Psychotherapie, wieviel Verantwortung trägt der Klient?

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hungryheart
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 08:28

chandelle hat geschrieben:Danke für Eure Beiträge. Leider geht es mir heute so schlecht, dass ich nur lesen mag.

hoffentlich gehts dir bald wieder besser
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hungryheart
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 08:41

Gärtnerin hat geschrieben: zur Ausgangsfrage "Wieviel Verantwortung trägt ein Klient?" würde ich antworten: "So viel oder so wenig Verantwortung wie er in seiner ganz individuellen Situation und zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt tragen kann."

hi liebe gärtnerin....
ich würde mal das "kann" betonen wollen, weil das, was ein patient tatsächlich kann wohl oft ziemlich sicher unglaublich und deutlich mehr ist, als der patient glaubt zu können.

Gärtnerin hat geschrieben:Da kann man nicht alle Klienten über einen Kamm scheren. Es macht einen Unterschied, ob sich ein Mensch mit einer halbwegs gefestigten Persönlichkeitsstruktur wegen einer "momentanen labilen Gefühlslage" (Zitat Tentatives) in Therapie begibt, oder ob jemand eine schwere Persönlichkeitsstörung hat.

da hast du sicher recht. natürlich kann man die menschen nicht über einen kamm scheren.
(du schreibst ja immer darüber, dass du autistin bist. autismus ist ja so eine erkrankung, die tatsächlich sehr sehr lange, manchmal wohl auch lebenslange therapeutische begleitung erfordert).

bei den persönlichkeitsstörungen ist das so eine sache.
ich weiß aus eigener erfahrung, dass man persönlichkeitsgestörten eher keinen gefallen tut, wenn man sie zu sehr pathologisiert, ihre lage zu sehr dramatisiert, ihnen zu wenig zutraut und ihnen einen freifahrtschein á la "du bist (z.b.) borderliner, du darfst alles und musst nichts" ausstellt.


ich weiß, dass du das so nicht gemeint hast-
ich sehe nur die gefahr, dass das so passiert, wenn man beim wort persönlcihkeitsstörung vor ehrfurcht auf die knie geht und gleich mal klar ist, dass der arme patient wenn überhaupt nur durch 100 jahre therapie so etwas wie verantwortung übernehmen kann.


Gärtnerin hat geschrieben:Drei Jahrzehnte lang hatte ich keine Gefühle gespürt und hatte dadurch auch nie gelernt, wie man Gefühle reguliert. Ich war in dieser Therapiephase in höchstem Maße abhängig vom Therapeuten. In meinem inneren Chaos war er oft das einzige, woran ich mich noch festhalten konnte.

so ging es mir auch (obwohl ich keine autistin bin, sondern borderliinerin...ist ja vielleicht an manchen stellen ganz ähnlich? )



Gärtnerin hat geschrieben:Eine zeitweise Abhängigkeit finde ich in der Therapie grundsätzlich nicht verkehrt.
nein, sicher nicht. im gegenteil, bei manchen störungsbildern ist diese abhängigkeit ja völlig normal.
Gärtnerin hat geschrieben:Sie kann allerdings auch - so meine schmerzliche Erfahrung - gründlich in die Hose gehen, wenn der Therapeut nicht willens oder nicht in der Lage ist, die notwendige stabile Basis zu bieten. (Stabile Basis ist nicht gleichbedeutend damit, alle Bedürfnisse des Klienten zu stillen!)

sehe ich auch so.
ich habe das gottseidank selbst nicht erlebt, aber ich weiß aus berichten von freunden und bekannten, dass diese dann letztlich nicht vorhandene stabile basis manchmal zu einem unguten ende, manchmal nach einer langen zeit, in der die abhängigkeit kultiviert und gepflegt wurde, führen kann.
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schmetterling.1983
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 20:51

