Wirkfaktoren für Psychotherapie

Hier können Sie Ihre Fragen oder etwaige Unklarheiten zu den Selbsttests auf Psychotherapiepraxis.at thematisieren oder Ihre Gedanken zu den Ergebnissen mit anderen Besuchern diskutieren.

Widow
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Beitrag So., 22.06.2014, 22:43

Nach Rezeption dieses Videos (die ersten 20 Minuten am Stück, den Rest in Stichproben):

Einen "Wirkfaktor" grundsätzlicher (also auch therapiebezogener) Art, wenn es darum geht, dass ich allein nicht zurecht komme, sondern die Expertise eines anderen Menschen benötige, halte ich für wesentlich:
Den Eindruck, ob dieser andere Mensch insgeheim Heizdecken verkaufen will, oder ob er das mit der Expertise ernst nimmt, weil er sie tatsächlich hat.

Den Herrn Dr. Mestel da, den halte ich für einen Heizdeckenverkäufer.
- Abgestandene Witzchen, Quasselstrippentemporausch und vor allem gegen Ende hin ein ganz offensichtlich nicht mehr zu verbergendes Ressentiment.

Ich aber mache keine Kaffeefahrten. (Und ich brauchte bislang noch nie eine Heizdecke und bin mir ziemlich sicher, dass sich das nicht mehr ändern wird.)
Aber ab und an komme ich nicht allein zurecht. Dann brauche ich jemanden mit Expertise: Einen Optiker z.B., meinen Zahnarzt oder meinen Klempner, der demnächst wieder die Therme warten wird. Und meinen Therapeuten (der sich selbst schon, als ich mal was mit 'nem Klempner geträumt hatte, als Seelen-Klempner bezeichnete).
Bei all diesen Experten kam ich nie auf den Gedanken, dass die in Wirklichkeit lieber Heizdecken verkaufen würden - beim Referenten in jenem Video nach drei Minuten.

Aber vielleicht liegt das nur daran, dass ich - nachdem ich selbst etliche Vorträge auf Tagungen gehalten habe - glaube, dass solche Vorträge in den allerseltensten Fällen Wirkfaktoren aufweisen.
(Bei solchen Veranstaltungen geht's meist um Heizdecken ...)

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Krang2
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Beitrag Mo., 23.06.2014, 11:22

@Widow,
Wissenschaftler wirken oft so distanziert zum Vortragsthema wie der Heizdeckenverkäufer, aber aus anderen Gründen. Es ist ein häufiger Fehler, daß die Vortragszeit inhaltlich, auch mit Folien vollgestopft und dann durch diese fluchtartig gehetzt wird. Therapie wäre hier, mal bewußt die Hälfte in der gleichen Zeit „abzuarbeiten“. Dann bleibt am Ende beim Zuhörer das Doppelte hängen.

@JaneDoe,
Kritische Quellen sind für den Erkenntnisgewinn genauso wertvoll, weil sie unabhängig oder zumindest von anderen Dingen abhängig sind als "anerkannte" Studien.

Daß eine wirklich wissenschaftliche Untersuchung kaum stattfindet, liegt meines Erachtens daran, daß zu viele davon profitieren, wenn alles so bleibt, wie es ist. Da unterstelle ich keine Bösartigkeit, sondern Bequemlichkeit und Eigennutz. Warum sollte ein Gutachter zugeben, daß seine Diagnosen nicht reproduzierbar sind und somit wissenschaftlichen Standards, wie sie z.B. für technische Gutachten gelten, nicht standhalten würden? Warum sollte ein Therapeut, der pro Stunde bezahlt wird, lieber nach Effektivität und Erfolgen bezahlt werden wollen? Warum sollten Krankenkassen unnötige Risiken eingehen und ihre Leistungskataloge kritisch hinterfragen oder Neues versuchen, solange das Alte noch halbwegs gut läuft? Warum sollte die Pharmaindustrie Werbung für alternative Methoden machen? Warum sollte die Psychiatrie etwas anderes tun als die Patienten ähnlich zu "verwalten" wie das JobCenter seine Arbeitslosen mit den ähnlich irren Auswüchsen? Warum sollte sich das Engagement der Patienten nicht in eigennützigem Engagement erschöpfen? Warum sollten sich "Gesunde" dafür interessieren? Tja, warum wohl.

