Wollen Sie wissen, was Ihr Therapeut über Sie denkt?

Gibt es demnächst themenbezogene TV- oder Radio-Sendungen? Kinofilme? Fanden Sie interessante Artikel oder Pressemeldungen in Zeitschriften oder im Internet, Bücher oder DVD's? Hier können Sie die anderen davon informieren...
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stern
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Beitrag Do., 03.07.2014, 17:11

"Warum ich meine Psychotherapie abgebrochen habe? Weil ich nicht wusste, was mein Therapeut denkt", schreibt eine Frau in einem Online-Forum, in dem gerade eine Diskussion darüber entbrennt, ob Patienten die Mitschriften ihrer Therapeuten einsehen können sollten. "Es wäre extrem hilfreich gewesen, seine Aufzeichnungen zu lesen", betont die Foristin.
http://www.spiegel.de/gesundheit/psycho ... 71000.html (Link Jenny)
Galgenhumormodus on: Na, das ist mal ein Problem, was ich nicht habe. Das weiß derzeit mehr als mir lieb ist - auch ganz ungefragt und gerade heraus.

Selbstredend bin ich (ebenfalls) dagegen, dass Akten online abrufbar sind (Sicherheitsaspekte und bitteschön: wie gläsern soll es denn zugehen. Warum nicht gleich veröffentlichen, dass der Nachbar auch etwas davon hat...). Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Notizen so ergiebig sein können wie ein persönliches Gespräch. Wenn man will, kann man bereits nach jetztigem Stand die Aufzeichnungen einsehen (soweit ich weiß objektive Notizen und mittlerweile auch subjektive Bemerkungen). Ich halte es für ein Beziehungsproblem, wenn sowas nicht besprechbar ist (muss selbstreden nicht bzw. nicht ausschließlich beim Patienten zu veorten sein). Aufzeichnungen können auch gefiltert sein (sowohl in die eine Richtung als in die andere). Ein Therapeut, der Dinge nicht transparent machen würde, über die ich eigentlich aufzuklären bin, würde mich skeptisch machen (muss nicht notwendigerweise negativ sein, hängt aber vom Grund ab, weswegen Auskünfte verweigert werden. Damit hatte ich bisher aber noch keine Probleme, zumindest nicht bei Behandlern, bei denen ich regelmäßig in Behandlung war).

Auch überlege ich gerade, was der extrem hilfreiche Aspekt sein kann, wenn man Aufzeichnungen liest. Also mir geht es so, dass ich sicherlich das eine oder andere teile, anderes hingegen nicht, was nicht immer leicht ist, sich damit auseinanderzusetzen. Insofern weiß ich auch nicht, ob ich alles wissen will oder muss. Denn natürlich wird mir nicht jede Aufzeichnung passen. Wesentlicher finde ich (zumindest für mich), dass ich einen eigenen Standpunkt habe, zur Not unabhängig davon, wie das Behandler xy sieht (Konsens in wesentlichen Punkten ist natürlich von Vorteil).

Dass meine Thera private Notizen hat, glaube ich nicht. Und ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob ich wirklich immer exakt hören will, was jemand denkt. Authentizität ist mir zwar sehr wichtig!, aber absolut ungefilterte (alles sagen bzw. "raushauen", was man denkt, kann vermutlich in vielem Beziehung manchmal mehr Schaden anrichten als nutzen). "Reflektierte Authentizität" (was auch immer das sein soll) erscheint mir daher erstrebenswerter.
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leberblümchen
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Beitrag Do., 03.07.2014, 17:15

"sachliche Aufzeichnungen" über den Therapieverlauf gibt es sowieso nicht. Und das wäre ja auch völlig absurd, das überhaupt anzunehmen. Die Ansichten des Therapeuten sind immer subjektiv, auch seine Diagnosen sind 'nur' Einschätzungen. Die Diagnose ist schnell geschrieben, aber was sich wirklich abspielt, das lässt sich nicht in sterile Worte fassen. Gerade aus der Kombination zwischen sehr persönlichen und auch mal sehr negativen Gefühlen und nüchternen Beobachtungen ergibt sich das Gesamtbild.

