Kann man eine gespaltene Persönlichkeit noch im Erwachsenenalter entwickeln?

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.

Jenny Doe
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 15:52

Hallo Siren
Insbesondere, inwiefern die sich von sonstiger Überforderung unterscheiden.
Was mir noch dazu einfällt, ... Du könntest Dein Problem auch retrospektiv betrachten. Wie war es vorher, vor der Überforderung? Du schreibst in Deinem Erstposting was von "Dich als Ganzes erlebt zu haben". War das vor der Überforderung?
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Siren
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 16:05

candle. hat geschrieben:
Siren hat geschrieben: Der hat seine Geschichte wieder unter Kontrolle.
Seine Geschichte? Woher weißt du das?

candle
Ich meinte den bei ihm liegenden Anteil daran, dass es nicht optimal lief. Über unser, auch sein, Verhalten in der Sache haben wir gesprochen. Woher sollte ich es denn sonst wissen?
Ich wäre gerne nett.

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Siren
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 16:10

Jenny Doe hat geschrieben: Was mir noch dazu einfällt, ... Du könntest Dein Problem auch retrospektiv betrachten. Wie war es vorher, vor der Überforderung? Du schreibst in Deinem Erstposting was von "Dich als Ganzes erlebt zu haben". War das vor der Überforderung?
Vor der aktuellen Überforderung, ja. Ich habe da tatsächlich durch genau diese Betrachtungsweise inzwischen auch schon eine Idee, was diesesmal anders ist / war.
Ich wäre gerne nett.

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candle.
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 16:12

Siren hat geschrieben: Über unser, auch sein, Verhalten in der Sache haben wir gesprochen. Woher sollte ich es denn sonst wissen?
Naja, das Verhalten ist nicht eine Geschichte, die dahinter steckt.

OK, alles klar soweit!

LG candle
Now I know how the bunny runs! Bild

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Landkärtchen
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 18:39

Hallo Siren,

in keiner meiner Therapien (TfP, PA) habe ich mit dem inneren Kind gearbeitet. Ich kann damit nichts anfangen. Vielleicht liegt das mit daran, dass ich mich immer als einen ganzen Menschen wahrnahm, der jedoch (perfekt) u.a. seine Gefühle abspalten kann. Mir kommt da immer das Bild einer Torte: es gibt viele Tortenstücke die auf unterschiedlich weit entfernten Tellern liegen, doch jedes Stück weiß das es zu einer gesamten Torte gehört.

Aber mich interessiert, ob du dich erinnern kannst wann du das erste mal dissoziiert hast. War das schon in deiner Kindheit so, oder ist es dir möglicherweise erst jetzt durch die Therapie bewusst geworden das du da auf etwas zurückgreifst was eh schon (latent) seit vielen Jahren vorhanden ist?

Die Idee von Jenny Doe finde ich wertvoll. Dich zu beobachten ob es noch andere Auslöser für Dissoziationen gibt außer Überforderung. Bei mir treten sie gehäuft bei körperlichen Schmerzen und beruflicher Überlastung auf, bei zu großen Menschenansammlungen aber auch bei einzelnen Menschen die Erinnerungen aus meiner Kindheit hervorrufen.

Ich wünsche dir, dass sich eure therapeutische Beziehung weiter entspannt.

LG-Landkärtchen
Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?

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Möbius
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 20:58

Ein unverarbeitetes Trauma kann dazu führen, daß die Persönlichkeitsentwicklung, die ja ein Leben lang weitergeht, durch das Trauma unterbrochen wurde. Das ist um so wahrscheinlicher, je näher das Trauma an der Kindheit oder in derselben liegt. Bildlich gesprochen: das Trauma dringt in die Psyche ein, wie ein Geschoß in einen Körper. Es wird im Körper eingekapselt und darüber wächst oder wuchert eine veränderte Persönlichkeit, zuweilen ein regelrechtes "falsches Selbst", das ebenfalls eine Persönlichkeitsentwicklung durchmacht. Die ursprüngliche Persönlichkeit besteht dagegen im Unbewußten verborgen fort, hat ihr eigenes Schicksal.

So in etwa jedenfalls ist es bei mir. Dieser Zustand ist der DIS, der multiplen Persönlichkeit sehr ähnlich - ein Grund, warum ich mich hier, als ich noch persönliche Kontakte zugelassen habe, zu den "Multis" so hingezogen fühlte (und immer noch fühle) - wir sind "ähnlich". Aber nur "ähnlich".

