Ich kann aus der Erfahrung mit mir selbst ganz gut nachvollziehen, mit welch großem Fragezeichen Du (noch) in Deiner Welt unterwegs bist: Wer bin ich eigentlich wirklich?
Was mir dazu noch einfällt und möglicherweise auch in Dir anklingen kann:
Als Kind suchen wir vorrangig in der Beziehung mit unneren Elternteilen als nächste Bindungspersonen einen Spiegel, in dem wir uns selbst erkennen können. Und zwar als den Menschen, der wir wirklich sind "hinter" den vielen Rollen, in die wir im weiteren Leben zwangsläufig schlüpfen. Schlüpfen müssen, weil es durchaus notwendig ist, uns unterschiedlichen Beziehungskonstellationen anzupassen. Allerdings nicht so weit, dass wir uns dabei total selbst verleugnen.
Als Kinder suchen wir durch unser Verhalten, unseren Blick, unsere Körperbewegungen nach einer möglichst klar gespiegelten Antwort.
Bekomme ich die in Form von liebevoller Zuwendung, der Erlaubnis, mich sicher anbinden zu können und gleichzeitig (!) mich frei entfalten zu dürfen, dann lerne ich mein authentisches Selbst kennen, entdecke es und kann immer weiter über meine momentane Begrenzung hinaus wachsen hin zu einem sicher gebundenen Menschen, der gleichzeitig autonom ist.
Bekomme ich jedoch als Antwort, dass ich mit meinen Gefühlen, Bedürfnissen und daraus entstehendem Verhalten nicht annehmbar bin, sondern einzig einer Vorstellung entsprechen soll, die z.B. meine Mutter vorgibt, dann ist sie mir kein klarer Spiegel, sondern sie wirft mir nur ein Bild ihrer Vorstellung zurück. Und weil wir besonders als Kind naturgegeben ohne elterlichen Halt nicht überlebensfähig sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns diesen Vorstellungen anzupassen. Dabei entfernen wir uns ivon unseren wahren Selbst und suchen im weiteren Leben im Außen nach einem möglichst klaren Spiegel. Da wir aber ganz früh erfahren haben, dass so, wie oder wer wir wirklich sind, von unseren ersten Bindungspersonen verleugnet wurde, haben wir natürlich vergessen, wer wir wirklich sind.... Und sind in unserem weiteren Leben ständig auf der Suche nach uns selbst.
Wir tendieren dazu, uns weiter jedem anzupassen, spüren dabei jedoch, dass sich das irgendwie falsch anfühlt. Versuchen wir mutig dann doch hier und da mal uns so zu zeigen, wie wir "in echt" sind, können Zweifel und Angst entstehen, weil wir die frühe Erfarung gemacht haben, dass das nicht erwünscht ist. Es braucht sehr viel Vorschussvertrauen, es doch mal zu riskieren und Vertrauen in uns selbst, was jedoch schon früh verletzt wurde.
Und z.B. sich selbst zu verletzen ob über die Hautgrenze oder ständig über die emotionale Grenze selbst zu gehen, ist "lediglich" ein Anzeichen dafür, dass wir das ablehnende Verhalten der lieblosen Bindungspersonen von früher übernommen haben. Das nenn man dann Täterintrojekt. Wir brauchen dann gar nicht mehr den Anderen dafür, unser wahres Selbst zu zerstören, sondern "können" das aus unserem eingeprägten Muster heraus selbstständig.
Gleichzeitig ist selbstverletzendes Verhalten, egal ob körperlich oder emotional (durch überkritische, destruktive Selbstannahmen), besonders wenn andere dieses innere Drama mitbekommen "sollen), nicht übertrieben. Es ist ein Hilferuf und ein Bindungsschrei des inneren an seinem Selbstwert verletzten Kindes.
Und wie kann man das Rufen nach Halt und sicherer Bindung eines Kleinkindes/eines Säuglings als übertrieben bewerten?!
Okay, das als erwachsen gewordenes Kind zu tun, ist inder alltäglichen Umgebung nicht mehr passend. Sich damit ganz offen zu zeigen mit dem eigentlichen Bedürnis nachzureifen, braucht einen sehr geschützten Raum. Manchmal können einem Freund*innen den ein Stück weit geben. Doch sie sind eben auch mit ihrem eigenen Leben und Bindungsmuster unterwegs und leicht überfordert. Da ist es gut, wenn man die aus Verletzung entstehenden Gefühle etwas dosieren/regulieren kann. Leichter gesagt als getan.
Daher ist es gut, das im geschützten Raum einer Therapie zu tun. Der/die Therapeut*in ist angehalten, ein möglichst klarer Spiegel zu sein, eigene Verletzungen möglichst integriert zu haben oder supervisorisch begleitet zu erkennen und zu heilen. Der Therapieraum hat klare Grenzen; zwischenmenschlich, räumlich, zeitlich. Und auch Grenzen geben Halt und Sicherheit.
Super, dass Du einen Therapeuten hast, zu dem Du augenscheinlich schon so viel Vertrauen hast, Deine Themen bewusst ansprechen zu können, Federchen.
Und vor allem super, dass Du bereits so viel Selbst-Vertrauen hast, Dich ernst zu nehmen und es auch zu wagen.
Ich wünsche Dir eine gute Sitzung und neue heilsame Selbst-Erkenntnisse.
joey