Ob das kommuniziert wird, hängt von vielen Faktoren ab; das Eine muss nicht schlechter sein als das Andere. Nur wenn (m)ein Therapeut sich sozusagen als Oberherrscher über Deutungen, Rahmenbedingungen und Notizen aufspielen würde, fände ich das peinlich. Typischerweise handelt man unter erwachsenen Menschen ja aus, was man dem Anderen mitteilt, was man für sich behalten will (gilt für Therapeuten und Patienten) und wie die Sache laufen soll. Man ist ja nicht nur Kind, sondern auch vernunftbegabt und als solcher Mensch kann man miteinander reden. Was dann geschieht, ist vermutlich das Ergebnis dieses Redens. Wenn schon vorher feststeht: "Ich zeige nichts! Und wir machen das so und so und nicht anders!" ist das nicht gerade ein Qualitätsmerkmal und auch keine Basis für eine vertrauensvolle Beziehung.


ziegenkind
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Beitrag Do., 03.07.2014, 17:23

ich find grad aushandeln schön. reden, lesen, reden, lesen. beim lesen find ich wichtig, für mich, das in etappen zu tun - schon um im blick zu haben, auf was reagiere ich wie. auch um beim und mit dem reden aufzupassen, dass ich nicht gegen die intentionen des schreibenden lese. und bei alledem: es ist ungeheuer spannend.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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stern
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Beitrag Do., 03.07.2014, 17:46

Ich wage sogar zu bezweifeln, dass ein Gesamtbild gewonnen werden kann. Ein Therapeut wird sich einige Eindrücke bilden können... ja. Aber wie gesagt (vgl. auch leberblümchen) ist der subjektive Faktor nicht zu vernachlässigen. Also manche augenfälligen Facetten stechen sicherlich mehreren Leuten ins Auge. Aber wenn man schon mal Kontakt zu verschiedenen Therapeuten hatte (z.B. Probesitzunen) wird man für gewöhnlich auch mit unterschiedliche Sichtweisen konfrontiert, die eine höhere subjektive Komponente haben bzw. weil die Beziehungsdynamik sich etwas anders gestaltet. Weder Patient noch Therapeut verhalten sich voraussagbar wie ein Roboter, der ein Standardprogramm einprogrammiert hat, das abgerufen wird.

Was für mich nachvollziehbar ist: Unbehaglich würde ich mich fühlen, wenn ein Thera intransparent ist in dem Sinne, dass stark ausgeklammert wird, was den Therapeuten bewegt. Also im Extremfall hätte man dann die berühmt-berüchtigte weiße Wand, also ein Therapeut der "übermäßig" abstinent bleibt (kann je nach Patient auch ungünstige Signale setzen).

Daneben gibt es auch Patient, denen "übermäßig" wichtig ist, was der Therapeut denkt... und was evtl. mal näher angesehen werden kann, warum das so ist. Kann sein, muss natürlich nicht. Genauso wie es Therapeuten gibt, die sich (nicht immer begründbar) zieren sollen, Einsicht zu gewähren.
Die Befürchtung vieler Behandler, der Patient könnte von Formulierungen schockiert sein oder sich beleidigt fühlen, weist sie zurück. (...)
"Wenn die Behandler mit professioneller Empathie sensibel und behutsam formulieren - mündlich wie schriftlich - dann wird es nicht dazu kommen, dass der Patient sich gekränkt fühlt", sagt auch der Psychiater Wolfgang Maier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
Quelle: siehe oben
Teile ich nur bedingt. Wie kränkbar im Einzelfall ein Patient ist, liegt nicht ausschließlich an Formulierungen (aber natürlich begrüße ich bedachte Formulierungen). Ich weiß aus eigene Erfahrungen, dass Berichte eine nicht immer nur günstige Wirkung haben können (gekränkt war ich nicht, aber...). Berichte und auch Aufzeichnungen sind ja nicht in erster Linie für den Patienten gedacht, sondern erfüllen einen anderen Zweck.
Wenn der Patient liest, wie sein Therapeut ihn wahrnimmt, sei das wie eine Spiegelung.
Quelle: siehe oben
na, aber eine aus meiner Sicht suboptimale Spiegelung. Und wie gesagt: Wie gut es den Patienten spiegelt (oder ob der Therapeut mitgespiegelt wird) ist damit auch noch nicht gesagt. Sondern es geht um den Eindruck eines Therapeuten, der hoffentlich überwiegend nicht invalide ist. Aber Stichwort: Subjektivität und individuelle versus musterhafte bis stereotype Beziehungsdynamiken.
"Viele Behandler bestehen darauf, dass die Akte nur unter ihrer Aufsicht und nur vor Ort angesehen wird. Eine Situation, in die viele meiner Klienten nach einer Behandlung nicht noch einmal zurück wollen", sagt Petra Rossmanith von der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie in Berlin.
Ich weiß gerade nicht aus dem Stegreif, wie die Regelung ist bzgl. Ort/Zeit oder ob bzw. an wen zugeschickt werden kann, aber ich meine das ist geklärt. Notfalls muss man den Therapeuten halt darauf hinweisen, was in seinem Ermessen liegt und was nicht. Nicht immer beziehungsförderlich, ich weiß.
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Krang2
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Beitrag Fr., 04.07.2014, 08:08