Denn: bei dem skizzierten Zustand bleiben das "eigentliche Selbst" und das "falsche Selbst" mit einer Art Nabelschnur miteinander verbunden, eine Teilung der Persönlichkeit findet eben nicht statt, die "Anteile" bleiben miteinander in einer einheitlichen Identität verbunden. Bei mir - und wohl auch oftmals bei anderen - war der Ort der "eigentlichen" Identität die Phantasie gewesen - meine Diagnose lautet Schizoide Störung. Ich habe mein Leben lang eine Art "Doppelleben" geführt - teils in der Realität, teils in der Phantasie, die ich heute auch gerne für mich "Schizoidie" nenne.

Das therapeutische Strategem vom "Inneren Kind" ist mir gelegentlich begegnet - aber eigentlich weiß ich nichts darüber und schweige deswegen darüber.

Aber: das "Kräfteparallelogramm" zwischen diesen zwei miteinander verbundenen, aber doch "irgendwo" ihr Eigenleben führenden "Anteilen" kann im Laufe des Lebens in Bewegung geraten, so daß man eben dieses Gefühl der Spaltung haben kann - obschon es wohl zumeist keine ist.

Was ich aber rein theoretisch und spekulativ für möglich halte: daß eine in der Kindheit vollkommen abgespaltene zweite Persönlichkeit, ein echter Anteil, in der "Schizoidie" verborgen bleibt, und im späteren Lebensverlauf den Weg "nach vorne" findet und es daraufhin zu einer "verspäteten" Entwicklung einer multiplen Persönlichkeit kommen kann. Aber wie gesagt: das ist reine Spekulation eines "interessierten Laien".

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Siren
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Beitrag Mo., 12.12.2016, 22:38

Hallo Landkärtchen
Landkärtchen hat geschrieben: Aber mich interessiert, ob du dich erinnern kannst wann du das erste mal dissoziiert hast. War das schon in deiner Kindheit so, oder ist es dir möglicherweise erst jetzt durch die Therapie bewusst geworden das du da auf etwas zurückgreifst was eh schon (latent) seit vielen Jahren vorhanden ist?
Ich muss den Begriff der Dissoziation hier für mich differenzieren. Du meinst vermutlich das in meinem Ausgangsbeitrag beschriebene Spaltungsgefühl. Das habe ich in dieser Form jetzt seit ein paar Wochen erstmals. Was ich aber seit Einsetzen meiner Erinnerungen kenne, ist Dissoziation im Sinne von vollkommener Abwesenheit aus dem Hier und Jetzt. Letzteres kommt häufig vor, ich habe auf Anraten meines Therapeuten jedoch vor 1 1/2 Jahren angefangen, mich mittels Rückholtechniken immer schnellstmöglich da wieder rauszuholen. Diese Form der Dissoziation setzt bei mir zuverlässig bei emotionaler Überforderung ein. Ein Gefühl überschwemmt mich und zack bin ich weg.
Landkärtchen hat geschrieben: Ich wünsche dir, dass sich eure therapeutische Beziehung weiter entspannt.
Danke. Das ist sehr nett von Dir. Ich bin da ganz zuversichtlich.


Hallo Möbius,

ich hoffe, es ist ok, wenn ich Dich direkt anspreche, auch wenn Du selbst das umgekehrt nicht magst.
Möbius hat geschrieben: So in etwa jedenfalls ist es bei mir. Dieser Zustand ist der DIS, der multiplen Persönlichkeit sehr ähnlich - ein Grund, warum ich mich hier, als ich noch persönliche Kontakte zugelassen habe, zu den "Multis" so hingezogen fühlte (und immer noch fühle) - wir sind "ähnlich". Aber nur "ähnlich".

