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So., 16.08.2015, 18:31
Promiskuität ist letztlich immer ein Weg - vielleicht sogar der einzig sozialverträgliche und gesunde Weg - um eine starke "ungebundene" Libido abzuführen. "Libido" ist nicht mit sexueller Erregung ("Geilheit" ) gleichzusetzen - sie ist die Triebkraft dahinter, der ursprüngliche "sexuelle Hunger", der die Geilheit erst hervorruft. Sie ist aber nicht nur "Hunger" sondern auch "Energie", Tatkraft. Nach Wiki soll C.G. Jung die Libido als die Lebensenergie schlechthin angesehen haben, die hinter jeder Form von Kraft, Willen, aktivem Tun usw. stecken soll. Diese Position hat was für sich. Freud dagegen hat Libido und Aggression, Liebes- und Todestrieb unterschieden, aber auch von einem Anteil der Libido gesprochen, die frei zwischen sexueller Lust und Aggression hin und her verschoben werden kann. Er gebraucht auch das treffende Bild einer Amöbe, deren Körper keine dauerhafte Form hat, sondern deren "Pseudopodien" sich in diese oder jene Richtung erstrecken, aber auch wieder zurückgezogen werden können. Wenn ich dieses Bild mal weitermalen darf: diese "Pseudopodien" der Libido können sich auch wie die Tentakel eines Kraken irgendwo "festsaugen". Das ist die "gebundene" Libido, die fest mit einem bestimmten Objekt verbunden ist: einem geliebten Menschen, einer geliebten Tätigkeit, an allem, was man "mit Leidenschaft" tun kann. Auch Briefmarkensammeln kann man mit Leidenschaft - das ist dann nichts anderes, als eine Form der Sublimation von Libido. Ich glaube, das Phänomen der Asexualität - Menschen, die keinerlei Interesse nach irgendeiner sexuellen Aktivität haben - könnte man damit erklären, daß deren Libido in einem solch hohen Maße durch solche Sublimationen gebunden worden ist, daß für die orginäre Sexualität nicht mehr genügend übrig geblieben ist.
Umgekehrt gibt es aber Menschen, deren Libido zu einem erheblichen Teil eben nicht fest angebunden ist, sondern nicht nur auf verschiedene Objekte zT sogar bewußt gelenkt, und auch zT bewußt wieder von diesen Objekten wieder zurückgezogen werden kann, sondern bei denen fast immer ein großer Rest an ungebundener Libido vorhanden bleibt, der eben "natürlicherweise" an seinen originären Ort: die Sexualität zurückkehrt, und dort abgeführt werden will. Auch das ist eine Beschreibung, die ich von meinem libidinösen Zustand abgeben würde. Dieser Zustand braucht m.E. nicht notwendig eine pathologische Ursache, wie bei mir selbst, zu haben. Er kann zB daher rühren, daß eine längere Bindung von Libido weggefallen ist. Da ist zB die Situation nach dem Ende von Beziehungen. Aber auch der Verlust eines Arbeitsplatzes zB, an dem man nicht nur des Geldes wegen stark gehangen hat, die Aufgabe eines geliebten Hobbys, die etwa aus finanziellen Gründen notwendig geworden ist, kann zu einem solchen, plötzlich ungebundenen Libidoanteil führen, der "entsorgt" werden will.
Dieser große Anteil kann einfach auch daher rühren, daß die Libido ganz allgemein aussergewöhnlich stark ist. Warum die einen Menschen eine sehr starke, andere nur eine recht schwache Libido haben - auf diese Frage habe ich noch keine Antwort gefunden. Die Libido kann jedenfalls in sehr vielen Fällen so stark sein, daß der Teil, der in Sexualität umgesetzt werden will, das Maß an "Beziehungssexualität" übersteigt, daß von der gesellschaftlichen Norm - und den jeweiligen Beziehungspartnern - zugestanden werden kann. Die Abfuhr kann dann In polygamen Verhaltensweisen erfolgen, wobei die "Affaire" oder das "Fremdgehen" in unserem Kulturkreis eigentlich die einzigen tradierten Formen sind. Offene Polygamie ist in der abendländischen Kultur eben nicht vorgesehen, man beginnt gerade erst, damit zu experimentieren - Stichwort "polyamory". Oder aber: in promiskuitivem Verhalten, für das eine kulturelle Tradition durchaus vorhanden ist, wobei es meiner Erfahrung nach sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, ja unter den einzelnen Regionen zB auch innerhalb Deutschlands gibt.
Indessen ist in Deutschland promiskuitives Verhalten auch heute noch einer starken gesellschaftlichen Diskriminierung unterworfen ist. In Frankreich - das einzige Land, in dessen sexuelle Kultur ich ausser meiner deutschen Heimat habe hineinriechen können - ist das ganz anders, die gesellschaftliche Aktzeptanz auch von weiblicher Promiskuität ungleich höher. Das "sich schmutzig fühlen", das "schlechte Gewissen", die Bewertung der eigenen Promiskuität wie eine schlechte Angewohnheit, eine Sucht etwa, von der man loskommen will (aber es letztlich doch niemals nachhaltig schafft), kann seine Ursache auch schlicht in dieser gesellschaftlichen Diskriminierung haben, die in diesem unserem Lande insbesondere promiskutive Frauen trifft. Promiskuitive Männer nennt man anerkennend tolle Hechte, promiskuitive Frauen beschimpft man als Schlampen oder Nutten.