chandelle hat geschrieben:Angelehnt an die häufig aufkommenden Themen über Therapie und den dort stattfindenden Abhängigkeiten, erstelle ich diesen Thread [...]Interessieren tut es mich allerdings schon inwieweit sich Klienten verantwortlich fühlen für ihre Therapie?[...] Nicht Bedürfnisse sollen gestillt werden, sondern erlernt werden wie man seine Bedürfnisse stillen kann [...] Vielleicht ist es doch eher ein seltenes Phänomen mit den Abhängigkeiten in einer Therapie?
Hallo chandelle,
Mir fällt als erstes auf, dass du die Abhängigkeit direkt in Verbindung mit der Verantwortung bringst.
Ich würde mich hier mal als abhängig von der Therapie/Therapeutin bezeichnen. Die Gründe kenne ich wahrscheinlich gar nicht alle und verschieden sind sie ganz sicher. Aber ich sehe für mich noch keine direkte Verbindung zwischen Abhängigkeit und Verantwortung.
Ich fühlte mich immer in gewisser Weise verantwortlich für meine Therapie. Das wie und wieviel, passt zu dem, was Gärtnerin hier schrieb:
Gärtnerin hat geschrieben:"So viel oder so wenig Verantwortung wie er in seiner ganz individuellen Situation und zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt tragen kann."
Da gab es Momente in denen ich meiner Thera erlich im nachhinein gesagt habe, dass ich teilweise zumindest in Gedanken sogar alle Verantwortung über mich selbst meiner Thera zugeteilt habe, weil ich so das Gefühl hatte sicherer zu sein und auch, weil ich selbst Verantwortung als erdrückend erlebt hätte, verzweifelt wäre angesichts der für mich damals gefühlten unbewältigbaren Aufgabe.
Die Zeit ist zum Glück vorbei, da ging es mir sehr schlecht. Mittlerweile gibt es einige Momente, wenn auch (noch?) zu wenige, in denen ich das Gefühl habe für alles an mir die Verantwortung tragen zu können. Ich hoffe es werden mehr und mehr. Beim Schreiben jetzt erkenne ich auch, dass dein Gedanke vielleicht doch nicht so abwegig war, weil ich glaube, dass das auch Moment sind in denen ich mich weniger abhängig fühle.
Verantwortung im Sinne von Veränderungen bewirken, an meiner Person arbeiten, ...jedoch habe ich schon immer auf beide verteilt gesehen. In der Form ist der Klient so abhängig wie der Therapeut. Denn ohne die Hilfe des Einen kann der jeweils Andere nichts schaffen.
Das Bedürfnis stillen und lernen zu stillen ist eine Sache die man weiter differenzieren muss, wie ich finde. Denn es gibt bestimmt Bedürfnisse, die der Therapeut dennoch stillt, damit es überhaupt zu einem Arbeitsbündnis kommt. (zB. nach vertrauter Atmosphäre, ..?) Ansonsen finde ich es auch kontraproduktiv, wenn man nur Hilfe bekommt und nicht Hilfe zur Selbsthilfe.
Ich glaube nicht, dass das mit der Abhängigkeit so ein seltenes Phänomen ist. Es kommt sicher auch immer darauf an wie stark es ist. Für manche mag der Abschied traurig sein und sie fühlen sich deswegen abhängig und andere haben vielleicht sogar zeitweise dass Gefühl sie können ohne den Thera nicht mehr leben. Was bezeichnet man als Abhängigkeit? Was für Formen gibt es und aus welchem Anlass? Ist es vielleicht sogar Teil der "Krankheit" und wird möglichst "ausbehandelt"? Da kommt eine Welle von Fragen in dem Zusammenhang auf mich zu.
Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass du gar nicht irgendwie an deinen Theras gehangen hast in irgendeiner Art und Weise, weil Sie dir doch (möglichst) geholfen haben.
Ich spüre genau, dass ich erleichterter bin, wenn man mir in der Stunde hilft meine Gefühle einzuordnen, mein Chaos zu beheben, einen Ausweg für Dinge zu finden die ich als unschaffbar erlebe und auch eben dieses ...ach, da kann man ja doch etwas tun, ich bin nicht mehr hilflos, ohnmächtig...was mir wieder Hoffnung gibt.

Vielleicht ist es wirklich so ähnlich wie bei der Entwicklungshilfe, auch wenn mir der Vergleich gerade etwas unglücklich scheint.
Hilfe, zur Selbsthilfe. Wenn du irgendwo eine Schule baust um den Menschen Bildung zu ermöglichen für ein selbstverantwortliches Leben in dem sie ihre Probleme lösen können, dann aber nach 1h Mathematik sagst..., der Lehrer kommt jetzt nicht mehr wieder, unterrichtet mal allein und nun baut das Aquädukt/den Brunnen/den Damm mal allein weiter...so ist es ein Abhängigkeitsverhältnis wie bei der Therapie, bei der man einfach noch nicht so weit ist alle Probleme erfolgreich allein zu lösen in seiner Welt.

Ich hoffe auch, dass es dir bald besser geht, LG
Schön ist eigentlich alles, wenn man es mit Liebe betrachtet.
Christian Morgenstern

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chandelle
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Beitrag Do., 17.03.2011, 12:20

Ich möchte kurz etwas einwerfen, was mir gerade aufgefallen ist, trifft aber für Deutschland zu.