Leider wird das Thema dieses Beitrages wie so viele andere auch nur Makulatur bleiben, etwas, wofür sich nur wahre Wissenschaftler (das meine ich im Geiste, nicht nach Erwerbstätigkeit!) ernsthaft begeistern, das nur von anderen aufgegriffen wird, wenn es für eigene Zwecke mißbraucht werden kann. Was, wenn etwas herauskäme, das den Status quo in Frage stellt?

FREIHEIT DER WISSENSCHAFT!:
Das ist das übergeordnete Thema. Was soll schon dabei herauskommen, wenn eine wichtige Studie einen Geldgeber benötigt, der ein Auge aufs Ergebnis hat? Freiheit der Wissenschaft bedeutet, daß wertfrei und vorurteilsfrei geforscht wird, daß unbequeme Ergebnisse akzeptiert werden, daß keine Ideologie und keine Politik und keine Wirtschaftsmacht das Ergebnis verfälschen dürfen. Nur dann kommen Ergebnisse dabei heraus, die langfristig allen helfen können.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 23.06.2014, 12:52

@ Krang2,

gute Fragen, die du aufwirfst.
Dazu fällt mir eine Freundin ein (ich hatte die Geschichte schon mal an einer anderen Stelle erzählt).
Sie ist Diplom-Psychologin, ohne (!) Therapeutenausbildung und arbeitet in einer Klinik, in der sie Psychotherapie durchführt. Sie hat keine Ahnung wie man therapiert, ist völlig überfordert und steht selbst vor einem Burnout. Aber für die Klinik ist es natürlich günstiger einen Psychologen zu beschäftigen als einen Psychotherapeuten.
Als sie mir das erzählte, war ich echt fassungslos. Auf meine Fassungslosigkeit antwortete mir meine Freundin: "Die Klienten sind mit der Therapie zufrieden, ihnen hilft das, sie kommen immer wieder". Therapieerfolg misst man also daran, dass Klienten immer wieder in Therapie kommen Ich hab echt herzhaft gelacht, auch wenn das eigentlich nicht lustig ist.

Aber ich bin sicher, dass es nicht mehr eiwg so weitergehen wird und weiter gehen kann wie bisher. Angesichts der steigenden Kosten für Psychotherapie und immer mehr Menschen, die psychisch erkranken, ... kommt unser Gesundheitssystem nicht umhin, das Augenmerk zunehmend mehr auf Effektivität, Erfolg und kurze Therapien zu legen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Krang2
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Beitrag Di., 24.06.2014, 06:48

@Jenny Doe,
interessant! Denkst du, das ist an anderen Kliniken ähnlich? Ja, wenn jemand immer wieder kommt, heißt es, daß ihm noch NICHT ausreichend geholfen wurde. Meine Beobachtung ist bisher, daß Leistungen der Krankenkassen eher kurzsichtig, nicht nachhaltig, verteilt werden, ein bißchen wie in der Politik.

Studien über Wirkfaktoren für Psychotherapie sollten auch nicht bloß durch Befragung von Patienten und ihrer behandelnden Ärzte durchgeführt werden, sondern durch unabhängige Begutachtungen "vorher - nachher".

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Jenny Doe
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Beitrag Do., 26.06.2014, 13:51

Hi Krang,
Denkst du, das ist an anderen Kliniken ähnlich?
witzig, ich wollte dir gerade antworten "keine Ahnung", als dieser Text in meiner Mailbox ankam:

Neue Studie
Psychisch Kranke werden in Kliniken nicht angemessen behandelt

25.06.2014
Rainer Woratschka
http://www.tagesspiegel.de/politik/neue ... 03980.html
Psychiatrische und psychosomatische Kliniken verfügen über zu wenig und teilweise nicht ausreichend qualifiziertes Personal, um ihre Patienten angemessen behandeln zu können. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bundespsychotherapeutenkammer.
(...)
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Krang2
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Beitrag Do., 26.06.2014, 21:18

Vielen Dank für den Artikel.

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