Wärme und Geborgenheit in der Therapie - welches Maß?

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Beitrag Sa., 20.10.2012, 10:37

Ich denke, es ist egal, ob männl. oder weibl. Therapeut sagt "Ich mag Sie". Es kommt darauf an WIE er/sie es sagt und wie die VORBEREITUNG dazu ist. Meine Analytikerin holt mich ab und an in die Realität der Arbeitsbeziehung zurück, hält eisern am Rahmen fest, benennt die Beziehung...

Sie setzt da ganz bewußt ihre männlichen und weiblichen Anteile ein.

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ziegenkind
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 10:47

ja ferdin, ich denke auch, ein guter theapeut, eine gute therapeutin hat beide anteile. und objektive maßstäbe und grenzen, nein, das kann ich mir in der arbeit mit unterschiedlich gestörten menschen auch überhaupt nicht vorstellen. es gibt da nicht mechanisch das eine, das für alle gut ist. das klingt in meinen ohren ein bischen nach 19. jahrhundert positivismus. ich denke mal, so im rahmen einer natürlich extrem vulgarisierenden analogie, jemand der übergewichtig ist, der braucht eher weniger zu essen, jemand der untergewichtig ist, braucht eher mehr. blöd nur, dass es die psychowage nicht gibt. und schwupp bin ich an den grenzen meiner analogie.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Beitrag Sa., 20.10.2012, 10:55

Versteh deinen letzten Satz nicht so ganz, kenneth? Grenze und Analogie implizieren doch das Maß. Das Maß selbst besteht glaube ich nicht nur aus den beiden Polen - sondern ganz, ganz viel dazwischen und vor allem ist das Maß doch die Elastizität in der Handhabung von Wärme und Geborgenheit.

Edit: ich habe es anders ausgedrückt.
Wie wichtig doch Satzzeichen sind...

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Dunkelbunt
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 11:13

Das richtige Maß ist, denke ich, wenn es dem Patienten gut geht damit, er sich nicht unwohl fühlt und sich entwickeln kann.

Deine Frage impliziert meiner Vermutung nach schon ein "Unwohlfühlen", sonst käme sie gar nicht auf. Also irgendetwas ist da im Ungleichgewicht. Das hängt vermutlich mit der Asymmetrie der Beziehung zusammen. Wenn es zuviel Wärme gibt, dann läßt das alle Sehnsüchte in einem aufsteigen, das ist so ein "Gemisch-Gefühl" von professioneller/privater Beziehung. Das Kind in einem fühlt sich betrogen, da es nur naschen darf von dem Paradies, es aber niemals bekommen wird. Aber diese leise Hoffnung, es schlußendlich doch noch zu bekommen, führt zur Abhängigkeit.

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ziegenkind
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 11:16

ferdin, ich glaube, wir meinendas selbe. ich hab da jetzt keine schlüsselfertige theorie, mehr so ein konglomerat von überzeugungen, erprobt in gesprächen mit einigen therapeuten-freunden. es scheint mi gerade mit blick auf die frage, ob ich meine bedrüftigkeit eher über- oder unterschätze, ob ich die dauernd rausbrülle oder eher verschämt verstecke, sehr unterchiedliche typen von patienten zu geben, die dementsprechend möglichst an den unterschiedlichen orten, an denen sie rumstehen, abgeholt werden sollten. klar gibt es da myriaden von diffferenzierungen zwischen den beiden extrempolen. schwirig scheint mir das aber auch deshalb zu sein, weil das ja nicht so offen zu tage liegt, die typen also nicht mit der selben mechanischen eindeutigkeit eruierbar sind wie gewicht auf einer waage.

