Klar gibt es das glücklicherweise auch in anderen Therapien. Ich wollte damit nur aufzeigen, dass der Vorwurf an die Analytiker, sie würden quasi nichts tun, haltlos ist. Wenn jemand das so empfindet, dann ist das SEIN Umgang mit dem Schweigen und hat mit dem Schweigen an sich gar nichts zu tun.

Das mit der "weißen Wand" würde so kaum ein Therapeut unterschreiben; aber natürlich brauchen nicht alle Leute dasselbe. Das "Beim-Patienten-Sein" tun Analytiker z.B. auch; nur ist es manchmal schwierig, das zu merken - aber WENN man es merkt, dann ist es schon was Anderes, als wenn jemand sagt: "Ich bin bei Ihnen" - also, für mich selbst ist das so. Weil ich selbst es so erlebt hab, dass mir schon so viel gesagt wurde und ich das alles nicht mehr hören mag.


MariJane
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:35

@ isabe: Soweit ich das hier gelesen und richtig verstanden habe, ging es aber niemandem darum, zu sagen, dass der Therapeut sein Geld nicht wert ist, sondern eben tatsächlich schlicht um Präferenzen. Da muss tatsächlich jeder die richtige Methode für sich finden. Und ich zumindest finde die Diskussion ziemlich spannend, weil ich so auch merke, wie unterschiedlich Menschen ticken. Deshalb würde es mir auch nicht einfallen Psychoanalyse oder ähnliches abzuwerten; es scheint einfach überhaupt nicht zu mir zu passen, wenn ich lese, wie eure Erfahrungen sind. Und das finde ich für mich ne gute Erkenntnis.


mio
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 09:52

Pivello, ich kann auch in einer aktiver gestalteten Beziehung mich fühlen. Ich kann es da sogar besser, weil es nicht so triggert und mich damit im Zweifel rauskatapultiert oder erst mal in disfunktionale Zustände haut aus denen ich mich dann wieder rauswurschteln muss. Es passiert so eher "dosiert" und ich habe gerade dieses "dosiere selbst" wie weit Du gerade gehen kannst mit mir in der Therapie gelernt. Ich bin da auch einfach (als gesamtes) nicht symbiotisch gebunden, das sind einzelne kleine Teile, die allerdings an meine Mutter, nicht an die Thera.

Dieses "Erfühlen" bekomme ich im Prinzip auch allein hin, dafür brauche ich die Thera weniger. Die brauche ich da nur an Stellen die sehr "dicht" sind und über die ich allein nicht drüber komme, Schweigen oder "Leere aushalten" würde mir da nicht helfen, Leere kenne ich eh nicht, auch keine Langeweile, nur inneres Chaos. Und da brauche ich Techniken, Vorschläge, Ansprache. An anderen Stellen geht das auch allein sehr gut, zB. indem ich aktiv Themen triggere oder in mich rein frage und so. Wichtig ist sie für mich vor allem, wenn ich mal wieder am "Tor zum Wahnsinn" stehe. Und da stehe ich meistens in Phasen wo ich selbst viel "wühle" im Inneren oder eben triggernde Dinge um mich herum passieren. Da ist es dann gut zu wissen: Da ist jemand, der Dir helfen wird den Wahnsinn wieder zurechtzurücken.

Und meine Thera macht "schlechte Gefühle" auch nicht weg, im Gegenteil. Gerade den belasteten Teilen wird versucht sich anzunähern und gemeinsam für sie da zu sein. Ich persönlich neige aber auch nicht zu so einem "Überaktionismus", wenn "schlechte" Gefühle zu sehr auftauchen sondern eher zu "Starre" oder aber eben zu Wechseln, die ich dann nicht immer kontrollieren kann. Es geht da also wohl um andere Themen.

