Therapeut beendet Therapie - Eigen- und Fremdwahrnehmung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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malafide
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Beitrag Do., 21.12.2017, 21:25

@alatan

Danke dir nochmals für das Hervorheben der Wichtigkeit einer Bearbeitung von "Beziehungsproblemen". Ganz konkret erscheinen die ja sinnbildlich in der Therapiesituation. Es wird mich wohl sehr viel Überwindung kosten, derartige Themen anzusprechen und zu zeigen, dass ich in Beziehungen verhaftet bin bzw. sie brauche. Aber es ist wahrscheinlich unvermeidlich.

@Philosophia

Du hast vollkommen recht. Ich merke inzwischen, dass Freunde sich abwenden, weniger geduldig sind nach all den "leeren Versprechungen" etc. Ich möchte auch niemandem seine Grenzen absprechen, das sicher nicht. Dass ich meine eigenen so gar nicht spüre, heißt im Umkehrschluss nicht, dass alle anderen alles ertragen müssen...
Philosophia hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 20:34 Vielleicht hilft die die Erfahrung, dass dir diese Destruktion nicht hilft. Und du kannst verbalisieren, was du dir eigentlich wünscht - das ist doch eigentlich echt ein Gewinn trotz allem!
Ich hoffe, dass es mir zukünftig gelingen wird. Über allem anderen steht bei mir leider stets der Gedanke, dass ich die Zeit meines jeweiligen Therapeuten verschwende, weil ich da rational ja selbst recht gut durchsteige, konkret aber nichts ändern kann.
Die Destruktion hilft mir eben leider sehr wohl, in Situationen, in denen ich allein mit meinen Gedanken bin.. und ich muss es ja schließlich ein Leben lang mit mir aushalten...

@Solage

Vielen Dank für deine ehrlichen Worte.
Das "im Stich gelassen" habe ich bewusst in Anführungsstriche gesetzt, weil mir selbst klar ist, dass diese Bewertung nur meiner falschen Wahrnemung entspringt. Ich glaube inzwischen,dass mein Therapeut auf professioneller Ebene absolut richtig gehandelt hat.
Das, was du über Sucht und den verhängnisvollen Kreislauf auf der Suche nach einer der Situation angemessenen "adäquaten" Droge schreibst, kann ich so voll unterschreiben. Mein Thema ist wohl, mich unabhängig zu machen von all dem...

Ob ich "da raus will" oder eben nicht - das ist für mich auch eine furchtbar schwierige Frage. Mein Verstand sagt selbstverständlich "JA"- denn so kann ich nicht weiterleben.
Gewisse Anteile in mir wollen einfach die totale Zerstörung (ohne suizidale Absichten...)- und das ist stündlich verschieden. Aber das geht evtl auch über das Thema dieses Threads hinaus.

Ich danke jedenfalls nochmals allen, die sich mit meinen Gedanken befasst haben!

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Alyssa
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 08:28

malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30 Ich brach die Verträge immer wieder, weil ich die Strategien, die ich zur Stressbewältigung therapeutisch anwenden sollte, im Alltag nicht umsetzen konnte. Deshalb "musste" ich immer wieder zu meinen zuverlässigen, destruktiven Methoden greifen.

Da triffst du genau den wunden Punkt bei mir, und das haben wir auch so in der Therapie erarbeitet. Es sind zwei Seiten in mir, die permanent gegeneinander ankämpfen, die "gesunde", konstruktive, motivierte, die in der Therapie präsent war; und die destruktive, depressive, die alles sinnlos findet (einschließlich Therapie). Mein Verhalten ist da total ambivalent. Und ja, das macht es einem ambulanten Therapeuten vermutlich extrem schwer mit mir.
Das was du schreibst, könnte ich sein. Hätte ich sein können.
Dem ambulanten Therapeuten bereitet dein Verhalten nicht wirklich Probleme. Der Therapeut hat gelernt, dass alles nicht zu sehr an sich ranzulassen. Und er arbeitet da nach einem Schema. Du bist nicht die einzige, die sich so verhält, das gibt es zigfach. Extrem schwer machst du es nicht dem Therapeuten. Extrem schwer machst du es dir.
malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30Sondern nur 6 Monate, von denen ich mindestens 1-2 noch nicht richtig aufmachen und erst Vertrauen aufbauen musste. Er hat jetzt auch kürzlich noch gesagt, er sähe meine Motivation. Deshalb habe ich ja überhaupt begonnen, mich quasi auf allgemeinerer Ebene zu fragen, wieviel Zeit man sich ambulant geben sollte.
Auch wenns erstmal fies klingt: Sei froh, dass er so früh die Reissleine zieht. Jetzt hast du noch keine so tiefe Bindung an ihn, kannst dich nach etwas umschauen, was besser für dich ist (anderer Therapeut, Tagesklinik, Klinik). Und kannst das, was du bei/mit ihm gelernt und erarbeitet und erkannt hast, in die neue Therapie mitnehmen.
malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30 Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Und diese "Verantwortung" für mich selbst, die macht Angst, vor der laufe ich ständig davon.
Das ist der Knackpunkt, daran musst du arbeiten, dem musst du dich stellen.
malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30Ein Therapeut, der stets der sichere Hafen ist, verstärkt fatalerweise partiell diese Tendenz, Verantwortung zu übertragen.
Nein. Das ist das, was du dir wünscht, und weswegen du so agierst wie du tust. Du willst, dass der Therapeut nicht nur dein Hafen ist, sondern dir auch die Verantwortung abnimmt. Tut er das nicht, agierst du. Solange du nicht erkennst, dass DU die Verantwortung für DICH und DEIN LEBEN hast, der Therapeut aber trotzdem da ist für dich, wird das schwer werden mit Therapie, egal welcher Art.
malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30Deshalb zweifle ich momentan sogar gänzlich daran, ob Psychotherapie mir gerade helfen kann. Weil ich mich immer wieder zu sehr an den Therapeuten binde und quasi ihm die Verantwortung für meine Probleme übertrage. Da könnte ich mich selbst an die Wand klatschen.
Und mit der Erkenntnis hast du eine super Ausgangslage für die nächste Therapie!
Was meinst du, was ich mit meinem Therapeuten "gekämpft" habe und wie sehr ich mich gegen Bindung an ihn (und damit Abhängigkeit von ihm) gesträubt habe. Irgendwann hab ich es zugelassen, und begriffen, dass ICH die Verantwortung für MICH übernehmen muss, ich dabei aber auf ihn zählen kann, und das war eine...sehr gute Erfahrung. Ist nur leider nicht gut geendet.
malafide hat geschrieben: Do., 21.12.2017, 09:30Doch ist es ja nicht so, dass ich immer und ständig meinem Suchtdruck nachgeben würde. Es gibt durchaus Abende/Situationen, in denen ich den Schmerz zulasse und nicht betäube. Aber es passiert dadurch nichts in mir. Und am nächsten Tag/in der nächsten Therapiestunde rationalisiere ich den Schmerz weg und habe keinen Zugriff mehr auf ihn.
Umgekehrt ist es manchmal so (ich weiß, dass es absurder Unsinn ist und nicht stimmt!), dass es sich so anfühlt, als bekäme ich durch den Alkohol "besseren", nachhaltigeren Zugang zu meinen Gefühlen. Er nimmt den Filter weg.
Such dir einen Therapeuten, der auf Sucht und psych. Störungen spezialisiert ist.
Und nein, dein letzter Satz ist kein Unsinn.