wenn ich so darüber nachdenke, bedarf es aber auch noch auf einer weiteren ebene oder in einer weiteren dimension der differenzierung. was macht der bekloppte mit der wärme und geborgenheit, die er bekommt? wenn ich das mal in der sprache der mir eigentlich eher suspekten ökonomen ausdrücken darf: investition eher in konsum oder eher in produktion. da leuchtet dann auch noch mal in meinen augen das problem auf, dass das, was es mir ermöglicht, mich wohl zu fühlen nicht immer das ist, wa ich brauche um micht zu entwickeln. so kann man die entstehung suboptimaler, aber stabiler gleichgewichte erklären. lässt sich vielleicht mit gewinn auf die therapie übertragen. das gibt es doch immer wieder, nicht, leute, die sich IN der therapie sehr wohl fühlen, aber kalt vom ende erwischt werden, weil sich eben nix verändert hat.

will heißen: man bräuchte ein multidmensionales eichmaß.
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flowerbomb2
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 12:30

Doch, ich finde absolut, dass objektive Grenzen sein müssen, die auch für alle gut sind. Zum Beispiel kein sexueller Kontakt, keine private Beziehung, keine Liebesbeziehung. Sowas darf eben gerade nicht dem Therapeuten überlassen werden, weil die Patienten eben doch krank sind und nicht jeder sich auch selbst abgrenzen kann. Der Therapeut hat eine Verantwortung, eben weil es keine Beziehung auf gleicher Ebene ist.

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Beitrag Sa., 20.10.2012, 12:35

flowerbomb2, ich stimme mit dir überein. Ich habe den Thread aber nicht dahingehend verstanden, dass es um Verletzung der Rahmenbedingungen geht. Sondern INNERHALB der selbstverständlich!!! vom Therapeut einzuhaltenden Rahmenbedingungen.

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flowerbomb2
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 12:37

Okay, dann ist gut


montagne
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 21:07

Ich denke nicht, dass eine große Nähe und Wärme in der Therapie zu einer schädigenden Abhängigkeit führen muss.

Ich glaube eher eine gute Therapie zeichnet sich genau dadurch aus, dass diese Nähe hergestellt werden kann, wie auch immer, das ist sicher Abhängigkeit von den Protagonisten und der jeweilen Therapierichtung und es dann trotzdem ein gutes Ende gibt. Gut in dem Sinne, dass die Klientin gehen kann, das Ende aushlaten kann, aber auch trauern kann und fühlen aknn, dass da wirklich was Gutes zuende geht. Und gleichzeitig das Gute mitnehmen und in sich behalten und weiter wachsen lassen.

Im Grunde doch wie eine Mutter-Kind-Beziehung. In einer guten ist das Kind der Mutter so nah, bekommt so viel... und dennoch gibt es einen Loslöseprozess. Das kind möchte raus aus der Beziehung und rein in die Welt und die Mutter möchte auch wieder mehr Freiheit haben, irgendwann ist eben gut.

Und irgendwann begegnen sich Kind und Mutter auf einer neuen Ebene, als 2 Erwachsene, die sich gleichberechtigt was zu geben haben. (In der Therapie ist sicher an genau dem Punkt spätestens das Ende erreicht.)

Jedenfalls stelle ich mir das für meine Therapie spo vor, dass es so enden wird, bzw. hat meine Therapeutin mir das mal so in Aussicht gestellt. Das wir eine neue Ebene finden werden. nach der tendenziell abhängigen Nähe kommt eine andere...
amor fati

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Fast Forward
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 21:46

Das ist ein schöner Gedanke, montagne, mein Thera beschreibt das Ende auch so. Nur ich kann mir das nicht vorstellen, dass ich bei all der Nähe, die ich dort spüre, jemals freiwillig gehen werde, es jemals als "ok" empfinden werde.
Ich ziehe da auch klare Parallelen, da ich bald von Zuhause ausziehe in meine eigene Wohnung und das war wirklich meine eigene Entscheidung und ich bin kaum traurig ob der Veränderung, da es einfach Zeit ist. In der Therapie aber ist das gänzlich unvorstellbar. Und wie gesagt, ich erfahre da viel Nähe, mein Therapeut zählt zu den ganz wenigen Menschen, die mich fangen können, wenn es mir schlecht geht, und von denen ich mich auch auffangen lasse... Manchmal frage ich mich schon, ob ich die Sache anders angehen würde, wäre da mehr Distanz zwischen uns. Aber bisweilen fühlt es sich mehr so an, als besuche ich jemanden, der eine Verbindung aus engem Freund und Familienmitglied darstellt (schwer zu beschreiben eigentlich, denn natürlich hat er in meinem sozialen Netzwerk eine ganz eigene Stellung und Rolle).

