Jenny Doe hat geschrieben: ↑Mo., 26.11.2018, 18:26
Das Problem ist nicht nur, dass es zu wenige zugelassene Therapeuten gibt. Die Zahl der zugelassenen Therapeuten wurde erhöht. Das Problem liegt auch darin, dass es zwar 7.000 neue Psychotherapeuten gibt, aber der Anteil der Psychotherapeuten mit einem ganzen Kassensitz ist gesunken. Wenn die 7000 neuen Therapeuten hingehen und sich eine ganze Stelle mit anderen Therapeuten teilen, dann entsteht logischerweise keine Verbesserung für für die Klienten. Das Problem ist somit nicht nur unsere Politik, sondern auch das Verhalten der Therapeuten.
Das Verhalten der Therapeuten? Was meinst du damit? Die Teilung von Kassensitzen hat 2 Gründe: Erstens der sog. "Strukturzuschlag", der erst ab einer hohen Auslastung von Kassensitzen gezahlt wird. D.h. ab einer gewissen Auslastung bekommen Therapeuten einen höheren Stundensatz. Das führt dazu dass ein Therapeut, der 40 oder 50 Stunden pro Woche arbeiten will, lieber einen halben Kassensitz hat und diesen maximal auslastet und dann ggf. noch ein paar Privatpatienten dazu nimmt, als einen ganzen Kassensitz, den er nicht voll auslastet. Um bei einem ganzen Kassensitz den Strukturzuschlag zu erhalten, müsste ein Therapeut mind. 60-70 Stunden pro Woche arbeiten (es fallen ja nicht nur die Patientenstunden an, sondern auch Vor- und Nachbereitung, Dokumentation, Qualitätsmanagement, Anträge schreiben, Inter- oder Supervisionen und Weiterbildung). Ich kann kein Fehlverhalten von Therapeuten sehen, wenn sie das nicht wollen und ich würde als Patientin auch einen derart "ausgelasteten" Therapeuten nicht vor mir sitzen haben wollen....Der zweite Grund ist der, dass es einfach mehr Bedarf an Kassensitzen gibt, als alte Therapeuten Sitze abgeben können/wollen. Dies führt dazu, dass viele Therapeuten ihren Kassensitz teilen und 2 halbe Sitze zur Nachfolge ausschreiben, weil sich damit mehr Ablöse kassieren lässt. Wohlgemerkt Ablöse für einen Kassensitz, für den sie selbst 0,0 € gezahlt haben. Wenn man diese Schacherei um Kassensitze abschaffen würde (in Ballungsgebieten werden für einen ganzen Kassensitz bis zu 100.000 € Ablöse fällig, das können sich viele junge Therapeuten gar nicht leisten) und der Strukturzuschlag abgeschafft bzw. das dafür gezahlte Geld gleichmäßig auf alle Behandlungsstunden verteilt würde, würden sicherlich auch mehr Therapeuten wieder einen ganzen Kassensitz übernehmen wollen. Ganz davon abgesehen finde ich es aber auch nicht verwerflich, wenn Therapeuten die Familie haben, sich tatsächlich einen Kassensitz so aufteilen, dass sie z.B. nur 20 Stunden arbeiten. Wird ja auch schon gemacht via Anstellung, Jobsharing oder durch MVZs, aber es wird in der Diskussion meist gar nicht berücksichtigt. Warum die Politik halbe Kassensitze nicht so gerne sieht, liegt einzig daran, dass 2 Therapeuten auf einen Kassensitz i.d.R. mehr Patienten behandeln, als ein Therapeut, der den Kassensitz allein betreut und somit einerseits mehr Strukturzuschlag gezahlt werden muss und andererseits faktisch mehr Patienten behandelt werden, was natürlich unerwünschte höhere Kosten für die Krankenkassen erzeugt. Es ist also kein Problem des Therapeutenverhaltens, sondern der politischen Steuerung. Die Patienten sollen mit so einer Argumentation mal wieder für blöd verkauft werden, die Hintergründe werden ja den Patienten bewusst verschwiegen.
Genau das ist auch die Absicht des neuen Gesetzesentwurfs: so zu tun, als wenn man die Versorgung verbessern wollte, faktisch aber den Zugang zu Psychotherapie zu erschweren. Für die Therapeuten wird sich bezüglich Selbstbestimmung nicht wirklich etwas ändern, es wird nach wie vor niemand einen Therapeuten zwingen können, einen Patienten zu behandeln, den er nicht behandeln will. Der Therapeut muss nur sagen, die Passung stimmt nicht, er kann nicht mit dem Patienten arbeiten und schon ist er raus. Ganz davon abgesehen, würde ich als Patientin nicht gerne von einem Therapeuten behandelt werden, der mich nicht behandeln will.