Wurstel
kreon hat geschrieben:Vielleicht will deine Mutter gebraucht werden und begründet ihr Verhalten damit, euch Gutes tun zu wollen. Eventuell steckt ein Teil emotionale Abhängigkeit auch darin.
Es hängt wohl auch damit zusammen, daß die Umgebung (in meinem Fall primär mein Vater und meine Schwester) der Ansicht sind, daß ich so zu leben habe, wie sie sich das vorstellen. Und außerdem ist es meiner Familie sehr wichtig, was die Leute reden. Das führt dann dazu, daß es nicht akzeptiert wird, wenn ich mit (ihrer Ansicht nach) unpassender Kleidung oder gar unfrisiert herumlaufe. Angeblich beschweren sich dann die Leute bei meiner Schwester, und die schämt sich dann dafür.
kreon hat geschrieben:Das mit dem Umbringen klingt ein wenig nach Borderline aber dafür fehlen weitere Kriterien und Borderline ist eine Modediagnose.
Hm, das war bei meiner Mutter nicht so. Sie schrie nur immer wieder, daß ich sie ins Grab bringe, weil ich nicht das mache, was sie verlangt. Und sie bekam einen Herzanfall nach dem anderen.
Einige Bekannte meinten damals, daß das ein Druckmittel meiner Mutter ist, weil sie auf diese Art und Weise erreicht, was sie will (beispielsweise, daß ich nicht nach Wien zu einem Auftritt, wo ich auf der Bühne stehe, fahre, sondern bei ihr bleibe), und meine Bekannten rieten mir, da nicht mitzumachen, sondern das zu machen, was
ich machen will, und nicht das, was sie will, damit sie merkt, daß sie damit nicht durchkommt. (Außerdem bekam ich Schwierigkeiten, weil ich aufgrund des Verhaltens meiner Mutter immer wieder Termine [gar einmal einen Auftritt] am selben Tag absagen mußte.) Daher habe ich das dann ausprobiert und bin trotzdem auf Anraten meiner Bekannten nach Wien gefahren und ließ mich nicht erpressen (wie meine Bekannten das Verhalten meiner Mutter nannten). Sie meinten allerdings, daß sich meine Mutter zwar aufregen wird, aber ihr nichts deswegen passieren wird, zerstreuten meine Befürchtungen und sagten, ich soll endlich einmal Manns genug sein, mich durchzusetzen. Das habe ich dann eben gemacht. Nur leider hat sich meine Mutter dermaßen darüber aufgeregt, daß sie dann tatsächlich ins Spital gebracht wurde, wo sie unter höllischen Schmerzen an einer vom Krankenhaus nicht erkannten Bauchfellentzündung aufgrund durch Wut gerissenem Darms jämmerlich zugrunde gegangen ist. Meine Familie ist nun der Ansicht, daß ich meine Mutter durch mein Theaterspielen in den Tod getrieben habe. Und dementsprechend werde ich jetzt eben behandelt...
kreon hat geschrieben:Möglicherweise, und das ist noch immer typisch für unsere Gesellschaft, sind die Eltern von ihren Eltern, zu einem bestimmten Verhalten "erzogen" worden, durch Lob und Tadel, die diese Aufgabe nach eigenen Vorstellungen übernehmen oder stellvertretend für die Gesellschaft. Eine autoritäre Erziehung führt jedenfalls zu Schuld, Schuld führt zu Abhängigkeit und Abhängigkeit behindert das freie Denken (Psychoanalyse und Ethik)
Meine Mutter hat mir immer erzählt, daß ihr Vater sie nur anschauen mußte, und da wurde sie ganz kleinlaut. Sie sagte auch oft, daß mich ihr Vater umgebracht hätte, so schlimm wie ich bin und daß ich froh sein soll, daß ich so tolerante Eltern habe...
kreon hat geschrieben:Man hat die Eltern häufig nur geliebt, wenn sie einem bestimmten Verhalten entsprochen haben. Fritz Riemann (Die schizoide Gesellschaft) hat darüber geschrieben, dass die Eltern dabei zu Objekten, ohne Rücksicht auf deren eigene Willen, von anderen entsprechend geformt werden. Die Eltern übernehmen dieses Verhalten dann und praktizieren es bei ihren Kindern weiter. Man spricht von Wiederholungszwang.
