Induzierte Erinnerungen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 19:52

Räbin hat geschrieben:Ich glaube, tatsächlich ist schon das Produzieren derartiger kreativer Bilder ein sicherer Hinweis, doch, würde ich jetzt so annehmen.
Kreativität ist wohl immer was "ursprüngliches". Nicht umsonst gibt es tonnenweise "Kreativtherapien". Selbst "Analyse" kann man als "kreativen Prozess" (im Sinne eines "un(an)geleiteten Brainstormings") verstehen.

Ich denke mal dass das menschliche "Hirn" auf "soviel wie geht zusammenbringen" ausgelegt ist. Nur dass "soviel wie geht zusammenbringen" eben auch "Lebensgefahr" bedeuten kann. Dass ist ein Widerspruch in sich zwischen dem "Balance" gefunden werden muss, also vom "Hirn" ... Ich erkläre mir zB. auch Psychosen so, als kreativen Akt das "unvereinbare" vereinbar werden zu lassen...nur eben auf einer "ungefährlichen" Ebene.

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Vincent
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Beitrag Do., 07.04.2016, 19:54

Nochmal kurz...
Räbin hat geschrieben:Mein Interesse ist, zu verstehen, wie das Induzieren von Erinnerungen möglich ist.
Räbin hat geschrieben:Ich hatte es fast angenommen, da auch Menschen, die vor dem Fernseher Unglücke verfolgen, traumatisiert werden können.
Auch am Beispiel '11. September' gehe ich davon aus, dass das Induzieren von Erinnerungen nur möglich ist, weil wir 1. empathisch sind und 2. das Spektrum aller möglichen Erfahrungen prinzipiell in uns tragen.

Ein (Fremd-)Drama nimmt uns mit, weil wir uns empathisch einfühlen. Es mag sich daher so anfühlen, als seien wir Teil einer bestimmten Erfahrung, an der wir nunmal Anteil nehmen. Dennoch wissen wir, dass wir es nicht waren, die diese eine bestimmte Erfahrung gemacht haben.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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lilu
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:00

Also ich erkläre es mal anders. Ich hatte jahrelang eine Erinnerung, die aber nie besonders präsent war. Es war abgespeichert, aber ohne Belang und vor allen Dingen ohne Gefühl. Ich wusste, dass dies passiert ist, konnte es aber nicht einordnen. Irgendwann kamen zu diesem Bild die Gefühle. Sie überrollten mich aufs heftigste. Da enstand eine Verknüpfung. Und da erst konnte ich registrieren, dass etwas Schlimmes passiert war.

Es geht aber auch anders herum. Es gibt die heftigsten Gefühle oder noch schlimmer Gefühls-Flashbacks. In meinem Falle kurze, sekundenschnelle Todesangstattacken. Es wird dann auch kurz dunkel um mich herum. Mehr nicht... Hier habe ich noch? keine Bilder dazu. Kann sein, muss aber nicht, dass hier irgendwann die Bilder folgen.
Und mit Entzücken blick ich auf, so manchen lieben Tag;
Verweinen laßt die Nächte mich, solang ich weinen mag.

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mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:03

Vincent hat geschrieben: Auch am Beispiel '11. September' gehe ich davon aus, dass das Induzieren von Erinnerungen nur möglich ist, weil wir 1. empathisch sind und 2. das Spektrum aller möglichen Erfahrungen prinzipiell in uns tragen.

Ein (Fremd-)Drama nimmt uns mit, weil wir uns empathisch einfühlen. Es mag sich daher so anfühlen, als seien wir Teil einer bestimmten Erfahrung, an der wir nunmal Anteil nehmen. Dennoch wissen wir, dass wir es nicht waren, die diese eine bestimmte Erfahrung gemacht haben.
Das ist aber keine Traumatisierung sondern "weckt" allenfalls eine lange "abgespaltene", eben WEIL sich zu sehr identifiziert wird. Um selbst traumatisiert zu werden durch sowas braucht es schon ein wenig mehr. Nämlich echte "Lebensgefahr".

Vorm Fernseher sitzen und was sehen ist erst mal absolut ungefährlich. Gefährlich dürfte es erst dann werden, wenn darüber was (ehemals) "wirklich gefährliches" reaktiviert wird.

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peppermint patty
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:12

Nicht direkt von Traumata betroffen zu sein und dennoch traumarisiert zu werden geschieht bei vielen Berufsgruppen und nennt sich Sekundärtrauma. Kann insofern sicher auch am Fernseher erfolgen - ist ja nichts anderes als eine Erzählung darüber.


mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:16

peppermint patty hat geschrieben:Nicht direkt von Traumata betroffen zu sein und dennoch traumarisiert zu werden geschieht bei vielen Berufsgruppen und nennt sich Sekundärtrauma. Kann insofern sicher auch am Fernseher erfolgen - ist ja nichts anderes als eine Erzählung darüber.
ich kenne das Konzept, bin allerdings der Meinung, dass auch eine solche Sekundärtraumatisierung einen "passenden Boden" benötigt um eintreten zu können. Es sei denn ich sehe was "tagtäglich" - das "brennt" sich dann wohl noch mal anders ein, so nicht "korrigiert" wird.

