Autonomie versus autark

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

isabe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 39
Beiträge: 3066

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:24

da ist einfach nur mehr wenig Platz z.B. für Schweinekram... das ist einfach nicht mehr wichtig. -- Quelle: viewtopic.php?p=929696#p929696
Du bist aber trotzdem noch ein Mensch mit menschlichen Bedürfnissen und Regungen, eben jenen, die ich oben erwähnt habe. "Wichtig" in diesem Sinne sind z.B. Aggressionen für niemanden; aber sie sind dennoch da. Und wichtig ist also, diese Seiten in sich selbst nicht zu verleugnen, denn ich denke, dass der Mensch nur dann "ganz" ist, wenn er seine dunklen Seiten genauso annimmt wie seine Idealvorstellungen. Gehört eben alles zum Menschsein dazu.

Die Welt rast, diese wahnsinnige Schnelllebigkeit, die ja soviele Menschen krank macht
Meiner Meinung nach spaltest du das ein bisschen ab; ein zufriedener Mensch ist der, der in dieser Welt lebt und nicht außerhalb von ihr. Also, man kann einerseits seinen Platz in der Alltagshektik finden und dann merken, dass man dort gebraucht wird, gesehen wird, davon auch profitiert (weil man etwas von Anderen lernt) - und dann am Abend zurückkehren auf sein Grundstück und die Stille und Abgeschiedenheit genießen.

Ich hab das schon verstanden, dass dein Therapeut das Wort benutzt hat; vielleicht wollte er dir aber nur zeigen, wie er dich wahrnimmt, ohne dir etwas "anpreisen" zu wollen.

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:32

Hallo isabe,

da mag was an deinen Worten dran sein.
Es ist ein bekanntes Problem dass man gerade mit einem behinderten Kind in einer Parallelwelt lebt.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->


isabe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 39
Beiträge: 3066

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:36

Ich kenne übrigens deinen Wunsch auch; mit diesem bin ich in meine erste Therapie gegangen - ich dachte, das sei sozusagen meine Bestimmung: ein zweiter "Peter Lustig im Bauwagen" zu sein, in Ruhe leben, sein Ding machen, alles mal ausprobieren - aber eben auch: partnerlos, sexlos, aggressionslos... So war für mich der ideale Mensch. Ich hab dann in der Analyse gemerkt, dass das nur eine Wunschvorstellung von mir ist, so ein "Größenthema"; man entwirft ein Bild von sich, das man bewundern kann (und mit dem man sich über die, die man insgeheim wegen ihrer niederen Bedürfnisse verachtet, erhaben fühlen kann). Aber es ist halt nur die halbe Seite eines Menschen.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:40

Candle,
Das stimmt schon!

Kommt aber sicher auf das jeweilige Kloster an.
Also weltweit.
Denn es gibt sie die völlig unabhängigen Selbstversorger. Und Verkauf oder Gastfreundschaft gehört dazu... das machen ja auch Bauern.

Es gibt ja auch die neuen Lebensformen wie Ökodörfer.
Oder aber auch die totalen Aussteiger.
Die gibt es ja.
Oder die familiären Weltenbummler.

Also ich möchte jetzt nicht weg,
aber den Mut haben autark zu leben in meinem aufgebauten Leben.
Das denke ich, das regt es in mir an.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:42

isabe hat geschrieben: Sa., 15.04.2017, 12:36 Ich kenne übrigens deinen Wunsch auch; mit diesem bin ich in meine erste Therapie gegangen - ich dachte, das sei sozusagen meine Bestimmung: ein zweiter "Peter Lustig im Bauwagen" zu sein, in Ruhe leben, sein Ding machen, alles mal ausprobieren - aber eben auch: partnerlos, sexlos, aggressionslos... So war für mich der ideale Mensch. Ich hab dann in der Analyse gemerkt, dass das nur eine Wunschvorstellung von mir ist, so ein "Größenthema"; man entwirft ein Bild von sich, das man bewundern kann (und mit dem man sich über die, die man insgeheim wegen ihrer niederen Bedürfnisse verachtet, erhaben fühlen kann). Aber es ist halt nur die halbe Seite eines Menschen.
Ich hab aber ja einen Mann:-)
Also sexlos ist eh nicht.
Und fromm oder heilig bin ich weiss Gott nicht.
Irgendwie hatte ich das alles mit dem Schweinekramn früher. Das war mal.
Das Leben wird ruhiger mit den Jahren.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