Bisher wurde mir nach der Therapie immer diese Notfallsitzungen angeboten. Ich weiß jetzt nicht genau wieviel das waren, ich glaube 2 pro Quartal etwa 20 Minuten. Das habe ich auch schon mal in Anspruch genommen.

Ich halte es nicht für unseriös dann anzubieten weiterhin privat zu zahlen, wenn es diese Möglichkeit gibt.

Wie seht Ihr das?

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hippogriff
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Beitrag Do., 17.03.2011, 17:22

Ich habe meine Therapeutin ebenfalls auf diese Abrechnungsmöglichkeit angesprochen, als meine kassenfinanzierten Stunden endeten. Als reguläre Therapiestunden sind die aber nicht gedacht und da ich noch regulär Therapie mache, wird sie für mich (und auch für andere Patienten) diese Stunden nicht abrechnen.

Therapie ist Therapie und Notfall nach einer abgeschlossenen Therapie ist eben etwas anderes.

Die Verantwortung sehe ich hier auf beiden Seiten: sich bewusst darüber zu sein, was man gerade macht (in meinem Fall: Therapie) und auf der Seite der Patientin, was es mir Wert ist und letztlich natürlich auch: alles hat seine Grenzen.

Allerdings bekomme ich einen ziemlich reduzierten Stundensatz. Anfangs hatte ich die Befürchtung, ich könne vor Dankbarkeit, dass sie auch meine finanzielle Lage berücksichtigt, nicht mehr ausreichend sauer sein, wenn ich das "möchte" - das ist aber nicht der Fall.

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Medea
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Beitrag Fr., 18.03.2011, 08:38

Super Thema, chandelle!

Ich sehe es so:
mein Problem belastet mich und ich kann es nicht alleine lösen. Durch die Leistungen des Therapeuten ergeben sich für mich neue Blickwinkel auf mich selbst und auf mich im Bezug auf andere.
Daraus erwächst in mir im besten Falle eine Erkenntnis über mich und ein Verständnis für mich.

Will ich nunetwas ändern bekomme ich vom Therapeuten einige wenige aber dennoch bislang sehr brauchbare hilfestellungen in Form von Methoden mit auf meinen weg.

Üben mich zu ändern muss ich selbst. Meine brenzligen, unangenehmen, verdrängten themen ansprechen muss ich selbst. Die Verantwortung für meinen therapieerdolg liegt mindestens zu 50% bei mir. Momentan denke ich sogar nochwesentlich höher.

Ganz am Anfang, als ich die schwere Depression hatte, war ich der Meinung, dass mein therapeut für jedes problem ein passendes Rezept hat und mich gesund macht. Meine Aufgabe- dachte ich- ist einfach die Termine wahrzunehmen und dann werde ich schon geheilt. Erst als es bei mir Klick gemacht hat, dass ICH mich am Schopf quasi selbst aus dem sumpf ziehen muss und mein therapeut im besten Falle mich ab und an mit etwas Nahrung versorgt und ansonsten nicht viel mehr tut, wurde ich wieder stark und energiegeladener.

Heute Kämpfe ich mit meinen Neurosen und totla verkorksten Einstellungen rum undich fühl mich mit Verantwortung total überladen. Mein therapeut gibt mir immer mehr an selbstverantwortung zurück und grenzt sich sehr deutlich ab, was seine Aufgaben sind und was nicht.

Teilweise ist das shr hart, aber dennoch bringt es mir für meinen persönlichen Wachstum mehr.

Eine gewisse Abhängigkeit am Beginn der Therapie ist woher normal, sollte aber dann doch Schritt für Schritt in eine eigenverantwortlichkeit übergehen...

Lg Medea

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Gärtnerin
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Beitrag Fr., 18.03.2011, 10:13

Dieses Thema finde ich sehr spannend und könnte so vieles dazu schreiben. Nur muss ich nachher gleich weg. Deshalb erst einmal dies:
hungryheart hat geschrieben:ich würde mal das "kann" betonen wollen, weil das, was ein patient tatsächlich kann wohl oft ziemlich sicher unglaublich und deutlich mehr ist, als der patient glaubt zu können.
Das mag sein. Die Frage dabei ist nur, wie man "kann" definiert. Es geht ja gerade in der Therapie meistens nicht um objektive Fähigkeiten, sondern um hartnäckige innere Überzeugungen. "Kann" jemand mit einer Zwangserkrankung aufhören, dauernd zu kontrollieren, ob der Herd ausgeschaltet ist? "Kann" ein Angstpatient sich mit seiner Angst konfrontieren? "Kann" jemand mit einer schweren Sozialphobie sich dazu aufraffen, unter die Leute zu gehen?

