Albtraum
Die Fähre
Ich habe einen kleinen blauen Koffer gepackt. So einen praktischen mit Rädern.
Ich weiß gar nicht was ich in den Koffer hineingetan hab, es ist mir egal.
Ich mag nicht verreisen, doch ich bin angemeldet für ein Ferienlager auf einer kleinen Insel.
Ich freu mich lediglich auf den Malkurs.
Nun stehe ich mit anderen Mädchen und warte darauf auf die Fähre zu dürfen,
die uns ans andere Ufer bringen soll. Mir ist ganz mulmig dabei.
Schiffe mag ich nicht, ich werde immer seekrank, und ich habe Angst vor dem Meer.
Es ist so unendlich tief. Doch es gibt kein Zurück.
Die anderen Mädchen schieben mich auf das große weiße Boot, vorbei an dem Kapitän.
Dieser ist ein großer kräftiger Mann mit braungebranntem wettergegerbtem Gesicht und
auf seinem Gesicht liegt ein breites strahlend weißes Grinsen. Doch es ist ein unnahbares Grinsen,
so als ob er uns auslacht. Mein ungutes Gefühl verstärkt sich. Irgendetwas stimmt da nicht.
Das Schiff legt ab, das Meer ist ruhig.
Ich stehe zwischen den anderen Mädchen und versuche auf dem schaukelnden Boden Halt zu finden.
Hin und wieder werfe ich einen Blick nach Draußen. Das Meer ist ganz ruhig, grün und dunkel,
warum schaukelt das Boot eigentlich so? Der Himmel ist grau und düster, es gibt bestimmt noch Regen heute.
Die Insel rückt näher, ich erkenne einen bewaldeten steilen Hügel, und ziemlich weit oben
ist ein Weg zu erkennen. Aha, da müssen wir also hinauf. Ein feiner gelber Sandstrand wird sichtbar.
Wo ist denn da eine Anlegestelle? Mir schwant nichts Gutes.
Ich versuche mich abzulenken und beobachte die anderen Mädchen.
Sie stehen vergnügt in Gruppen zu zweit und zu dritt, lachen und scherzen
und freuen sich offensichtlich auf die bevorstehenden Tage.
Ich merke traurig, ich kenne niemanden, die anderen scheinen schon miteinander bekannt
oder gar befreundet zu sein.
Doch ein Mädchen ist dabei, die kenne ich.
Dieses sommersprossige Gesicht und der hellbraune kurzgeschnittene Lockenkopf,
die lustigen blauen Augen und das lebhafte Wesen des Mädchens sind mir sehr vertraut,
doch ich weiß nicht woher ich sie kenne.
Es ist auch keine Zeit mehr darüber nachzudenken. Es heißt wir legen an.
Der Kapitän verschwindet grinsend auf seiner Kommandobrücke.
Ich traue meinen Augen nicht. Der Sandstrand ist hier so steil, es gibt keinen Steg,
das Schiff fährt Räder aus und fährt nun an diesem steilen Strand entlang ohne stehen zu bleiben.
Dann heißt es für uns:
Abspringen!
Keines der Mädchen wundert sich, und so sehe ich wie der Lockenkopf als erstes springt.
In diesem Moment weiß ich wer das Mädchen ist.
Es ist Nora, wir waren gemeinsam in der Volksschule.
Nora rollt im Sand ab, packt dann ihren Koffer und stapft den steilen Strand bergauf Richtung Wald,
hinauf zu dem Weg auf dem nun schon einige andere Kinder auf uns warten und uns fröhlich zuwinken.
Jetzt bin ich dran. Zuerst der kleine Koffer. Puh, das ist ganz schön tief.
Ich ermahne mich selber: „Nora hat das auch können“.
Ich springe.
Ich lande unsanft im Sand und versuche von dem Schiff wegzukommen. Es geht nicht, es ist zu steil!
Da kommen schon die breiten Räder genau auf mich zu, ich kann mich nur schnell unter das Schiff in den Sand
drücken und hoffen, dass es sich ausgeht.
Ich spüre wie der Rumpf des Schiffes meinen Kopf und Rücken streift,ich sterbe vor Angst.
Warum hilft mir denn keiner!!!
Hat denn keiner gesehen, dass ich es nicht rechtzeitig geschafft habe unter dem Schiff hervorzukommen?
Es dauert unendlich lange, meine Angst steigert sich von Sekunde zu Sekunde, das Schiff nimmt kein Ende.
Ich muss es aushalten.
Da kommen die nächsten Räder, ich muss mich noch weiter in Richtung Meer schon teilweise ins Wasser drücken.
Gleich werde ich sterben. Doch die Räder knirschen knapp an mir vorbei.
Endlich ist das Schiff in seinen ganzen erdrückenden Ausmaßen über mir weg.
Ich liege im nassen schweren Sand, völlig kraftlos, zitternd, alle Gleider sind schwer wie Blei.
Keiner kommt und fragt ob mir etwas passiert ist.
Niemand achtet auf mich, als ob ich gar nicht da wäre.
Endlich lässt meine Panik nach, ich rappel mich auf und sehe,
dass die anderen Mädchen fröhlich kichernd den steilen Strand hinauflaufen.
Ich fühle mich nur schlecht. Ich gehöre nicht dazu. Ich bin wie immer allein.
Und dann weiß ich plötzlich mehr von Nora.
Nora ist schon lange tot.
Nora war nach der zweiten Klasse in den Ferien auf einem Campingplatz in ihrem Zelt erschlagen worden.
Ich wache auf.
Mein erster Gedanke: Ich muss heute auch Koffer packen.
