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Fr., 14.02.2014, 07:34
Sorry, musste jetzt lachen, aber nicht wegen dem Eingangsthread, sondern der Entwicklung, denn es ist GENAU DAS. Es wurde doch beschrieben, was so wütend macht, und ich kann das gut nachvollziehen. Ab einem gewissen Grad an Wut ist auch kein Nerv mehr da, für wiederholte, zerkauende Antworten. Es liegt auch nicht, wie so gerne impliziert, immer nur an einem selbst. Ich sehe viele Menschen kaputtgehen, die eine Schuld bei sich suchen, die nun einmal, so unschön es ist, bei anderen (in der "Gesellschaft") liegt.
Die Beobachtung, die Gesellschaft betreffend, ist kein Trugbild. Was bedeuten in einem solchen Fall, "an sich selbst arbeiten"? Diese Dinge lassen sich nicht wegdiskutieren, man kann sich nur bewusst abstumpfen und Ignoranz trainieren. Wenn das nicht funktioniert, steht der totale Rückzug an. Letzteres war mein Weg, und der ist auch nicht optimal.
Wo anders hinziehen kann helfen, muss aber nicht. Gewisse Dynamiken der Gesellschaft findet man überall. Sind die Hauptärgernisse bei Nachbarn, in der Familie, dem Freundeskreis, bei Kollegen zu finden, dann hilft ein radikaler Tapetenwechsel sehr wohl - und, je nachdem, das Kappen aller Kontakte, die einen so aufreiben.
Ich habe eine Zeit lang versucht, aktiv zu kämpfen, Menschen zu mobilisieren und ... sinnlos. Mittlerweile gehöre auch ich zu denen, die aufgegeben haben und mittlerweile gerne zusieht, wie alles verreckt. Meine neue Form der Wut, denn retten, da hat viciente recht, kann man niemanden. In einer Dystopie sind die meisten Menschen glücklich - man muss sie lassen.
Es gibt ein paar Wege, die Wut zu kanalisieren. Vielleicht bist du kreativ - die Aggression, die Kritik, den Hass in Kunst zu sublimieren ist vermutlich der konstruktivste Weg. Je nach Kunstform kannst du da deine Kritik formulieren und symbolische Ohrfeigen verteilen, für die man dich liebt. Es gibt viele, die so denken und fühlen wie du - spätestens mit Kunst findest du sie.
Ein anderer Weg wäre, je nachdem, in welche Richtung du dich (politisch) entwickelst, in einer entsprechenden Organisation tätig zu werden. Jemand der mit dem Megaphon voranschreitet und reinplärrt, oder sich wo anketten lässt, wird immer gebraucht. Damit rebellierst du gegen die Verhärtungen - bei dem Kampf muss man aber auch ganz schön einstecken. (Auch rechtlich) Viel Energie zu haben ist da genau richtig.
Dritte Möglichkeit: Sollte diese Wut sehr plötzlich aufgetreten sein, kann das ein Symptom für eine psychische Überforderung sein, oder auch für eine körperliche Krankheit. Vor allem, wenn man eigentlich bis vor kurzem eine dicke Haut hatte, und plötzlich trifft alles direkt, kann das ein Hinweis sein, dass da etwas bei dir selbst passiert ist, dass die Haut so verdünnt hat. (Heisst nicht, dass die Welt besser ist, und du falsch, sondern nur, dass der Mist dich direkter treffen kann, als sonst). Eventuelle also Blutbild machen und überlegen, ob in letzter Zeit etwas vorgefallen ist, das die Nerven über Gebühr angestrengt und dich insgesamt dünnhäutiger werden hat lassen.
Andere Methoden, wie etwa Sport machen oder weniger Fleisch essen, wirst du schon ausprobiert haben, oder? Wenn nicht, es wäre zumindest eine Symptombehandlung.
Zum Abschluss: In deinem Alter (so die Angabe stimmt) ist es meiner Meinung nach völlig normal, wütend auf die Gesellschaft und ihre Trägheit, ihre Egozentrik und ihren Opportunismus zu sein. Ich glaube, man wäre "gebrochen", wenn man es nicht wäre. Da entdeckt man das ganze ja auch erst so richtig und das ist eine beschissene Zeit. Belastend für das Umfeld, das entweder noch nicht so weit ist oder sich schon damit arrangiert hat. (Ich erinnere mich, wie wütend mich immer diese "es ist eben so"-Reden gemacht haben). Du kannst dich auch, wie viciente schon vorschlug, sehr eingehend mit den einzelnen Themen, die dich ärgern, und deren Ursachen befassen. So habe ich es auch gemacht und verdammt viel über Systeme, Psychologie ... gelernt, kann also sehr interessant sein. Wenn man manches besser versteht, ist es zwar immer noch verdammt ärgerlich, aber viel Energie erhält Wut auch durch "nicht wissen". Zumindest macht mich immer das am wütensten, dessen Ursache mir unbegreiflich ist. Mir das Hintergrundwissen anzueignen wirkt sehr gut. Könnte ich an einem Beispiel erklären:
Neuer Nachbar ignoriert mich völlig, grüßt nicht, sieht mich nicht an, als wäre ich Luft. Diese Respektlosigkeit könnte mich sehr wütend machen. Finde ich aber heraus, dass er etwa Autist ist, verstehe ich sein Verhalten und es ärgert mich nicht mehr. So als Minibeispiel. Die Umstände sind dieselben geblieben, aber durch einen größeren Weitblick sinkt mein persönliches Leid.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]