Denn: bei dem skizzierten Zustand bleiben das "eigentliche Selbst" und das "falsche Selbst" mit einer Art Nabelschnur miteinander verbunden, eine Teilung der Persönlichkeit findet eben nicht statt, die "Anteile" bleiben miteinander in einer einheitlichen Identität verbunden. Bei mir - und wohl auch oftmals bei anderen - war der Ort der "eigentlichen" Identität die Phantasie gewesen - meine Diagnose lautet Schizoide Störung. Ich habe mein Leben lang eine Art "Doppelleben" geführt - teils in der Realität, teils in der Phantasie, die ich heute auch gerne für mich "Schizoidie" nenne.
Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand anders auch so tickt wie ich.
Es ist eindeutig bei mir so, dass die Anteile verbunden sind. Das schrieb ich im Ausgangspost. Genau dieses "Doppelleben" in der Phantasie habe ich auch immer geführt. Ich bin als Kind wie als Erwachsene mühelos durch meinen reinen Willen in "meine" Welt gegangen und habe dort gelebt. Im Verlauf der Therapie ist mir, seit nun knapp einem Jahr, diese Welt abhanden gekommen. Für mich war die so selbstverständlich, dass ich in der Therapie gar nicht davon gesprochen habe. Mitte dieses Jahres fiel mir zum ersten mal auf, dass ich schon seit einem halben Jahr nur noch in der realen Welt gelebt hatte. Und seitdem gelingt es mir auch nicht mehr,in meine Phantasiewelt zurückzugelangen.

Ich habe das als Therapieerfolg verbucht, dass ich diese Welt ganz offensichtlich nicht mehr benötige, sondern meine Bewältigungsstrategien in der realen Welt inzwischen ausreichen. Hmm, vielleicht ist dieses neue Spaltungserleben ja das, was nun bei extremer emotionaler Überforderung stattdessen passiert, weil die Phantasiewelt nicht mehr zur Verfügung steht. Das hieße dann, ich müsste dringend an meinen Bewältigungsstrategien weiterarbeiten.

Und vor allem merke ich, dass ich, angespannte therapeutische Beziehung hin oder her, das ganze dringend in der nächsten Sitzung ansprechen muss. Da müssen er und ich dann jetzt halt durch. Aber ausgerechnet bei so einem wichtigen Thema will ich dann auch nicht ohne seine Führung losrennen.


Danke für die vielen tollen Antworten hier. Ich konnte mir wirklich aus allen etwas Wertvolles für mich herausziehen. Ihr seid super.
Ich wäre gerne nett.


Jenny Doe
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Beitrag Di., 13.12.2016, 06:28

Hallo Siren
Hmm, vielleicht ist dieses neue Spaltungserleben ja das, was nun bei extremer emotionaler Überforderung stattdessen passiert, weil die Phantasiewelt nicht mehr zur Verfügung steht. Das hieße dann, ich müsste dringend an meinen Bewältigungsstrategien weiterarbeiten.
Wow, jetzt bin auch ich baff, dass auch andere das so erleben. Danke Siren und Möbius.

Auch mir ist in der Therapie meine Fantasiewelt abhanden gekommen. Ich habe dies jedoch nie als Therapieerfolg erleben können, sondern bereits während der Therapie als Verlust von Bewältigungsstrategien im Umgang mit Stresssituationen und stets sehr darunter gelitten. In emotional belastenden Situationen träumen und fantasieren zu können, war für mich stets Entspannung und hat solche extremen Stressreaktionen wie "Spaltung" verhindert. Fantasieren war für mich stets eine "Auszeit vom Alltag"; in meiner Therapie hingegen leider als etwas Behandlungsbedürftiges angesehen worden, was beseitigt werden muss.

Heute verfolge ich (und auch meine Therapeutin) das Ziel das Fantasieren wieder zu erlernen um mich z.B. wieder zum Entspannen ans Meer "beamen" zu können oder einfach etwas Anderes fantasieren zu können. Noch brauche ich äußere Anleitung wie sie z.B. durch Entspannungs-CDS oder auch durch meine Therapeutin. Meine Therapeutin hat mir z.B. "Captain Nemo" mitgegeben, eine Fantasiereise für Kinder.
Ich erlebe das Fantasieren, heute wie damals, als sehr entspannend. Es hilft mir zum einen mal auf andere Gedanken zu kommen, das Gedankenkarussell, in dem ich mich befinde, zu durchbrechen. Denn das Gedankenkarussell verursacht sehr viel Stresserleben. Und zum anderen spüre ich wieder dieses entspannende und distanzierende Gefühl, wenn ich all die stressigen Gedanken denke, während ich gleichzeitig in meiner Fantasie woanders bin. Fantasieren verhindert bei mir wieder, so wie vor der Therapie, eine Spaltung.
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Siren
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Beitrag Di., 13.12.2016, 07:24

Hallo Jenny,

so habe ich das Phantasieren noch gar nicht gesehen, als eine adäquate Bewältigungsstrategie.
Es fehlt mir zwar auch, aber ich fühle mich ohne diese Parallelwelt schon besser verankert in der realen Welt und suche und finde seitdem glückliche Momente und Lebensfreude in der Realität. Früher habe ich dafür kaum Energie eingesetzt, weil ich ohnehin nichts Positives erwartet habe und mir das alles ja in meiner Phantasiewelt unbegrenzt zur Verfügung stand.