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Möbius
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 09:22

malafide hat geschrieben: Mi., 20.12.2017, 21:48
(...)

Meine Fragen hier ans Forum sind nun:
1. Wie sind eure Erfahrungen bzgl der Wahrnehmung des Therapeuten im Gegensatz zu eurer eigenen Wahrnehmung? Ist es möglich, dass sich ein Fachmann total täuscht, was das förderliche Procedere betrifft? Ab wann ist der Punkt erreicht, an dem man "die Kontrolle verloren hat"?
Und 2.: Was ist eurer Erfahrung nach der bessere Weg- erstmal "sichtbare" Symptomatik reduzieren (bzgl Alkohol, Essstörung, SVV), um die Wurzel allen Übels anschauen zu können? Oder das Pferd in umgekehrter Richtung aufzäumen? Denn wenn das zugrunde liegende Problem erkannt und eliminiert werden kann, "bräuchte" ich ja quasi die Symptome nicht mehr.
(...)
Hi @ll !

Ich möchte mal versuchen, meine Antworten auf diese Eingangsfragen zu skizzieren.

"ad 1" halte ich es bei einer funktionierenden Psychotherapie für sehr selten, daß die Einschätzungen des "Fachmanns" falsch sind. Es gibt zwar auch in der Psychotherapie, wie in jedem anderen Berufsfeld auch, gute und schlechte, auch ausgesprochene "Vollpfosten", aber das therapeutische Versagen ist meiner Einschätzung nach weitaus seltener, als daß es gerade die Berichte darüber zB auch hier im PTF vermuten lassen. Es scheint mir viel häufiger, daß die Therapie mißlingt, weil sich die richtige "chemistry" nicht einstellen will, wofür es sehr viele Gründe geben kann. Es "muß passen" und das ist wohl die Hauptschwierigkeit bei der Therapeutensuche.

"ad 2" kann auch ich eine eindeutige Antwort nicht geben. Ich bin Selbstanalytiker - also ein Patient, der sich selbst Psychoanalyse beigebracht hatte und diese Technik bis heute weiter "autotherapeutisch" anwendet. Vergröbert gesprochen: die Psychoanalyse ist eine kausale Therapie, setzt also an der Ursache an, "ignoriert" die Symptome erstmal weitgehend, soweit das möglich und "vertretbar" ist - während die symptomatischen Therapieformen garnicht erst nach der Ursache fragen und sich nur um die Symptome kümmern. Das kann aber sehr sinnvoll und richtig sein, wenn die Symptome einen gewissen Grad der Beeinträchtigung für den Patienten und anderen überschritten haben. Esstörungen können, ebenso wie Drogenmißbrauch, bleibende Schäden verursachen, tödlich sein - die Gefahren bei SVV liegen auf der Hand.

Es hängt also stets von der individuellen Situation ab, ob man in der Therapie zuerst die Symptome oder die Ursache in den Fokus rückt.

Letztlich meine ich aber, daß aus tiefenpsychologischer Erwägung heraus nichts an einer kausalen Therapie vorbeiführt, wenn man wirklich langfristig "gesund" werden und bleiben will. Denn: hat man die Ursache einer psychischen Störung nicht behoben, nur ihre Symptome beseitigt, dann produziert die Ursache nach kürzerer oder längerer Zeit neue Symptome - vielleicht eine Wiederholung der ersten Symptomatik - "Rückfall" - oder aber eine völlig neue Symptomatik, die unter Umständen noch viel größeres Leid mit sich bringt. Für die Gesundheitsstatistik jedoch gelten diese Fälle, wenn nur genügend Zeit verstrichen ist, als Neuerkrankungen, die erneut geheilt werden und die symptomatische Therapie hat wieder einmal einen Heilungserfolg zu verbuchen.