Und ich kann das gedankliche Konzept was dahintersteht wie gesagt auch verstehen, nur dieses "Pochen auf Abhängigkeit" stört mich. So nach dem Motto: Wenn Du nur lange genug bereit bist, Dich von mir abhängig zu machen, dann wirst Du schon autonom werden... Das halte ich für den falschen Gedankenansatz. So nach dem Motto: Du musst zum hilfsbedürftigen Kind werden, dann wird das schon...sozusagen "automatisch". Das glaube ich einfach nicht sondern halte es eher für gefährlich, wenn so ein Gedanke dem Patienten vermittelt wird. Einfach auch weil es den Eindruck vermittelt, der Patient selbst müsse gar nichts tun, nur ausreichend abhängig vom Therapeuten sein.

Ich komme allerdings auch aus keiner allzu "abhängigen" Grundposition insgesamt, das betrifft bei mir eher einzelne Teile, die da anfällig sind. Das Gesamtsystem neigt nicht zu unguten Abhängigkeiten, was nicht heißt, dass es keine gibt, aber sie sind nicht "bestimmend" in persönlichen Beziehungen.


montagne
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 10:23

Ich habe wirklich gerne einen Mittelweg.
Für mich war es lange vorrangig wichtig angenommen zu werden, mit dem was ist. Meine Gefühle, Gedanken - die negativen eben - sollten eben nicht weggemacht werden. Meine Therapeutin hat das auch nie. Nur je mehr ich es spüren kann, nicht weil sie es sagt, sondern weil ich es eben spüre, in der Therapie, aber eben auch in anderen Beziehungen, dass ich sein darf, wie ich bin, auch wenn es negative Gefühle, unbequeme Dinge, unbequeme Fragen sind; umso eher kann ich Aktion zulassen. Wohlgemerkt, solange ich anderen damit nicht schade, aber das versteht sich für mich von selbst. Andere herabsetzen usw. "weil man das so fühlt", ist nicht gemeint.

Denn ich sehe gerade das bewusste und offene Aushalten in der Therapie, als Lernprozess, um Dinge in sich aushalten zu können. In der Therapie unterstützt die Therapeutin mich darin, bestimmte Dinge auszuhalten, indem sie die eben nicht wegmacht, obwohl ich sie vielleicht implizit dazu aufordere, indem sie schweigt, indem sie spiegelt, aber nicht wertet, nichts tut, keine Vorschläge macht.

Ich glaube aber, das ist nur eine Übergangsphase. Es ist nach innen hin sehr aktiv und anstrengende, ja. Aber für mich bedeutet Therapie, langfristig und stabil mehr Lebensqualität anzustreben. Und für mehr Lebensqualität brauche ich u.a. mehr Kongruenz zwischen innen und außen. Dinge erstmal aushalten, wie sie sind, ja. Denn sonst verfällt man in Muster, die nicht hilfreich sind: Panik, Starre, verdrängen, ignorieren, meinetwegen auch Süchte, was auch immer. Nichts davon hilft, den als unangenehm empfundenen Zustand zu bessern. Also erstmal lernen aushalten. In aushalten steckt ja drin, es ist etwas, was ich eigentlich nicht will, aber es ist nunmal da.

Und wenn ich das in mir halten kann = aushalten, habe ich die Freiheit was zu ändern, im Großen wie im Kleinen. Und habe dann aber auch die Gelassenheit, wenn es sich doch nicht ändern lässt oder wenn mein Versuch es zu ändern erstmal fehlschlägt, denn ich weiß ja, aushalten kann ich es immer noch.

Ich sehe das für mich als anzustrebende Autonomie. Es geht mir nicht arum emotional und pragmatisch niemanden zu brauchen, sondern mich hin- und her bewegen zu können, zwischen jemanden brauchen und selbst meine Angelegenheiten regeln und mit meinem Inneren umgehen. Wen ich nicht mehr weiterkomme ist es nicht nur okay, sondern reif, jemanden um Hilfe zu bitten und nicht erst,w enn ich am Boden liege, sondern rechtzeitig ein Hilfsnetz und ein soziales Netz am Start zu haben, was natürlich heißt, mich regelmäßig drum zu kümmern.