Ich würde eher sagen, daß man sich an die Eltern gewöhnt hat. Genauso, wie sich meine Eltern aneinander gewöhnt haben (die wurden ja von ihren Eltern verheiratet). (Und auch meine Schwester wurde von den Eltern verheiratet.)
kreon hat geschrieben:Fromm hat ein Modell aufgestellt, indem jeder bestimmte Grenzen überschreiten muss. Wenn du 30 Jahre alt bist, dann gehe ich davon aus, dass deine Mutter 50 oder vielleicht sogar 60 Jahre alt sein wird. Ist man über 60 Jahre alt, dann merkt man langsam, dass man nicht mehr so vital ist, wie früher und später auch leiser treten muss. Wenn man in seinem Leben viel im Sinne von psychischer Produktivität geleistet hat, das bedeutet, dass man nach seinem eigenen Gewissen gelebt und gehandelt hat, dann kann man sich im Alter von dieser Produktivität nähren. Die Furcht vor dem Altwerden hängt damit zusammen, dass man nicht nach seinem eigenen Gewissen lebt (Psychoanalyse und Ethik).
In meinem Fall war es so, daß meine Mutter im Jahr 2005 mit 79 Jahren gestorben ist. Was dann dazu geführt hat, daß wir von ihrer Erlebensversicherung nur den Gewinnanteil ausbezahlt bekommen haben und nicht die von ihr damals eingezahlte Versicherungsprämie (dazu hätte sie 80 werden müssen, also den Ablauf des Versicherungsvertrages erleben müssen). Nun wirft mir meine Familie auch noch vor, schuld daran zu sein, daß wir nur sehr wenig von der Versicherung ausbezahlt bekommen haben, weil ich veranlaßt habe, daß meine Mutter vor Ablauf des Vertrages starb.
kreon hat geschrieben:Ericksons Modell sieht acht Stufen vor, die altersabhängig auftreten und die man für ein glückliches Leben bewältigen muss. Auf Stufe 7 gilt es, die Fähigkeit zur Generativität im mittleren Erwachsenenalter zu erlagen und in der Seneszenz dann, sollte man sich der Integrität widmen.
Bitte, was bedeuteen "Generativität" und "Seneszenz" und was meinst Du mit "sich der Integrität widmen"? Sich in die Familie integrieren, also sich anzupassen?
kreon hat geschrieben:Ich hoffe, dass ich dir ein weniger aus der rationalen, psychoanalytischen Perspektive helfen konnte. Oft hilft es einem, wenn man die Handlungsweisen seiner Mitmenschen versteht.
Ich bin auch der Meinung, daß man zuerst wissen muß, woher bestimmte Verhaltensweisen eines Menschen kommen, da man ansonsten nicht angemessen mit diesen Menschen umgehen kann.
Im Falle meines Vaters kommt eine Prägung durch die Ideologie des Dritten Reiches hinzu. So ist er ein Befürworter der Euthanasie und sagt immer wieder, daß Menschen, die der Gesellschaft nutzlos geworden sind, weggeräumt gehören. Und neuerdings liegt der Fall vor, daß er selber nicht mehr so gut kann, wie er will, das Alter macht sich schon bemerkbar (immerhin ist er 89), er ist körperlich nicht mehr so leistungsfähig wie noch vor einem Jahr. Das führt nun dazu, daß er besonders reizbar wird, da er natürlich noch nicht zum alten Eisen gehören will. So überanstrengt er sich regelmäßig und bekommt dann noch mehr Schmerzen (seit einigen Monaten leidet er an Gicht). Außerdem habe ich den Eindruck, daß er der ganzen Welt beweisen will, daß er jetzt noch immer die diversen Arbeiten erledigen kann. (Derzeit sind wir mit dem Schneiden von Brennholz beschäftigt.)
Wurstel