Symptomatische Therapie und kausale Therapie sind aber kein Widerspruch - eine in meinem Sinne gute Therapie berücksichtigt beides im jeweils der Situation, dem Stand des Heilungsprozesses entsprechendem Umfang.

In meiner eigenen psychoanalytischen Therapie steht bei der Arbeit mit dem Therapeuten die causa im Vordergrund - sagen wir mal: sie nimmt auf lange Sicht 70-80% der "Therapiezeit" in Anspruch - die Symptome behandele ich größtenteils selbst. Die Psychotherapie findet ja nicht nur in der "Stunde" statt - sie kann m.E. immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.

Gruß
Möbius

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Beitrag Fr., 22.12.2017, 10:04

@Alyssa
Alyssa hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 08:28 Extrem schwer machst du es nicht dem Therapeuten. Extrem schwer machst du es dir.
Danke für diesen Satz. Das ist auch so ein Muster von mir: sobald ich in Beziehung zu einem anderen Menschen stehe, sind seine Bedürfnisse das einzige, was ich als relevant erachte bzw als "berücksichtigenswert".
Alyssa hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 08:28 Nein. Das ist das, was du dir wünscht, und weswegen du so agierst wie du tust. Du willst, dass der Therapeut nicht nur dein Hafen ist, sondern dir auch die Verantwortung abnimmt. Tut er das nicht, agierst du. Solange du nicht erkennst, dass DU die Verantwortung für DICH und DEIN LEBEN hast, der Therapeut aber trotzdem da ist für dich, wird das schwer werden mit Therapie, egal welcher Art.
Auch diese Aufschlüsselung war sehr hilfreich. Genau so, wie du es beschreibst, verhält es sich. Und bestimmt ist es auch förderlich für den "Anerkennungsprozess" der Verantwortung sich selbst gegenüber, das auch so reflektieren zu können. Momentan laufe ich aber dennoch ständig gegen Wände, wenn ich diese eingefahrenen Überzeugungen zu ändern versuche.
Alyssa hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 08:28 Das was du schreibst, könnte ich sein. Hätte ich sein können.

[...]

Was meinst du, was ich mit meinem Therapeuten "gekämpft" habe und wie sehr ich mich gegen Bindung an ihn (und damit Abhängigkeit von ihm) gesträubt habe. Irgendwann hab ich es zugelassen, und begriffen, dass ICH die Verantwortung für MICH übernehmen muss, ich dabei aber auf ihn zählen kann, und das war eine...sehr gute Erfahrung. Ist nur leider nicht gut geendet.
Darf ich nachfragen, wie dieses schlechte Ende ausgesehen hat? Du scheinst ja einen enorm großen Fortschritt geschafft zu haben bei ihm- weshalb ist es schlussendlich schief gegangen? Falls das zu persönlich ist, musst du natürlich nicht drauf eingehen.


@Möbius

Vielen Dank für deine Ausführungen, die das Ganze auch aus einer strukturellen Perspektive beleuchten!
Ich stelle es mir sehr beglückend vor, wenn man an einem Punkt ist, an dem man teilweise sein eigener Analytiker sein kann- denke aber, dass ich dafür noch nicht das notwendige emotionale Rüstzeug mitbringen würde...
Möbius hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 09:22 Denn: hat man die Ursache einer psychischen Störung nicht behoben, nur ihre Symptome beseitigt, dann produziert die Ursache nach kürzerer oder längerer Zeit neue Symptome - vielleicht eine Wiederholung der ersten Symptomatik - "Rückfall" - oder aber eine völlig neue Symptomatik, die unter Umständen noch viel größeres Leid mit sich bringt. Für die Gesundheitsstatistik jedoch gelten diese Fälle, wenn nur genügend Zeit verstrichen ist, als Neuerkrankungen, die erneut geheilt werden und die symptomatische Therapie hat wieder einmal einen Heilungserfolg zu verbuchen.

Symptomatische Therapie und kausale Therapie sind aber kein Widerspruch - eine in meinem Sinne gute Therapie berücksichtigt beides im jeweils der Situation, dem Stand des Heilungsprozesses entsprechendem Umfang.
Genau so empfinde ich das intuitiv auch. Diese oft starre Differenzierung zwischen den einzelnen Therapieformen erscheint mir in den meisten Fällen als eher hinderlich.
Ich bin auch ein gedanklicher Anhänger der "Ursachenforschung". Schon allein aus dem Grund, dass ich gern für mich selbst wissen möchte, wieso ich so bin, wie ich bin. Alles andere fühlt sich nach "auf halber Strecke stehen bleiben" an.

Ich muss zugeben, ich war in der VT oft richtiggehend genervt davon, dass so auf meinen Symptomen herumgeritten wurde. Da stellte sich stets der Gedanke von "Der versteht überhaupt nicht, wo das Problem eigentlich liegt!" ein- was natürlich unfair war.
Ganz sicher war seitens des Therapeuten ein Bewusstsein für die tieferliegende Problematik vorhanden. Die von ihm angewandte Methodik sah aber vor, diese erst einmal auszuklammern.

