Die Sehnsucht der (ungeliebten) Töchter - Vaterübertragung

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Tobe
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Beitrag Do., 22.09.2022, 14:15

Joa hat geschrieben: Do., 22.09.2022, 06:53 Für diejenigen Frauen, die sich wünschen, ihr Therapeut wäre ihr Ersatzpapa.

Den Wunsch kann ich mehr als verstehen, da es mich selbst auch betrifft. Jedoch ist mir vollkommen klar, dass mein Therapeut das nie, nie, nie sein wird.
Hallo Joa,

ich finde den Thread wichtig und auch richtig.
Auch zur Aufklährung, bzw. zum Hinterfragen dieser Gefühle und um zu verhindern, daß jemand dadurch in sein/ihr Unglück rennt.

Zuallererst denke ich jedoch, daß diese Gefühle, sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Patienten aufkommen können. Man hört, bzw. liest dies zwar vermehrt bei weiblichen Patinten, dies wird aber wohl mehrere Gründe haben, wie z.B. das mehr Frauen eine Psychotherapie aufsuchen als Männer und Frauen sich auch eher anderen Menschen mitteilen.

In einer Psychotherapie bekommt man ggf. die Aufmerksamkeit, die "Zuwendung", die Sicherheit und damit auch die Geborgenheit, die man in seinem Zuhause in der eigenen Kindheit durch die Mutter und/oder den Vater schmerzlich vermisst hat. Das dies dann Gefühle, bzw. Phantasien auslöst und damit die Wunschvorstellung den Therapeuten oder die Therapeutin als Elternersatz zu empfinden, ist meiner Meinung nach vollkommen nachvollziehbar.

Auch ich bin davon betroffen und hätte gerne so einen Vater gehabt, wie mein Therapeut einer zu sein scheint.
Aber auch mir ist ganz klar, daß dies nie sein wird. Erstens bin ich schon lange erwachsen und zweitens ist er nunmal nicht mein Vater. Auch lässt sich das Vergangene nicht nachholen, so traurig dies auch ist.

Ich würde auch niemals meinem Therapeuten diese Gefühle und Wunschphantasie mitteilen. Da dies ganz sicher die therapeutische Beziehung verändern würde. Ich kann mir gut vorstellen, wenn er dies wüsste, daß es ihn u.U. verunsichern würde und er dann ggf. noch vorsichtiger würde, diese Emotionen nicht weiter zu nähren. Im schlimmsten Fall würde er vielleicht auch die Therapie beenden.
Da schweige ich lieber und genieße still dieses Geborgenheitsgefühl.

Therapeuten, oder auch Therapeutinnen können meiner Meinung nach aber auch Vater- oder Muttergefühle (Beschützergefühle) gegenüber manchen Patieten entwickeln, vorausgesetzt eine gewisse Sympathie zwischen Beiden und ggf. ein entsprechender Altersunterschied ist vorhanden.
Gerade dann ist es aber immens wichtig, daß die Grenzen nicht verwischen, sowohl die Grenzen des Patienten, aber auch die Grenzen des Therapeuten.
Das der Patient ggf. schon erwachsen ist, ist meiner Meinung nach nicht generell ein Hindernis.
Psychisch gesunde und liebevolle Eltern, haben auch so lange sie leben immer das Bedürfnis ihr "Kind" vor Elend beschützen zu wollen, egal ob die Kinder schon erwachsen sind.

Gegen Gefühle oder Wünsche kann man nichts machen, sie entstehen einfach.
Aber wie man damit umgeht, ist sehr entscheidend.
Ich gehe ja auch nicht einfach hin, wenn ein atraktiver Mann vor mir hergeht und fasse ihn an seinen knackigen Po, nur weil er mir gefällt. Da würde jeder sofort schreien, das ist Grenzüberschreitend.
Und ja, natürlich wäre dies Grenzüberschreitend.

Ich finde es aber ebenfalls Grenzüberschreitend, wenn Patienten egal ob weiblich oder männlich, dem Therapeuten oder der Therapeutin, ihre Gefühle oder Wünsche ihm oder ihr gegenüber regelrecht aufzwängen und das ggf. auch noch so massiv wie in einem anderen Thread zu lesen war.
Das dies die therapeutische Beziehung wie auch immer zerstört, dürfte jedem klar sein.
Im besten Fall wird die Therapie dann durch die Therapeutin, oder den Theraputen beendet, bzw. abgebrochen, bevor schlimmeres passiert. Therapeuten sind schließlich auch nur Menschen.
Im umgekehrten Fall würden wir Patienten ja auch die Flucht ergreifen, wenn Therapeuten uns deren Gefühle oder Wünsche ungewollt und so massiv aufzwängen wollten.

