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Fr., 01.01.2010, 12:52
Die Herbstsonne war den Tannenwipfeln bereits zugeneigt, als er sein Auto auf der Anfahrt zum Haus parkte. Mit einem satten „Klack!“ fiel die Tür ins Schloss, dann war es still. Es roch nach feuchtem Waldboden, der sich an den sonnenwarmen Flecken in der klaren Luft löste. Er verharrte. Wenn jetzt niemand daheim war, wäre er den ganzen weiten Weg aus der Stadt umsonst gefahren. Unschlüssig stapfte er durch das raschelnde Laub zur Vordertür. Als die Glocke verhallte, geschah nichts. Nur der Hund auf dem Hof schlug erneut kläffend an, beruhigte sich aber gleich wieder. Die Klinke gab nach. - „Hallo?!“
Von weiter hinten kamen Töne. Harmonisch, leicht, verspielt trug der Klang sie an sein Ohr. Sie war also da. Ein, zwei Stunden übte sie jeden Tag - vor dem Mittag, danach hatte sie viel zu tun. Heute war es wohl anders. Durch den dunklen Gang tastete er sich im menschenleeren Haus nach vorn, dorthin wo die Musik erklang. Zitternd drückte er gegen die Tür, welche einen Streifen Licht freigab.
Es war der Wintergarten. Durch das Glas flammte das bunte Laub der Buchen und der Eichen, umrahmt vom Grün der Palmen, die das Gold der Sonne herein fließen ließen, hin zur alten, ehrwürdigen Harfe, wo es mit dem Schnitzwerk von edlem Holze spielte. Goldbraun schimmerte das Instrument, während die Saiten im Spiele blitzten, geführt von zwei schlanken Händen, die elegant mal nach von, mal nach hinten streiften. Manchmal verharrend, um dann mit neuer Energie einen weiteren Klang zu zaubern. Die Töne sprangen, flossen, schwebten und lockten mit überirdischer Harmonie, gleich den moccabraunen Locken, welche um ihren Nacken spielten von dem Goldschmuck der untergehenden Sonne geziert.
Sie hatte ihn wohl nicht bemerkt. In beständigem Wechsel drangen ein Akkord nach dem anderen in sein Ohr, während er seine Augen nicht lassen konnte von ihrer Silhouette, welche das Sonnenlicht unter dem leichten Tüll ihres Hausgewandes zeichnete. Ihr Körper wand sich und vibrierte mit jedem Ton, den ihre Hände anschlugen. Sie war ganz ihn ihrer Musik versunken. Unfähig dieses Bild zu stören, brachte er keinen Laut mehr heraus. Das musste der Garten Eden sein!
Auf Zehenspitzen schlich er sich nach vorn, bis er direkt hinter ihr stand, nun völlig vereinnahmt und gefesselt von dem, was er hörte, sah und fühlte. Seine Hand ging nach vorn, suchte ihre Schulter, doch die Finger gerieten zwischen die Locken als wenn ein Magnet rostige Nägel anzieht. Sie schreckten zurück und lange weiche Haare fielen über die goldbraunen Löckchen, welche eben noch im Nacken geglänzt hatten.
Ihm stockte der Atem, und in die Atemlosigkeit drang ein weiteres Glissando ihm in die Ohren, die nicht mehr die seinen waren. Ohnmächtig sank er auf die Knie, konnte nun ihren duftenden Körper spüren, wie er bebte und schwebte. Seine Linke strich ihr die Haare nach vorn. Da war er wieder, ihr bezaubernder Nacken, der zu der Musik einen eigenen hinreißenden Tanz aufführte.
Ihre Haare fielen nun nach vorn über ihre Schulter und wiesen seiner Hand einen Weg. Eine Einladung, welcher diese nur allzu gern Folge leistete. Der hauchdünne Stoff kitzelte seine Fingerspitzen, während er ihren warmen, weichen, vibrierenden Körper suchte, der sich vertrauensvoll in seine Bewegungen schmiegte. Seine Rechte legte sich um ihre Hüfte, ihrem Schwung Raum gebend, und nun spürte er, wie jeder Ton durch sie zuckend ihn berührte und jede Schwebung ihn weiter ins Reich der Sinne entführte. Sie lehnte sich auf seine starke Schulter, so wie das Instrument auf ihrer zarten lag. Seine Hände glitten an ihr auf und ab, wie ihre Hände die Harfe liebkosten, immer neue Empfindungen und Wünsche in Klänge verwandelnd. Das war nicht mehr Debussy - das war pure Extase. Er hörte ihre Musik und er verstand alles.
Da verschwand die Sonne hinter dem Wald. Es wurde dunkler und still. Nur das Schnaufen zweier erhitzter Leiber übertönte noch den wohligen Geruch frischen Schweißes. Sie wandte sich ihm zu: „Du!? - Aber Du kannst doch nicht einfach...“ Die Überraschung in ihren tiefen, braunen Augen sog ihn auf. Er war verloren. Hilflose Scham... Die Harfe kippte in den Stand zurück. Es gab keine Erklärung...
Da sank sie erschöpft in seinen Arm: „Ich hab an Dich gedacht...“