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Sa., 29.12.2012, 13:15
Ich habe keine Handy- oder Privatnummer und keine Mailadresse. Mein Therapeut gibt die generell nicht raus. Er sagt dazu, es ist ihm wichtig, dass jeder Patient auch andere Möglichkeiten entwickelt oder beibehält, sich aufzufangen, wenn es dem Patienten schlecht geht. Da Abhängigkeit für mich auch ein Thema ist, habe ich das mit der Zeit sehr zu schätzen gelernt.
Er hat keinen Warteraum, daher darf ich erst ein/zwei Minuten vor meiner Stunde klingeln, und pünktlich nach 50 Minuten beendet er die Stunde. Einige wenige Male hat er um höchstens zwei Minuten überzogen.
Ich darf trotz unregelmäßiger und teilweise kurzfristig sich ändernder Arbeitszeiten in meinen drei festen Stunden kommen, obwohl er weiß, dass es manchmal nicht klappt. Er hat keine einzige jemals abgesagt, in zwei Jahren.
Ich darf mich darauf verlassen, dass er in diesen drei Stunden von Anfang bis Ende nichts anderes macht als für mich da zu sein, keine Anrufe annimmt, nicht zu spät kommt und sie nicht abkürzt, weil irgendwas organisatorisches zu besprechen ist. Diese drei Stunden gehören mir, ganz allein. Er lässt sich ganz auf mich ein, er schreibt nichts während der Sitzung auf, nur hinterher. Und das merkt man, er verwechselt nichts, er erinnert sich erstaunlich korrekt an ewig zurückliegende Stunden, Träume etc.
Ich darf alles ausdrücken, ohne Angst beschämt zu werden oder das es unsere Beziehung gefährdet. Und da gab es schon einiges, was ich gesagt habe, über ihn oder mich oder unsere Beziehung.
Ich darf davon ausgehen, dass er gerne mit mir arbeitet und mich mag, sonst würde er keine Analyse mit mir machen.
Ich darf (zwischen den Stunden) auf seinen AB sprechen, wenn es mir schlecht geht und ich fragen möchte, ob er früher eine Stunde freihat. Ich würde niemals seinen AB vollheulen. Natürlich erst recht nicht während der Stunden anderer Patienten.
Diese im Vergleich zu Euren Therapeuten sehr strenge Handhabung hat durchaus Vorteile.
Es ist sehr klar, ich weiß genau, was ich erwarten kann und was nicht. Ich versuche keine besonderen Privilegien zu bekommen, mir keine Beweise seiner Gunst oder seiner Liebe zu erarbeiten und kann damit auch nicht so leicht in eine Abhängigkeit geraten. Ich habe schon lange keine Probleme mehr mit Urlaub oder wenn ich mal eine Stunde nicht wahrnehmen kann.
Und vor allem zwei Punkte sind für mich persönlich sehr wichtig. Erstens, ich erlebe, dass Liebesbeweise nicht nötig sind, von BEIDEN nicht, um ein Gefühl von Angenommensein herzustellen. Dass ich mir das eben nicht durch eine Leistung erarbeiten muss, und ER AUCH NICHT.
Das zweite ist, dass ich ein Modell dafür bekomme, wie man sich selbst schützt vor der Vereinnahmung durch andere. Wie man Grenzen setzt, ohne Angst zu haben, die anderen durch Abweisung zu verletzen. Dass ich durch die Qualität unserer Beziehung den Beweis sehe, dass ich nicht rund um die Uhr für andere verfügbar sein muss, sondern im Gegenteil, gut für mich selbst sorge, um die Zeit, die ich mir für sie nehme, dann mit ganzem Herzen mit ihnen verbringen kann.
Das alles weiß ich so zu schätzen, weil ich das Hungern nach Liebesbeweisen (eines anderen Therapeuten) nur zu gut kenne ...
lg weidenkatz