Und ich denke die Bewegung zwischen "Autonomie" und "Abhängigkeit", ist machbar, wenn man auch zwischen aushalten und was ändern wollen und können (ohne das Gefühl zu haben, dass einem da jemand was wegmachen will und man nicht angenommen ist) pendeln kann.
amor fati

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Mondin
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 10:35

....

Ich denke, jetzt mal rein auf die Ausgangsfrage bezogen, was die Autonomie fördern könne, das ein gestärkter Patient, der mehr Sicherheit und Gelassenheit, ja, mehr Eigenmacht in sich spürt, in jedem Falle auf einem gutem Weg zu autonomem Handeln ist, weil er sich zutrauen wird die richtigen Entscheidungen für sich zu treffen.

Alleine schon das Gefühl zu haben, sich den für sich richtigen Therapeuten und die richtige Therapieform erwählt zu haben, kann das Selbstvertrauen stärken und damit die Grundlage zur Autonomie. Ehrlich gesagt denke ich, dass alles Weitere, also was der betreffende Patient im Einzelnen braucht um sich stärker zu fühlen und mehr Selbstvertrauen aufbauen zu können, so unterschiedlich sein dürfte, wie die Menschen selbst.

Jeder bringt seine ganz spezielle Grundkonstitution und Ausgangslage mit. Jeder braucht etwas Anderes und selbst wenn es sich von einem Anderen nur um Haaresbreite unterscheidet, so kann dieser kleine Unterschied doch Welten ausmachen im Endergebnis. Insofern glaube ich, dass ein Therapeut, der die Autonomie seiner Patienten fördern will, in erster Linie ein gutes Gespür dafür braucht, wie er seine Patienten stärken kann. Wie er ihnen, für sie innerlich annehmbar und (be)greifbar mehr Selbstvertrauen vermittelt, sie also zu einer Sichtweise führt, in der sie sich weniger ausgeliefert und ohnmächtig erleben, sondern vielmehr als befähigte Personen, die diese Befähigung nur noch für sich zu erschließen brauchen, mit setwas Hilfe, um dann am Ende zu erkennen, dass sie nur das nutzen müssen, was sie in sich selbst bereits vorfinden und das nur ihnen gerhört, also unabhängig ist und selbst Verantwortung tragen kann.

Eigenliebe.... hm.... ich glaube nicht einmal dass EigenLIEBE nötig ist. Diese entwickelt sich womöglich erst in den Jahren danach, wenn der Patient sich ausprobiert und lernt, dass er vieles kann und grundsätzlich ein ziemlich patenter Mensch ist. Ich machte die Erfahrung, dass es im Grunde ausreicht, wenn man es schafft, sich selbst gegenüber eine gewisse Achtung zu empfinden und sei es dafür, dass man noch immer lebt und weitermacht, trotz aller Unbill. Daraus heraus kann man ein gewisses freundschaftliches Wohlwollen für sich entwickeln, das dann wiederum eine Basis für die schlussendliche Eigenliebe darstellt. Diese ermöglicht dann auch eine große Autonomie, weil man es schafft, sich zu motivieren, bestmöglich für sich zu sorgen. Auch ohne dass jemand von außen einen dazu anhalten müsste.