Ein "stabiler" Mensch wird von sowas singulärem einfach nicht traumatisiert, so es nur "indirekt" geschieht. Der wird vielleicht "erschüttert", aber Erschütterung ist kein Trauma. Da muss meiner Meinung nach schon was "vorliegen" damit das möglich ist. Reine "Empathie" reicht da meiner Meinung nach nicht.
Zuletzt geändert von mio am Do., 07.04.2016, 20:21, insgesamt 1-mal geändert.

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lilu
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:17

Mir stellt sich einfach die Frage, woher weiß ich, dass alles was jetzt noch hochkommt, tatsächlich echt ist? Ich bin sehr verunsichert und wollte es eigentlich nicht mehr bewerten, sondern ablegen. Aber ich habe den Drang, dies alles zu hinterfragen. Sind die Dinge die ich da sehe ECHT? Auch hier sind viele Bilder ohne Gefühl, manchmal auch mit und dann sehr heftig.

Und manchmal sind die Bilder echt irre, wirken manchmal sehr verzerrt, oder es sind Gesichter ausgespart/weggepixelt. Manchmal wirken sie absolut freaky...

Wahrscheinlich wird nur die Zeit die Antwort bringen....

Eigentlich wollte ich nur damit sagen, dass Bilder die ohne Gefühl einhergehen, noch lange nicht bedeuten müssen, dass die Bilder unecht sind.

Das ist ein wirklich schwieriges Thema.
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mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:30

Ich denke das Gefühl kommt manchmal erst "später", das Gefühl ist ja auch das, was wirklich bedroht, nicht die Bilder. Würdest Du die selben Bilder - ohne Vorbelastung - im Kinofilm sehen, dann wüsstest Du zB. dass es nur ein Film ist, dass alles nur gespielt ist und nicht echt... Ich hoffe ich kann eingermassen rüberbringen was ich meine, Lilu?

Gib Dir einfach echt Zeit.

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Räbin
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:30

Ja, wir wissen es, Vincent. Da muss schon ein großer Druck vorhanden sein oder die vermeintlichen Vorteile extrem überwiegen, dass dieses Wissen beiseite geschoben werden kann.
Das ist ja auch ein bisschen wie "verrückt", insofern finde ich den Vergleich mit Psychosen ganz interessant, Mio. Obwohl ich denke, dass sie nur in Teilen psychologisch erklärbar sind, da die neuronalen Netzwerke biologisch verändert sind und manche Reaktionen psychologisch keinen Sinn mehr ergeben würden.

Ja, Kreativität ist ein ursprünglicher Prozess, aber nicht unerlebte Ereignisse als eigene zu produzieren. Eine "Psychosenähe" ist vielleicht wirklich denkbar?

Was meinst Du mit Lebensgefahr? Spielt die Deiner Meinung nach bei Induzierung eine Rolle?

Lilu: Das kann ich mir vorstellen, dass Erlebtes erst durch die Gefühle in seinem ganzen Ausmaß erfahrbar wird.

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lilu
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:34

DANKE mio, und ja ich hab verstanden, wie Du es meinst....LG Lilu
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mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 20:37

Räbin hat geschrieben:psychologisch erklärbar
Da bin ich "ketzerisch" und behaupte, dass das eine in das andere greift und wir nur viel zu wenig "wissen" darüber.

Als ich Anfang/Mitte zwanzig war habe ich mich standhaft geweigert anzuerkennen, dass ich ein "biochemischer Prozess" bin, heute sehe ich das ein wenig anders...

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Räbin
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Beitrag Do., 07.04.2016, 21:08

Mich lässt das mit der Lebensgefahr nicht in Ruhe. Angenommen, jemand "vergisst" in Todesnähe das Erlebte. Denkbar, dass er dann Erinnerungsbilder ohne Gefühl hat. Ja, das ist logisch. Dann fragt er sich, ob er das erlebt hat oder nicht. Und damit ist der gleiche Punkt erreicht wie bei den induzierten Erinnerungen, wenn ich das jetzt richtig sehe.

Aber das ist ja tatsächlich Erlebtes. Mein Interesse bezieht sich auf die Erklärung der Entstehung induzierter Erinnerungen. Ich brauche das für ein Projekt.

So einfach scheint es aber nicht zu sein, wie meine Annahme war, dass schon das Produzieren "kreativer Bilder" ein eindeutiger Hinweis sind.


mio
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Beitrag Do., 07.04.2016, 21:12

Räbin hat geschrieben:Mich lässt das mit der Lebensgefahr nicht in Ruhe. Angenommen, jemand "vergisst" in Todesnähe das Erlebte. Denkbar, dass er dann Erinnerungsbilder ohne Gefühl hat. Ja, das ist logisch. Dann fragt er sich, ob er das erlebt hat oder nicht. Und damit ist der gleiche Punkt erreicht wie bei den induzierten Erinnerungen, wenn ich das jetzt richtig sehe.

Aber das ist ja tatsächlich Erlebtes. Mein Interesse bezieht sich auf die Erklärung der Entstehung induzierter Erinnerungen. Ich brauche das für ein Projekt.