Benutzeravatar

candle.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 15213

Beitrag Sa., 15.04.2017, 12:47

Um was geht es denn nun, wenn wir hier alle auf dem Holzweg sind? Sex? Ein anderes Leben in Wirklichkeit oder Träumereien?

candle
Now I know how the bunny runs! Bild

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag Sa., 15.04.2017, 13:14

Dass ich zu mir stehen muss, mehr denn je, weil ich eh genau weiss was ich will und mir gut tut,
mir jedoch meinen Weg nicht gehen trau.
Das ist mir nun sehr klar.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->


mio
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 9268

Beitrag Sa., 15.04.2017, 13:26

Ich denke mal damit bist Du genau an dem Punkt wo die Autonomie anfängt: Deinen Weg gehen. Frei. Ohne nach den Urteilen anderer zu handeln aus Angst, sie damit zu "verprellen" oder "ausgeschlossen zu sein". Das würde ich als innere Autonomie sehen. Aber das muss eben echt sein und darf nicht "gespielt" werden oder als (Vermeidungs)Selbstbeschiss instrumentalisiert, sonst ist es Pseudoautonomie.

Autarkie verstehe ich auch eher als "äußere Unabhängigkeit", also im Sinne einer "materiellen Freiheit". Ich muss nicht autark sein, um autonom zu sein. Aber es macht es unter Umständen leichter wirklich autonom zu handeln, wenn ich auch äußerlich (materiell) autark bin.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag Sa., 15.04.2017, 13:33

Für mich war der kurzE Austausch hier auch sehr augenöffnend.
Mir ist einiges klarer jetzt.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

Benutzeravatar

Lockenkopf
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 52
Beiträge: 2400

Beitrag So., 16.04.2017, 00:54

candle. hat geschrieben: Sa., 15.04.2017, 11:24 Hallo schneerose!
Schneerose hat geschrieben: Sa., 15.04.2017, 10:59 autark sein,
das sind z.B. Menschen in Klöstern, oder Aussteiger, Auswanderer, ... ect. einfach Menschen, die mit sich selbst im Reinen ein einfaches Leben leben...
Wie nennt man das so schön? Klischee. Hier bedienst du Klischees. Guck dir doch die Auswanderersendungen im TV an wie die sich durch das Leben kämpfen. Und das heißt auch nicht, wer macht was er macht mit sich im Reinen ist. Die sind auf der Suche. Und ich finde ein Klosterleben- wenn ich es mir ohne Mittelalterromantik- ganz realistisch betrachte nicht besonders schön.

Das Leben von Mönchen und Nonnen im Kloster ist auf die Minute durchgetaktet. Rund um die Uhr mit Arbeit und Gebet gefüllt. 6 Std. Schlaf müssen reichen. Privatleben und Freiheiten gibt es nicht.
Das Leben im Kloster bedeutet das Gegenteil von Autonomie.
Und wer meint, das seinen auch nur Klischee, meine Tante (Schwester meines Vaters) war bis zu ihrem Tod, 48 Jahren lang Klarsissin.
Liebe Grüße
Lockenkopf

Benutzeravatar

Lockenkopf
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 52
Beiträge: 2400