Reflektierte Authentizität <--- Ist diese Wortschöpfung von dir? Alle Achtung!
Erhöhte Kränkbarkeit kommt häufig vor und kann meiner Meinung nach nur sinken, wenn man dem nicht ausweicht. Notizen zu lesen führt aber sicher zu Kränkungen an der falschen Stelle.

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Christine_Walter
Forums-Gruftie
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Beitrag Fr., 04.07.2014, 17:02

ganz ehrlich, ich bin froh, dass ich einige Dinge weiss, die meine Thera über mich denkt. ABer alles will ich gar nicht wissen. Mir wäre es z. B. peinlich, wenn ich ihre persönlichen Notizen lesen würde und läse da Dinge wie "spricht sehr affektiert", "ist etwas eingebildet", "hatte heute extremen Körpergeruch", "ungeputzte zähne" oder "tippe auf frühkindliche entwicklungsststörungen." Da könnte ich ihr nicht mehr in die Augen sehen.

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Broken Wing
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Beitrag Fr., 04.07.2014, 19:18

Die subjektiven Notizen meiner Thera sid mir schnuppe. In der Stunde labern wir recht nett, danach frage ich mich, was sie schon wieder zusammengeredet hat und denke mir, dass sie selbst ihrem Gerede nicht mehr beimisst als ich. Daran zweifle ich, so blöd ist sie auch wieder nicht.
Kassentherapeutin halt. Besser als nichts.
Vermutlich wird sie Ähnliches denken.

Ich lege nur wert auf das offizielle. Da dulde ich kein Geschwafel.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]


chaosfee
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 00:08

Ich habe ein paar meiner Gutachten gelesen und ich fand es gut. Interessant waren die Reaktionen der Therapeuten: Einer war sich nicht zu blöd, mir mehrmals zu sagen, wie schlecht er das findet, dass Patienten jetzt das Recht haben in ihre Akte zu sehen, und er argumentiere wie einige hier: nicht für Patienten geschrieben, mglw. missverständlich, schädlich für die Behandlung etc. Mir kam es, wie ich da so mit meiner Akte saß, eher so vor, als wolle sich ein Teil der Berufsgruppe partout nicht damit abfinden, dass man ihnen jetzt in die Karten schaut. Das Gewese, wie er drum gemacht hat, war die Akte letztendlich nicht wert - schließlich war die Person, die dort dargestellt wurde, mir recht gut bekannt. es war interessant zu lesen, vor allem die subjektiven Eindrücke (die nicht geschwärzt waren), und es hatte durchaus auch einen positiven Effekt, nämlich dass ich zum ersten Mal eine Entwicklung gesehen habe.