Deshalb empfinde ich den Verlust der anderen Welt für mich selbst eher als Schritt in ein gesundes Leben und damit als Fortschritt, auch wenn das in meiner Therapie nie Thema war, es mir also niemand aktiv "ausgetrieben" hat.
Ich möchte daher die Phantasiewelt nicht zurück haben. Ich hoffe, ich finde andere Bewältigungsstrategien, um das aktuelle Spaltungsgefühl zukünftig zu verhindern.

Hier in diesem Thread ist so viel hochgekommen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich meinem Therapeuten das in allen Aspekten erklären soll.

LG
Siren
Ich wäre gerne nett.


Jenny Doe
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Beitrag Di., 13.12.2016, 08:17

Hallo Siren,
Ich möchte daher die Phantasiewelt nicht zurück haben. Ich hoffe, ich finde andere Bewältigungsstrategien, um das aktuelle Spaltungsgefühl zukünftig zu verhindern.
Das eine schließt das andere nicht aus.
Auch ich suche nach anderen Bewältigungsstrategien und habe diese teilweise auch gefunden bzw. die Stresssituationen beendet. Ich sehe das Fantasieren als eine weitere Bewältigungsstrategie, zu den anderen Strategien, an. Gerade in Situationen, die kurzfristig nicht zu ändern sind, deren Veränderung Zeit braucht, wie z.B. ein Umzug, finde ich solche schnellen Bewältigungsstrategien hilfreich. Ähnlich wie es während Entspannungsübungen gemacht wird: Einfach mal eine Auszeit nehmen, entspannen, an was anderes denken, sie etwas Schönes vorstellen.
Ist natürlich auch was anderes, ob man (nur) in der Fantasiewelt lebt oder ob man die Fantasie als (kurzfristige und vorübergehende) Bewältigungsstrategie benutzt.
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Jenny Doe
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Beitrag Di., 13.12.2016, 10:47

Hallo Candle
Das interessiert mich mal: Was genau kann man nicht kontrollieren und steuern?
Wenn ich extremem Stress oder Überforderung ausgesetzt bin, dann entsteht in meinem Gehirn eine Art Blockade, so als würden alle Verbindungen in meinem Gehirn abbrechen. Ich habe dann keinen Zugang mehr zu meinen Gefühlen, meinen Erinnerungen, meinen Gedanken, ... kurz: zu meiner Identität.
Das, was ich in diesen Zuständen nicht mehr als "Ich" wahrnehmen kann, kann ich auch nicht kontrollieren und steuern. Es fühlt sich an wie "das bin ich nicht, das ist eine andere Person". Besonders schwierig wird es, wenn "die andere Person" auch noch so ganz anders ist als ich. Ich stand z.B. bei der Beerdigung meiner Mutter am Grab und fragte kopfschüttelnd das "innere Kind", "du hast doch einen Knall, wieso trauerst Du dieser Frau hinterher. Sei doch froh, dass sie weg ist". Es war mir in dieser Situation nicht mal ansatzweise möglich "dieses Kind" zu kontrollieren und zu steuern. Ich konnte "seine Gefühle" nicht als meine wahrnehmen und schlussfolgernd auch nicht steuern und kontrollieren. Es fühlte sich für mich so an, als müsste ich das Kind meiner Nachbarin steuern.
Symptomatisch ähnelt eine solche Stressreaktion einer DIS, und wurde ja in meiner Therapie auch als DIS diagnostiziert. Zweifel an der DIS-Diagnose meiner Therapeutin kamen bei mir auf, als ich feststellte, dass diese Symptomatik nur in Stresssituationen auftritt. Ich saß in der Therapie und erzählte in einer Sitzung "wir sind integriert, ich nehme keine Persönlichkeiten mehr wahr" und in der nächsten Sitzung erzählte ich von einer totalen Amnesie, von nicht kontrollieren können, von wir sind so verschieden, ... Es konnte also nicht DIS sein, auch wenn sämtliche DIS-Kriterien erfüllt waren. In stressfreien Zeiten habe ich viele Jahre lang durchgehend überhaupt keine Problemen dieser Art.
Ich begann mich mehr mit dem Thema "Stress" zu beschäftigen und mich selbst zu beobachten sowie Tagebuch zu führen. So kam ich schließlich dahinter,was Stress mit mir macht, wie ich auf Stress reagiere.
Ich beendete schließlich diese "das bin ich nicht, das ist das innere Kind"-Denkweise und begann in Ich-Form zu denken, sprich "ich bin das Kind, ich will nur nicht um diese Mutter trauern, weil sie nach all dem, was sie mir angetan hat, keine Träne Wert ist". Durch diese Ich-Denkweise wurde es mir schließlich möglich den Tod meiner Mutter zu verarbeiten, mit allem was dazu gehört, mit meinen kindlichen Bedürfnissen und meiner Erwachsenensicht. Als ich begann in "Ich-Form" zu denken, bekam ich auch die Kontrolle über das "innere Kind" wieder zurück.