Also, alles, was ich in der Therapie erhalte, sehe ich als ein Geschenk und verpflichte mich selbst, es so gut ich kann, entwicklungsfördernd einzusetzen. Alles, was ich von Zuneigung, Vertrauen, Geborgenheit entgegengebracht bekomme, hüte ich wie einen Schatz und möchte nichts davon verschwenden, es sind alles gute und wichtige Dinge. Aber schon wenn die Abstände zwischen zwei Sitzungen länger sind, fühle ich mich verlassen. Vielleicht sind das Indikatoren, dass meine Zeit zu gehen noch fern ist. Allerdings; ich bin schon viel länger bei ihm, als ich ursprünglich hätte sein sollen und ich bin irgendwo froh, dass sich mir immer wieder neue belastende Baustelle auftun, die Bearbeitung benötigen...

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hope_81
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Beitrag Sa., 20.10.2012, 21:57

Ich denke so individuelle jeder Mensch ist, so individuell auch das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit.
Ich war gestern abend in einer Situation, da musste ich einen fixierten Menschen eins zu eins überwachen ( neue gesetzliche Regelung nach Psych-kg)
Na ja, das habe ich schon des öfteren gemacht. Gestern zum aller ersten mal, habe ich mich zu diesem Menschen auf das Bett gesetzt und ihn umarmt, geschtreichelt und gehalten. Weil ich irgendwie gespürt habe, dieser Mensch braucht das jetzt. Es ist so ein zweischneidiges Schwert, so ein sensibles Thema und man muss gaaaaaanz genau abwegen mit wem man das macht und mit wem nicht. Ganz genau spüren, wann es auch wieder gut ist usw....(nicht nur das körperliche Berühren natürlich)
Ich glaube man kann das nicht pauschalisieren, planen oder so. Es sind Momente die das entscheiden.
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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Sausewind
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Beitrag So., 21.10.2012, 09:16

Ich wollte mal ein paar Sachen aufgreifen ..
Mirjam hat geschrieben:Ich denke auch, dass da, vor allem, wenn man schon lange regelmäßig zu ein- und derselben Therapeutin geht, wie ich das tu, eine sehr echte und intensive Beziehung einfach da ist, die auch auf Gegenseitigkeit beruht. Die Gegenseitigkeit ist eine emotionale, betrifft Zuneigung und Wertschätzung.
Hm hm, ja, es kann sich so anfühlen . . aber eine echte Beziehung ist eben m. E. nicht zeitlich limitiert . . und wie echt sind dann diese Wärme und die Zuneigung noch? Wenn ich mich mit jemandem im echten Leben gut verstehe, und da ist Sympathie da, beendet man ja nicht künstlich diese Beziehung nach so und so viel Jahren .. und da fällt dann der sich in Sicherheit und Geborgenheit wähnende und wiegende Patient, denke ich, doch ganz schön auf die Nase . .
Dunkelbunt hat geschrieben:Wenn es zuviel Wärme gibt, dann läßt das alle Sehnsüchte in einem aufsteigen, das ist so ein "Gemisch-Gefühl" von professioneller/privater Beziehung. Das Kind in einem fühlt sich betrogen, da es nur naschen darf von dem Paradies, es aber niemals bekommen wird. Aber diese leise Hoffnung, es schlußendlich doch noch zu bekommen, führt zur Abhängigkeit.
Ja, das sehe ich genauso. Man hofft immer weiter, dass das innere Loch doch noch gestopft wird. Und oft WOLLEN Therapeuten ja auch geben (Wärme und Zuneigung), so kommt es mir jedenfalls vor (es kommt sicherlich noch mal auf die Therapieschule drauf an).
Auf der anderen Seite, wenn Therapeuten kalt sind oder distanziert, wenig von sich preisgeben, wenig Rückmeldung geben, ob sie einen mögen, wenig sagen, was sie eigentlich genau über einen oder über einzelne Probleme von einem denken, dann tritt bei mir beispielsweise sofort eine starke Sperre auf . . dann denke ich, ok, du gibst nichts, warum soll ICH dann irgendwas von mir preisgeben? - und das ist auch nicht durch reinen Willen steuerbar . .
kenneth hat geschrieben:da leuchtet dann auch noch mal in meinen augen das problem auf, dass das, was es mir ermöglicht, mich wohl zu fühlen nicht immer das ist, wa ich brauche um micht zu entwickeln. [...] das gibt es doch immer wieder, nicht, leute, die sich IN der therapie sehr wohl fühlen, aber kalt vom ende erwischt werden, weil sich eben nix verändert hat.
Diese Gefahr sehe ich auch. Man lebt sozusagen in und durch die therapeutische Beziehung, versucht dort den Mangel zu stillen, aber es wird nicht an den tiefer liegenden Strukturen gearbeitet . . aber trotzdem frage ich mich da, ob durch eine distanzierte Beziehung an den Strukturen gearbeitet werden kann . . oder ob man nicht automatisch immer versucht, zuerst mal den Hunger zu stillen? Und wenn der/die TherapeutIn kühl(er) ist, nicht auf alle Nähewünsche eingeht, versucht man nicht doch oft, diese doch noch aus ihr rauszulocken?
......................................

Ich habe eine Bekannte, die ist bei einer Tiefenpsychologin. Neulich schenkte sie ihr etwas, einfach so, weil sie viel handarbeitet und bastelt und sich prinzipiell in der Therapie sehr wohl fühlt. Darauf reagierte die Psychologin ziemlich distanziert, und am Schluss fragte meine Bekannte sie, ob sie ihr zu nahe getreten sei. Die Psychologin antwortete "Naja, solange Sie mir nicht ständig was schenken . . " (Anmerkung: Meine Bekannte ist dort seit 3 Jahren und hat ihr noch nie (!) was geschenkt zuvor). Sie war dann sehr vor den Kopf gestoßen, machte sich viele Sorgen und Gedanken und hatte auch das Gefühl, sie müsse diese Distanz nun wieder zu überwinden versuchen. Ich hatte den Eindruck, diese Reaktion der Therapeutin, die sich sicher abgrenzen wollte, hat eher mehr Schaden und Irritation ausgelöst, als wenn sie sich "normal" bedankt hätte.

Eine solche Verhaltensweise wäre in meiner Therapie beispielsweise undenkbar. Mein Therapeut kommt aus der VT-Ecke und meint, man solle sich als Mensch in der Therapie nicht anders verhalten als im normalen Leben auch. Ich habe ihm mal was zu Weihnachten geschenkt, da hat er sich total gefreut, und meinte, das wäre aber nett, man würde als Therapeut so selten mal Geschenke bekommen, also es war eine normale, menschliche Reaktion.

Also was ich damit sagen will: Die Tiefenpsychologin meiner Bekannten versuchte sich ja abzugrenzen und zu distanzieren und sie nicht zu nahe kommen zu lassen. Aber irgendwie hat das ja gar nicht den gewünschten Effekt gehabt, sondern meine Bekannte ist nun irritiert und macht sich Sorgen und wünscht sich nun umso mehr Zuneigung . . aber wenn ein Therapeut eben "normal" reagiert, dann nimmt man ihn vielleicht nach einer Weile zu sehr als normale Person wahr, die auch so im eigenen Leben existieren könnte .. nur das ist er ja nicht, er ist ja irgendwann nicht mehr da ..

Ich weiß nicht, ob klar ist, warum ich das Ganze so ein bisschen als "Catch-22-Situation" sehe ..

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stern
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Beitrag So., 21.10.2012, 10:17

Gibt es ein Maß? Ich würde sagen, ja... und zwar die Nähe, die für beide stimmig ist. Also auch einem Therapeuten kann etwas zu nah sein. "Wieviel" das ist, dürfte wohl individuell sein. Auch je nach "Stimmung", Situation, usw. Also es gibt m.M.n. kein fixes Maß.
Auf der anderen Seite ist die Frage, ob zuviel "Mögen", Zuwendung etc. nicht eventuell stark abhängig macht?
Meiner Meinung nach nicht. Sondern das Defizit, dürfte abhängig machen, nicht die Nähe an sich. Also wenn man in sich keinen wärmenden, geborgenen Pol findet. Und darauf angewiesen ist, dass das von außen kommt.

-------------------

Erinnert mich gerade an eine schräge Situation (Kurzfassung, da sehr persönlich):

Therapie: Ich sitze auf meine Stuhl und schau mal wieder alles andere an als die Therapeutin. Blick wandert (ungewöhnlicherweise) auf meine Füße. Irritation: Was ist da gefühlte 10 cm neben mir: Therapeutenfüsse *help* *g*... also sehr nah, so dass sich mir folgender Gedanke auftat: wenn ich mich etwas bewege verheddere ich mich vielleicht in ihren Füssen (fiel mir vorher gar nicht so auf), auf die dann auch mein Blick fiel, was ihr vermutlich dann auch aufgefallen ist. Sie: Wir sitzen sehr nahe... ist Ihnen das zu nahe? Sie können gerne den Stuhl etwas nach hinten verrutschen. Ich: Stuhl um gefühlte 5 cm nach hinten geschoben (so unrecht war mir Nähe gar nicht ... nur etwas dicht aufeinander gesessen war es zugegebenermaßen. Eigentlich auch spannende Situation, was sich in mir abspielte). Daraufhin ist sie mit der Frage, ob es jetzt besser sei, mit ihrem Stuhl noch etwas nach hinten abgezogen. Ich habe später überlegt, ob es ihr selbst zu nah war, ich vermute ja (bin aber nicht sicher... weil auch sonst hin- und wieder mal die Sitzposition mit Rücksicht auf mich aufgriff). ABER:

Das war btw. eine Sitzung mit einer sehr starken "emotionalen" Präsenz/Nähe. Also ich sehe es so, gefühlte emotionale Nähe hängt nicht unbedingt von der räumlichen Nähe ab... aber die ein oder andere Geste kann auch emotionale Nähe stellen. Nur wie gesagt: Das stimmige Maß halte ich für etwas individuelles und auch situationsabhängiges. Und das zu treffen ist, wohl nicht immer so leicht, weil es voraussetzt, dass jemand selbst ein Gespür hat, was stimmig ist... das auch so "ertragen" bzw. annehmen könnte, dass es als angenehm erlebt wird... und der andere ansatzweise erspürt, was für jemanden stimmig ist, also Grenzen nicht überschritten werden (soweit es nicht explizit kommuniziert wird - wird es nicht immer, gibt auch nonverbale Kommunikation). Und verschätzt man sich, z.B. dass man jemanden zu sehr auf die Pelle rückt, dann schafft das Distanz, der Patient empört sich dann vielleicht, bekommt Angst oder oder oder. Also ich halte das Auspendeln des passenden Maßes auch für störanfällig. Auch zu viel Distanz kann zu Störungen führen. Umso mehr, wenn (was der Regelfall sein dürfte) bei beiden das Maß nicht deckungsgleich ist.
Zuletzt geändert von stern am So., 21.10.2012, 10:55, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße
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stern
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Beitrag So., 21.10.2012, 10:39

kenneth hat geschrieben:da leuchtet dann auch noch mal in meinen augen das problem auf, dass das, was es mir ermöglicht, mich wohl zu fühlen nicht immer das ist, wa ich brauche um micht zu entwickeln. [...] das gibt es doch immer wieder, nicht, leute, die sich IN der therapie sehr wohl fühlen, aber kalt vom ende erwischt werden, weil sich eben nix verändert hat.
Diese Gefahr sehe ich auch. Man lebt sozusagen in und durch die therapeutische Beziehung, versucht dort den Mangel zu stillen, aber es wird nicht an den tiefer liegenden Strukturen gearbeitet . . aber trotzdem frage ich mich da, ob durch eine distanzierte Beziehung an den Strukturen gearbeitet werden kann . . oder ob man nicht automatisch immer versucht, zuerst mal den Hunger zu stillen? Und wenn der/die TherapeutIn kühl(er) ist, nicht auf alle Nähewünsche eingeht, versucht man nicht doch oft, diese doch noch aus ihr rauszulocken?
Kann man das auf jede Therapie übertragen, dass nicht an den "tiefer liegenden Strukturen" (wie du es nanntest) gearbeitet wird? O.k., rhetorische Frage. Denn ich sehe das definitiv nicht so, sondern hängt vermutlich von verschiedenem ab, wie es damit bestellt ist... und ich mache btw. keine PA. Und ich merke, dass ich (im Vergleich zu früher) einiges mehr an "wärmendem" Pol habe (neben einigen anderen Polen, die sich auch schon mal stärker mal etwas weniger veränderten). Nähe bzw. eine "nahe Beziehung" schließt Veränderung nicht aus. Wäre ja absurd... Therapie (wenn man nicht sehr stark auf Distanz getrimmt ist) ist an sich eher eine intime Beziehung, in der man viel von sich preis gibt, usw. Aber wie eben gesagt: Wird das passende Maß verfehlt (also zu nah oder zu fern), so dürfte das regelmäßig zu (kontraproduktiven) Störungen führen (zu viel Nähe IST üblicherweise eine überschrittene Grenze). Wenn sich etwas (was auch immer) nicht ändert, dürfte das viele Gründe haben können. Nicht unbedingt nur den, dass jemand etwas bestimmtes auch gar nicht ändern will (was durchaus ein Grund sein kann). Sondern vielleicht lief auch in der Therapie insofern etwas schief, dass der Therapeut etwas verkannte. Och, 100 Gründe könnte ich zur Not zusammenkratzen. Nicht alle haben nur mit dem Patienten zu tun.
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Beitrag So., 21.10.2012, 11:15

Darauf reagierte die Psychologin ziemlich distanziert, und am Schluss fragte meine Bekannte sie, ob sie ihr zu nahe getreten sei. Die Psychologin antwortete "Naja, solange Sie mir nicht ständig was schenken . . " ... Ich hatte den Eindruck, diese Reaktion der Therapeutin, die sich sicher abgrenzen wollte, hat eher mehr Schaden und Irritation ausgelöst, als wenn sie sich "normal" bedankt hätte.
Das halte ich, sorry, für eine inkompetente Reaktion. Bzw. mir fehlt die passende Beziehung, seltsam eben. Und ja, dass kann zu Irritationen beim Patienten führen, die allerdings klärbar sein sollten.

Und btw.: Ich hatte auch mal ein Geschenk (nicht häufig natürlich, 2x *grübel*?), wovon eines nicht wohl nicht so den Geschmack traf (war aber nichts grenzüberschreitendes o.ä.). Och, das sprach meine Therapeutin schon an (die auch relativ direkt sein kann). Aber bemerkenswerterweise so, dass ich mich nicht zurückgewiesen fühlte, eher noch im Gegenteil. Und auch ja:
Eine solche Verhaltensweise wäre in meiner Therapie beispielsweise undenkbar. Mein Therapeut kommt aus der VT-Ecke und meint, man solle sich als Mensch in der Therapie nicht anders verhalten als im normalen Leben auch.
Für mich auch wichtig, aber gut, vielleicht können insofern die Geschmäcker/Bedürftigkeiten auch unterschiedlich sein. Vielleicht würde obige Therapeutin im RL ähnlich reagieren, keine Ahnung. Bzw. vielleicht war Missfallen ja auch die echte Reaktion, die sich eben als "Reserviertheit" äußerte, vgl. "reagierte die Psychologin ziemlich distanziert".
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