Widersprüchliche Gefühle in Missbrauchssituation

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 02.12.2012, 10:02

Ich hätte gerne jemanden der mir zu hört
aber so jemanden gibt es nicht
also hör ich mir selber zu
bis ich jemanden gefunden habe.
Meine Erfahrung ist schon, dass das Aussprechen Beziehung kaputt gemacht hat.
Schwer jemanden zu finden, der bereit ist mit zu tragen.
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Thread-EröffnerIn
Flügellos
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Beitrag So., 02.12.2012, 11:14

Liebe ADW!

Es tut mir sehr leid, dass Dein Aussprechen für Dich so alleine geendet hat. Ich hab deine Erzählung darüber in Deinem Blog gelesen und es hat mich stumm gemacht vor Betroffenheit. Das ich es nicht schaffte Dir damals ein paar Worte dazulassen, hat mich sehr beschämt. Dein Mut, der Kenneth's und Fundevogels ist noch viel größer als meiner, denn Ihr habt Euch hier zu Wort gemeldet. Es gibt keine Worte dafür, was mir das bedeutet! Ich danke Euch von Herzen!

Liebe Fundevogel!

Ganz viel Wahres steckt in Deinen Worten. Lange wußte ich nicht um die Last, die Macht dieses Gefühls IHN zu vermissen, der Wahrnehmung des Guten an ihm. All die Zeit ließ ich diesen Teil in mir. Ich dachte wenn ich über alles andere erzähle, dem das Grauen nehme, würde auch irgendwann meine Schuld, mein Gefühl des Krankseins erträglicher. Einfach so. Aus Feigheit und abgrundtiefer Scham. Aber ich wurde nur wütend (auf mich) und immer verzweifelter, weil mein Therapeut für mich zu viel auf meiner Seite stand, meine Schuld nicht erkannte. Für mich war alles eine Lüge.

Ich weiß noch nicht, was aus diesem Aussprechen entstehen wird. Diesmal wurde es nicht "leiser" in mir, mein Selbsthass ist unermäßlich.

Ob mein Therapeut es aushält, weiß ich auch noch nicht. Wir hatten schon Situationen, wo er ausbrechen mußte, mich alleine ließ.

Umso mehr bedeuten mir Eure Worte hier. Bin ich vielleicht doch nicht so unnormal, wie ich all die Jahre dachte? Vielleicht ist das der eigentliche Missbrauch? Ihr habt mir viel zum Nachdenken gegeben, noch herrscht Chaos in meinem Kopf.

Dankbar Euch alle grüßend!
Flügellos

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 02.12.2012, 11:23

Liebe Flügellose,

ich konnte mich hier zu Wort melden weil du die Vorlage geboten hast, nur darum.
Scham, ja. Diese verfluchte Scham, Scham etwas zu vermissen wie du schreibst IHN zu vermissen
und ich muss für mich dazu fügen ES zu vermissen.
Oft, wenn ich hier lese und lese von der Angst, den Schmerzen, dem Ekel, ich denke: ja und ich fühle: ja
aber ich denke und fühle eben auch: Sehnsucht; bisher las ich nicht davon, bis gestern, bis du es hier geschrieben hast und es entlastet mich soo sehr, sooo sehr.
Das Gefühl, das dein Thread und die Antworten in mir auslösen...nicht mehr diese Isolation...
aber es ist auch viel, sehr viel...ja, Chaos Flügellose, das trifft es.

Ganz liebe Grüße an dich
ADW
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ziegenkind
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Beitrag So., 02.12.2012, 11:35

liebe flügellos,

du hast es ganz schlicht auf den punkt gebracht: das ist der eigentliche missbrauch, das gefühl, selber schuld, selber krank zu sein. ich wünsche dir sehr, dass du diesen satz halten kannst, ihn immer wieder hervorholen kannst als leitplanke, wenn der selbsthass wogt. wenn du diesen satz hast, das glaube ich, dann wirst du nicht untergehen.

wenn ich darf, eine erinnerung aus meiner therapie. ist schon jahre her und danach habe ich lange, lange zeit jeden denkbarer bogen drum gemacht.

sie, meine therapeutische bergziege, hat mich gefragt: haben sie sich je gefragt, warum sie? diese frage, laut ausgesprochen, die ich mir selber so oft und eindeutig mit "weil du krank bist" beantwortet habe, hat mich an den rand des wahnsinns gebracht. heute weiß ich, sie wollte mir zu einer anderen antwort verhelfen. sie weiß einfach nur, auch von sich selber, dass das mit vernichtenste ist, diese frage. auch dafür werde ich noch meine zweite runde therapie brauchen, zu dieser frage noch einmal zurückzukehren.

noch einmal: möge deine leitpanke dich tragen. die wogen können nicht ewig schlagen. das weißt du, nicht?
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Helferlein
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Beitrag So., 02.12.2012, 11:51

Liebe Flügellos,

ich finde es auch unsagbar groß von Dir, das an- und auszusprechen.

Es ist nicht unnormal. Oder, ich bin mir auch nicht sicher, ob "normal" hier eine Kategorie ist oder sein sollte - was erwarten Opfer eigentlich von sich, an "normalen" Reaktionen, in einer nicht normalen Situation?

Je nachdem, wie die sexualisierte Gewalt stattgefunden hat und über welchen Zeitraum, von wem, usw. - Opfer stecken (oft) im Gefühlsdilemma, dass sie selbst auch Positives empfunden hatten. Und das unabhängig davon, ob sie dieses Positive zeitweise in der Missbrauchssituation hatten, oder bei anderer Gelegenheit mit dem / der TäterIn.(!) Dadurch (u.a.) das Gefühl, selbst verantwortlich zu sein, das Gefühl der Schuld, des Selbsthasses.
Ich denke auch nicht, dass das für TherapeutInnen überraschend sein dürfte.

Den Selbsthass verstehe / kenne ich, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich auch Positives damit verbinde. Ich denke nicht, und wenn ich mir hinter die Schliche kommen sollte, dass da doch etwas war, dann weiß ich auch nicht, wie damit umgehen. Ich versuche trotzdem immer wieder, ein Stück weiter zu suchen, gerade so weit, wie ich kann, ob da etwas an Positivem war, weil ich denke, dass das einer der wichtigsten und am schwersten zu überwindenden "Stellen" ist. Die aber, wenn erstmal begriffen und verinnerlicht, dass es normal ist, nicht zu Schuld führt, und man selbst nichts dafür kann, auch ein großes Stück an Heilung beinhalten kann. Ich bin gerade am Fragezeichen setzen hinter: etwas Besonderes für jemanden sein. (Nie aber getrennt vom falschen Umgang des Täters womit auch immer, und vom Unrecht!) Am schwierigsten stelle ich mir Situationen vor, in denen biologische Reaktionen des Opfers mit zum "Positiven" gehören.

Es kann keine Schuld des Opfers geben. Alle Reaktionen sind erklärbar, normal und lebensrettend.

Ich glaube, Du bist auf einem guten Weg. Respekt, wirklich. Und - alles Liebe an Dich.


ziegenkind
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:03

passwort, das ist mein einfallstor für selbsthass: manchmal hatte ich das gefühl, etwas besonderes zu sein. manchmal kann ich mir erklären, dass ich ausgehungert war nach, puh, was eigentlich? aufmerksamkeit? gesehen werden? zuwendung (kotz)? manchmal hilft das nichts und ich denke nur, wie krank ist das denn. immer hin und her. und manchmal weiß ich, weil ich mir das bis heute nicht verzeihen kann, reagiere ich panisch darauf, wenn man, z.b. meine therapeutin mir aufmerksamkeit, zuwendung gibt, wenn sie mich sieht, wenn sie sich vorbeugt in ihrem sessel und ganz nah etwas in mein ohr wispert. ich finde das schön. aber jedes mal muss ich fast kotzen. ich möchte das nicht mehr. es gibt nichts, was ich mehr möchte, als aus diesem mechanisms aussteigen.
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:07

im Kopf bekomm ich es geregelt, oft zumimdest.
aber der Körper...da gibts keine Verbindung...und zugleich eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und dem Heute.

Diese Verbindung von Liebe und dem Übergriff
ich weiss nicht wie das aufzulösen wäre
und es sitzt im Körper...auch.
Ich bin konditioniert.
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:10

Liebe AdW,

ja.

Ja, darf sein. Eigentlich ist es sogar etwas Schönes, und wie es "sein sollte". - In einer liebevollen Situation im Vertrauen, im gegenseitigen Einverständnis, im Gesunden, in der niemand den anderen ausnutzt. Nicht seinen Körper, nicht seine Abhängigkeit, nicht seine Unwissenheit, nicht seine Unmöglichkeit, die Situation zu begreifen.

Viele sexualisierte Gewalt geht nicht einher mit physischer Gewalt und ist "zärtlich". (Mir ist übel.)

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:13

oft habe ich mich schlechte gefühlt weil ich gerne mit meinem Mann zusammen bin, weil es schön ist, weil...
und ich dachte mir: ADW, warum ist das so bei dir? Warum ist das nicht so wie du oft liest: Ekel, die Unfähigkeit zum Sex etc.
Sondern wirklich: du bist die Kranke, denn du hast Freude dran...so ungefähr...
Als Kind, da waren viele Schmerzen und viel Angst aber als ich älter wurde, da kam die Lust...regelrechte Lust und wer wusste zu gut wie er sie mir verschafft
ich kann nicht glauben, dass ich es hier schreibe aber es war so.

Was ist geblieben heute: das Gefühl Erregung ist etwas Krankes, ich möchte sie immer schnell "wegmachen"
Sex ohne Orgasmus hat Selbstverletzung zur Folge weil die Erregung bleibt, die verfluchte Errregung, die mir zeigt
wie krank ich bin.
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:20

kenneth,

ja. Ich finde, Du beschreibst das echt gut, was passiert. Das, was heilsam wäre, das so wichtig und guttuend wäre, ist das, das erst in diese Lage bringen konnte, das untergraben, verletzt, ausgenutzt, verhöhnt, für nichts genommen wurde. Ich weiß auch nicht, wie aussteigen.

Was ich zuvor noch hätte sagen wollen: Diese Reaktionen sind dann nicht in dem Sinne selbst gewollt, oder erwünscht, es sind Reaktionen des Körpers. Insofern erscheint mir auch sehr schlüssig, dass man seinen Körper ablehnt und/oder sich getrennt von ihm sieht. Ihn subtiler oder offener zerstören will, ...

Konditioniert, ja.

edit: Es ist sehr krank, ja! - Aber nicht von Dir/uns!

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Beitrag So., 02.12.2012, 12:35

**AufdemWeg** hat geschrieben: und ich dachte mir: ADW, warum ist das so bei dir? Warum ist das nicht so wie du oft liest: Ekel, die Unfähigkeit zum Sex etc.
Sondern wirklich: du bist die Kranke, denn du hast Freude dran...so ungefähr...
Das ist so die allgemeine Sicht des nichtsensibilisierten Umfeldes. Das nochmal schön zusetzen kann. Das sind Erwartungen und Vorstellungen von Unwissenden. Wenn es geht, nimm sie nicht an, mach sie Dir nicht zu eigen und verwende sie nicht selbst gegen Dich - sie sind so, so falsch und unzutreffend.
Es gibt kein "so muss sich ein Opfer verhalten / fühlen". - Was denn noch, jetzt ist das und das passiert, und jetzt hat sich das Opfer auch noch so und so zu verhalten?! Und tut es das nicht, bekommt es erst recht wieder Missbilligung, für das nicht wie erwartete Verhalten.
Wie soll denn jemand auch aus allem heraus finden, wenn ihm immer eigen- oder fremdsuggeriert wird, falsch zu sein, eigentlich eh mit allem? Früher, jetzt.

Es ist aber doch ein guter Schritt, dass erfüllte Sexualität auch möglich ist.
Das macht das, was war, nicht weniger schwerwiegend, und schon gar nicht rechtens, und auch nicht mitverschuldet. Dann ist das immerhin etwas, das nicht vollständig zerstört wurde.
**AufdemWeg** hat geschrieben: Was ist geblieben heute: das Gefühl Erregung ist etwas Krankes, ich möchte sie immer schnell "wegmachen"
Sex ohne Orgasmus hat Selbstverletzung zur Folge weil die Erregung bleibt, die verfluchte Errregung, die mir zeigt
wie krank ich bin.
Die versuchte Sexualisierung ist ja das eigentlich Perfide, unter anderem, bei all diesen "zärtlichen" Annäherungen.
Eine Sexualisierung, die nicht zulässig ist.

Du bist nicht krank. Jemand hat ordentlich zerstört, indem er verursacht hat, dass Du Erregung mit etwas verbindest, das Du zutiefst ablehnst.
Das ist krank. Die Perfidie ist krank.
Dass sich das Menschen erlauben ist krank. Dass sie in Menschen, die nicht fähig sind, Situationen voll und ganz zu erfassen, ausnutzen, ist krank.

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:37

Ja und das Thema Sexualität konnte ich zumindest soweit in der Therapie mit ihr bearbeiten dass es heute keine Selbstverletzungen mehr gibt.
In diesem Punkt hat sich meine Therapeutin sehr zur Verfügung gestellt, sehr.
Es war aber auch der Punkt an dem sie sagte: ich kann das nicht dabei konnte sie hat viel gegeben, sehr viel ausgehalten, neu konditioniert.
Für mich was das z.B. das Schwierigste weil ich eben aus dem Körper nicht aussteigen kann, hab ich nie geschafft.
Irgendwann ist bei ihr der Punkt gekommen an dem sie mich als Person wahrnahm und nicht mehr als Körper
und dann konnte sie nicht mehr, nicht weiter.
Das hätte ich nie gedacht.
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Fundevogel
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Beitrag So., 02.12.2012, 12:40

Ich habe meinen Beitrag gelöscht
und ziehe mich nun zurück aus diesem Thread.

Ich danke euch so sehr, vor allem dir, Flügellose,
du warst so mutig, bist als erste losgeflogen
ins Unbekannte, Flügel sind dir gewachsen.
Danke.
Fundevogel


ziegenkind
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Beitrag So., 02.12.2012, 13:17

adw,
ich hab es noch nie laut gesagt, aber ich hatte jahrelang rein sexuelle beziehungen. und ich hab mich so dafür gehasst. ich konnte es aber nicht sein lassen. heut weiß ich manchmal, das war die einzige art und weise, wie ich nähe zulassen konnte. alles andere hat mir höllenangst gemacht. bis ich mit ende 20 meinen mann kennenlernte. ich weiß nicht, was da passiert ist, bis heute nicht. aber mit ihm macht mir nähe überhaupt keine angst. das ist so ein geschenk. ist das nicht ungeheuerlich?
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Beitrag So., 02.12.2012, 13:31

Kenneth,

oh ja, da sist ein sehr sehr großes Geschenk.
Ich habe Jahre dafür benötigt um meinen Mann von meinem Onkel zu trennen
und manchmal, manchmal scheint es noch immer mal wieder leicht durch.
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