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So., 06.03.2022, 21:50
Hallo Saly,
egal, was die Ursache der Reizüberflutung ist, ob Hochsensibilität, oder Trauma, ADHS oder andere Formen von Neurodiversität - nach meiner Erfahrung ist es zentral, dass neben den eigentlichen Themen auch die emotionale und körperliche (Selbst-)Regulierung im Fokus steht, denn in einem überfluteten Zustand ist eigentlich keine sinnvolle inhaltlich-therapeutische Arbeit an den Themen möglich.
Das "nur" in Anführungsstrichen, denn das war für mich Schwerstarbeit.
Da geht es darum, wie ich aus einem körperlich dysreguliertem Zustand (und emotionale Dysregulation ist mMn auch immer eine körperliche Dysregulation) wieder in einen ausgeglicheneren Zustand finde. Zu lernen, wie sich "ausgeglichen" überhaupt anfühlt, und zu lernen, sich an diesem "ausgeglichen" zu orientieren. Denn wenn man von kleinauf dieses Überflutetwerden kennt und damit 'irgendwie' gelebt hat, dann fühlt sich "ausgeglichen" möglicherweise auch erstmal ganz schön fremd oder sogar gefährlich an.
Für mich hat die Reduzierung der Stundenfrequenz wahre Wunder gewirkt. Ich bin von 2x pro Woche runtergegangen auf einmal pro Woche (bei der Analytikerin, die das zum Glück auch mitgemacht hat), hatte parallel aber auch regelmäßige Termine bei meiner Kunsttherapeutin, mit der ich vor allem an dem Regulierungsthema gearbeitet hatte.
Was für mich auch wichtig war: Den Kopf mal "außen vor" zu lassen und mich auf den Körper konzentrieren. Was ich dort spüre und wahrnehme. Zu lernen, den Botschaften meines Körpers (mehr) zu vertrauen. Diese Botschaften überhaupt verstehen lernen. Denn dadurch war es irgendwann besser möglich, rechtzeitig zu merken, wenn mir etwas zu viel wird. Dadurch konnte ich früher reagieren - irgendwann dann mal. Mit viel Trial and Error verbunden, natürlich. Aber darum gehts eigentlich: Zu spüren, was dich in einem bestimmten Moment bewegt, was deinen Körper bewegt. Und das (bzw. dich selbst) dann so ernst nehmen, dass du dein Handeln danach richtest.
Du sagst außerdem, dass dein Umfeld sehr leistungsorientiert sei. Mag sein. Trotzdem musst du diese Werte ja nicht zu deinen machen, jedenfalls heute nicht mehr. Du kannst dir heute selbst überlegen, was dir wichtig ist, wonach du dich ausrichten willst. Und anstatt eine mögliche Hochsensibilität / Reizüberflutung als Defizit zu betrachten (= ich kann nicht so viel leisten wie andere...) könntest du ja auch mal überlegen, was du dank dieser Fähigkeit alles tun *kannst* und wozu du in der Lage bist. Ich bin mir sicher, dass da eine Menge zusammen kommt.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott