PT-Blog: Auf dem Weg in die soziale Kontrollgesellschaft?

Die neuesten Psychologie- und Psychotherapie-relevanten Artikel und Veröffentlichungen in Presse und Internet

mio
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Beitrag So., 12.07.2020, 10:06

hawi hat geschrieben: Sa., 11.07.2020, 16:27 Zusammenfassung: „Wer austeilt, muss auch einstecken können“
Damit bringst Du es auf den Punkt wie ich finde.

Heute wird oft die eigene vermeintlich "gute Sache" (was letztlich eine Definitionsfrage ist) als Argument hergenommen den anderen "mundtot" machen zu dürfen. Und dem, der dann was dagegen sagt wird vorgeworfen er würde sich "unangemessen" verhalten oder aber er wird halt aus der Filterblase entfernt.

Dabei geht es aber teils derart aggressiv zu als angeblich gerechtfertigte Reaktion auf die Aggression des Anderen (die oft gar keine ist sondern nur eine abweichende Meinung) dass man sich schon fragt, wer da eigentlich aggressiv agiert? Wird DAS dann aber wiederum klar benannt oder ebenso aggressiv zurückgeschossen dann ist DAS plötzlich das UNDING.

Passiert hier im Forum übrigens auch sehr oft.

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hawi
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Beitrag So., 12.07.2020, 10:44

ja mio!

Mein Gefühl zu Meinungsäußerungen im Netz: Es ist in den gut 10 Jahren, die ich aktiv miterlebt habe, um einiges härter, schärfer geworden.
Liegt es an solchen Plattformen wie Twitter, Facebook? Vieles heute viel mehr als früher das Verkünden eigener Meinungen, Standpunkte und das liken/disliken anderer. Oft wird kaum argumentiert, schon gar nicht diskutiert.
Foren, wie z.B. dies hier, scheinen eher an Bedeutung verloren zu haben. Auch hier ging und geht es natürlich manchmal daneben, entgleist die Unterhaltung. Auch hier meine ich zu sehen, mehr als es auch früher schon der Fall war, dass die Äußerungen anderer immer mehr nur noch dazu dienen, seine eigene „gute“ Meinung kundzutun. Konstruktiver Streit? War hier nie einfach, aber manchmal möglich.
Es finden sich hier wirklich gute Argumentationsketten, wirkliche Diskussionen, auch hitzige.
Dadurch auch sehr facettenreiche Threads, die zum Nachdenken anregen (können).

Ich bin nicht der Experte für Twitter und Co. Das wenige, was ich z.B. von twitter selbst kenne?
Als Diskussionsplattform eher ungeeignet.

LG hawi
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und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
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mio
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Beitrag So., 12.07.2020, 10:56

hawi hat geschrieben: So., 12.07.2020, 10:44 Liegt es an solchen Plattformen wie Twitter, Facebook?
Vielleicht, ich weiss es nicht.

Twitter lebt ja von der "Verkürzung", wie soll in einer Verkürzung ein Austausch unterschiedlicher Meinungen möglich sein? Eine Vermittlung? Eine "Verkürzung" setzt ja im Grunde voraus, dass der andere mich eh versteht, siehe zB. das Extrembeispiel Abkürzungen.

Wenn ich Dir mit LMAA (das Du vielleicht noch verstehst ;)..) antworte, dann kann Verständnis nur aufkommen wenn mein Gegenüber das versteht. Das ist jetzt natürlich extrem verkürzt, meint aber, dass ich, je weniger "Zeichen" ich zur Verfügung habe ich mich immer "verklausulierter" ausdrücken muss um mich ausdrücken zu können.

Facebook lässt einem da mehr Raum, funktioniert aber wesentlich "selektiver", dh. mehr in Filterblasen. Auch so gibt es oft kaum konstruktiven Austausch mehr, weil alles was als destruktiv empfunden wird einfach eliminiert wird/werden kann.

Widerspruch und andere Meinungen aushalten zu können will ja auch "gelernt" sein. Am Stammtisch in der Dorfkneipe MUSSTE man sich arrangiere, auch mal Gegenwind aushalten, im Netz muss man es oft nicht.

Ich glaube eher, dass solche "Formate" es befördern dass verlernt wird sich auch mal mit "unbequemen" Meinungen auseinanderzusetzen bzw. dass die Kürze der Auseinandersetzung oft auch zu zwangsläufigen Missverständnissen oder "elitären Kreisen" führt.

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hawi
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Beitrag So., 12.07.2020, 11:31

Ja mio.
Strittige Gespräche, wirkliche Diskussionen mit sehr unterschiedlichen Standpunkten?
War und ist – glaube ich – ohnehin nichts für jeden. Im real life habe ich jedenfalls festgestellt, dass sehr viele da schnell aussteigen.
Und auch bei so was wie Stammtischen? Schwer zu beschreiben, aber die fand ich schon sehr eingegrenzt. Klar, da wird auch gestritten. Aber nach meinem Eindruck oft innerhalb einer „Filterblase“.

Weshalb ich weiterhin dem Internet durchaus positiv gegenüber stehe, grad auch in Sachen Meinungsäußerung, Meinungsvielfalt. Viel weniger elitär, als früher, viel weniger selektiv.

LG hawi
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stern
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Beitrag So., 12.07.2020, 14:41

Solange auf ein Beitrag im Harpers's Magazine die Huffpost, NBCNews, das New York Magazine und weitere Unterzeichner reagieren, sehe ich Meinungsfreiheit nicht in Gefahr....

https://www.spiegel.de/kultur/antwort-a ... dbd440afa2
Ihr offener Brief war auf der Website der US-Zeitschrift "Harper's Magazine" erschienen. Darauf haben nun zahlreiche Journalisten und Autoren geantwortet, darunter solche von "NBC News", "HuffPost" und "New York Magazine", aber auch anonyme Unterzeichner.
Ähnlich sehe ich das auch... Rowling müsste jetzt halt aushalten, dass andere sich von ihren Aussagen zu Trans* (ebenso öffentlich) distanzierten...
Die Autoren schreiben: "In Wahrheit können jetzt Menschen mit dunklerer Hautfarbe und aus der LGBTQ+-Community Eliten öffentlich kritisieren und sie im sozialen Leben verantwortlich machen."
Quelle: Spiegel (siehe oben)
:thumbsup:

Meinungsfreiheit ist eben keine Einbahnstraße... siehe auch die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum oben verlinkten Urteil:
Der Unterlassungskläger hat seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt; dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine inhaltliche Diskussion möglich sein.
https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 2-077.html

... was allerdings nicht heißt, dass man sich inhaltlich ALLES gefallen lassen muss. ;) (weder an Resonanz noch an Eliminierung). Bei Social Media lohnt zudem vor zu schauen, welchen Standards man zugestimmt hat. Es gilt ferner besagtes Hausrecht.


Bei Interesse druckfrisch:
Facebook darf Nutzer wegen „Hassrede“ sperren
vor 12 Stunden Von Kevin Heitmeier
...
Wo enden die Grenzen der Meinungsfreiheit? Zu dieser Frage nahm kürzlich das Bundesverfassungsgericht Stellung (BVerfG, Beschluss v. 19.05.2020, Az. 1 BvR 2459/19).
https://www.lhr-law.de/magazin/medienre ... e-sperren/

Ist wie gesagt nicht unbedingt 1:1 auf andere Länder umlegbar...

Ein Stammtisch, den ich auch eher als Filterblase sehe, ist bestenfalls viel leichter zu managen als international tätige Social Media Plattformen, die teils sogar bei Beiträgen einen gewissen Präsidenten Herrn D. Tr. eingreifen müssen... :lol:

Mit der Größe wachsen auch die Pflichten. Das NetzDG nennte meines Wissen auch eine Größenordnung, was die registrierten Benutzer angeht.
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stern
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Beitrag So., 12.07.2020, 16:45

hawi hat geschrieben: So., 12.07.2020, 10:44 ja mio!

Mein Gefühl zu Meinungsäußerungen im Netz: Es ist in den gut 10 Jahren, die ich aktiv miterlebt habe, um einiges härter, schärfer geworden.
Liegt es an solchen Plattformen wie Twitter, Facebook? Vieles heute viel mehr als früher das Verkünden eigener Meinungen, Standpunkte und das liken/disliken anderer. Oft wird kaum argumentiert, schon gar nicht diskutiert.
Ich weiß es nicht... aber mein Gefühl dazu: Es ist nicht härter geworden, aber wenn meinetwegen eine Beitrag 1 Mio. mal angeklickt und 5000 mal kommentiert wird (darunter auch heftige Kommentare) hat man entsprechende Resonanz geballt. Facebook gab es vor 2004 auch noch gar nicht.

Ich bleibe bei Rowling: So gingen ihre Aussagen nicht nur durch "handelsübliche" Medien, sondern natürlich auch durch LGBTQ-Foren, die sich auch damit auseinandersetzten. Mindestens ist das nach D vorgedrungen.... sicherlich aber auch in weitere Länder. Und wenn nur ein paar Leute direkt auf Rowling reagieren, die solche Aussagen unmittelbar betreffen, kommt schon einiges zusammen. Auch Harry Potter Schauspieler*innen äußerten sich, so dass das (Rowling) wohl durch verschiedene Communities waberte. Vielleicht übersehe ich etwas... aber das hat für mich nichts mit Begrenzung des Meinungsäußerungen zu tun (weder auf der einen noch auf der anderen Seite), im Gegenteil. Dass selbstredend nicht jeder Beitrag das Prädikat "pädagogisch wertvoll" verdienen wird, liegt in der Natur der Sache.

Was man von Facebook oder Twitter hält, ist Geschmacksache. Der Grundgedanke ist o.k., finde ich (es gibt auch Länder die blockieren solche Dienste). Aber je größer, desto größer auch die Macht und die Verantwortung, von der Facebook sich ja so gerne entledigt bis es nicht mehr anders geht. Auch folgendes ist dann eine Form der Kontrolle (ob das soziale Kontrolle ist und angemessen, mag aber jeder selbst entscheiden...):
Kampagne gegen Hasspostings Fast 100 Firmen boykottieren Facebook

Stand: 29.06.2020 10:07 Uhr
https://www.tagesschau.de/ausland/faceb ... t-101.html
Man kann es auch so sehen, dass jeder die Freiheit hat, selbst zu entscheiden, wo Anzeigen platziert werden. Dabei muss das Ansinnen dieser Unternehmen nicht in jedem Fall einer sozialen Motivation folgen... sondern es kann auch Eigeninteresse sein, dass man es als geschäftsschädigend wahrnehmen würde, wenn eigene Anzeige zwischen Hasspostings geschalten werden.

So ergeben sich viele Verflechtungen. Und daher weiß ich nicht, wie sich Rowling und Co. ihre Forderungen in dem genannten offenen Brief praktisch und umsetzbar vorstellen (Stichwort: soziale Sanktionen). Denn es ist aus meiner Sicht auch ein berechtigtes Interesse Werbung für seinen Produkte nicht auf Plattformen zu präsentieren, deren Inhalte konträr zu den Werten des Unternehmens stehen. Zum Beispiel.
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 09:22

stern hat geschrieben: So., 12.07.2020, 14:41 Solange auf ein Beitrag im Harpers's Magazine die Huffpost, NBCNews, das New York Magazine und weitere Unterzeichner reagieren, sehe ich Meinungsfreiheit nicht in Gefahr....
Hallo stern,

ich habe gestern zum Thema noch ein wenig gelesen, selbst überlegt. Habe vor allem mal den „Harpers Brief“ in deutscher Übersetzung „studiert“ (siehe https://www.zeit.de/2020/29/cancel-cult ... ettansicht )

Danach meine ich: Der Blog-Artikel hier und der Brief im „Harpers Magazine“ sind eher zwei verschiedene Paar Schuhe.
Gemeinsamkeit vor allem die These :
Der freie Austausch von Informationen und Ideen, der Lebensnerv einer liberalen Gesellschaft, wird von Tag zu Tag mehr eingeengt.
Wie hier schon geschrieben, ist der „Harpers Brief“ sehr allgemein gehalten. Aber er stellt doch von Beginn an klar:
Die Kräfte des Illiberalismus nehmen weltweit Fahrt auf und haben in Donald Trump einen mächtigen Verbündeten, der die Demokratie ernsthaft bedroht. Aber Widerstand darf nicht – wie unter rechten Demagogen – zum Dogma werden.
Dies findet sich im PTF Blog nicht, so wie ich ihn verstehe, ganz im Gegenteil.
Hier im Blog wird folgend vor allem das Löschen von Postings oder ganzer Accounts im Netz thematisiert. Hier geht nicht nur, aber doch sehr um Redefreiheit, Meinungsfreiheit im Netz.
Noch dazu wird hier vor allem behauptet, die Bedrohung dieser Freiheit, deren Einengung, sei linksorientiert. Der Blog hier spricht von
sogenannten „Hetz Postings“
und sieht es bereits als Diskurs einengend an, wenn User, Beitragende, als Rechte, Verschwörungstheoretiker Trump-Sympathisanten bezeichnet werden.

Von all dem ist im Harpers-Brief keine Rede.
Passend zu den Autoren des Briefes geht es dort vor allem um die Redefreiheit von Journalisten, Künstlern, Schriftstellern. Um Pluralität dort. Es geht im Brief zudem vor allem um die reale Freiheit von Kulturschaffenden. Es geht vor allem auch um Pressefreiheit und Berufsfreiheit.

Es geht dort also gerade auch um so ein Geschehen:
Donald Trump hat den US-Auslandssender „Voice of America“ schon mehrfach scharf kritisiert. Nun hat der US-Präsident seinen Wunschkandidaten Michael Pack als Chef für die zuständige Aufsichtsbehörde durchgesetzt. Und der hat seinen neuen Job mit einem Paukenschlag begonnen.
https://www.deutschlandfunk.de/neuer-au ... _id=478867
Im Grunde hat dieser Thread – finde ich – nicht ein Thema, sondern mindestens zwei. Den Blog-Beitrag hier einerseits und den Harpers Brief andererseits.

LG hawi
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stern
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 11:23

hawi hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 09:22 Im Grunde hat dieser Thread – finde ich – nicht ein Thema, sondern mindestens zwei. Den Blog-Beitrag hier einerseits und den Harpers Brief andererseits.
... würde ich ählich sehen... sogar noch weitergehend mit Betonung auf MINDESTENS zwei.

Stichworte waren für mich Meinungsfreiheit (allgemein... in Verbindung mit dem Eingangsbeitrag)... der Harper's Brief, den der Blogbeitrag erwähnte (schnappte ich am Rande auch in den Nachrichten auf)... diverse Resonanz auf den bzw. Kritik am Harper's Brief... damit verbunden auch Rowling und ihre nicht nur einmaligen Aussagen LGBTQ betreffend... Blogbeitrag... (angebliche) Begrenzung der Meinungsfreiheit... zu letzterem fallen manchen Maßnahmen zu Hasskriminalität ein (EU, D, Ö, usw), wobei ich es eher aus der Perspektive sehe, dass diese die Meinungsfreiheit vielmehr sicherstellen... aus internationalerer Perspektive haben die Verfasser des Harper's Brief aber wohl eher folgendes im Sinne (aus der von dir verlinkte dt. Übersetzung):
Redakteur_innen werden entlassen, weil sie umstrittene Beiträge gebracht haben; Bücher werden wegen angeblicher mangelnder Authentizität zurückgezogen; Journalist_innen dürfen über bestimmte Themen nicht schreiben; gegen Professor_innen wird ermittelt, weil sie im Unterricht gewisse literarische Werke zitiert haben; einem Forscher wird gekündigt, weil er eine einschlägig begutachtete akademische Studie in Umlauf gebracht hat; und Vorstände von Organisationen werden ausgetauscht, weil sie ungeschickte Fehler gemacht haben.
Und so würde ich auch sagen, die Situation in D ist nicht 1 zu 1 auf andere Länder umlegbar. Fängt z.B. auch damit an, dass die amerikanische freedom of speech nicht der deutschen Meinungsfreiheit entspricht.

Z.B. kann ich wegen eines missbliebigen Facebook-Beitrages arbeitsrechtlich sanktioniert werden (und andere Punkte)... hierfür gibt es m.W. hierzulande (rechtliche) Kriterien bzw. Hürden, die sicherlich nicht mit internationalen Standards identisch sind... oder Volksverhetzung und Meinungsfreiheit: Auch deutliche bis deutlichste Unterschiede je nach dem, welchen Hintergrund man im Blick hat. Und so weiter.
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 12:03

stern hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 11:23 Und so würde ich auch sagen, die Situation in D ist nicht 1 zu 1 auf andere Länder umlegbar. Fängt z.B. auch damit an, dass die amerikanische freedom of speech nicht der deutschen Meinungsfreiheit entspricht.
Ja stern,
ums noch ein wenig „schwieriger“ zu machen, im Harpers Brief geht es um das, was in den USA „Cancel culture“ genannt wird, dort grad hochaktuell ist. Ein Teil davon findet sich hier im Thread „Nachrichten die bewegen (9)“.
Hier eine – wie ich finde – ganz gute Erklärung, was darunter verstanden wird:
https://www.bedeutungonline.de/cancel-c ... rklaerung/
Es geht mehr ums Boykottieren von Personen, Firmen, wenn sie sich nicht so, wie gewünscht, verhalten.

Was dabei sein darf und was nicht? Darüber lässt sicher lange streiten.
Was ich hier bereits für mich vor allem kritisiert habe (sowohl zum Bloginhalt als auch zum Harpers Brief): Es wird nicht klargestellt, dass es „cancel culture“ immer gab. Grund der heutigen Boykotte sind ja grad die alten „Boykotte“, die nur niemand als solche gesehen hat. Chancengleichheit für Schwarze, Frauen, Homosexuelle, und wohl noch manch andere Gruppe? Oft allenfalls auf dem Papier.

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Beitrag Mo., 13.07.2020, 12:41

hawi hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 09:22 Noch dazu wird hier vor allem behauptet, die Bedrohung dieser Freiheit, deren Einengung, sei linksorientiert. Der Blog hier spricht von ...
Auch eine Meinung. Nun, dazu schrieb ich schon grob etwas... ergänzend: So gesehen fällt Rowling (als Unterzeichnern des Harper's Brief) häufiger auch durch scharfe Trump-Kritik auf. Oder andere Autoren bezeichneten die Unterzeichner selbst als linke Elite. Ob das einen Erkenntnisgewinn verschafft indem Fall, ist eine andere Frage.

Links und rechts (eine Mitte gibt es ferner) sehe ich jedenfalls als recht gängige Einordnung in ein politisches Spektrum, wenn auch keine sehr feine (und praktisch dürfte das auch selten lupenrein möglich sein)... ähnlich wie liberal, konservativ, usw. Ich nehme an, auch in der Politikwissenschaft setzt man sich damit auseinander und nutzt diese Kategorien bei Bedarf. Dem liegt also nicht unbedingt eine "stereotypisierende Simplifizierung vieler komplexer Probleme" zugrunde (aufgrund eines begrenzten Horizontes, der maximal 2 Schubladen kennt),, sondern vielleicht vielmehr genau eine vertiefte Auseinandersetzung mit komplexen Problemen. Halt auch je nach Argumentation. Hat jedenfalls auch seine Berechtigung.
und sieht es bereits als Diskurs einengend an, wenn User, Beitragende, als Rechte, Verschwörungstheoretiker Trump-Sympathisanten bezeichnet werden.
Es ist mindestens ebenfalls eine Meinung (die durch die Meinungsfreiheit abgedeckt ist).. ;) Rowling zum Bleistift wird häufiger als Trump-Kriterikerin bezeichnet (vllt. bezeichnet sie sich sogar auch selbst so?). Im Ernst: Wo bliebe die Meinungsfreiheit, wenn man solche Formulierungen umschiffen müsste? Der "Dünger für den Blumen-Liebhaber" oder der ACDC-Fan oder Drosten-Groupie oder die "Trump-Kritikerin Rowling" wäre als Formulierung gerade noch o.k.. Oder auch nicht? Aber die Benennung als Verschwörungstheorie oder Verschwörungstheoretiker oder Trump-Sympathisant (oder -Anhänger) nicht mehr? Naaaa jaaaaaa... zumal man sich so oder so mit etwas auseinandersetzen kann.

Was die USA angeht, das schrieb ich schon, könnte man sicherlich einiges aufarbeiten (sofern gewollt)... fängt ja schon mit der Medienlandschaft an... die viel gespaltener ist als hierzulande... z.B. "Hofberichtstattung durch FOX News und Breitbart (oder hat Trump mit seinem früheren Buddy Bannon mittlerweile gebrochen?), usw. Also ich würde sagen, in vielerlei Hinsicht muss man unterscheiden, ob man gerade von den USA spricht oder D, Ö oder meinetwegen Europa.

Edit: Link: https://www.br.de/nachrichten/deutschla ... er,RlC0HLZ
Ex-Moderatorin: Laut Fox News sind Trump-Kritiker Lügner

Die Journalistin Juliet Huddy hat als Moderatorin bis September 2016 beim rechten Nachrichtensender Fox News in New York gearbeitet. In der Mediensendung von Konkurrent CNN berichtet sie, wie Fox News tickt:

"Die anderen Medien lügen, die Kritiker von Donald Trump sind alles Lügner und Feinde des Staates. Fox News setzt auf die Treue seiner Zuschauer." Juliet Huddy, Ex-Moderatorin von Fox-News
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 14:05

hawi hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 12:03 Es wird nicht klargestellt, dass es „cancel culture“ immer gab. Grund der heutigen Boykotte sind ja grad die alten „Boykotte“, die nur niemand als solche gesehen hat. Chancengleichheit für Schwarze, Frauen, Homosexuelle, und wohl noch manch andere Gruppe? Oft allenfalls auf dem Papier.

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Wenn überhaupt auf dem Papier...

Ich würde ja sagen, dass D (aufgrund seine Verfassung) hier etwas weiter ist... auch wenn es praktisch nicht immer so funktioniert, wie es sollte, so gibt es einen gewissen Minderheitenschutz und auch sozialen Ausgleich.

Ich weiß, dass andere es vielmehr als Begrenzung erleben (z.B. andere nicht als schwule Drecksau oder Judensau bezeichnen können... wobei, wenn ich lese, was bei Künast noch als Meinung gewertet wurde... also um sowas in der Art geht es dann, dass die Freiheit beschränkt, beschränken soll).

Ich denke, in den USA hat die Problematik auch etwas (aber natürlich nicht nur) mit der Verfassung zu tun (und dem dortigen Verständnis von Meinungsfreiheit)... also Volksverhetzung bzw. Hetze gegen Minderheiten kennt man dort nicht (z.B. erst tatsächliche Kriminalität wäre ein Problem). Also das ist quasi tief in der Verfassungs verankert... vieles ist hinzunehmen. Kann also nicht (angemessen) sanktioniert werden und jemand den Kopf einschlagen kann man ja auch nicht. Weiß nicht, ob es soll verwunderlich ist, wenn dann legale Möglichkeiten gesucht werden, auf manche Missstände aufmerksam zu machen, z.B. ein Protest, Boykott, Streiks usw. Was Rowling angeht, haben Verlagsmitarbeiter wegen ihrer Äußerungen gestreikt (in dem Fall, weiß ich nicht , inwieweit das wiederum arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann), usw. So viel bleibt ja nicht...