Es hilft vielleicht des öfteren mal den eigenen Blickwinkel zu ändern und sich mal in die Position seines Gegenübers hineinzuversetzen, vollkommen unabhängig in welcher Art Beziehung (Therapie, Freundschaft, Eltern-Kind-Beziehung, oder Partnerschaft).
Ich denke auch, daß problembehaftete und ausgeprägt hilfsbedürftige Menschen eher unatraktiv wirken im Bezug auf Freundschaften oder gar Partnerschaften, da sie auch eine nicht unerhebliche Zusatzbelastung bedeuten.
Sie lösen meines Ehrachtens am ehesten einen Beschützerinstinkt beim Gegenüber aus, sofern vorhanden.
Aber auch hier überlegt sich jeder, ober er diese Zusatzbelastung auf sich nehmen möchte.

L.G. Tobe
Haltet die Welt an, ich will aussteigen.
Wenn du den Tag wie die Nacht empfindest,
Einsamkeit mit Schicksal verbindest,
Traurigkeit dein Leben hüllt,
weisst du, wie sich meiner einer fühlt.

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Gespensterkind
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Beiträge: 1454

Beitrag Do., 22.09.2022, 15:54

Vielleicht ist es aber auch eine Form der "Reife" oder des "Erwachsen-seins", dass man Gefühle, die man gegenüber dem Therapeuten entwickelt auch einordnen kann.
Ich glaube, dass Therapeuten nicht automatisch davon ausgehen. Ich glaube vielmehr, dass sie eigentlich wissen (sollten), was sie alles an Übertragungsgefühlen beim Klienten auslösen. Nur werden sie diese nicht ansprechen, solange es der Klient/Patient nicht anspricht.
Ich glaube, der Patient darf erst mal alles sein, alles fühlen, alles brauchen und wollen. Grenzüberschreitend ist es vielleicht dann, wenn der Therapeut eine klare Haltung dazu vermittelt und dies auch offen so besprochen wird, der Patient aber nicht mehr davon loslassen kann. Auch da ist es immer noch die Frage, ob das nicht dann auch therapeutisch bearbeitet werden kann.
Ich denke, in den meisten Stunden kann ich für mich erkennen, dass all das Liebevolle, Wertschätzende und Annehmende von meinem Therapeuten tatsächlich so auch gemeint ist, aber eben nur in dieser Stunde. für diese eine Stunde bin ich der Mittelpunkt. Und mir ist zeitgleich klar, dass ich in allen restlichen 23 Stunden des Tages es nicht bin.
Es gibt manchmal Krisen, in denen es mir gut tut, das nicht so zu sehen und anzunehmen, dass der Therapeut wirklich ein persönliches (väterliches oder auch elterliches) Interesse an mir hat. Aber dann will ich das auch so denken, weil es mir dann in der Krise gerade hilft. Das ist vielleicht eine Art "bewusste Regression".
Auch darüber spreche ich mit meinem Therapeuten - und das ist dann auch so okay.
Ich glaube, dass ich so eine ganz starke regressive Übertragungsliebe oder -gefühle gar nicht so gut nachvollziehen kann, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man so sehr die Realität verliert. Dabei fehlen und fehlten mir meine Eltern sicherlich auch sehr. Aber ich komme eben auch nicht über den Punkt hinaus, dass der Therapeut weder meine Eltern ersetzen kann, noch sonst irgendwelche Beziehungen.

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Candykills
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Beiträge: 5058

Beitrag Do., 22.09.2022, 17:27

Puh, na da wirfst du ja eine ganz schon harte Hypothese in den Raum.
Ich kann da nur von mir als Mann und Vater sprechen und ich glaube wirklich, dass ich beim ersten Kind gar keinen Wunsch hatte, außer dass das Kind gesund ist.
Es wurde ein Junge.
Beim zweiten Kind wünschte ich mir dann ein Mädchen und es wurde wieder ein Junge.
Ich würde nicht sagen, dass Männer sich tendenziell eher Söhne wünschen. Mir fallen in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis direkt zwei weitere Väter noch ein, die sich beim ersten Kind sogar definitiv ein Mädchen wünschten und das auch so äußerten.