Grüßerle!
Mondin


pivello
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 13:01

mio, ich glaube dir auch, dass du damit gut harmonierst. Hab ich dir auch schon mal mitgeteilt, glaube ich.
Ich wollte eigentlich auch nur sagen, dass für uns User hier, Abhängigkeit zum größten Teil grundsätzlich negativ belegt ist. Ich fand sehr hilfreich, als sie mir das erklärte. Es eröffnete mir ein anderes Bewusstsein, weil ich das selbst nie so gesehen hätte. Sie erklärte mir halt, dass ich sehr schlechte Erfahrungen mit Abhängigkeiten gemacht habe und das sich aufgrund der Tatsache in der Therapie, die Grenzen auch eingegrenzt anfühlen. „Da tut jemand etwas, was in jedem Fall schlecht für mich ist“ eben in dem Zusammenhang, weil es sich wiederholend so anfühlt. Ich habe da ja meine größten Probleme, wenn mich jemand zu sehr bestimmt. Ich habe zwar eine sehr ausgeprägte Sehnsucht „ Mutter“, allerdings, wenn ich es differenziere, mag ich „Bemuttert“ werden, gar nicht. Ich bin damit sehr schnell überfordert, weil es gewohnt bin, bestimmte Bereiche selbst zu gestalten. Mir fehlt primär etwas anderes. Konnte kein sicheres „Objekt“ etablieren. Dafür kann ich nichts. Sie erklärte mir auch, dass es bei frühkindlichen Traumatisierungen so sei, dass erst das „Agieren“ da ist und dann das Ich, bzw. das Rationale, da kleine Kinder sich auch nur so äußern, bzw. zeigen können, das mit dem Verstand folgt erst später. Ich bin mir sehr sicher, dass sich nur bestimmte Bereiche rational steuern lassen, gerade bei Dis. Es ist bei mir so, dass ich mein Kind sehr gut erziehen kann, ich selbst fühle jedoch oft ganz anders, als ich es dann verbalisiere. Die Emotionen sind oft abgetrennt, vom Verstand. Wenn jemand schreibt, er wäre nur nie symbiotisch unterwegs gewesen, weil er eine intakte Persönlichkeit hätte, dann zweifele ich das an, weil wir Menschen, wenn wir lieben, auch in alte Muster fallen, die uns gar nicht bewusst sind. Abhängigkeiten entstehen im Leben immer. Sei es nur, wenn du vom Chef abhängig bist, deinen Job zu behalten, vom Dozenten in der Uni, usw. Es ist sehr wichtig, mal gute Erfahrungen in Abhängigkeiten zu machen, um das eine Veränderung möglich ist, aber den Schritt wagt man wahrscheinlich nur, wenn man auf die Hilfe sehr angewiesen ist. Meine A. erklärte mal, dass sich die Abhängigkeit in der PA von allein einstellt, da müsse sie gar nicht viel zu tun. Sehe auch bei Usern, die ihre Unabhängigkeit so unterstreichen, eine größere Abhängigkeit, sonst wären sie nicht schon jahrelang beim gleichen Therapeuten. Weshalb sollte man dort erscheinen, wenn man unabhängig leben könne? Ich möchte das auch gar nicht werten, aber ich wär nicht mehr in der PA, wenn ich unabhängig leben könne, weil Therapie auch wirklich harte Arbeit ist. Ich finde es auch nicht verwerflich, jemanden zu brauchen. ( naja, im besten Fall meist jedenfalls). Das Problem sehe ich dann mehr im Bereich Psychotherapie. Es gibt einfach auch eine Vielzahl, die schlechte Arbeit machen.
Da uns das bewusst ist, bzw. wir das schon öfter erlebt und gehört haben, ist es nochmal schwerer, dem therapeutischen Prozess zu vertrauen. Abhängigkeit bedeutet ja auch nicht zwangsläufig komplette Selbstaufgabe, da wir immer noch über das Ich verfügen und demnach auch handeln könnten. Das ist ein Plus. Egal wie schwer es ist, sich daraus zu lösen, aber die Fähigkeit besitzen wir, in der erwachsen Rolle, handlungsfähig zu sein. Ich bin mir auch sicher, ein Therapeut ist kein Hellseher und manchmal (so kenne ich das von mir) denkt man, der weiß das schon alles, aber das ein Pat. in dem Prozess auch mitwirkt, wird oft gar nicht gesehen. Da kommt dann nichts auf den Tisch. Ein Therapeut ist ja auch darauf angewiesen, zu erfahren, wie es einem selbst mit ihm/ihr geht. Manchmal bekommen die weniger mit, als man selbst annimmt. Finde es immer auch wichtig, das dann dort besprechen zu können. Hab jedenfalls gute Erfahrungen damit gemacht, zu sagen, wenn es mir damit nicht gut geht. Bis ich das allerdings äußerte, dauerte das auch sehr lange, wie oben beschrieben, hatte das auch Gründe.