Beitrag So., 16.04.2017, 01:23

Schneerose hat geschrieben: Sa., 15.04.2017, 12:09

Wir haben einen Bauernhof - ich bin sehr viel in der Natur! sehr bodenständig
Das meine ich ja, ich habe das Leben eigentlich und hab es mich aufgrund des Gesellschaftsdrucks beinah nicht leben getraut
Und von wem und warum läßt Du dich so unter Druck setzen?
Ist das jetzt der neuste Volkssport unter den Landfrauen, wer die meisten Berufe zusätzlich zur Landwirtschaft plus Kindern ausübt?
Liebe Grüße
Lockenkopf

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag So., 16.04.2017, 07:15

Es ist ein kleiner Hobby Bauernhof mit "nur" Streicheltieren... Ponys, Hasen ect. Wir haben keine Einnahmen dadurch. Wir haben es für unser behindertes Kind begonnen um mit ihr Freizeit Gestaltung machen zu können.

Tatsächlich wurde ich oft gefragt wann denn ich nun wieder arbeiten gehen würde. ..
Verwandte genauso wie die Bevölkerung im Ort ja sogar "Freunde "...
ich habe mich davon lange beeinflussen Un den Selbstwert rauben lassen bis zum Burn Out als pflegende Angehörige.
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Schneerose
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 1134

Beitrag So., 16.04.2017, 07:17

Lockenkopf hat geschrieben: So., 16.04.2017, 00:54
candle. hat geschrieben: Sa., 15.04.2017, 11:24 Hallo schneerose!



Wie nennt man das so schön? Klischee. Hier bedienst du Klischees. Guck dir doch die Auswanderersendungen im TV an wie die sich durch das Leben kämpfen. Und das heißt auch nicht, wer macht was er macht mit sich im Reinen ist. Die sind auf der Suche. Und ich finde ein Klosterleben- wenn ich es mir ohne Mittelalterromantik- ganz realistisch betrachte nicht besonders schön.

Das Leben von Mönchen und Nonnen im Kloster ist auf die Minute durchgetaktet. Rund um die Uhr mit Arbeit und Gebet gefüllt. 6 Std. Schlaf müssen reichen. Privatleben und Freiheiten gibt es nicht.
Das Leben im Kloster bedeutet das Gegenteil von Autonomie.
Und wer meint, das seinen auch nur Klischee, meine Tante (Schwester meines Vaters) war bis zu ihrem Tod, 48 Jahren lang Klarsissin.
Empfindest du diese Art zu leben autark? Wie siehst du das?
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

Benutzeravatar

Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag So., 16.04.2017, 08:34

Frohe Ostern allerseits !

"Für mich" purzeln hier allerlei Begriffe durcheinander. "Autarkie" ist in meinem Verständnis ein ökonomischer Begriff und meint wirtschaftliche Selbstständigkeit einer Person oder einer kleineren und größeren Personenmehrheit - von einem Aussteigerpaar auf der einsamen Insel bis hin zu Staaten, die völlig in sich abgeschlossen leben. In Nordkorea ist das der Kern der dort herrschenden Ideologie, die "Juché" (Schreibweise?) genannt wird. Für den einzelnen hat das viel mit "Subsistenzwirtschaft" zu tun - Schneerose lebt auf einem kleinen Hof, da kann man das schon in sehr weitgehendem Umfang verwirklichen: den größten Teil der Lebensmittel selbst erzeugen. Schließlich hat man ausserhalb der Städte bis ins 19. Jahrhundert so gelebt in diesen Landen. Ich weiß nicht, in welcher Weise Schneeroses Kind behindert ist - aber eine solche Subsitenzwirtschaft, an dem dieses Kind in der einen oder anderen Weise teilhaben könnte, und wenn nur durch beobachten, anfassen, fühlen, riechen und schmecken, könnte vielleicht garnicht so "un-sinnlich" sein für dieses Kind und das Zusammenleben mit ihm ?