Ich kann mir vorstellen, dass manche Themen zukünftig noch stärker aufkochen... ob ich die Möglichkeit der Hetze und Handhabe in den USA Freiheiten-Sicht erstrebenswert finde, wage ich jedoch siehe zu bezweifeln. Hoffentlich schlägt es nicht immer in Gewalt um - egal von welcher Seite ausgehend.

Ich denke, von Obama hatte "man" diesbzgl. (struktureller, verankerten Rassismus, Minderheitenschutz) etwas mehr erwartet als er leisten konnte. Unter Trump: Na ja, da ist nichts zu erwarten... Trump ist aus meiner Sicht Teil des Problems und nicht der Lösung.
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 14:59

Auch ein Unterzeichner, der sich zu Wort meldete:

https://www.spiegel.de/kultur/daniel-ke ... 0171973763 (mit Paywall)

Er sieht es so, dass der Brief nur beschränkt auf den europäischen Kontext passt.

Nun, Boykotte, etc. gibt es hierzulande sicherlich auch... aber ich wüsste wirklich nicht, warum man meinetwegen Musiker unterstützen sollte, die Werte besingen, die man ablehnt... nur als Beispiel. Meist finden die auch eine größere oder kleinere Nische... oder es juckt andere gar nicht... oder vielleicht wird auch eine Konsequenz gezogen. Z.B. fällt mir gerade H und M ein mit dem (überlegten oder unbedachten) "Coolest Monkey in the Jungle"-Pulli, der (um es so zu formulieren) nicht so gut ankam. "Soziale Kontrolle" passt als Bezeichnung aber nicht so recht, auch wenn man es so sehen kann. Und ich glaube auch nicht dass das zu Konformismus führt, wenn es ein paar Grenzen gibt. Nicht nur, weil es immer noch eine unzählbare Anzahl an Pullis gibt.

Boykottaufrufe (was weitergehen würde) sind hierzulande weder generell zulässig noch unzulässig. Also derartige Kontrollen/Sanktionen kennen auch Grenzen... in einer zulässigen Form wird das auch als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen, hierzulande. Ist aber -vermutlich- kein sooo großes und politisch aufgeheiztes Thema wie in den USA... Und dass ein Unternehmen meist nicht mehr so großen Wert auf einen Werbevertrag legt, wenn Straftaten offenkundig wurden, dürfte auch selbsterklärend sein, was aber auch mit dem eigenen Image zu tun hat.

So leicht ist es also nicht einmal einen Boykottaufruf einzuordnen... Ebenfalls Meinungsfreiheit u/o soziale Kontrolle bzw. cancel culture...
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hawi
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 15:46

stern hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 14:59
Nun, Boykotte, etc. gibt es hierzulande sicherlich auch... aber ich wüsste wirklich nicht, warum man meinetwegen Musiker unterstützen sollte, die Werte besingen, die man ablehnt... nur als Beispiel.
nein stern, natürlich soll niemand jemanden unterstützen, den er nicht ab kann.
Boykott, alles in dieser Richtung, ist aber durchaus was anderes. Da sagt eine Gruppe Mensch nicht nur, dass sie jemanden nicht ab kann, sie sagt auch, dass so jemand völlig von der Bildfläche verschwinden soll!

Sehr viel fällt mir dazu halbwegs aktuell für D auch nicht ein. Aber ein Beispiel dies hier:
Protestaufruf gegen Kollegah-Konzert in Köln
Kölner Grüne fordern Absage des Kollegah-Konzerts
Kritik an menschenverachtenden Texten des Rappers
Katholische Kirche unterstützt den Boykott-Aufruf
Am Dienstagabend (12.11.2019) soll das Konzert des umstrittenen Rappers Kollegah im Kölner E-Werk stattfinden.
....
Die Stadt Rastatt in Baden-Württemberg hatte zuvor ebenfalls ein Konzert des Rappers abgesagt, das für den 9. November geplant war. Im Gegensatz zu Köln sollte die Veranstaltung im städtischen Eigenbetrieb Badner Halle stattfinden.
https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinla ... t-100.html
Das Kölner Konzert fand statt.

