Wie offen mit Psychomacken sein?

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(V)
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Beitrag Do., 28.11.2013, 17:32

@Luftikus and @all

Killer-Phrasen. Gutes Stichwort.

Mein einziger Sozialkontakt derzeit ist auch so jemand. In diesem Fall bin ich von Anfang an "pro-aktiv" mit meinem Rückfall in die Depression umgegangen und erntete ausschließlich solche "Killerphrasen" wie du es nennst. Da ich sonst derzeit keine Sozialkontakt habe, bin ich mehr oder weniger auf ihn angewiesen. Manchmal. Dieses "Killerphrasen" belasten mich mittlerweile enorm.

Ich finde, auch wenn jemand keine wirkliche Ahnung von der Materie hat, darf man doch von jemand, der sich gerne als Freund etablieren würde wollen, erwarten, dass er klare Ansagen wie "Ich habe Depression!" oder "Ich habe Suizidgedanken!" zur Kenntnis und ernst nimmt, oder etwa nicht? Ich tue mich derzeit enorm schwer damit. Er ist Mitte 30 und lange genug im ALGII-Klientel unterwegs, von denen ich... (ichsagmal) ...ohnehin mindestens die Hälfte psychische Probleme hat. Auf die eine oder andere Weise. Also, zumindest ein GRUNDVERSTÄNDNIS könnte man doch erwarten, oder? Wir leben doch auch nicht mehr hinter dem Mond?! Stattdessen zieht er in meiner Gegenwart betont über andere Alleinerziehende mit Depressionen her, zieht die gesamte Palette an Killerphrasen, und das ausgerechnet mir gegenüber!

Die Ironie an der Sache ist möglicherweise die, dass ich ihm gegenüber nur so "pro-aktiv" mit meinem Rückfall umgehe, weil ich damit EIGENTLICH solche Killerphrasen vermeiden wollte. Nachdem er mich VORHER (vor der Krankschreibung) schon nicht ernst nahm, immer nur unwirsch "PAPPPPERLAPPP!" und "SELBST SCHULD!" meinte, hatte ich vermutlich den naiven Irrglauben, wenn man ihm mit der offiziellen Krankmeldung vor der Nase rumwedelt, ihm die Medikamente erklärt, die man nun nehmen muss (trotz Medikamentenphobie) und ihm konkret von mehrwöchigen Suizidfantasien erzählt... (nein, nicht um mich auszuheulen, sondern als Rechtfertigung auf sein "Papperlapapp, nun stell dich nicht so an!")... ja, also, ich hätte schon gedacht, dass man ein gewisses GRUNDVERSTÄNDNIS heutzutage voraussetzen könnte.

(Zumal der Typ selbst in Therapie gehört wegen Depressionen, sich das aber nicht eingestehen will oder kann)

Last but not least, finde ich es mittlerweile ein Zumutung, wenn man jemand klipp und klar sagt was Sache ist, klipp und klar sagt, was man NICHT hören möchte (eben besagte Killerphrasen), und sich derjenige dann noch hinstellt, und über "solche Leute" dir gegenüber total abzieht. Da fragt man sich doch: Was stimmt denn mit dem nicht? In welchen Universum ist DAS eine adäquate Reaktion darauf, wenn dir eine gute Bekannte von ihren Suizidgedanken erzählt? Oder irre ich mich da und es ist leider doch Gang und Gäbe?

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montagne
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Beitrag Do., 28.11.2013, 17:46

Meine Frage ging auch weniger in die Richtung, wie ich selbst damit umgehe, dass mir eine Störung diagnostiziert wurde, sondern eher, wie gehen andere damit um. Ob andere "normaler" sind als ich, spielt für mich im Allgemeinen keine Rolle, eben weil ich ja nicht weiß, was hinter den anderen Fassaden steckt. Und wie du schon sagtest, je länger man selbst Therapie macht, umso mehr entdeckt man den Sand im Getriebe der anderen.
Und ich wollte wohl sagen, dass es weniger darum geht, wie andere damit umgehen, sondern wie man selbst damit umgeht.
Ich denke, wie man es selbst sieht hat direkte Auswirkungen darauf, wie man es anderen mitteilt und wie die reagieren. hat vielleicht auch Einfluss darauf, wem man es überhaupt sagt.

Früher hatte ich auch eher den Eindruck ich muss "es" verbergen. ES, was denn? Das ich gestört bin oder das ich Therapie mache, das ich Probleme habe? Heute sehe ich eben mehr, dass ich ebenso normal oder gestört bin, wie jeder andere auch. Manchmal halte ich es für sinnvoller nicht darüber zu sprechen, manchmal spreche ich drüber.
Nicht drüber sprechen halte ich für sinnvoller, wenn ich merke, der andere hat ziemliche Probleme, verdrängt die aber ganz gut oder deckelt sie sonst irgendwie. Es ist nur logisch, dass seine Reaktion auf meine Offenbahrung dann etwas verletzendes wäre. Der MUSS das irgendwie abwehren, sonst funktioniert seine Abwehr seiner Probleme ja nicht mehr. Also werden meine Probleme bagatellisiert und es wird so getan, als wäre Therapie eine bequeme, passive Problemlösung oder aber es wird mir zu verstehen gegeben, dass ich ja nun wirklich ein krankes, bedauernswertes Opfer bin (im Gegensatz zum Gegenüber).
Es ist für Außenstehende auch schwer verständlich, gerade wenn man länger Therapie macht und es um Bindungsfragen geht.


Ich denke es ist wie mit allem im Leben. Das, was ein Mensch tut, wirft ein Licht, auf das, was andere nicht tun. Und das wird oft abgwehrt. Das gilt ja auch für andere Dinge, die man für sich tut und sich damit vielleicht von anderen abhebt, sich weiterentwickelt.
Wieder ein anderes Thema, sich weiterentwickeln, (als die Familie, die Schicht, der Kreis aus der man kommt). Nicht ganz einfach.
amor fati


montagne
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Beitrag Do., 28.11.2013, 18:04

Nachtrag zu (V):
Auch so ein Aspekt, den ich hier sehe, wenn es auch vielleicht nicht so bei der Eröffnung des Threads intendiert war.

Ich sehe auch eine gewisse Tendenz dazu soziale und gesellschaftliche Probleme zu individualisieren und zu psychologisieren. Zur Therapie kommen weniger diejenige die gestörter sind, als diejenigen, die "Opfer" werden und/oder ihre Störung schlicht nicht externalisieren können, weil sie die Position dazu nicht haben. Und das sind eben auch sozio-ökonomische Fragen, Fragen der Schichtzugehörigkeit und nicht nur rein psychopathologische Fragen.

Und da sehe ich eben eine Gefahr, dass solche psychologisierenden, individualisierenden Zuschreibungen übernommen werden und man sich so in die stigmatisierte Rolle fügt. Ich meine diese Rolle hat ja auch erstmal Vorteile, die Gesellschaft hat eh was davon. Nur auf Dauer ist das extrem Kontraproduktiv für die eigene Entwicklung.
amor fati

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