Es sind also zwei Faktoren, die bei dem Gefühl es nicht kontrollieren zu können, mitspielten:
Zum einen brechen in Stresssituation in meinem Gehirn sämtliche Verbindungen ab, so dass ich keinen Zugriff mehr habe und ich Erinnerungen usw. nicht mehr als meine wahrnehmen kann.
Zum anderen spielte meine "das bin ich nicht" Denkweise eine große Rolle dabei, es nicht mehr kontrollieren zu können.

"Schön" nachlesen kann man das in meinem Blog "Silencio" aus einer Zeit, in der in meinem Gehirn wieder sämtliche Verbindungen blockiert waren und ich erneut völlig meine Identität verlor und absolut nichts mehr kontrollieren oder steuern konnte. Diese Blockade ging so weit, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte, dass ich eigentlich seit 2005 weiß, dass mein Problem "Stress" lautet und solche Reaktionen, wie in "Silencio" beschrieben, für mich typische Stressreaktionen sind. Ich hatte absolut keinen zugriff mehr, weder auf meine Erinnerungen, noch auf meine Gefühle, ... und erst recht nicht auf meine Identität.
Ich bin ja dann in meiner "Silencio"-Zeit zu meiner alten Therapeutin zurückgekehrt, die echt baff darüber war, in welchem Zustand ich bei ihr aufkreuzte. Sie hat erst mal die ersten Stunden darin investiert, die Verbindungen in meinem Gehirn wieder herzustellen. Dann begannen wir mit der Arbei an meiner Stressprobelamatik. Heute sorge für ausreichend Ruhe und Entspannung um solche "Zustände" zu verhindern.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Beitrag Di., 13.12.2016, 10:48

Jenny Doe hat geschrieben: Ist natürlich auch was anderes, ob man (nur) in der Fantasiewelt lebt oder ob man die Fantasie als (kurzfristige und vorübergehende) Bewältigungsstrategie benutzt.
Das stimmt. Ich habe halt richtiggehend darin gelebt und ich halte die Gefahr für groß, dieser Versuchung wieder zu erliegen. Wenn Du es für Dich gut steuerbar hinbekommst, ist es natürlich die ideale Lösung.
Ich wäre gerne nett.

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Möbius
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Beitrag Di., 13.12.2016, 20:57

Die Eigenschaft, eine "Parallelwelt im Kopf" zu haben, ist nicht grundsätzlich pathologisch. Sie ist Teil einer überlebenswichtigen Fähigkeit, nämlich der zur "Hypothesenbildung". Wenn wir zB im Urlaub mit dem Auto eine Straße entlangfahren, die in einer Kurve hinter Wald, einer Mauer, einer Felswand usw verschwindet, dann fahren wir nach einem "Hypothesenbild" in aller Regel sehr sicher über diesen "Sichthorizont" hinaus ins Unbekannte, weil wir uns dieses "Unbekannte" in unserer "Welt im Kopf" mehr oder weniger gut "ausrechnen" können. Das läuft in aller Regel unbewußt ab - beim schnellen Motorradfahren ist es jedoch zB erforderlich, diese Fähigkeit bewußt zu perfektionieren. Dies habe ich in meiner Zeit als "biker" auch systematisch getan.

