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Di., 02.08.2011, 10:10
Hey Procrastinator,
ich kann Dich sehr gut verstehen. Ich kenne beide Seiten, die gesellige und die einsame. Und ganz besonders an der Uni kam das bei mir zum Tragen. Ich habe zwischendurch noch einmal einen Studienortwechsel gemacht, und ab da wurde es besser.
Als ich anfing zu studieren war es ehrlich gesagt schrecklich. Ich traute mich kaum aus dem Haus, an die riesige Uni, ich dachte, jeder starrt mich an und gemeinsam mit mir wird sowieso niemand etwas machen wollen. Ich bin zu meiner Studienzeit in dieser Stadt nie in die Bibliothek gegangen, weil ich mich über die Eingangshalle nicht hinaustraute und schon gar nicht, nachzufragen, wie man einen Leseausweis bekommt. Immer dachte ich, ich bin einfach nur peinlich, müsste alles von allein wissen, dürfte nicht fragen und mich auch niemandem anschließen. Ich war auch frustriert, weil von selbst niemand auf mich zukam. Ich war elend einsam. Letztlich stand ich morgens nicht mehr auf, sondern blieb bis zwei Uhr mittags im Bett liegen. Dafür war ich dann abends rastlos. Ich bin nicht ausgegangen, sondern habe die Zeit vor meinem Fernseher oder Computer verbracht. Freunde zum Telefonieren hatte ich nicht, keine gemeinsamen Aktivitäten mit irgendwem, nur sporadischen Kontakt zu einer einzelnen Kommilitonin. Es war die wohl einsamste, grässlichste Zeit meines Lebens, und ich habe die Stadt später nach meinem Wegzug lange gemieden, weil sie so viele schlechte Erinnerungen barg.
Nach dem Wechsel in eine andere Stadt wurde vieles besser, aber ich hätte diesen Wechsel nie in Angriff genommen, wenn ich nicht vorher bei einem Hörfunk-Kurs, zu dem mich ein alter Schulfreund überredet hat, einige Leute kennengelernt hätte. Ich habe dann ein Praktikum gemacht und bin ab da offener geworden, weil die Leute mich einfach genommen haben, wie ich war. Ich konnte mehr aus mir rauskommen (und musste es auch, um Interviews führen zu können und Wissenslücken in Sachen Technik durch Fragen zu schließen). Die Stadt, in die ich gezogen bin, war erheblich kleiner, die Uni war kleiner, wir hatten in unserem Fach zu etwa zehn Leuten einen Prof als Mentor, und so habe ich ein paar wirklich sehr nette Menschen kennengelernt, mit denen ich auch mehr Zeit verbringen wollte. In meinem Fach war das Konkurrenz-Hick-Hack zum Glück überhaupt nicht ausgeprägt, so dass man sich gut verstand und auch Zeit zum Philosophieren hatte. Wir aßen zusammen zu mittag, lagen in den Pausen zusammen auf der Wiese und ich war nicht mehr einsam. Zwei dieser Uni-Freundschaften halten bis heute, aber selbst da bekomme ich nicht täglich SMS, sondern wir telefonieren einfach, wenn uns danach ist. Diese zwei gehören auch zu den Menschen, die es einem nicht verübeln, wenn man mal für länger abtaucht, und sie sind keine oberflächlichen Spaß-Menschen - das wäre gar nicht meins. Also kann ich Dich gut verstehen, was das betrifft.
Das Problem ist, dass einen keiner abholt, wenn man einsam ist. Die Menschen wissen ja gar nicht, dass man existiert, und von selbst kommt man nicht aus seinem Loch, wenn man nicht glaubt (oder glauben kann), auch tatsächlich willkommen und angenommen zu sein. Dazu wird man schnell auch mal misanthropisch, ich kenne das nur zu gut von mir selbst. Und solche Umstände sind Beziehungskiller.
Ich glaube, es könnte Dir helfen, das Problem in einer Therapie anzugehen. Denn es gibt schon einen Namen für das alles: Soziale Phobie. Dazu kamen bei mir noch Depressionen, wovon ich aber damals nichts wusste. Und das würde ich bei Dir auch nicht ausschließen, denn gerade die Antriebslosigkeit und das sehr negative Selbstbild sprechen doch sehr dafür. Ich wäre damals sehr froh gewesen, wenn mir jemand hätte sagen können, was da eigentlich nicht stimmt mit mir. Ich dachte halt damals, ich sei einfach nur schlecht und dass sich deshalb niemand mit mir abgibt. Heute weiß ich, wieviel da eigentlich im Argen hing und dass ich aus eigener Kraft aus dieser Situation damals kaum hätte rauskommen können. Dass mir das mit dem Praktikum gelungen war, war ein echter Glücksfall, aber es hat mich auch nicht vor einem späteren Rückfall in eine heftige depressive Phase geschützt, in der ich dann wieder sehr einsam war, obwohl ich Leute kannte und auch gern hatte. Einsamkeit und Einsamkeit können also auch zwei Paar Schuhe sein.
Nur Mut, allein bist Du mit dieser Einsamkeit nicht, und sie ist auch kein unverrückbarer Zustand.
Die Füchsin