Nein, ich kann deine These gar nicht bestätigen.
Ich weiß nicht, ob es 50:50 ist, aber es ist wirklich nicht so, dass Männer immer und ausschließlich sich eher Söhne wünschen. Überhaupt nicht!

Ergänzung: Und wenn eine Frau auf einen Therapeuten trifft, der nur Söhne hat und sich immer eine Tochter wünschte (oder ein Mann auf eine Therapeutin, die nur Töchter hat und sich immer einen Sohn wünschte), dann kann das sehr wahrscheinlich, wenn bestimmte Aspekte passen, sein, dass auch dadurch Vater- oder Mutterwunsch/Gegenübertragung angekurbelt wird. Aber sowas würde ein Therapeut halt normal nie äußern und in der Supervision reflektieren und in den Griff bekommen.
Man muss den Therapeuten nicht entmenschlichen, es ist nur im gesunden Fall so, dass der Patient diese Gegenübertragung höchstens wohldosiert oder fast gar nicht abbekommt.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)


montagne
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Beiträge: 4600

Beitrag Do., 22.09.2022, 21:12

@Joa
Es gibt viele kleine Welten, auf dieser einen großen Welt.
Es kommt drauf an, wie ernst man das Thema Vater-/ Elternübertragung nimmt.

Ich glaube schon, dass Männer auch väterlichen, zärtliche Gefühle für jüngere Frauen entwickeln können. Das hat nichts damit zu tun, die Frau wirklich als Tochter haben zu wollen. Es sind Gefühle und der Wunsch ab einem bestimmten Alter emotional etwas zurückzugeben, in helfenden Berufen umso mehr.

Nur weil der Therapeut/Mann einen nie wirklich umsorgt wird, heißt es ja nicht, dass da keine echten Gefühle sind.


Ich glaube allgemein, jetzt wo ich ein gewisses Alter habe, dass es viele Gründe hat, sich auf eine Eltern-Kind-Übertragung als der Elternteil einzulassen. Das muss nicht immer deckungsgleich mit dem Gegenüber sein. Dann ist es natürlich gut, wenn beide den Abstand haben, dass sehen zu können.

Auch wenn ich dem Leben viel abgewinnen kann. Das Leben ist hart genug. Jeder sucht darin seine Überlebensstrategie. Und Gefühle und Zweckgemeinschaft müssen sich ja nicht ausschließen.
amor fati

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Zephyr
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Beiträge: 240

Beitrag Fr., 23.09.2022, 12:49

Ich bin da ganz bei Candykills.
Ich bin zwar selbst weiblich, aber ich erlebe es in meinem Umfeld gar nicht so, dass Mädchen weniger willkommen bei Vätern sind als Jungs. Genauso wenig wie ich das von Müttern mit Jungs vs. Mädchen erlebe. Und von einer Naturgegebenheit würde ich da definitiv nicht sprechen.

Auch wenn ich das Gefühl glaube ich nachvollziehen kann, Joa, weil ich in einer sehr patriarchal geprägten Familie aufgewachsen bin, in der Mädchen grundsätzlich weniger wert sind. Wie sagte so schön ein Freund der Familie zu meinem Onkel, als meine Tante hochschwanger war: Melde dich, wenn es ein Junge ist.

Aber, das hat meiner Meinung eben gerade NICHTS mit fürsorglichen, väterlichen Gefühlen - oder deren Ausbleiben zu tun. Sondern mit Prestige, Machterhalt und Narzissmus/ Selbstaufwertung.

Ich denke, jemanden ein wohlwollendes, fürsorgliches und authentisches Gegenüber zu sein, kann einem selbst sehr viel geben. Da ist es grundsätzlich egal, welches Geschlecht dieses Gegenüber hat.
Und das kann man dann auch Erwachsenen geben, eben gerade weil es begrenzt auf die Therapiezeit ist. Ich glaube das ist vor allem der Punkt.
Diese Begrenzung auf den Therapieraum ermöglicht es dem Therapeuten erst, ganz da zu sein, ganz hin zu fühlen und auch väterliche oder mütterliche Gefühle zu fühlen.

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