pivello
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Beitrag Mo., 09.01.2017, 13:20

Also, "agieren" sagte ich jetzt, sie würde so nicht sprechen, aber könne man in "sich verhalten"(unbewusst) vielleicht auch ersetzen. Erst folgt das Verhalten, dann der Verstand. Das kann man dann gut in der Therapie bearbeiten, was sich da wiederholt, in Beziehung. In anderen nahen Beziehung kann ich mir auch nicht ausschließlich meine Unabhängigkeit erhalten, wie solle so auch echte Nähe entstehen. Finde das immer schwer, in allen und anderen Beziehung, da ich mich sehr schnell bestimmt und kontrolliert fühle, bzw. in Abhängigkeit. Es ist jedoch auch eine Aufgabe, die Hingabe in einer therapeutischen Beziehung mal zu spüren und zu lernen, es sind nicht alle Menschen gefährlich und schlecht, selbst dann nicht, wenn ich Schwächen zeige, Nähe zulasse, usw. Aber wie beschrieben, kritisch sehe ich dann allgemein mehr, einen Therapeuten zu finden, dem deine Entwicklung auch am Herzen liegt, bzw. der "gut" ist. Denke aber, dass man von Anfang an, ein Gespür dafür hat und seine Grenzen dann frühzeitig ziehen sollte. Problematisch ist meist, wenn wir uns (wie vielleicht unsere Eltern auch taten) einreden, wir würden das alles nur falsch wahrnehmen oder das sei nicht so schlimm oder sonstige Relativierungen. Ich hatte bei meiner e. Thera sofort schlechte Gefühle, die ich übergangen habe und das war fatal, immer noch ein Problem. Bei meiner A. hatte ich diese Gefühle zum Beispiel gar nicht. Es ist in der alten Therapie in meiner Abhängigkeit so gekommen, wie ich es schon befürchtet habe. Ich habe hier auch sehr selten gelesen, dass die, die schlechte Erfahrungen in Therapien gemacht haben, dass so plötzlich aus dem Nichts kam. Das zeigte sich schon, auch wenn nur minimal oder so. Ich denke es kann erspürt werden, bei welchem Thera ich mich befinde. (das ist nur meine persönliche Meinung)


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Beitrag Mo., 09.01.2017, 16:32

Vielleicht meinte ich ich auch etwas anderes mit "was kommt, wenn es still ist", weiß ich aber nicht genau. Ich glaube, ich meinte keine negativen Gefühle, oder ich meinte sie nicht nur. Ich meinte das, was der Betroffene selbst noch gar nicht kennt und was ihm als Gefühl vorher noch gar nicht bekannt oder fühlbar war. Dass da plötzlich sozusagen "sich selbst etwas ausspricht", wo man dann staunt, dass es da ist. Wie bei einer Geburt. Ich glaube, das geht tatsächlich nur, wenn vorher geschwiegen wurde, und zwar so lange geschwiegen wurde, dass dieses "es" sich auf den Weg machen konnte, von irgendwoher im Inneren, wo es nicht zu verorten war und wovon auch niemand wusste, dass es das gibt. Irgendwas, wofür es vorher keinerlei Worte gab. Ich selbst kenne es so, dass das nur geschieht (vielleicht ist das ja bei anderen Leuten anders), wenn vorher ein bestimmtes Maß an Spannung erzeugt wurde, das sich wiederum aus einem Mangel und einer Hoffnung speist. Anders ist bei mir jedenfalls noch nichts Bedeutsames "herausgebrochen".

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