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Möbius
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 11:02

@ malafide

Psychoanalyse als Patient zu können hat Vor- und Nachteile. Man sieht viel mehr, kann sehr vieles selbst "auf die Reihe bekommen", auch in andere "tief hineingucken", wie mit einem "Röntgenblick". Letzteres macht aber nicht unbedingt beliebt - viele ängstigt schon das Bewußtsein, daß ich dies tun könnte ... ausserdem hängt die Latte für meine Therapeuten dadurch inzwischen sehr hoch. Ein reiner VTler erreicht mich heute nicht mehr - weil ich nach 2-3 Gesprächen mehr über ihn weiß, als er über mich. Es ist ne zweischneidige Geschichte. Beigebracht hatte ich mir die PA - nach Freud - nur der Not gehorchend, weil eine Regelanalyse wegen langwieriger chirurgischer Behandlungen nicht erreichbar gewesen war.

Ich zweifele auch daran, ob Du Dich selbst - teilweise - analysieren könntest. Man braucht eine ausserordentlich hohe Willenskraft und "Unbarmherzigkeit" gegenüber sich selbst, seinen Gefühlen und seiner Psyche, die sich gegen die Analyse - ihre "Auflösung" - mit aller Macht wehrt.

Aber ich glaube, daß Du über eine analytische Therapie nachdenken könntest, in der u.a. eine solide Indikationsstellung für eine reguläre Analyse vorgenommen werden könnte. In der Analyse arbeitet man u.a. bewußt mit der "Übertragung" - der Patient/Analysant projiziert eine oder mehrere frühere Beziehungen auf den Therapeuten/Analytiker mitsamt ihrer unausgetragenen, oft traumatisierenden Konflikte, die dann in der analytischen Beziehung wie in einem Rollenspiel nachträglich "verarbeitet" werden können.

Aber das würde "knallhart" werden. Psychoanalyse ist keine "Kuscheltherapie", sondern ein Horrortrip ohnesgleichen - ob Du dafür stabil genug bist ?

Ich kann auch Deine aktuelle Situation nicht einschätzen - Du sprichst von Magersucht. Wie schlimm ist Dein körperlicher Zustand ? Du sprichst von Alkoholproblemen. Ich trinke regelmässig 1 Flasche Rotwein am Abend. Der durchschnittliche deutsche Psychiater würde mir sofort "Alkoholmißbrauch" diagnostizieren, der durchschnittliche französische Psychiater das für eine der wenigen normalen und gesunden Angewohnheiten von mir halten ... ???

Das sind alles Fragen, die man in so einem Forum nicht klären kann - wir können hier nur Denkanregungen geben, die hoffentlich nicht vollständig in die falsche Richtung gehen ...

Gruß
Möbius

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Broken Wing
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 16:51

malafide hat geschrieben: 1. Wie sind eure Erfahrungen bzgl der Wahrnehmung des Therapeuten im Gegensatz zu eurer eigenen Wahrnehmung? Ist es möglich, dass sich ein Fachmann total täuscht, was das förderliche Procedere betrifft? Ab wann ist der Punkt erreicht, an dem man "die Kontrolle verloren hat"?
Ein Fachmann kann nicht hellsehen. Sofern ich mit offenen Karten gespielt habe, lagen sie meistens richtig. Allerdings ist manches auch kein Hexenwerk. Zu erkennen, dass wer sein Studium abgebrochen hat, in einer unbefriedigenden Beziehung vor sich hinwerkelt und nebenbei eine höere Noncompliance aufweist, weniger geeignet für die angebotene Therapie sein könnte, braucht keine allzu hohen IQ-Werte.
Ich bin selbst in einer analytisch modifizierten Therapie und habe auch da und gerade da mich an Vorgaben zu halten. Einen Klinikaufenthalt nach einem Tag abzubrechen ginge zB nicht. Meine Therapeutin ist da unbarmherzig. Pacta sunt servanda. Ich habe mich auf die Therapie eingelassen und habe auch möglichst dafür zu sorgen, dass die Ziele verwirklicht werden und dass die Therapeutin ihre Leistung erbringen kann. Ich muss nicht frei von Depressionen sein, aber Handlungen unterlassen wie das Lesen gewisser Literatur, soll nicht im Bett liegen, obwohl ich mit einem Menschen eine schöne Zeit verbringen könnte u.ä.
Damit bin ich schon reichlich gefordert und kann auch nicht zusätzlich noch die Therapie kontrollieren. Mir nebenbei die Selbstanalyse beizubringen ist einfach nicht drin.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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malafide
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 19:46

@Möbius
Möbius hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 11:02 Ich zweifele auch daran, ob Du Dich selbst - teilweise - analysieren könntest. Man braucht eine ausserordentlich hohe Willenskraft und "Unbarmherzigkeit" gegenüber sich selbst, seinen Gefühlen und seiner Psyche, die sich gegen die Analyse - ihre "Auflösung" - mit aller Macht wehrt.
Aus reinem Interesse, vielleicht ist es auch eine Begrifflichkeitssache:
Ist denn das Ziel der Psychoanalyse die "Auflösung" der Psyche? Bzw. meinst du mit "Auflösung" "Elimination" oder aber "Enträtselung"?
Abgesehen davon: was heißt schon "stabil genug"- nein, objektiv betrachtet bin ich wohl ziemlich instabil. Aber vielleicht wäre diese aufrüttelnde Dynamik der Analyse sogar förderlich. Um der Leere etwas entgegenzusetzen, die ich meistens fühle. Ich werde mich noch ein wenig weiter informieren über diese Therapieform.
Möbius hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 11:02 Ich kann auch Deine aktuelle Situation nicht einschätzen - Du sprichst von Magersucht. Wie schlimm ist Dein körperlicher Zustand ? Du sprichst von Alkoholproblemen. Ich trinke regelmässig 1 Flasche Rotwein am Abend. Der durchschnittliche deutsche Psychiater würde mir sofort "Alkoholmißbrauch" diagnostizieren, der durchschnittliche französische Psychiater das für eine der wenigen normalen und gesunden Angewohnheiten von mir halten ... ???
Körperlich ging es mir schon bedeutend schlechter. Ich bin zwar unter Normalgewicht, aber ich lebe halbwegs gut damit.
Bei deinem Vergleich bzgl der "Alkoholprobleme" musste ich schmunzeln und an Depardieu denken. Bei einer Flasche Wein würde der nur müde lächeln und die drei nächsten ordern. Aber Spaß beseite.
Ich bin auch kein Freund von Pauschalisierungen à la "Ab genau dieser Trinkmenge bzw Trinkfrequenz ist man Alkoholiker". Für mich ist der Konsum problematisch, weil ich regelmäßig Stress, Einsamkeit, Ängste und soziale Hemmungen wegtrinken will- und mir eben nicht gemütlich im Ohrensessel und in heiterer Stimmung ein Gläschen oder auch mehrere genehmige.
Es kommt auf den Modus an. Und der ist bei mir eindeutig selbstzerstörerisch. Ich kenne kein Ende, wenn ich einmal begonnen habe. Und regelmäßig passieren Dinge, für die ich mich nachher unglaublich schäme.


@Broken Wing

Dein Zynismus ist wirklich erfrischend. Kurz habe ich überlegt, in ähnlicher Manier zu antworten, fand es dann aber doch irgendwie unangemessen.
Ich freue mich für dich, dass du den Vorgaben, die in deiner Therapie gemacht werden und die darauf abzielen, dass es dir besser geht, so ohne Wenn und Aber einhalten kannst. Das erfordert Energie. Und kontinuierlich bleibende Hoffnung. Und Selbstfürsorge. An all diesen drei Dingen mangelt es mir. Und ich fechte einen Kampf an mehreren Fronten gegen mich selbst aus.
Ich stimme mit dir darin überein, dass eine Therapie sinnlos ist, wenn man überhaupt nicht mitarbeitet oder die Ansagen des Therapeuten ignoriert. Das ist bei mir so nicht der Fall gewesen.
Broken Wing hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 16:51 Zu erkennen, dass wer sein Studium abgebrochen hat, in einer unbefriedigenden Beziehung vor sich hinwerkelt und nebenbei eine höere Noncompliance aufweist, weniger geeignet für die angebotene Therapie sein könnte, braucht keine allzu hohen IQ-Werte.
Nun ja, das finde ich eine gewagte Aussage. Wann ist man denn "geeignet" für eine Therapie? Sollte man Castings einführen, in denen die persönliche Willensstärke überprüft und damit eruiert wird, wie hoch die Erfolgsaussichten sind? Oder anders gefragt, weil du von "der angebotenen" Therapie schreibst: welche wäre stattdessen geeignet?
Abgesehen davon verstehe ich nicht, was das plakative Aufzählen meiner "Defizite" in dem Zusammenhang bringt...

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Broken Wing
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 21:17

Hallo Malafide!

Sorry, die Aufzählung hatte nur das Ziel, dir eine mögliche Sichtweise aufzuzeigen. Außerdem wollte ich damit klar machen, dass man auch ohne therapeutisches Hintergrundwissen zu dieser Ansicht gelangen könnte, also auch als Laie den Therapeuten verstehen. Du hattest ja angedeutet, dass deine Einschätzung eine andere wäre. Keineswegs wollte ich dich damit entwerten und entschuldige mich für die missverständliche Formulierung.
Das muss aber nicht heißen, dass dir gar keine Therapie helfen kann. Bei mir jedenfalls gab es auch gescheiterte Therapien und ich habe Therapeuten an der Nase herumgeführt, weil ich nicht vor die Tür gesetzt werden wollte, aber andererseits einfach unfähig war, mitzuarbeiten. Mit Freunden treffen wäre ganz toll gewesen, wenn ich welche gehabt hätte. Allerdings habe ich mich mit den Therapeuten nur 1x alle 2 Wochen oder max. 1x die Woche getroffen, sodass ich ihnen leicht etwas vormachen konnte. Bei 2-3x/Woche musste ich diese Strategie
aufgeben und so ganz unrecht war mir das ja nicht. Ich bin zwar ehrlicher, deswegen läuft nicht alles wie am Schnürchen. Ich lese keine deprimierende Literatur, das habe ich in der Hand. Aber nicht immer kann ich Tiefs mit guten Freunden auffangen, die haben auch zu tun.
Denkbar auch, dass die Therapien davor überhaupt diese Zusammenarbeit erst ermöglicht haben. Deine gescheiterte Therapie könnte der Anfang für etwas viel Besseres sein.

Die Therapien sind so unterschiedlich wie die User, man wird dir hier nur Anregungen geben können. Am Ende hilft nur auszuprobieren. Du liest hier die Geschichten von Usern, die lange gekämpft und gesucht haben und dies noch immer tun. Ich bin da keine Ausnahme. Lass dich bloß nicht beeindrucken von den unglaublich anmutenden Erfolgsgeschichten, denn zumeist sind sie es auch.
Mit Alkoholismus und Essstörungen kenne ich mich gar nicht aus, um dir einen Weg aufzeigen zu können. Was machst du aber weiter, wenn du das Studium abgebrochen hast? Denkst du an einen Job?

Sei mir gegenüber einfach so, wie du sein möchtest. Eher bin ich diejenige, die aufzupassen hat.
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 21:41

Hallo Broken Wing,

ohje. Ich habe deinen Tonfall scheinbar gänzlich in den falschen Hals bekommen, entschuldige bitte. Manchmal bin ich wirklich etwas überempfindlich, was "Misstöne" anbelangt, die ich zu hören glaube.
Broken Wing hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 21:17 Die Therapien sind so unterschiedlich wie die User, man wird dir hier nur Anregungen geben können.
Da hast du natürlich recht, auch, wenn ich sicher nicht die Einzige bin, die gern eine mathematisch wasserdichte Gelingensformel zugeflüstert bekommen würde... aber das ist ein frommer Wunsch und ich erhoffe mir vom Forum nicht mehr und nicht weniger als Austausch und Gedankenanregungen, und das läuft wunderbar gerade.
Broken Wing hat geschrieben: Fr., 22.12.2017, 21:17 Mit Alkoholismus und Essstörungen kenne ich mich gar nicht aus, um dir einen Weg aufzeigen zu können. Was machst du aber weiter, wenn du das Studium abgebrochen hast? Denkst du an einen Job?
Ob es bereits Alkoholismus ist, wage ich nicht zu beurteilen. Ich wehre mich nicht gegen das Label, sollte es tatsächlich passen. Aber ich kann es nicht zu hundert Prozent einschätzen (hatte im letzten Post als Antwort an Möbius ein wenig was dazu geschriebe).
Ich habe momentan eine 20-Stunden-Stelle. Es ist ein Nebenjob, dem ich seit vielen Jahren (auch neben dem Studium) nachgehe bzw nachgegangen bin. Ich komme damit über die Runden, erfüllend ist es nicht. Dafür aber auch nicht sonderlich anspruchsvoll und sehr flexibel in der Zeiteinteilung, das ist viel wert, wenn es einem phasenweise so unzuverlässig sehr gut oder sehr schlecht geht.
Einen Abschluss möchte ich machen. Sei es an einer Hochschule, oder in einem Betrieb/Berufsschule. Ohne ist es schwer in unserem System. Das ist auch ein Thema, das mich sehr umtreibt. Denn ich habe keine "rote Linie" ausbildungstechnisch, und stehe inzwischen kurz davor, "einfach irgendetwas" anzufangen, um zumindest äußerlich etwas erreicht zu haben.

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Möbius
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Beitrag Fr., 22.12.2017, 22:02

@ malafide

Das Ziel der Psychoanalyse ist es - nach Freud - "das Unbewußte unter Ich-Kontrolle zu bringen." Dazu wird die Grenze zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten eben durch die Psychoanalyse durchbrochen und wir werden mit Erinnerungen konfrontiert, die ins Unbewußte verschoben wurden, weil sie unerträglich sind. Deswegen ist die Psychoanalyse so qualvoll. Wir erfahren Dinge über uns die wir nie wissen wollten und unser Selbstbewußtsein, unsere Identität in ihren Grundfesten erschüttern.

Lies vielleicht mal die Artikel über "Psychoanalyse" und "Sigmund Freud" bei Wiki. Ich selbst bin ein "beinharter" Freudianer, dh meine psychoanalytische Positition ist diejenige Freuds. Einen echten Fortschritt durch die Weiterentwicklung der Psychoanalyse seit Freud bis heute kann ich auch nach 4 Jahren intensiver Befassung mit der Psychoanalyse immer noch nicht erkennen.

Gruß
Möbius


Alyssa
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Beitrag Sa., 23.12.2017, 02:48

Das ungute Ende bestand darin, dass ich nach 2 Jahren (chaotischer aber nicht unnützer) Therapie plötzlich ohne Therapeut da stand. Der war Kliniktherapeut, hatte mich in ambulanter Therapie, und hatte sich nun selbständig gemacht mit Privatpraxis. Ohne mich auf das Ende vorzubereiten, ohne mir einen Abschied zu gewähren, ohne mir zu sagen, wann er geht. Er war dann einfach weg. Ich bin von einer voll laufenden Therapie mit regelmässigen Gesprächen und Emailkontakt ins totale Nichts gekegelt worden. Von 100 auf 0. Nicht mal die sonst übliche 6-monatige Nachbetreuung via Email, die er seinen Patienten nach Therapieende anbietet, habe ich bekommen.

Ich musste ihm regelrecht hinterherrennen und richtig drum kämpfen, dass er mir noch ein Abschlussgespräch gewährt. In dem er alle Schuld für das unrühmliche Ende bei mir sah, keinste Verantwortung für sein Handeln und Verhalten übernehmen wollte, alles ganz locker, fast amüsiert sah, und völlig unberührt von meinem Elend und Leid war. Für ihn war die Therapie regulär beendet worden. Er hat auch falsche Hoffnungen gemacht, dass wir trotz seines Privat-Status weitermachen können, via Kostenerstattungsverfahren durch Krankenkasse.

Ich habe mich komplett alleine um Kostenerstattung gekümmert, mein Therapeut hat sich nicht bemüht, hat mit Unerreichbarkeit, schwammigen Aussagen, Hinhalterei und Floskeln a la "Kann da wenig tun" oder "Frag nicht mich, frag deine Versicherung" geglänzt. Als ich einen gut durchdachten und detaillierten "Schlachtplan" präsentierte, konterte er mit "Kostenerstattung mag ich nicht und mach ich nicht, da habe ich auch keine Zeit für, habe zuviel zu tun mit meiner Praxis, das schaffe ich nicht". Kam dann noch mit "Tut mir leid", "Gönne dir einen besseren" und "Kannst du mir verzeihen".

Das war ein echter Tiefschlag, hat mich 2 Monate wertvolle Lebenszeit gekostet, mir eine Handvoll neuer Probleme und Symptome beschert und mich richtig reingerissen.


Alyssa
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Beitrag Sa., 23.12.2017, 02:59

Bzgl. Alk: Liest sich für mich wie "schädlicher Konsum", und dient der Selbstmedikation, vielleicht auch der Selbstschädigung. Du musst nicht trinken, um körperliche Entzugserscheinungen abzuwehren. Du brauchst das Zeug aber als psych. Krücke. Geht in Richtng abhängig, ist für mich aber noch die Vorstufe davon. (Hui, jetzt hab ich so ungefähr das zitiert, was mein Therapeut mal sagte)

Such dir einen Therapeuten, der sich mit Sucht auskennt. Erleichtert vieles, macht Therapie nützlicher/besser verwertbar. Um bestimmte Regeln (u.a. Abstinenz) wirst du da allerdings auch nicht rumkommen. Nur reagiert ein Sucht-Therapeut anders auf Krisen/Rückfälle.

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Möbius
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Beitrag Sa., 23.12.2017, 08:01

Ich möchte noch einmal kurz auf die Alkoholproblematik eingehen und an Alyssas Gedanken von der "psychischen Krücke" anschließen.

Alkohol dient - wie jedes Suchtmittel - dazu, einen unerträglich gewordenen innerpsychischen Spannungszustand erträglich zu machen. Dieser Spannungszustand wird als solcher regelmässig nicht wahrgenommen - lediglich der durch ihn verursachte Leidensdruck. Ich möchte es so sehen, daß es drei Wege gibt, mit denen das Suchtmittel diese Aufgabe löst: erstens kann es eine Ersatzbefriedigung bieten, wie es bei meinem Tabakrauchen der Fall ist: das rauchen reguliert meine Autoaggression; zweitens kann es vom Leidensdruck durch schlichte Betäubung befreien, wie ein Schmerzmittel. Beispiele hierfür könnten das "Koma-Saufen" sein oder das "hardcore-kiffen", bei dem "stoned-sein" (Stein sein - nichts mehr wahrnehmen) das Ziel ist. Drittens schließlich kann das Suchtmittel Hemmungen vermindern oder ganz aufheben, die der Abfuhr der Spannung entgegenstehen. Nicht wenige Menschen können zB ihre sexuellen Hemmungen nur mit Alkohol oder Cannabis beseitigen.

Eine rein symptomatische Suchttherapie kann zwar den "inneren Zwang" zum Konsum eines bestimmten Suchtmittels beherrschbar machen oder aufheben, aber nicht die "causa" der Sucht: jenen Spannungszustand und seinen Leidensdruck, der sich dann nach anderweitiger "Intoxination" umsieht. Polemisch formuliert: die Suchttherapie verwandelt häufig Alkoholiker in Kettenraucher - die Sucht wird lediglich verschoben, was ein bekanntes wie ungelöstes Problem der rein symptomatischen Suchttherapie ist. Sie kommt hier nicht weiter, die kausale Therapie muß sich anschließen.

Wie schon oben gesagt: man kann immer nur im konkreten Einzelfall und nach sorgfältiger Anamnese sagen, ob es sinnvoller und "indiziert" erscheint, zunächst den Entzug einer hochschädlich gewordenen Sucht durchzuführen oder den weiteren Konsum des Suchtmittels zu tolerieren, um größere Schäden durch den sodann ungebremsten Leidensdruck zu vermeiden und eine kausale Therapie zu ermöglichen.

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Beitrag Sa., 23.12.2017, 10:20

@Alyssa,

das klingt nach einem absoluten Horrortrip und es tut mir fürchterlich, ehrlich Leid für dich, dass du so "abserviert" (anders kann man es ja kaum nennen) worden bist. Das wäre schon in einer privaten Beziehung ein indiskutables Verhalten. Und für einen Therapeuten weit "beyond that"...
Alyssa hat geschrieben: Sa., 23.12.2017, 02:48 Therapeut hat sich nicht bemüht, hat mit Unerreichbarkeit, schwammigen Aussagen, Hinhalterei und Floskeln a la "Kann da wenig tun" oder "Frag nicht mich, frag deine Versicherung" geglänzt. Als ich einen gut durchdachten und detaillierten "Schlachtplan" präsentierte, konterte er mit "Kostenerstattung mag ich nicht und mach ich nicht, da habe ich auch keine Zeit für, habe zuviel zu tun mit meiner Praxis, das schaffe ich nicht". Kam dann noch mit "Tut mir leid", "Gönne dir einen besseren" und "Kannst du mir verzeihen".
Damit hat er ja im Endeffekt sogar noch versucht, dich zu manipulieren. Klingt beinah so, als hätte er dir suggerieren wollen "Es MUSS jetzt einfach enden, ich bin ohnehin nicht gut genug für dich und handle deshalb ganz selbstlos" etc.
Gleichzeitig habe ich als Leser den Eindruck, dass da auch eine Vermischung zwischen professionellem (therapeutischem) und persönlicherem Miteinander stattgefunden hat- das mache ich u.a. am Duzen fest. Und ich kenne diese Dynamik aus meiner frisch beendeten Therapie. Das kann die Dinge ganz enorm verkomplizieren und eben auch für so dramatische, aufgeladene Abschiedsszenarien sorgen. War es bei dir auch so oder bin ich auf dem Holzweg?
Hoffentlich hast du die Zeit danach halbwegs überstanden und die "neuen Symptome", von denen du sprachst, haben sich nicht langfristig manifestieren können? Und hoffentlich bist du inzwischen in verantwortungsvollen, guten Händen...