So einfach scheint es aber nicht zu sein, wie meine Annahme war, dass schon das Produzieren "kreativer Bilder" ein eindeutiger Hinweis sind.

Wie wäre es mit der "Reduktion"?

Auf ANGST?

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lisbeth
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Beitrag Fr., 08.04.2016, 06:40

Hab diesen Thread bisher nur mitgelesen. Wie das funktioniert, da kann ich auch nicht wirklich etwas zu beitragen. Aber dass es möglich ist, da habe ich keine Zweifel...

Ein Faktor mag vielleicht auch das zugrundeliegende Trauma-Konzept des/der Therapeuten und/oder des Klienten sein.
Ich kann von mir sagen, dass ich früher als ich so um die 20 herum war, mich immer wieder gefragt habe, ob da schwer traumatische Erlebnisse in meiner Vergangenheit liegen, die ich verdrängt habe. Weil meine Gefühlslagen da einfach zu gut darauf passten. Und es für mich sonst keine nachvollziehbare Erklärung gab. Weil in meiner Kindheit alles halbwegs ok war, meinte ich damals jedenfalls. Wenn ich zu der Zeit auf eine Therapeutin getroffen wäre, die mir etwas hätte einreden wollen, ich glaube, das wäre auf fruchtbaren Boden gefallen bei mir. Einfach weil ich eine Erklärung haben wollte für die nicht erklärbaren Gefühle die mich immer wieder von den Socken gehauen haben. Und weil soetwas dann die "naheliegendste" Erklärung gewesen wäre.

Heute geht meine Therapeutin von einer komplexen Traumatisierung bei mir aus. Aber eher durch die Wiederholung und ständige Präsenz von sogenannten "Mikro"-Traumata, alle für sich allein vielleicht nicht so dramatisch, aber in der Regelmäßigkeit und Häufung in Kombination mit persönlichen Faktoren wie Resilienz und fehlender Unterstützung von außen etc. dann doch. Was ich sagen will: Es hat sich inzwischen auch die Konzeptionalisierung, was ein Trauma ist und wie es entstehen kann, weiter entwickelt.

Ein weiterer Gedanke: Das mit den "falsch induzierten Erinnerungen" kann ja auch anders herum funktionieren. Im positiven Sinne. Und ist wirksam. Ich arbeite mit meiner Therapeutin sehr viel auf der imaginativen Ebene. Und die Bilder die dabei entstehen, sind für mich sehr wirksam im positiven Sinne. Und sie sind für mich auch eine Art von "Realität", die mich auch beeinflusst, auch wenn ich weiß, dass sie Produkt meiner Vorstellungen sind. Aber die Wirksamkeit ist gegeben.
Von daher finde ich es nur logisch, dass es mit den induzierten Erinnerungen in beide Richtungen funktioniert.

Viele Grüße von Lisbeth.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott


Jenny Doe
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Beitrag Fr., 08.04.2016, 07:16

Mein Interesse bezieht sich auf die Erklärung der Entstehung induzierter Erinnerungen. Ich brauche das für ein Projekt.
Wenn Du das für ein Projekt wissen möchtest, dann schau mal hier:
Forschungsergebnisse: http://www.induzierte-erinnerungen.de/v ... .php?t=320
Literatur: http://www.induzierte-erinnerungen.de/v ... m.php?f=12
Faktoren: http://www.induzierte-erinnerungen.de/v ... .php?t=821

Wie falsche Erinnerungen entstehen, das ist sehr komplex. Da spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle wie beispielsweise Quellenamnesie (nicht mehr wissen, wie man auf die Missbrauchsidee kam), Plausbilität des Ereignisses (an unwahrscheinlich unplausible Ereignisse enstehen keine falschen Erinnerungen, wie z.B. "auf den Mond entführt worden sein" (Es sei denn, man glaubt an Außerirdische)); Erklärung für Symptome; Identitätssuche und Identitätsunsicherheit (z.B. wenn sich das Ereignis vor dem 3. Lebensjahr ereignet haben soll, eine Zeit, an der sich Menschen in der Regel nicht erinnern können oder auch Sätze wie "Du kannst nicht wissen was Du verdrängt hast"); Fehlinterpretationen von z.B. Träumen, Zeichnungen, Körpersymptome; Suggestion durch Außenstehende, z.B. Autoritäten wie Psychotherapeuten oder auch Literatur und Internetforen; Wiederholtes Vorstellen, bis ein Vertrautsgefühl ensteht; Häufigkeit der Visualisierung und Verbalisierung; Imaginationsfähigkeit; Suggestibilität; der Glaube, z.B. daran, man könne mittels Hypnose zuverlässig Erinnerungen hervorholen; Verwechslung von imagniären Bildern (Fantasien, Vorgestelltem) und Erinnerungen; die Art der psychischen Störung des Klienten (manche Störungen machen anfälliger als andere) und vieles vieles mehr.

Mehr Infos findest Du in Büchern, die sich dieser Fragstellung widmen.

Viel Erfolg für Dein Projekt
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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