Die "Welt im Kopf" ist auch eine Möglichkeit, zukünftige Ereignisse in dieser Welt bewußt "durchzuspielen". In meinem früheren Beruf als Rechtsanwalt war mir diese Möglichkeit eine enorm große Hilfe, eine Grundlage der Erfolge, die ich in diesem Beruf erreichen konnte. Und das sind nur zwei einzelne Beispiele aus meinem eigenen Leben.

Mein Lieblingsschriftsteller Arno Schmidt war auch so ein "schizoider Typus" (oder gar schizoid gestört). Er nannte diese "Welt im Kopf" seine "Längeren Gedankenspiele". In zwei "Werkstattexten" mit dem Titel "Berechnungen I,II" hat er dies auch sehr plastisch dargelegt. Sie sind wohlfeil nur in seinem TB-Bändchen "Rosen und Porree" veröffentlicht, ansonsten nur in den auch antiquarisch verhältnismässig teuren, stets nur mehrbändig gemeinsam gehandelten Werkausgaben der Arno-Schmidt-Stiftung. "Rosen und Porree" ist aber für wenig Geld zB über ZVAB im Antikquariatsbuchhandel zu bekommen.

Es gibt also keinen Grund, die "Welt im Kopf" und das "schizoid sein" zu verteufeln. Die Grenze vom "schizoiden Typus" zur "schizoiden Störung" ist ohnehin eine Fliessende.

Schizoid zu sein hat vielfältige Vorteile: Einsamkeit zB ist für einen Schizoiden kaum ein Problem, häufig sogar ein wünschenswerter Zustand. Man ist viel weniger abhängig von sozialen Kontakten und Beziehungen, als andere. Schizoide können auch sehr rasch ihnen völlig fremde Gedankenwelten erschließen, weil sie aus nur relativ geringfügigem "Input" durch Bücher, Texte usw und deren "Zuendedenken im Kopf" enorm weit in die jeweiligen Materien eindringen können. Ich selbst konnte mir zB in weniger als einem Jahr mit knapp anderthalb Dutzend "Klassikern" die Technik der Psychoanalyse autodidaktisch aneignen. Normalerweise muß man dafür erstmal Psychologie studieren, eine Therapeutenausbildung machen und dann noch die "Lehranalyse" absolvieren. Das dauert knappe 10 Jahre im günstigsten Falle. Auch wenn Schizoide in völlig neue soziale Zusammenhänge gestellt werden, zB durch Arbeitsplatzwechsel, Umzug, neue Beziehung, Eintritt in Vereine usw. können sie sich mitunter enorm schnell in ihre neue Umgebung "einfühlen". Es ist aber kein "Fühlen" - es beruht auf eben dieser Fähigkeit, die vereinzelten Eindrücke aus der Aussenwelt im Kopf zu einem Gesamtbild "konstruktiv" zu erweitern. So haben Schizoide paradoxerweise häufig eine besonders hohe "Empathie".

Ich glaube, daß es bei vielen schizoid Gestörten weniger hilfreich ist, die "Schizoidie" völlig zu beseitigen, als vielmehr, sie auf ein der Umwelt angepasstes Maß zurückzuschrauben.

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Siren
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Beitrag Di., 13.12.2016, 21:34

Hallo Möbius,

Deine Ausführungen finde ich sehr spannend. Sie machen mir allerdings große Angst. Ich hoffe, wenn ich schizoid wäre, hätte mir das in der Klinik oder danach mal jemand gesagt. Aber was Du beschreibst, die Empathie, diese extreme Anpassungsfähigkeit, die Fähigkeit, sich schnell und aus Bruchstücken komplexe Themen anzueignen, die habe ich auch. Das macht mir nach Deinen Schilderungen Angst! Ich will einfach nur normal sein und mein kleines Leben in Frieden leben.

LG
Siren
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Möbius
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Beitrag Di., 13.12.2016, 21:39

Von meiner Verweigerung persönlicher Ansprachen mache ich eine Ausnahme:

Siren, Du bist nur der, der Du bist - was aus Goethes Faust entnommen ist. Erkenne Dich selbst und versuche, Dich als Solchen anzunehmen und das Beste daraus zu machen !
Zuletzt geändert von Möbius am Di., 13.12.2016, 21:41, insgesamt 1-mal geändert.

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