"Autonomie" ist dagegen für mich weniger ein ökonomischer Begriff, als einer der politischen Philosophie. Man versteht idR "Selbstbestimmtheit" darunter in einem Sinne, der über das Ökonomische hinausreicht. Der Begriffskern ist der altgriechische "Nomos", was mit "Name" nur sehr unzureichend übersetzbar ist. Es müßte eher "Nahme" heißen. Carl Schmitt hat in "Der Nomos der Erde" eine Art Dreiklang von "nehmen - weiden - teilen" daraus gemacht: man nimmt etwas in Besitz, gibt diesem Besitz einen Namen, weidet ihn und teilt ihn bzw. seine Erträge auf - womit wird dann doch wieder "hintenrum" bei der Ökonomie angekommen wären. Der "Nomos" ist aber nicht nur ein "Gewinnverteilungsplan", sondern Gesetz, Norm - was sich ja nur durch einen Buchstaben vom "Nomos" unterscheidet. Autonom ist, wer selbst das Gesetz gibt, die Regeln erstellt, über Geltung und Nichtgeltung entscheidet.

Schließlich gibt es da in Schneeroses Beiträgen etwas, das nicht ausgesprochen wird, aber darüber zu schweben scheint: die "Askese" - der Verzicht, insbesondere der Triebverzicht. Man versagt sich freiwillig etwas Begehrtes ohne daß man hierzu - etwa durch Mangel oder äusseren Zwang - genötigt wäre. Die Askese gehört zu den Essentialien jedweder Religion und Ideologie. Bei Schneerose wird der Sexualtrieb mehrfach thematisiert. Für diesen "Schweinekram" sei in ihrem heutigen Leben kein Raum mehr heißt es.

Ob das wirklich eine philosophische "Askese" als eine bewußte Willensentscheidung ist, kann man wohl bezweifeln. Hinter der Askese steht psychoanalytisch gesehen idR ein Schuldgefühl - man versagt sich etwas, um Buße zu tun für eine Schuld. Die christliche Theologie erklärt diese Schuld mit der Erbsünde - die Psychoanalyse mit dem Ödipus-Komplex, den sie in der Geschichte von Adam, Eva, der Schlange (Penissymbol) und dem Apfel (ursprünglich der Granatapfel - ein Vagina-Symbol) mythologisiert sieht - freilich aus einer rein männlichen Perspektive gesehen und erzählt. Auch christliche Frauen müßten sich diese Geschichte eigentlich erst einmal umschreiben, zumindest umdenken - auch wenn sie diese Geschichte nicht analytisch, sondern rein theologisch betrachten wollen.

Die Erbsünde - das ist psychoanalytisch gesehen der introjizierte Schuldvorwurf, den gegengeschlechtlichen Elter sexuell begehrt zu haben. Aus ihm erwächst nicht nur unsere Moralität im Allgemeinen, sondern insbesondere auch die mehr oder weniger große Sexualangst unserer Kultur, die sich in allerlei sexualrestriktiven Normativen wiederfindet, die jene Sexualangst auf eher philosophisch-ethischem oder eher positivistisch-wissenschaftlichem Wege "rationalisieren". Diese Sexualrestriktion hat ihre kulturhistorische Wurzel tatsächlich in der hier schon einmal von Schneerose erwähnten Stoa, die sich in der Spätantike von Griechenland aus verbreitete und vom parallel erstarkenden Frühchristentum rezpiert worden war. Die klassische und frühe Antike dagegen lebte (mehr oder weniger) maßvoll bisexuell-promiskuitiv, wie es heutezutage nur noch eine Minderheit tut, zu der ich selbst gehöre.

(Fortsetzung folgt)

Benutzeravatar

Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag So., 16.04.2017, 08:37

Was aber noch nicht angesprochen wurde: es gibt da für Frauen in der Psychoanalyse noch eine ganz besonders unangenehme Angelegenheit, nämlich den Penisneid-Komplex - für Feministen und Poststrukturalisiten ein blutigrotes (sic!) Tuch und einer der Hauptangriffspunkte gegen die Psychoanalyse schlechthin. Die allererste Konfrontation des bereits clitorismasturbierenden Mädchens mit einem errigierten Penis löst ein Trauma aus, das auf unterschiedliche Weise verarbeitet werden kann - genauso wie die spiegelbildliche Kastrationsangst beim Knaben, der zum ersten mal mit einem weiblichen Genital konfrontiert wird. (Diese ist hier aber "off topic" und wird hier nicht weiter betrachtet.)