Danke für deinen Ratschlag bzgl Suchttherapeut. Alternativ dazu wurde mir vorgeschlagen, eine DBT-Therapie zu machen. Die beinhaltet ja auch wesentliche Komponenten der Suchtdruckprophylaxe.
Das passt jetzt ganz gut zu dem, was ich zu Möbius' Beitrag schreiben wollte.

(Verschiebe es in einen neuen Beitrag, weil ich die maximale Zeichenanzahl überschritten habe :lol: )

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Beitrag Sa., 23.12.2017, 10:33

@Möbius,

erstens danke für deinen kurzen Abriss bzgl der Psychoanalyse. Ein wenig kenne ich mich schon damit aus, meine Frage im letzten Posting bezog sich eher auf deine persönliche Interpretation der intrinsischen Crux des Ganzen. Aber das hast du mir jetzt ohnehin schon beantwortet.
Möbius hat geschrieben: Sa., 23.12.2017, 08:01 Alkohol dient - wie jedes Suchtmittel - dazu, einen unerträglich gewordenen innerpsychischen Spannungszustand erträglich zu machen. Dieser Spannungszustand wird als solcher regelmässig nicht wahrgenommen - lediglich der durch ihn verursachte Leidensdruck.
Exakt! Ich muss dazu jetzt zwei Passagen aus einem meiner Lieblingsbücher zitieren (Connie Palmen: Die Freundschaft), in dem es um genau diese Zusammenhänge geht:

"Sucht hat für meine Begriffe immer etwas mit der Wiederherstellung eines Gleichgewichts zwischen Gefühl und Verstand zu tun. Wer zuviel trinkt, der benebelt seinen Geist, und diese Benebelung dient dazu, die Kontrolle über den Körper zu verlieren."

und:

"Jedes obsessive und süchtige Verhalten ist eine Form maßlosen Konsumverhaltens. Konsumieren heißt, etwas von außen nach innen holen, etwas zu sich nehmen und verbrauchen. Das, was man verbraucht, nenne ich Nahrung.
Konsumiert werden können Alkohol, Drogen, Geld, Zigaretten, Frauen oder Männer, doch bei mir heißt das alles Nahrung.
Sonst ist es nicht zu verstehen.
Es geht mir vor allem um die Bewegung von außen nach innen. Die ist genau gegenläufig zur Emotion, zum Sichäußern, zum Erzählen, also zu dem Von-innen-nach-außen-Bringen. Und genauso verhält es sich mit der Sucht. Sie zielt darauf ab, Emotion, Wissen und wahren Sinn zu zerstören.
Was ich Hunger nenne, ist der Wunsch, etwas zum Ausdruck zu bringen, und das geht daneben, man schafft es nicht, sich auszudrücken, nicht in dem Bereich, auf den es ankommt.
Süchtige empfinden sich als doppelzüngig und spüren, dass sie immer eine Seite von sich selbst verraten, dass sie insgeheim eine Geschichte vor der Welt verborgen halten, die wirkliche Geschichte, die Wahrheit.
Leider."

Das trifft es so auf den Punkt, dass ich dem eigentlich nichts hinzuzufügen habe.
Möbius hat geschrieben: Sa., 23.12.2017, 08:01 Eine rein symptomatische Suchttherapie kann zwar den "inneren Zwang" zum Konsum eines bestimmten Suchtmittels beherrschbar machen oder aufheben, aber nicht die "causa" der Sucht: jenen Spannungszustand und seinen Leidensdruck, der sich dann nach anderweitiger "Intoxination" umsieht. Polemisch formuliert: die Suchttherapie verwandelt häufig Alkoholiker in Kettenraucher - die Sucht wird lediglich verschoben, was ein bekanntes wie ungelöstes Problem der rein symptomatischen Suchttherapie ist. Sie kommt hier nicht weiter, die kausale Therapie muß sich anschließen.
Diese Auffassung teile ich und ich konnte ihre Richtigkeit auch schon oft genug an mir selbst beobachten. Kann ich das eine gerade nicht tun, flüchte ich mich ins andere. Ich habe ja im Grunde ein Triptychon an Süchten. Tabak nicht mitgezählt.
Eine Frage habe ich noch: Du proklamierst ja (grundsätzlich, auch, wenn immer der Einzelfall betrachtet werden muss) die Analyse als adäquate Therapieform bei Süchten, weil sie eben die "causa" berührt. Bildlich gesprochen: die Analyse reißt die Wurzel des unerwünschten Löwenzahns gänzlich aus und er kommt (hoffentlich) nicht wieder.
Die oben schon erwähnte DBT-Therapie soll ja laut Aussagen verschiedenster Fachleute, mit denen ich gesprochen habe, ebenfalls sehr wirksam bei destruktivem Verhalten und Spannungsabbau sein. Sie behandelt zwar nicht die causa, vermittelt aber Skills, um die durch die cause verursachten Zustände erträglich zu machen. Um bei der Unkraut-Metapher zu bleiben: Sie ist das wirksame Pestizid, das allerdings nicht nur ein-, sondern mehrere Male gegen den Löwenzahn eingesetzt werden muss.
Ist es für Menschen, die die Wucht einer Analyse (noch) nicht aushalten würden, vielleicht vernünftiger, DBT zu machen?

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