Wenn möglichst viele, auch mit Nachdruck, so jemanden kritisieren, auch stark und deftig, find ich das gut. Boykott? Dafür müsste ich selbst mehr von dem Herrn kennen.
Fragt sich halt immer, was so jemand anderen antut. Boykott als Gegenwehr fänd ich manchmal durchaus richtig. Boykott, allein initiiert von kirchlichen oder politischen Moralwächtern? Nein Danke, was mich, meine Meinung betrifft.

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Beitrag Mo., 13.07.2020, 16:22

Jo, sagte ich ja: Ein Aufruf geht nochmals über einen "privaten" Boykott hinaus

Wie gesagt... andere würden auch solche Ausrufe als Meinungsfreiheit verstehen... mit höchstrichtlichem Segen, zumindest in bestimmten Fällen:
Die Prämisse des BGH besteht darin, dass der Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und damit also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient.
https://www.internet-law.de/2016/02/bgh ... rufen.html

... was noch lange bedeuten muss, dass Leute dem folgen. Tönnies fällt mir aktuell ein (zu Boykott allgemein). Aber hierzulande verebbt sowas oft wieder recht schnell. Lidl und Aldi sind schon wieder voll dabei sich damit zu überbieten, wer billiger ist :lol: ... die Preis- und Qualitätsdebatte flaute also schneller ab als man schauen konnte. Geschäfte woll(t)en Tönnies-Fleisch auch eh eher nicht dauerhaft aus dem Sortiment nehmen (was auch schwer wäre bei dem Marktanteil)... und Aufrufe zum Boykott waren nicht so wirklich laut und gefährlich für Tönnies. Ich glaube es wirklich nicht, dass Werte so leicht zu vereinheitlichen sind. Für viele wird der Preis ein gewichtiges Argument sein (bleiben).

Medien können sicherlich auch das ein oder andere sanktionieren. By the way: Ist es Information, wenn z.B. über Missstände zu berichten oder Sanktion? Medien können auch bei der Bildung einer Meinung unterstützen (es sei denn man hält Medien für manipulativ, Stichwort: Lügenpresse). Zu beachten ist: Es gibt auch verschiedene Grenzen, die die Presse zu beachten hat... z.B. bei einer Verdachtsberichterstattung, Persönlichkeitsrechte. Also zumindest in D.


Nochmals zum Blogbeitrag (Quelle nach wie vor lt. Eingangsbeitrag):
... “hier” (in der westlichen Kulturhemisphäre) erledigen dies [die Bestrafung] die Medien, der Social-Media-Mob oder ...
Also ich nutze Social Media jetzt nicht so wirklich, stolpere aber über den Mob. Ist eine eher pejorative Formulierung. Wann ist etwas ein Mob? Ab einer bestimmten Anzahl von "Kritikern"? Lt. Wikipedia eine "sich zusammenrottende Menschenmenge mit überwiegend niedrigem Bildungs- und Sozialniveau"? Wenn es unterirdisch wird? Klar, schon statistisch wird das auch einen Teil ausmachen. Oder wie sieht es aus wenn Leute sich z.B. von Rowling distanzieren, indem sie schreiben "solche Aussagen finde ich nicht o.k... davon möchte ich mich distanzieren". Will heißen: Hier fehlt mir etwas, dass es ja nicht nur negativ sein muss, wenn umstrittene Aussagen nicht unkommentiert stehen bleiben. Das ist dann ja gerade eine (Mini-)Debatte (und hat nichts mit soziale Kontrollgesellschaft zu tun, was wieder so negativ konnotiert klingt).
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Beitrag Mo., 13.07.2020, 17:00

stern hat geschrieben: Mo., 13.07.2020, 16:22 Wann ist etwas ein Mob?
Alles eine Frage der Perspektive stern,
wenn du nur von weit genug oben erhaben auf andere herabblickst, wird jede Mehrzahl von Mensch zu nem „Mob“ :angel:

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