Dieser Penisneid-Komplex kann (nach Freud) in drei Richtungen verarbeitet werden: das Mädchen kann - unbewußt - seine Sexualität völlig aufgeben, frigide oder im heutigen Sprachgebrauch: asexuell werden. Der wohl am besten ausgeleuchteste Fall einer solchen Asexualität dürfte Freuds letzte Lieblingspatientin und Schülerin Marie Bonaparte sein. Ihr "Fall" findet sich im Wiki-Artikel über sie ausführlich dargestellt.

Das Mädchen kann auch an seiner infantil-phallischen Sexualtität, insbesondere der Clitorismasturbation, "trotzig" festhalten, was in die Richtung von zu hohem sexuellen Selbstbewußtsein im weitesten Wortsinne weist. Diese Frauen werden dann zu sehr starken, narzistisch aktiven Persönlichkeiten mit erheblichen virilen Anteilen zumindest in ihrem Sexualcharakter - es kann aber auch der Boden sein für "beinharte" männerfeindliche Homosexualität, die als Feminismus bekannte narzistische Persönlichkeitsstörung und auch Transsexualität - je nach den weiteren Umständen.

Schließlich kann der Penisneidkomplex auch zu einem latenten Minderwertigkeitsgefühl - einem "strukturellen narzistischen Defizits" - des Mädchens und der jungen Frau führen, das erst durch das Kind (oder mehrere davon) kompensiert wird. Das ist dann auch die Erklärung der Psychoanalyse für die oftmals auffällige, meist positiv wahrgenommene Veränderung von jungen Frauen durch die Mutterschaft. Rein statistisch scheint diese letztere Verarbeitungsweise die häufigste zu sein.
Und hier bin ich am springenden Punkt: eben dieses Kompensationsbedürfnis ist der Grund dafür, warum so viele Frauen unter etwaiger Infertilität so entsetzlich leiden - während Infertilität bei Männern nur bei wenigen psychische Probleme aufwirft. Besteht nun dieses Kompensationsbedürfnis in einem besonders hohen Maße und die Kompensation mißlingt durch die Geburt eines behinderten Kindes, das seine psychische Funktion eben aufgrund seiner Behinderung nicht auszufüllen vermag, der Schuß also nach hinten losgegangen ist - dann ist dies eine weitere Traumatisierung, die auf die Traumatisierung durch den Penisneid aufsetzt. Re-Traumatisierung erschiene mir hier nicht das richtige Wort, weil es sich um einen Prozeß der sekundären Ebene handelt, der Verarbeitung des primären Traumas.

Das ist indessen nur eine Möglichkeit - es ist durchaus nicht gesagt, daß die Geburt eines behinderten Kindes in jedem Fall so erlebt wird und solche pathologischen Folgen für die Mutter haben kann.
Es wäre natürlich auch vermessen, aus ein paar oberflächlichen Texten der mir ansonsten völlig unbekannten "Schneerose" den Schluß zu ziehen, daß eine solche Sekundärtraumatisierung bei ihr vorläge - aber es gibt durchaus Indizien in diese Richtung: die Aufgabe von Sexualität bis hin zu ihrer Diskriminierung als "Schweinekram"; die Konzentration des eigenen Lebens auf die Pflege des behinderten Kindes unter Aufgabe eigener Berufstätigkeit, und die Neigung zur weiteren Askese noch darüber hinaus - die bezeichnenderweise auch nicht beim Namen genannt wird - beim "nomos", sondern an den eher unzutreffenden Begriffen wie "Autonomie" oder "Autarkie" festgemacht wird, deren mir eigenwillig erscheinende Interpretation durch Schneerose mich überhaupt dazu motiviert hat, mich mit diesem thread zu beschäftigen.

Gruß
Möbius

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag