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So., 16.04.2017, 08:34
Frohe Ostern allerseits !
"Für mich" purzeln hier allerlei Begriffe durcheinander. "Autarkie" ist in meinem Verständnis ein ökonomischer Begriff und meint wirtschaftliche Selbstständigkeit einer Person oder einer kleineren und größeren Personenmehrheit - von einem Aussteigerpaar auf der einsamen Insel bis hin zu Staaten, die völlig in sich abgeschlossen leben. In Nordkorea ist das der Kern der dort herrschenden Ideologie, die "Juché" (Schreibweise?) genannt wird. Für den einzelnen hat das viel mit "Subsistenzwirtschaft" zu tun - Schneerose lebt auf einem kleinen Hof, da kann man das schon in sehr weitgehendem Umfang verwirklichen: den größten Teil der Lebensmittel selbst erzeugen. Schließlich hat man ausserhalb der Städte bis ins 19. Jahrhundert so gelebt in diesen Landen. Ich weiß nicht, in welcher Weise Schneeroses Kind behindert ist - aber eine solche Subsitenzwirtschaft, an dem dieses Kind in der einen oder anderen Weise teilhaben könnte, und wenn nur durch beobachten, anfassen, fühlen, riechen und schmecken, könnte vielleicht garnicht so "un-sinnlich" sein für dieses Kind und das Zusammenleben mit ihm ?
"Autonomie" ist dagegen für mich weniger ein ökonomischer Begriff, als einer der politischen Philosophie. Man versteht idR "Selbstbestimmtheit" darunter in einem Sinne, der über das Ökonomische hinausreicht. Der Begriffskern ist der altgriechische "Nomos", was mit "Name" nur sehr unzureichend übersetzbar ist. Es müßte eher "Nahme" heißen. Carl Schmitt hat in "Der Nomos der Erde" eine Art Dreiklang von "nehmen - weiden - teilen" daraus gemacht: man nimmt etwas in Besitz, gibt diesem Besitz einen Namen, weidet ihn und teilt ihn bzw. seine Erträge auf - womit wird dann doch wieder "hintenrum" bei der Ökonomie angekommen wären. Der "Nomos" ist aber nicht nur ein "Gewinnverteilungsplan", sondern Gesetz, Norm - was sich ja nur durch einen Buchstaben vom "Nomos" unterscheidet. Autonom ist, wer selbst das Gesetz gibt, die Regeln erstellt, über Geltung und Nichtgeltung entscheidet.
Schließlich gibt es da in Schneeroses Beiträgen etwas, das nicht ausgesprochen wird, aber darüber zu schweben scheint: die "Askese" - der Verzicht, insbesondere der Triebverzicht. Man versagt sich freiwillig etwas Begehrtes ohne daß man hierzu - etwa durch Mangel oder äusseren Zwang - genötigt wäre. Die Askese gehört zu den Essentialien jedweder Religion und Ideologie. Bei Schneerose wird der Sexualtrieb mehrfach thematisiert. Für diesen "Schweinekram" sei in ihrem heutigen Leben kein Raum mehr heißt es.
Ob das wirklich eine philosophische "Askese" als eine bewußte Willensentscheidung ist, kann man wohl bezweifeln. Hinter der Askese steht psychoanalytisch gesehen idR ein Schuldgefühl - man versagt sich etwas, um Buße zu tun für eine Schuld. Die christliche Theologie erklärt diese Schuld mit der Erbsünde - die Psychoanalyse mit dem Ödipus-Komplex, den sie in der Geschichte von Adam, Eva, der Schlange (Penissymbol) und dem Apfel (ursprünglich der Granatapfel - ein Vagina-Symbol) mythologisiert sieht - freilich aus einer rein männlichen Perspektive gesehen und erzählt. Auch christliche Frauen müßten sich diese Geschichte eigentlich erst einmal umschreiben, zumindest umdenken - auch wenn sie diese Geschichte nicht analytisch, sondern rein theologisch betrachten wollen.
Die Erbsünde - das ist psychoanalytisch gesehen der introjizierte Schuldvorwurf, den gegengeschlechtlichen Elter sexuell begehrt zu haben. Aus ihm erwächst nicht nur unsere Moralität im Allgemeinen, sondern insbesondere auch die mehr oder weniger große Sexualangst unserer Kultur, die sich in allerlei sexualrestriktiven Normativen wiederfindet, die jene Sexualangst auf eher philosophisch-ethischem oder eher positivistisch-wissenschaftlichem Wege "rationalisieren". Diese Sexualrestriktion hat ihre kulturhistorische Wurzel tatsächlich in der hier schon einmal von Schneerose erwähnten Stoa, die sich in der Spätantike von Griechenland aus verbreitete und vom parallel erstarkenden Frühchristentum rezpiert worden war. Die klassische und frühe Antike dagegen lebte (mehr oder weniger) maßvoll bisexuell-promiskuitiv, wie es heutezutage nur noch eine Minderheit tut, zu der ich selbst gehöre.
(Fortsetzung folgt)