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Sa., 18.02.2017, 10:53
@ darktime
Träume sind einer von vielen Wegen, mit denen sich Inhalte des Unbewußten wieder zu Bewußtsein bringen - in abgewandelter Form. Erinnerungen oder Teile davon verschwinden im Unbewußten, weil sie für das Bewußtsein unerträglich sind. Eben weil sie unerträglich (gewesen) sind, konnten sie nicht verarbeitet, "integriert" werden. Sie "arbeiten" dann im unbewußten weiter, drängen auf die Nachholung dieser Verarbeitung. Ein sehr gutes Bild dafür ist die klassische Gespenstergeschichte: der Geist, der um Mitternacht aus seinem Grab steigt, und die Lebenden mit seinem Spuk behelligt, solange bis ein seinerzeit ungesühntes Verbrechen doch gesühnt worden ist und der Geist dann seine Ruhe hat - und die Lebenden auch.
Ich habe derzeit recht viel mit Träumen zu tun, deren Inhalte die sexuellen Traumata meiner Kindheit sind. Ich bin von meinen Eltern und anderen recht heftig sexuell mißbraucht worden - vor über 40 Jahren.
In diesen Träumen kehrt eine solche Erinnerung normalerweise nicht realitätsgetreu wieder, so wie sie im Unbewußten abgespeichert ist, sondern sie wird durch die "Traumarbeit" und insbesondere die "Traumzensur" verändert. Das sind Mechanismen, die denen zumindest ähnlich sind, die das Unerträgliche ins Unbewußte verschoben haben. Vielleicht sind es sogar völlig dieselben.
Ich kann zwar meine eigenen Träume inzwischen recht zuverlässig deuten - ich "kann" zwar Psychoanalyse (ich bin ein sogen. "Selbstanalytiker", der die ersten Mißbrauchsfälle selbst aus dem Unbewußten geholt hatte, inzwischen in regulärer Analyse), aber an fremde Träume traue ich mich nicht heran. Man muß sehr viel über den Träumer wissen, um Träume psychoanalytisch deuten zu wollen. Es gibt zwar allerlei Nachschlagewerke über Traumsymbole - auch online - aber diese Symbole sind fast niemals eindeutig.
Die Tatsache jedoch, daß Träume wieder auftauchen, sind ein deutlicher Hinweis, daß das Erlebte noch nicht vollständig verarbeitet ist und daß diese Verarbeitung nachgeholt werden sollte. Der beste Ort, dies zu tun, ist die Psychotherapie und ich entschlage mich nicht, zu einer alsbaldigen solchen zu raten. Denn je länger etwas unverarbeitet im Unbewußten herumspukt, um so gravierender können die Symptome werden, die es späterhin verursacht.
Bei mir hat sich die sexuelle Gewalt 40 Jahre lang herumgetrieben, eine schreckliche Hautkrankheit verursacht, die immer noch "virulent" ist und mein früheres Leben gründlich zerstört. Ich fühle mich zwar in meinem Leben 2.0 heute erstaunlich wohl - es macht mir wenig aus, "alles verloren" zu haben, weil: es war ja doch nicht "meines" gewesen. Aber es hätte noch viel schlimmer ausgehen können: um ein Haar wäre ich selbst zum Täter geworden - zwar nicht von Mißbrauch, aber von Gewalt gegen Frauen. Meine Haupttäterin war nämlich meine Mutter gewesen.
Ich will damit keine Angst machen - "so schlimm" kann es bei Dir kaum werden: Dein Mißbrauch als solcher ist nicht verdrängt, er fand in einem Lebensalter statt, in dem man schon wesentlich stabiler geworden ist, als in der Kindheit. Es ist also vielleicht gar keine "große Sache", psychotherapeutisch gesehen, aber eine, die angegangen werden sollte - auf jeden Fall bevor Du selbst möglicherweise eine Familie gründen willst.
Gruß
Möbius