Ängste, Scham und Anspannung vor und während der Therapie

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Montana
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Beitrag Fr., 02.04.2021, 22:39

Tobe hat geschrieben: Fr., 02.04.2021, 20:34 Es macht mir Angst mich so zu zeigen, ich fühle mich dabei so ausgeliefert.
Wahrscheinlich kann das jetzt niemand verstehen.
Doch, natürlich, das ist total normal. Wie intensiv diese Gefühle sind, hängt aber auch mit dem Therapeuten zusammen und wie derjenige einem begegnet. Mit manchen passt es einfach überhaupt nicht. Hast du den erstbesten genommen, obwohl du von Anfang an ein ganz schlechtes Gefühl dabei hattest? Dann kann es sein, dass du mit einem anderen viel weniger Schwierigkeiten hast. In diesem Fall macht ein Wechsel Sinn. Diese Angst ist zwar etwas völlig normales, aber eine Antipathie zwischen Patient und Therapeut steigert die natürlich noch.
Erst gestern haben wir das Thema gestreift: überall steht geschrieben, der erste Schritt in einer Psychotherapie sei "Vertrauensaufbau". Warum das so geschrieben wird, keine Ahnung. Wir waren uns einig, dass das Bullshit ist. Denn das geht überhaupt nicht. Man kann nicht diesen ominösen "Vertrauensaufbau" durchführen, und dann ist alles paletti und die "eigentliche Therapie" kann beginnen.
Du bist also mitnichten "zu doof" für die Basics einer Therapie. Es wird nur ungemein viel Unsinn geschrieben, der dann Menschen verunsichert, die eigentlich ganz normal empfinden.

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Tobe
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Beitrag Sa., 03.04.2021, 05:59

Montana hat geschrieben: Fr., 02.04.2021, 22:39 Doch, natürlich, das ist total normal. Wie intensiv diese Gefühle sind, hängt aber auch mit dem Therapeuten zusammen und wie derjenige einem begegnet. Mit manchen passt es einfach überhaupt nicht.
Hast du den erstbesten genommen, obwohl du von Anfang an ein ganz schlechtes Gefühl dabei hattest? Dann kann es sein, dass du mit einem anderen viel weniger Schwierigkeiten hast. In diesem Fall macht ein Wechsel Sinn. Diese Angst ist zwar etwas völlig normales, aber eine Antipathie zwischen Patient und Therapeut steigert die natürlich noch.
Nein, eine Antipathie empfinde ich ihm gegenüber nicht, ich empfinde eher Sympathie ihm gegenüber.
Und ein schlechtes Gefühl hatte ich Anfangs auch nicht.
Da ich zu der Zeit auch noch angenommen habe, daß ich mit "ein bißchen an der Oberfläche kratzen", also relativ oberflächliche Gespräche über meine Probleme sprechen reichen würde. Es ging Anfangs nur um meine extremen Verlustängste und Angst irgenwann alleine zusein.
Seitdem es jedoch in die Tiefe geht, dabei bei mir negative Gefühle entstehen und ich über diese Gefühle auch noch sprechen sollte, entstehen bei mir Ängste und extreme Scham ihm gegenüber.

Für mich wird es zunehmend unangenehmer, je mehr er weiß. Vielleicht auch weil ich langsam erkenne, daß ich extrem verhaltensgestört bin oder zumindest so wirken muss. Ich habe ein grundlegendes Problem mit Vertrauen und auch mit Beziehungen, auch extreme Probleme meine Gefühle selbst zu regulieren.
Eine extreme emotionale Vernachlässigung durch meine Eltern hat er schon aufgedeckt.
Durch meine Angaben in meiner Biographie weiß er von...

Achtung Triggergefahr!
► Text anzeigen
Ich bin mir sehr unsicher, ob ich ihm dies überhaupt erzählen, bzw. irgendwie mitteilen sollte.
Oder mich drumherum winden sollte mit, "naja, waren halt ungesunde Beziehungen".

Es ist doch nicht normal, diese Dinge für sich selbst nicht rechtzeitig zu erkennen
und nicht fähig zu sein sich frühzeitig daraus zu lösen.
Vielleicht interpretiere ich auch zuviel da rein und es ist einfach nur Schicksal, Pech gehabt o.ä.

Ich leide jedoch seit meinem 12 Lebensjahr unter Albträumen und Ängsten, seit meinem 17. Lebensjahr habe ich kein Vertrauen mehr in mir selbst. Ich vertraue nicht mal mehr meinen Gefühlen, weil sie mich ja oft falsch beraten haben bezüglich vertrauen können.
Dazu begleiten mich seit meinem 17. Lebensjahr immer wieder massive depressive Phasen und sobald extreme zusätzliche Belastungen hinzukommen, stürze ich psychisch ab.

So kann es ja auch nicht weitergehen.
So gesehen sollte ich mich auch auf eine Psychotherapie einlassen.
Aber es ist so unglaublich schwer wirklich zu vertrauen und mich nicht im Vorfeld schon selbst niederzumachen.
SVV ist schon seit vielen Jahren mein stetiger Begleiter um meine Emotionen irgendwie zu unterdrücken und zu kontrollieren.
Mein Leben besteht in vielen Dingen nur noch aus Vermeidungen von mir empfundenen gefährichen Situationen.
Das ist kein Leben.
Immer nur darauf zu achten nicht aufzufallen und irgendwie zu funktioneren, zumindest nach außen immer den Schein zu wahren "es ist alles okay" und zuhause selbst mit den einfachsten Dingen wie Haushalt usw. zu kämpfen.
Eigentlich sollte ich diese Hilfe, die mir nun angeboten wird annehmen. Zumal meine jetzigen Pobleme, wohl stark damit zusammenhängen.

L.G. Tobe
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Montana
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Beitrag Sa., 03.04.2021, 09:03

Oh, wow. Du schreibst sehr offen und mutig.
Du hast also wirklich großen Bedarf für eine Therapie und siehst das auch, aber du hattest gar nicht selbst die Entscheidung getroffen, eine zu machen und hast selbst IN der Therapie noch versucht, nur oberflächlich deine gefühlte "Pflicht" zu tun. Das ist schon hart. Eine Therapie ist nämlich ein schwieriges Unterfangen, was man nicht mal eben nebenher macht.
Es wäre schön, wenn du dich doch noch dafür entscheiden könntest, diese Situation als Hilfe zu sehen. Sprich: du hast es bisher nicht geschafft, selbst Hilfe zu suchen, aber jetzt ist es passiert, dass da jemand ist. War nicht so geplant, aber könnte etwas gutes draus entstehen.
Alles, was du darüber so denkst und was dir diesbezüglich Sorgen macht: das ist normal. Der Therapeut weiß das auch. Und natürlich kannst du nicht vertrauen, das ist ebenfalls normal. Wie könnte es anders sein? Ich glaube, niemand geht in eine Therapie und vertraut einfach. Ich tu das nach vielen Jahren immer noch nicht. Das hat Gründe. Und das ist völlig ok.

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Kirchenmaus
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Beitrag Sa., 03.04.2021, 11:45

Hallo Tobe,

ich schließe mich Montana an.

Mein Vorschlag: Geh weiter zur Therapie, egal ob mit oder ohne Vertrauen. Das Tempo bestimmst du. Du bist nicht verpflichtet, irgendwelche Dinge offenzulegen, für die du noch nicht bereit bist.

Es fühlt sich alles ganz furchtbar an, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber irgendwann wird die Scham weniger.

Du brauchst eine gute Stütze an deiner Seite. Vielleicht geht es im Augenblick auch gar nicht darum, dass du dich ihm gegenüber quasi gewaltsam öffnest, sondern eher darum, die Situation mit deinem Freund zu überstehen.

Nebenbei: Wie wäre es, wenn du deinem Freund mal ehrlich sagen würdest, dass er dich tierisch nervt? Ich finde, du hast schon sehr klar erkannt, dass er dich als Blitzableiter benutzt.

Ich würde, wenn ich da wäre, dich einfach mal in den Arm nehmen. Ich hoffe, das war nicht übergriffig, aber ich spüre deine Verzweiflung und Überforderung gerade so sehr.

Herzlich grüßt
Kirchenmaus
Es ist in Ordnung, mich zu akzeptieren.

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Tobe
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Beitrag Do., 08.04.2021, 22:33

Hallo,

nun sind ein paar Tage/Nächte vergangen in denen ich mich intensiver mit meinen Problemen beschäftigt und auseinandergesetzt habe. Ich habe in dieser Zeit sehr viele Texte von Fachleuten (Ärzten, Psychotherapeuten usw.) und Betroffenen gelesen. Auch habe ich sehr viele Videos von "Dami Charf" angesehen.
Vieles davon war hilfreich um zumindest annähernd zu verstehen was mit mir los ist, aber es macht auch Angst.
Angst langsam zu erkennen, daß meine Probleme doch recht komplex sind und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mal eben mit ein paar Stunden Therapie gelöst werden können, wenn es überhaupt lösbar ist. Selbst die 80 möglichen Therapiestunden erscheinen mir mittlerweile sehr knapp dafür.

Ich habe bisher 6 Stunden gehabt und merke immer mehr, daß ich zunehmend Probleme mit dem Sprechen bekomme.
Es ist ein Gefühl wie in der Kindheit, wenn man an die Wand gestellt wird und angeschrien wird und sich dann versuchen soll zu Äußern, zu Erklären oder zu Rechtfertigen.
Dieses Gefühl verschlägt mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache. Es blockiert in diesem Moment meine Sprachfähigkeit. Ich spüre dies in meinem Hals. Manchmal schaffe ich noch einzelne Wörter regelrecht rauszuquetschen, aber es ist ein richtiger Kampf. Oft öffne ich den Mund und es kommt nichts mehr heraus. Dies endet dann darin, daß ich nur noch mit Nicken oder Kopfschütteln reagieren kann.

Dies tritt aber nur in bestimmten Situationen auf, die mir aber auch manchmal in meinem Alltag begegnen und mich dadurch sehr einschränken. Und nein, mein Therapeut hat mich nie angeschrien. Er ist eher sehr ruhig, zurückhaltend, einfühlsam und verständnisvoll.

Bei meiner Recherche über dieses Phänomen der "Sprachlosigkeit" bin ich über den Begriff "selektiver Mutismus" gestolpert und dies beschreibt diese Sprachblockade sehr gut.
Ich frage mich aber nun, wie ich dies in solchen Situationen überwinden kann.
In einer Psychotherapie ist das Sprechen nunmal elementar wichtig, ohne Sprechen funktioniert eine Psychotherapie nicht. Ich frage mich langsam, ob ich so überhaupt eine Psychotherapie machen kann.

Seit dem Vorfall mit meinem Freund bin ich auch hin- und hergerissen ob ich nicht doch lieber wieder auf Cymbalta zurückgreifen sollte. Es macht mich zumindest ein wenig "gefühlskalt" und somit auch etwas stabiler und handlungsfähiger.
Auch wenn die Nebenwirkungen die bei mir unter Cymbalta auftreten alle ziemlich übel sind, aber ich kenne sie zumindest schon und kann sie ziemlich gut dem zuordnen.
Vielleicht könnte dies sich auch ein wenig positiv auf meine Sprachlockade auswirken, wenn ich sobald die Wirkung entritt nicht mehr so von Gefühlen überwältigt werde.

Ich befürchte nämlich, daß auch die Geduld eines Psychotherapeuten irgendwann erschöpft sein wird, wenn sein Patient nicht sprechen kann und versucht sich der Situation zu entziehen, weil dieser Zustand so quälend ist.
Auch habe ich große Befürchtung mal in der Therapiestunde einen "Zusammebruch" zu erleiden, der mit einem Weinkrampf endet. Ich habe schon mal vor ca. 15 Jahren einen Weinkrampf bekommen, da war ich Gott sei Dank alleine in meiner Wohnung und dieser Zustand hatte mehrere Stunden gedauert.
Eine Horrorvorstellung wenn dies in einer Therapiestunde passieren würde :red: :blass:

Ich habe jetzt schon wieder Angst vor der nächsten Therapiestunde am Montag...
Diese wird sicher nicht so laufen wie die letzte (Fußballspielen, hauptsächlich den Therapeuten reden lassen und nur mit Nicken und Kopfschütteln reagieren). Er wird sicherlich wieder in die Tiefe gehen wollen.
Ich würde mich für Montag am liebsten irgendwie betäuben.

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Montana
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Beitrag Do., 08.04.2021, 23:16

Therapie funktioniert nicht nur übers Reden. Reden können ist zweifellos hilfreich, aber man kann sich auch anders helfen, bis Reden irgendwann möglich ist. Schreiben wäre so eine Möglichkeit. Ich mache das inzwischen. Die Sachen, die ich niemals aussprechen könnte, die schreibe ich. Und es macht etwas mit mir, dass dafür nie eine Verurteilung kommt. Keine negative Reaktion. Es scheint mir möglich, dass ich irgendwann diese Dinge aussprechen kann.
Ich habe übrigens mal zu hören bekommen, dass man an meinem Gesicht sieht, dass ich keineswegs geistig untätig bin, nur weil ich nicht spreche. Es ist also nicht so, als wäre das eine Art Arbeitsverweigerung. Das macht einen Unterschied, was die "Geduld des Therapeuten" betrifft. Ich könnte mir vorstellen, dass man es auch bei dir sieht. Hast du mal sagen können, dass du sprechen willst und nicht kannst?

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Tobe
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Beitrag Fr., 09.04.2021, 02:22

Liebe Montana,

vielen Dank für Deine Antwort.
Montana hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 23:16 Schreiben wäre so eine Möglichkeit. Ich mache das inzwischen. Die Sachen, die ich niemals aussprechen könnte, die schreibe ich. Und es macht etwas mit mir, dass dafür nie eine Verurteilung kommt. Keine negative Reaktion. Es scheint mir möglich, dass ich irgendwann diese Dinge aussprechen kann.
Ich hatte auch schon darüber nachgedacht ihm manches vielleicht schriftlich mitzuteilen, um wenigstens irgendwie weiterzukommen. Doch auch das ist ziemlich schwer.
An dem einen Schreiben, welches ich ihm geschrieben habe, hatte ich schon 7 Tage/Nächte rumgebastelt.
Ich hatte mehrere Anläufe genommen, die ich wieder verworfen hatte, habe vieles zwischendrin ergänzt um evtl. Missverständnissen Vorzubeugen und mindestens genau so viel wieder gelöscht, weil ich dachte, "nee, daß kannst Du ihm nicht schreiben".
Dadurch liest sich dieses Schreiben auch ziemlich auseinandergepflückt und verworren.

In diesem Schreiben hatte ich auch geschrieben, daß ich dies als eventuelle Möglichkeit sehe, ihm doch manche Dinge mitzuteilen. Bisher habe ich dazu aber noch keine Rückmeldung, ob dies für ihn okay wäre.
Auf Grund dieses Schreibens folgte ja diese "skurrile" Stunde, inklusive Übungen ihn anschauen zu können usw.
Montana hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 23:16 Ich habe übrigens mal zu hören bekommen, dass man an meinem Gesicht sieht, dass ich keineswegs geistig untätig bin, nur weil ich nicht spreche. Es ist also nicht so, als wäre das eine Art Arbeitsverweigerung. Das macht einen Unterschied, was die "Geduld des Therapeuten" betrifft. Ich könnte mir vorstellen, dass man es auch bei dir sieht.
Ich denke schon, daß man dies sehen könnte. Ich merke ja selber wie sämtliche meiner Gesichtsmuskeln unaufhörlich arbeiten. Ich komme mir dabei vor wie so ein verstocktes kleines Kind :roll:
Ich habe in solchen Situationen dann auch keine Geduld mit mir. Mich nervt dies selber.
Montana hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 23:16 Hast du mal sagen können, dass du sprechen willst und nicht kannst?
Sagen konnte ich ihm selbst das nicht. Ich hatte dies aber so ähnlich in dem einen Schreiben an ihn geschrieben.
Allerdings nicht so deutlich, daß ich dies in solchen Situationen quasi motorisch nicht mehr schaffe zu sprechen.
Alles arbeitet währenddessen in mir, aber total unkoordiniert bis zum Verkrampfen.
Erst wenn er dann "nachgibt" und selber wieder spricht, löst sich dieser Zustand langsam wieder auf.
Wirklich besser fühle ich mich dann aber auch nicht, weil ich dann enttäuscht und wütend über mich selber bin, diesen Zustand nicht irgendwie überwinden zu können.

L.G. Tobe
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Montana
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Beitrag Fr., 09.04.2021, 07:33

Es ist eigentlich gar nicht so wichtig, dass du "gut" schreibst. Ach, im Gegenteil, am besten ist schon an deinem Schreibstil erkennbar, wie schwer das ist. Der Inhalt muss auch nicht besonders ausgetüftelt sein. Der wichtige Punkt ist nur, dass du überhaupt etwas von dir mitteilst. Du setzt dich dadurch stark mit deinen Schwierigkeiten auseinander, weil du sie ihm zu beschreiben versuchst. Und du riskierst etwas innerhalb eurer Beziehung, wodurch er die Möglichkeit hat, gut darauf zu reagieren und sich dadurch dein Vertrauen zu erarbeiten. Vertrauen entsteht NUR durch überstandene schwierige Situationen. Du kannst beliebig kleine Häppchen draus machen. Und eines davon könnte auch so aussehen: "Ich habe das Gefühl, mich durch Schreiben besser mitteilen zu können, weil mir das Sprechen nicht gelingt, obwohl ich es sehr angestrengt versuche. Ist das für Sie in Ordnung, wenn ich das weiterhin mache?"
Bei meinem ist das so, dass ich Rückmeldungen nur bekomme, wenn ich ausdrücklich darum bitte. Das fand ich erst blöd, weil ich mir da Entlastung gewünscht hätte, aber inzwischen schätze ich das. Es nimmt etwas die Angst, eine negative Rückmeldung einfach vor den Latz geknallt zu bekommen.

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Shukria
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Beitrag Fr., 09.04.2021, 07:42

Ich kenne das Gefühl genau was du beschreibst mit dem nicht sprechen können und dem Rücken an der Wand, mir hilft

- aufschreiben vor der Stunde und zum Lesen geben
- in /über genau diese Bildern reden (Rücken an wans/nicht sprechen können) - dann finden wir in den Bildern Lösungen das ich in eine bessere (angstfreiere) Ausgangsposition finde und mich nicht mehr mit dem Rücken an der Wand fühle
- mit Kind Anteilen arbeiten statt reden
- du kannst selber aufmalen wie du dich siehst/fühlst und die Bilder mit in die Stunde nehmen

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lisbeth
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Beitrag Fr., 09.04.2021, 07:58

Dann sprich erstmal "nur" darüber, dass du grad nicht sprechen kannst.
Oder zeige es dem Therapeut in Bildern, Symbolen, Farben, Metaphern, Körperhaltung.

Vom Schreiben würde ich dir derzeit abraten, ich habe den Eindruck, da "verzettelst" du dich im Moment nur noch mehr. Schreiben kann funktionieren, wenn es dir ungefilterten Zugang zu deinen inneren Zuständen erlaubt, wenn du damit deinen inneren Zensor umgehen kannst. Aber so wie du das beschreibst, feilst du tage- und nächtelang an deinem Text herum, damit es "perfekt" ist und "alles" gesagt ist.
Tobe hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 22:33 Ich habe bisher 6 Stunden gehabt und merke immer mehr, daß ich zunehmend Probleme mit dem Sprechen bekomme.
Du setzt dich auch selbst total unter Druck. 6 Stunden ist quasi noch Kennenlernen.
Tobe hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 22:33 Ich befürchte nämlich, daß auch die Geduld eines Psychotherapeuten irgendwann erschöpft sein wird, wenn sein Patient nicht sprechen kann und versucht sich der Situation zu entziehen, weil dieser Zustand so quälend ist.
Jetzt bist du total beim Therapeuten, und dass seine Geduld am Ende sein könnte (was ich nach 6 Stunden für unwahrscheinlich halte). Du könntest die Sache doch auch umdrehen: Was brauchst du, damit du dich wohler fühlst, damit du mehr vertraust, damit dir das Sprechen leichter fällt? Ist das für dich überhaupt vorstellbar?
Tobe hat geschrieben: Do., 08.04.2021, 22:33 Auch habe ich große Befürchtung mal in der Therapiestunde einen "Zusammebruch" zu erleiden, der mit einem Weinkrampf endet. Ich habe schon mal vor ca. 15 Jahren einen Weinkrampf bekommen, da war ich Gott sei Dank alleine in meiner Wohnung und dieser Zustand hatte mehrere Stunden gedauert.
Eine Horrorvorstellung wenn dies in einer Therapiestunde passieren würde
Und selbst wenn das passieren würde, glaub mir: Der hat das alles schon mal miterlebt und gesehen. So einzigartig wird dein Weinkrampf nicht sein, dass er davon geschockt wäre. Und selbst wenn du wieder einmal einen Weinkrampf bekommst: Der geht auch wieder vorbei, die Welt wird sich weiterdrehen und es wird dich nicht zerstören. Mit der Angst vor diesem Zusammenbruch hältst du einzig und allein dich an der kurzen Leine. Für ihn wäre das vermutlich überhaupt kein Problem.

Versuche, langsam zu machen. Gib dir Zeit. Und vielleicht kann es ein Anfang sein, dass du über das sprichst, was gerade da ist. Und wenn es das Gefühl ist, nicht sprechen zu können oder zu dürfen.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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Tobe
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Beitrag Di., 13.04.2021, 04:30

Hallo,

zuerst möchte ich euch für eure Antworten danken.
Mir geht es seit Tagen richtig besch*****.
Ich habe Angst vor dem Besprechungstermin, wo die Kontrolluntersuchungsergebnisse von meinem Freund besprochen werden sollen. Die entsprechende Untersuchung findet jetzt am Mittwoch statt. Die Besprechung soll dann am darauf folgenden Mittwoch stattfinden. Wenn er dann wieder so austickt wie letztes Mal.
Dann breche ich zusammen.

Eigentlich hätte ich ja gestern einen Termin bei meinem Therapeuten gehabt. Der wurde leider verschoben, da er krank ist. Nun soll ich Mittwoch abend vorbeikommen. Jetzt muss ich es noch bis zum Mittwoch aushalten.

Ich hatte jetzt schon tagelang Bauchschmerzen und war total nervös. Eigentlich hatte ich vor mich diesmal mit dem Termin und der Situation dort, gar nicht vorab zu beschäftigen, um nicht die Nervosität zu forcieren.
Doch es ging nicht, ständig kreisen meine Gedanken, was wohl passieren wird. Wie diese Stunde ablaufen wird. Was ich ihm alles sagen möchte und es doch nicht schaffe. Eigentlich wollte ich ihn auch fragen was er davon hält, wenn ich nun parallel Cymbalta nehme.
Diesen Gedanken habe ich allerdings doch vorerst wieder verworfen.
Erstens wirkt Cymbalta nicht so schnell, daß ich einen evtl. Zusammenbruch bis zum Besprechungstermin noch abfangen könnte, somit würde ich in einem solchen Fall vermutlich wieder auf Alkohol zurückgreifen (weil schnell wirksam)
und zweitens dies sich absolut nicht zusammen mit Cymbalta verträgt. Womit ich mir dann die Möglichkeit des Alkohols nehmen würde.
Ich muss mit dem Cymbalta zwangsläufig bis nach dem Besprechungstermin warten.

Ich kann nur hoffen das die Ergebnisse nicht so furchtbar werden wie ich befürchte und mein Freund nicht vollkommen austickt. Ich kann ihn nicht abfangen und vor allem nicht wenn ich wieder als Blitzableiter herhalten muss.
Ich habe ihn schon paar mal versucht zu animieren mit unserem Hausarzt zu telefonieren, damit er etwas gegen seine Unruhe bekommt. Aber er wird nicht tätig und ich möchte nicht an seiner Stelle dies für ihn machen. Ich hätte dabei die Befürchtung, daß der Hausarzt denken könnte, daß ich dies für mich haben will. Ich möchte dort nicht in Schwierigkeiten kommen. Er ist schließlich erwachsen und durchaus noch im Stande mit seinem Hausarzt zu telefonieren.

Hinzu kommt daß wir ab heute auch wiedermal "Ausgangssperre" haben und ich mich dann der Situation abends nicht mehr entziehen kann, ohne evtl. ein Bußgeld in Kauf zunehmen.

Ich muss jetzt sehr auf mich aufpassen, weil ich jetzt schon Gedanken habe, die ich nicht haben möchte, über die ich aber auch weder mit meinem Hausarzt noch Therapeuten reden möchte.
Ich möchte diese zwei Kontakte die ich habe nicht mit einem solchen Thema behaften. Auch würde ich dann vermutlich das Cymbalta nicht von meinem Hausarzt verschrieben bekommen.
Ich weiß aber, daß mir das damals (2006) schon mal geholfen hat, davon wieder weg zu kommen und da war es ebenfalls akut.
lisbeth hat geschrieben: Fr., 09.04.2021, 07:58 Vom Schreiben würde ich dir derzeit abraten, ich habe den Eindruck, da "verzettelst" du dich im Moment nur noch mehr. Schreiben kann funktionieren, wenn es dir ungefilterten Zugang zu deinen inneren Zuständen erlaubt, wenn du damit deinen inneren Zensor umgehen kannst. Aber so wie du das beschreibst, feilst du tage- und nächtelang an deinem Text herum, damit es "perfekt" ist und "alles" gesagt ist.
Ja, das stimmt. Ich kann immer nur alles was ich schreibe und auch alles was ich spreche nicht ohne vorherige "Zensur" von mir geben. Ich schaffe es nie vollkommen zwanglos ohne Kontrolle meiner selbst etwas mitzuteilen. Ich mache mir immer vorher Gedanken darüber, was mein Gegenüber dann von mir denken könnte und welche Konsequenzen dies für mich haben könnte. Auch das hemmt mich natürlich alles auszusprechen was ich gerade denke, bzw. was mir auf der Zunge liegt. Ich habe ohnehin schon starke Probleme meine Gedanken zu sortieren.

Ich bin momentan sehr verwirrt, was ich denke, fühle und was ich sagen möchte. Ich weiß es oft selber nicht.
Oft ist es wie ein sich drehendes Karussell, wo einem Gedanken oder Gefühle für einen kurzen Moment entgegen springen und man sich dann schnell für eines entscheiden muss, jedoch das nächste einem wieder entgegen springt.

Dieses Problem hatte ich aber auch schon von Anfang an.
Oft hatte ich das Gefühl "nein, daß ist doch viel wichtiger" und "das musst du noch erzählen" und ich hatte dabei daß Gefühl dafür reicht die Zeit nicht. Ich sprang so von einem Ereignis zum Anderen, für Außenstehende vollkommen zusammenhanglos. Ich wollte am Anfang irgendwie alles los werden, alles sofort erzählen und war damit aber irgendwie selber überfordert.
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Beitrag Di., 13.04.2021, 05:03

Ich muss auf meinen Therapeuten auch vollkommen verwirrt gewirkt haben. Er kann dies ja auch nicht nachvollziehen.
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl...
"Mensch da hört dir einer zu und möchte alles wissen. Das ist meine einmalige Gelegenheit".
Da ist so viel was ich erzählen möchte. Aber eben auch viel Angst und Scham wie er darauf reagieren könnte. Daß ich dafür verurteilt/bewertet werde. Was er über mich denken könnte und was das für Konsequenzen für mich haben könnte.

Andererseits möchte ich dies ja auch irgendwie wissen, ob ich doch irgendwie den Umständen entsprechend normal denke oder normal empfinde.
Weil für mich selber vieles verworren und nicht ganz nachvollziehbar ist.
Auch das ich nun so bin wie ich bin, ob daß irgendwie nachvollziehbar ist und ich nicht vollkommen krank auf alles und jeden reagiere.
Ich möchte da schon irgendwie eine Erklärung für die ganze Entwicklung haben, um mich damit auch auseinandersetzen zu können und Zusammenhänge zu verstehen.
Momentan fühle ich mich so verloren und verstehe mich selber nicht mehr.
lisbeth hat geschrieben: Fr., 09.04.2021, 07:58 Jetzt bist du total beim Therapeuten, und dass seine Geduld am Ende sein könnte (was ich nach 6 Stunden für unwahrscheinlich halte). Du könntest die Sache doch auch umdrehen: Was brauchst du, damit du dich wohler fühlst, damit du mehr vertraust, damit dir das Sprechen leichter fällt? Ist das für dich überhaupt vorstellbar?
Ich weiß selber nicht mehr, was mir gut tun würde. Ich bin in allem so unsicher.
Beim letzten Mal hatte ich ja vor nicht "nur" aufzustehen, sondern im Raum umher zu laufen während ich spreche.
Doch ich fühlte mich plötzlich auch dabei so unsicher, daß ich dann mit dem Rücken zum Fensterbrett verharrte und mich an diesem festhielt.

In meiner Vorstellung (gedanklich) ist alles so einfach, doch wenn ich dies dann versuchen will auch umzusetzen, dann schaffe ich dies doch nicht.
Am liebsten würde ich mich ja von ihm wegdrehen, also daß er mein Gesicht nicht sieht.

Viel einfacher, aber natürlich vollkommen unmöglich bzw. es würde zu nichts führen, wäre es für mich, wenn ich alles einmal erzählen würde und nicht mehr wieder kommen müsste.
Doch ist dies ja auch nicht möglich bei einer Therapie, damit wäre ja auch nicht geholfen.

Ich weiß nicht, ob ich mit der Situation besser zurechtkommen würde, wenn ich meine Gefühle und Gedanken etwas "betäuben" könnte.
Frei nach dem Motto, ist doch vollkommen egal was andere über mich denken.
Aber ich schäme mich dafür was ich bin, bzw. wie ich bin, was ich fühle und denke.

Ich muss die nächste Stunde so kommen lassen und schauen was passiert.
Ich kann mich momentan auch nicht schriftlich mitteilen, was in meinem Kopf gerade so los ist.
Gedanken, Gefühle und Ängste irgendwie verständlich rüber zu bringen.

L.G. Tobe
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Beitrag Di., 28.09.2021, 02:48

Hallo,

nun sind einige Monate vergangen und es ist zwischenzeitlich vieles passiert...
Ich war langsam aber sicher auf einem guten Weg meine Sprachblockade und Furcht vor meinem Therapeuten deutlich zu reduzieren.

Dann kam der Sommer, der Zustand meines Freundes verschlechterte sich zusehends.
Er baute massiv ab und wurde zu einem 100%-igen Pflegefall. Hinzu kamen dann noch psychische teils massive Störungen/Auffälligkeiten. Er rief ca- alle 15-30 Minuten nach mir (auch nachts), schmiss mit Gegenständen und Essen um sich und wurde teils auch aggressiv. Diese psychischen Auffälligkeiten wurden vermutlich durch die Bestrahlung von seinem Kopf ausgelöst.
Ich kam dabei nicht nur psychisch, sondern auch immer mehr körperlich an meine Grenzen.

Dann kam die Urlaubszeit und was mir besonders Angst machte, der Urlaub von meinem Hausarzt und von meinem Therapeuten überschnitten sich um 2,5 Wochen. Dies machte mir richtig Angst, da ich schon bei meinem bisherigen Glück in meinem Leben vermutete, daß genau in der Zeit wo keiner da ist, bestimmt etwas passieren wird.
Mein Therapeut gab mir deshalb dann auch seine eMail-Adresse, damit ich zu ihm im Notfall trotz seines Urlaubs Kontakt haben kann. Dies gab mir etwas Sicherheit und ich hoffte, daß ich sie nicht brauchen würde.

Doch es kam was ich schon erwartete...
Der Zustand von meinem Freund wurde kritisch, denn er trank zu wenig, die Temperaturen draußen und in der Wohnung nahmen zu. Essen konnte er länger schon nicht mehr ausreichen, doch zwingen wollte ich ihn auch nicht.

Während der zugespitzten Situation entschied meine Krankenkasse, bzw. der MDK nach reiner Aktenlage (nur AU´s) das ich zum 18.08. wieder arbeiten gehen könnte und mein Krankengeld eingestellt wird.

Ich brachte meinen Freund dann schließlich mit seinem Einverständnis ins Krankenhaus.
Zu dem Zeitpunkt dachten wir beide noch, sie könnten ihn ein wenig aufpäppeln und er kann dann wieder nach Hause. Doch es kam anders. Er wurde wegen seiner psychischen Auffälligkeit und Aggression ans Bett fixiert. Es stellte sich zusätzlich eine Lungenentzündung heraus. Dadurch kam er dann auf die Isolation auf Intensiv. Sie verweigerten mir den Besuch, weil sie ihn als Corona-Verdachtsfall führten.

Ich musste jeden Tag aufs neue kämpfen, daß ich ihn trotz Verbot besuchen kann. Mir war klar, das er kein Corona haben kann, da wir beide wochenlang keinerlei Kontakte zu anderen Menschen hatten.

Während dieser Zeit nahm ich dann Kontakt zu meinem Therapeuten auf und er unterstützte mich seelisch. Er war tatsächlich für mich da. Aber mir tat es sehr leid ihn in seinem Urlaub zu kontaktieren. Ich wusste mir aber nicht anders zu helfen. Ich brauchte jemanden, der mich stützt. Es war unerträglich meinen Freund so leiden zu sehen, daß er fixiert am Bett und das bei annähernd vollem Bewusstsein war. Er flehte mich immer an seine Fesseln zu lösen und drohte mir auch.
Einmal hatte er mich sogar gebissen.

Während er auf der Intensiv lag wurden noch weitere Untersuchungen gemacht und es stellte sich dabei heraus, daß er zusätzliche Metastasen bekommen hat und sein Krebs wieder wächst.
Ich kämpfte dann darum, daß alle Lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden und er nur noch palliativ versorgt wird, mit allen Konsequenzen.

Obwohl ich wusste, daß dies die einzig richtige und vernünftige Entscheidung für ihn war, fühlte und fühle ich mich schuldig.

Er starb dann am 17.08., genau einen Tag bevor ich laut Krankenkasse wieder arbeiten gehen sollte.
In dem Moment brach für mich meine Welt komplett zusammen. Ich kümmerte mich noch um die Beerdigung, daß dies irgendwie läuft.

Danach brach ich dann vollkommen zusammen.

Fortsetzung folgt...
Haltet die Welt an, ich will aussteigen.
Wenn du den Tag wie die Nacht empfindest,
Einsamkeit mit Schicksal verbindest,
Traurigkeit dein Leben hüllt,
weisst du, wie sich meiner einer fühlt.

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Tobe
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Beitrag Di., 28.09.2021, 03:50

Fortsetzung...

Seitdem bekomme ich gefühlt nichts mehr auf die Reihe.
Bei mir zuhause sieht es aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Zwischendurch gab es dann noch “Fliegen-Allarm“, da ich nicht mal mehr den Müll raus bringen konnte. Alles was mit der Beerdigung zusammenhing habe ich zwar verspätet, aber bezahlt.

Seit Monaten nimmt mein SVV zu, meine Körperpflege lässt auch zu wünschen übrig, schlafen kann ich kaum und nachts gar nicht, habe wiederholt Albträume. Auch das Gefühl nachts im Schlaf angefasst zu werden. Essen geht auch kaum, da mir davon schlecht wird. Ich stehe die ganze Zeit irgendwie unter Strom und bin hoffnungslos verzweifelt.

Meine Vermieterin, die Versicherungen, Stromanbieter, Internetanbieter usw. habe ich immer noch nicht kontaktiert. Teilweise fehlt mir auch der Überblick, welche Anbieter dies aktuell sind, da alles über meinen Freund lief.
Mir ist dies gefühlt aktuell alles zuviel.

Gott sei dank hat die Krankenkasse ihre Fehlentscheidung zwischenzeitlich wieder zurückgenommen. Somit bekomme ich momentan wenigstens noch das Krankengeld.

Mein Therapeut kümmert sich sehr intensiv um mich, er bestellt mich aktuell 2x pro Woche ein und seine Handy-Nummer habe ich für den Notfall auch. Er gibt mich nicht auf.
Ihm wäre es natürlich lieber, wenn ich in eine Klinik gehen würde.
Aber er versteht meinen absoluten Horror davor, wegen meiner Vorgeschichte (Traumata) und glaubt auch, daß ich mich dann total versperren und dicht machen würde.
Auch denkt er, daß dies dann für mich ein weiteres Trauma werden könnte.

Und ja, da muss ich ihm Recht geben.

Wir haben allerdings eine Abmachung, bzw. ich musste ihm ein Versprechen geben.
Das ich ihn auf jeden Fall kontaktiere, bevor ich etwas vorhabe, was endgültig wäre.
Ich möchte dies jetzt hier nicht genauer schreiben, aber ich denke ihr wisst was damit gemeint ist.

Ich habe mittlerweile Angststörungen bekommen, verlasse kaum noch die Wohnung und habe mich vollkommen zurückgezogen. Ich habe sogar Angstzustände zuhause und schließe mich zuhause ein.

In der letzten Therapiestunde habe ich dann auch noch eine Panikattacke bei ihm bekommen. Er blieb aber ganz ruhig und holte mich da behutsam wieder heraus. Auch das Sprechen wenn es um meine Gefühle und bestimmte Themen geht, fällt mir wieder sehr schwer. Auch anschauen kann ich ihn kaum. Ich bin gefühlt aktuell weiter unten als zu Beginn. Er bemüht sich aber sehr vorsichtig fürsorglich um mich. Hat eine wahnsinns Geduld und gibt mir das Gefühl alle Zeit zu haben die ich brauche um wieder anzukommen.

Es tat regelrecht weh diese Fürsorge durch ihn zu spüren.
Ich kenne dies nicht, daß sich jemand so um mich bemüht und kümmert und das momentan auch noch ohne Bezahlung, da das Kontingent für die vor kurzem genehmigte 2. Kurzzeit-Therapie bei der Frequenz schon längst aufgebraucht ist und eine Beantragung der Langzeit-Therapie wohl noch zu früh ist. Er sagte aber ich solle mir da jetzt keine Gedanken darüber machen.
Er meinte es wäre jetzt überflüssig sich aktuell über die Stunden Sorgen zu machen. Ihm wäre das jetzt aktuell egal.

Ich glaube mit ihm habe ich echt viel Glück, andere Therapeuten würden da glaube ich anders handeln. Das berührt mich sehr.

Jetzt möchte er mit meinem Hausarzt Kontakt aufnehmen, damit ich noch zusätzlich zum Duloxetin medikamentös etwas wegen der Angststörungen bekomme. Bei einem Neurologen/Psychiater bin ich schon abgelehnt worden, bzw. ich könnte in 2 Monaten als Notfall dazwischengeschoben werden. Und das obwohl ich schon mal bei ihm war. Doch 2 Monate ist deutlich zu lange.

Jetzt habe ich Angst vor meinem Hausarzt, obwohl er eigentlich ein sehr lieber Mensch ist. Aber er wird nun unvermeidlich natürlich mehr Informationen über mich bekommen müssen, u.a. auch das mit dem SVV. Der wird bestimmt aus allen Wolken fallen.
Er kennt mich noch nicht so lange, da ich erst bei ihm bin seit der Situation mit meinem Freund.

Ich habe Angst, daß er auf eine Klinik bestehen wird, vor allem wegen dem SVV.
Ich habe richtig Panik vor Krankenhäusern.

Heute habe ich erstmal wieder einen Termin bei meinem Therapeuten und morgen muss ich dann zu meinem Hausarzt, auch wegen meiner AU-Verlängerung.
Jetzt schiebe ich schon Panik vor meinem Hausarzt.
Ich muss da jetzt irgendwie durch, aber ich habe richtig Angst vor Mittwoch.

Ich musste mir das jetzt alles mal von der Seele schreiben.
Tut mir leid wegen dem langen Text.

L.G. Tobe
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münchnerkindl
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Beitrag Di., 28.09.2021, 08:56

Also irgendwie hört sich das schon so an als ob du in eine Akutpsychatrie zur Krisenintervention gehörst. Vor allem auch weil dir dort auch grundsätzliche Dinge wie Essen zubereiten, Putzen abgenommen wird und sich ein Sozialpädagoge um deinen ganzen anstehenden Kram kümmern kann.

Ich hab das diesen Sommer in Anspruch genommen als ich wegen Nebenwirkungen von Entzündungshemmern so Panikattacken und Depressionen bekommen habe dass nichts mehr ging. Die Akutklinik wo ich war war wirklich hilfreich und hat genau das geleistet was ich da gerbraucht habe. Das Ambiente war auch bei weitem nicht so krankenhausmässig wie ein normales KKH.

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