Mein jetziger Therapeut fand es gut, dass man als Patient nun auch das Recht hat, so etwas zu lesen. Hat mir meinen Bericht auch ohne Aufhebens gegeben und nachher nur noch kurz nachgefragt, ob ich Klärungsbedarf hätte.
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Adorno


leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 07:55

Ich vermute, dass durch das Recht des Patienten der Therapeut auch gezwungen ist, etwas von seinem Besserwisser-Habitus abzulegen, der leider für viele Vertreter dieser Berufsgruppe selbstverständlich ist: "Ich bin der Bestimmer; ich selbst will ALLES wissen über den Patienten; ich will ihn somit kontrollieren und Macht ausüben; ich bestimme, ob und mit wem er spricht - aber ich selbst kann machen, was ich will; mich kontrolliert keiner, der Patient am allerwenigsten; meine Autorität ist unantastbar". In dieser Absolutheit spiegelt sich das natürlich auch in dem 'Gehabe' wider, dem Patienten unter keinen Umständen zu zeigen, was man über ihn geschrieben hat - dahinter steckt bestimmt oft die Angst, der Patient könnte etwas im Therapeuten entdecken, das etwas von dieser Macht abbröckeln lässt.

Ich glaube, es geht sehr oft NICHT um die Angst vor der Reaktion des Patienten 'auf sich selbst', von wegen: "SOO schlimm bin ich?!" (ich denke, dieser Aspekt wird überbewertet, da die Mehrheit der Patienten sowieso vermutet, 'besonders schlimm' zu sein - und die, die das nicht tun, die juckt auch die Einschätzung des Th. nicht), sondern um die Angst des Therapeuten vor sich selbst. Es sind ja quasi Tagebuch-Aufzeichnungen; solange die niemand liest, kann ich schreiben, was ich will; ich muss nicht mal ehrlich vor mir selbst sein. Sobald aber jemand draufguckt, entsteht automatisch und bei jedem Menschen (!) ein Unwohlsein, ein Gefühl, Macht und Kontrolle abgeben zu müssen - und dann noch an einen 'Untergebenen'.

Nicht umsonst wird ja auch in Super- und Intervisionen gelogen. Dennoch bin ich der Meinung, 'gute Therapeuten' (was auch immer das ist) haben ein Recht auf dieses Refugium des Selbstbetrugs (und wenn es nur ein "ich mache mir vor, es besser zu wissen als der Patient" ist); weil - ähnlich wie bei klassischen Tagebuchaufzeichnungen - das ja auch eine wichtige Funktion haben kann.

Für Therapeuten allerdings, für die Macht und Kontrolle einen besonders großen Stellenwert haben, ist es m.E. wichtig, dass ihnen dieser Zahn gezogen wird - zum Wohle des Patienten.

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stern
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 08:28

Letztlich wäre es technisch (in Zukunft) sicherlich auch kein Hindernis, Arztbriefe und Berichte (inkl. die eines Therapeuten ) auf einer elektronischen Karte/Patientenakte abzulegen und zu vernetzen. Und dann stellt sich vielleicht die Frage: Wollen Sie wissen, was andere Ärzte über Sie denken bzw. wollen Sie, dass die das alles wissen.

Ö.:
ELGA versteht sich als organisationsübergreifendes Informationssystem, bei dem relevante medizinische Informationen patientenbezogen gebündelt für die an einer Behandlung beteiligten Ärzte verfügbar gemacht werden. Anfang 2013 wurde mit dem ELGA-Gesetz die Rechtsgrundlage hierfür geschaffen. Im Gesetz sind wesentliche Eckpunkte etwa zu zentralen Strukturen, Inhalten, Berechtigungen, Datenschutz und IT-Sicherheit beschrieben.
D.:
In Deutschland lassen sich diverse Entwicklungslinien bei der Einführung von eAkten-Lösungen beobachten. So nutzen viele Versorgungsverbünde, wie etwa Ärztenetze, mittlerweile gemeinsame Netzakten, um im Rahmen der integrierten Versorgung zu kooperieren. Kliniken bieten ihren Partnern Einweiserportale an, in denen fallbezogen wichtige Dokumente wie der Entlassbrief zur Verfügung gestellt werden. Persönliche elektronische Gesundheitsakten, die ausschließlich von Patienten zur Verwaltung der eigenen Behandlungsdokumentation geführt werden, bieten Gesundheits-IT-Unternehmen und Krankenversicherungen an. Die Palette reicht von rein dokumentenbasierten Aktensystemen bis hin zu umfangreichen feinstrukturierten Akten. Alle diese Akten sind nicht miteinander kompatibel und haben keine interoperable Schnittstelle für den Datenaustausch mit Krankenhaus- und Arztinformationssystemen.
Quelle jeweils: http://www.aerzteblatt.de/archiv/146894 ... -und-Links

Wie nutzbringend das ist, Notizen zu lesen, hängt vermutlich auch davon ab, was bzw. wie jemand dokumentiert. Da ja niemand lückenlos protokolliert, gibt es Lücken und subjektive Eindrücke, die jemand anderes vielleicht gar nicht dokumentieren würde. Weil es oben stand: Ich kann mir schwer vorstellen, dass jemand schreibt, Patient hatte heute Mundgeruch o.ä.

Als es um Suizidgedanken hat mein Thera (stationär) mal etwas verstärkter mitgeschrieben. Ich habe zwar nichts gesehen, aber die Schriftzüge des Stiftes gehört... mit bereits zu diesem Zeitpunkt dringendem Verdacht, dass eine sehr entscheidende Aussage nicht mitgeschrieben/"ignoriert" wurde. Ich überlegte, ob das sogar Absicht war, denn damit haben sich Aussagen zuvor entscheidend relativiert. Aber das weiß ich nicht, ob das meiner Paranoia entspringt.

Der Oberknaller war dann, dass es die Sitzung darauf nochmals um etwas in dem Zusammenhang ging... und er meinte: Sie sagten aber vergangene Sitzung blabla (und verwies mit einem Blick auf seine Aufzeichnungen). Ich: Moooment: Ich sagte aber auch blabla (und wiederholte die Aussage, die nicht dokumentiert wurde). Er: Davon steht in meinen Aufzeichnungen nichts. Ich: Ja, da haben Sie nicht(s) geschrieben (habe ich gemerkt). Schweigen im Walde. Er meinte nur nochmals, dass das nicht in den Unterlagen steht. Die Reaktion war irgendwie verdächtig.

Jenny hatte etwas zu Missverständnissen geschrieben: Das würde ich als Positiven Nebeneffekt sehen. Denn wenn Zeugs in den Unterlagen oder gar Berichten steht, das auf Missverständnissen beruht, ist das (je nach dem) schon leidig, wenn der Bericht nochmals für irgendetwas benötigt werden sollte.

Ich glaube auch, dass Therapeuten manchmal schlichtweg nicht wollen, dass Notizen vom Patienten gelesen werden (und die Einsicht wegen der eigenen Befindlichkeit verweigern... sprich: dass das mitunter mehr mit dem Thera zu tun hat). Allerdings gibt es auch Therapeuten (mein stationärer) der mir Teile des Berichtes von sich aus gegeben hat (zum Lesen).

Das bei Supervisionen bewusst gelogen wird, kann vermutlich vorkommen, glaube aber nicht, dass das der Regelfall ist. Sondern der Punkt ist vermutlich eher, dass der Therapeut seine subjektive Sicht schildert, so dass das, was in die Supervision geht, schon gefiltert ist (wie bei jedem anderen Menschen auch). Und bei Notizen wird das nicht anders sein. Also z.B. wird dann vielleicht eher etwas dokumentiert, was eine Diagnose oder Aussage stützt... und weniger die Punkte, die in Kontrast stehen oder der Therapeut nach subjektivem Ermessen für weniger relevant erachtet. Wie gesagt: Nicht unbedingt bewusst oder mit böser Absicht.
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leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 09:04

Ich habe das mit dem Lügen in Supervisionen in einem Buch gelesen (hab aber nicht dokumentiert, in welchem ), und es erschien mir plausibel, wenn man mal berücksichtigt, dass heftige Konflikte in einer Therapie ja selten nur etwas mit dem Patienten und seinen eigenen Schwachstellen zu tun haben.

Es ist leicht, den Kollegen zu fragen: "Was soll ich bloß mit xy tun?" - es ist vermutlich nahezu unmöglich, die tieferen Gründe für den Konflikt offenzulegen in derartigen Gesprächen. Du willst nicht als Depp dastehen, der sich nicht im Griff hat. Das ist eine Kultur des Lügens und des Selbstbetrugs.


Widow
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 14:44

leberblümchen hat geschrieben:Das ist eine Kultur des Lügens und des Selbstbetrugs.
Also, gleich eine ganze "Kultur" daraus zu machen, ist vielleicht ein wenig, äh, frühgestört?
Aber da ich diesbezüglich kompletter Laie bin, der bei so etwas noch nie Zeuge war, kann ich natürlich nichts dazu anmerken. - Außer vielleicht dies: Soweit mir bekannt, besteht (zumindest ab einer durch Therapiezahlen nachzuweisenden Berufserfahrung) keine Pflicht zu Super- und/oder Intervision.
Erstere muss man bezahlen (letztere findet angeblich häufig unter befreundeten Theras statt) - warum man also jemanden zu Hilfe holt und dafür bezahlt, um ihm dann etwas vorzulügen, ist mir nicht so ganz einsichtig (übrigens auch nicht, warum man eine Freundschaftskultur des Lügens und Selbstbetrügens pflegen sollte).


leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 17:14

Dass die noch 'abhängigen' Analytiker ihren Supervisor belügen, liegt ja auf der Hand; sie brauchen ihn für die Karriere.

Aber auch später bräuchte natürlich so ziemlich jeder Therapeut irgendwann mal Hilfe. Der Prinzip ist ja dasselbe wie mit Patienten, die eine Therapie machen: Die brauchen auch Hilfe - aber ob sie deshalb bereit sind, sich so weit zu öffnen, wie es nötig wäre? Du erhoffst dir einen Rat, du schlägst beim Supervisor auf, und dann stellt sich irgendwie die Frage: "Au weia! Hat das etwa was mit mir zu tun?"

Bei der Intervision wird es nicht anders sein: Freund hin oder her (wobei es wohl weniger Freunde sind, sondern eher so eine Art Zirkel; jedenfalls werden immer mal freie Plätze ausgeschrieben) - es ist sicher nicht schwer, in der Gruppe zu erzählen: "Ich hab ein Problem mit Patient xy" - aber was (nein, ich meine nicht explizit meinen eigenen Therapeuten!), wenn der Therapeut sich verliebt hat? Wenn noch seine Kollegen wissen, dass er gerade Silberhochzeit gefeiert hat? Ob er das so offen kommunizieren kann? - Mir fallen natürlich noch andere Schwachstellen ein (Alkohol, Depression, eigene Ängste, Aggressionen usw.), aber dies erschien mir am prägnantesten.


Widow
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 17:36

leberblümchen hat geschrieben:Aber auch später bräuchte natürlich so ziemlich jeder Therapeut irgendwann mal Hilfe. Der Prinzip ist ja dasselbe wie mit Patienten, die eine Therapie machen: Die brauchen auch Hilfe
[...]
Mir fallen natürlich noch andere Schwachstellen ein (Alkohol, Depression, eigene Ängste, Aggressionen usw.)
Diese grundsätzliche Parallelisierung von Patient und Analytiker finde ich wirklich bemerkenswert.
Wenn man so denkt, dann erübrigt sich das Thema "Therapie" natürlich im Wesentlichen (bzw. auch darüber hinaus), was ja zweifelsohne mindestens ein Gutes hat: Die Ausgangsfrage des Threads stellt sich dann nicht mehr!

Ich kenn' übrigens auch intervisionistische (intervisionäre? ) Dyaden.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 17:40

Ja, dass Therapeuten nicht wirklich gesünder oder glücklicher sind als ihre Patienten, ist wohl leider so. Obwohl - warum ich jetzt 'leider' geschrieben habe, weiß ich auch nicht.

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