Könnten sie es, bräuchten sie keine Therapie. Ich glaube, dass das Ausmaß an Angst und Selbstentfremdung, das manche Psychotherapie-Klienten in sich tragen, teilweise sehr unterschätzt wird - auch von Therapeuten. Ich unterstelle jedem Menschen, der sich in Therapie begibt, den Willen, an seiner Problematik zu arbeiten. Den Klienten ernst zu nehmen, hieße für mich zunächst einmal, sein "Ich kann nicht" voll und ganz anzuerkennen. Für mich gehört es ganz entscheidend zur Selbstverantwortung des Klienten dazu, sagen oder zeigen zu dürfen "Ich kann nicht" und das dann auch geglaubt zu bekommen.

Mag sein, dass ich da ein gebranntes Kind bin, denn ich habe in meinem Leben und auch in einer meiner Therapien immer wieder unendlich gelitten unter dem Vorwurf, ich würde nicht wollen, würde mich nur anstellen, würde dramatisieren, würde absichtlich manipulieren,... usw. Dabei habe ich immer so gekämpft und bin selbst meine stärkste Antreiberin gewesen. Nur wollte ich eben immer meinen eigenen Weg gehen und nicht unbedingt den, den sich der Therapeut für mich vorstellte. Jener Therapeut hatte oft mehr Angst um mich als ich selbst. Wie soll man aber Selbstvertrauen entwickeln, wenn einem nicht einmal der Therapeut zutraut, dass man in der Lage ist, den besten Weg für sich zu finden und ihn in seinem eigenen Tempo zu gehen?

Ich verfing mich damals in einer sehr unguten Form der Abhängigkeit: einerseits dringend auf den Therapeuten angewiesen, andererseits nicht willens, den Weg meiner Seele zu verraten. Wären mir diese Zusammenhänge zu der Zeit auch nur annähernd bewusst gewesen, hätte die Therapie vielleicht noch funktionieren können. Doch so konnte meine Selbstverantwortung nur noch darin bestehen, den Therapeuten zu wechseln. Und das war unendlich schwer!!!
Zuletzt geändert von Gärtnerin am Fr., 18.03.2011, 16:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Gärtnerin
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Beitrag Fr., 18.03.2011, 10:44

Doch noch etwas - und dann bin ich wirklich weg!
chandelle hat geschrieben:Nicht Bedürfnisse sollen gestillt werden, sondern erlernt werden wie man seine Bedürfnisse stillen kann
Auf längerfristige Sicht ist das richtig - und in Therapien manchmal leider ein vernachlässigter Punkt. Doch die andere Seite ist die, dass in der Therapie unter Umständen kindliche Bedürfnisse, die ein Leben lang nie gespürt wurden, ganz massiv aufbrechen. Die können dann so überwältigend sein, dass sie einen einfach nur überrollen. Ich switchte in meiner Therapie - ausgelöst durch bestimmte Trigger - immer wieder unkontrolliert hin und her: von der reflektierenden 30-Jährigen zum gefühlsgesteuerten, vollkommen abhängigen Baby. Es brauchte viele Jahre, bis beide Anteile nebeneinander her existieren und allmählich zu einem integrierten Gesamt-Ich verschmelzen konnten. In dem Maße wie diese Integrationsarbeit gelang, nahm die Abhängigkeit vom Therapeuten stetig ab.

Viele Menschen glauben ja, erwachsen zu sein, indem sie das nachahmen, was allgemein als erwachsenes Verhalten gilt. Ich hatte das auch fast dreißig Jahre lang so gemacht. Wäre die innere Spannung aus Sein und Schein nicht irgendwann unaushaltbar geworden und die Fassade zerbrochen, würde ich vermutlich heute noch die Erwachsene spielen. Aber wirklich erwachsen ist man erst, wenn man alle Anteile - auch auch die kindlichen - in sich integriert hat. Auf diesem Weg der "Nachreifung" gehört meiner Meinung nach eine Abhängigkeitsphase oft dazu. Es genügt nicht, das "innere Kind" nur von außen mit den Augen des Erwachsenen zu betrachten und zu analysieren, sondern man muss (zumindest zeitweise) die Möglichkeit haben, auf der Emotionsebene noch einmal zu diesem Kind zu werden, um von dort aus die fehlenden Entwicklungsschritte nachzuholen.

Für mich ist Therapie vergleichbar mit der Art, wie sich kleine Kinder entwickeln: Sie gehen nach und nach immer mehr eigene Schritte, haben dabei aber immer die Möglichkeit, wenn es zu beängstigend wird, zum sicheren Hafen der Eltern zurückzukehren. Das ist aus meiner Sicht eine gute und notwendige Form der Abhängigkeit. Daher finde ich es wichtig, dass der Therapeut einerseits den Klienten zu eigenen Schritte ermutigt und damit die erwachsenen Anteile stärkt, dass er andererseits aber auch als sicherer Hafen zur Verfügung steht, der dem Klienten jederzeit als absolut verlässliche Basis für neue Unternehmungen dient. Hier die richtige Ausgewogenheit zu finden, ist oft eine Gratwanderung und verlangt eine Menge therapeutisches Fingerspitzengefühl.
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ENA
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Beitrag Fr., 18.03.2011, 16:26

Gärtnerin hat geschrieben:Ich unterstelle jedem Menschen, der sich in Therapie begibt, den Willen, an seiner Problematik zu arbeiten. Den Klienten ernst zu nehmen, hieße für mich zunächst einmal, sein "Ich kann nicht" voll und ganz anzuerkennen. Für mich gehört es ganz entscheidend zur Selbstverantwortung des Klienten dazu, sagen oder zeigen zu dürfen "Ich kann nicht" und das dann auch geglaubt zu bekommen.

Gärtnerin hat geschrieben:Viele Menschen glauben ja, erwachsen zu sein, indem sie das nachahmen, was allgemein als erwachsenes Verhalten gilt. [....] Aber wirklich erwachsen ist man erst, wenn man alle Anteile - auch auch die kindlichen - in sich integriert hat. Auf diesem Weg der "Nachreifung" gehört meiner Meinung nach eine Abhängigkeitsphase oft dazu

Gärtnerin hat geschrieben:Daher finde ich es wichtig, dass der Therapeut einerseits den Klienten zu eigenen Schritte ermutigt und damit die erwachsenen Anteile stärkt, dass er andererseits aber auch als sicherer Hafen zur Verfügung steht, der dem Klienten jederzeit als absolut verlässliche Basis für neue Unternehmungen dient. Hier die richtige Ausgewogenheit zu finden, ist oft eine Gratwanderung und verlangt eine Menge therapeutisches Fingerspitzengefühl.

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chandelle
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Beitrag Sa., 19.03.2011, 01:40

Hallo schmetterling!
schmetterling.1983 hat geschrieben: Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass du gar nicht irgendwie an deinen Theras gehangen hast in irgendeiner Art und Weise, weil Sie dir doch (möglichst) geholfen haben.
Ja, ist wohl seltsam. Mein Therapeut hatte sich auch die letzten Stunden Zeit genommen um Abschied zu nehmen. Er war erstaunt, dass ich das nicht so wichtig genommen habe. Warum weiß ich auch nicht, aber es lag da auch eine große Veränderung vor, und da war ich auf das Neue wohl schon mehr neugierig.

Ich habe mich auch nie gefragt, ob es nun richtig oder falsch ist. Eines weiß ich nur, dass ich Angst habe vor Abhängigkeiten, weil ja die ganze Vergangenheit als Kind ja auch eine hilflose Abhängigkeit war. So irgendwie.

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hungryheart
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Beitrag Do., 31.03.2011, 16:44

eine freundin hat mir einen interessanten artikel empfohlen.

man kann sich auf der seite den kompletten artikel als pdf runterladen.
wirklich interessant.

den meisten klienten geht es nach einer therapie besser (also den meisten!der artikel ist keinesfalls ein plädoyer gegen psychotherapie. die autoren sind ja auch selbst psychotherapeuten), jedem 10. aber auch schlechter, weil behandlungsfehler begangen werden.

"Auf dem Prüfstand"

http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/1039582
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chandelle
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Beitrag Mo., 04.04.2011, 23:23

Hallo nochmal!

Ich bemerke wieder, dass das Thema mich ein klein wenig überfordert, weil es doch so weitreichend ist in seinen Facetten.

Normalerweise gehe ich mal davon aus, dass man in Therapie geht, wenn man einigermaßen beisammen ist. Ansonsten bekommt man den Hinweis sich erstmal in einer Klinik stabilisieren zu lassen. Somit gehe ich davon aus, dass dann jeder soweit stark ist zu schauen, ob man eine Therapie machen kann, ob es das Richtige für einen ist.

Nun kenne ich auch eine Menge Leute, die erfolgreich therapiert wurden. In diesen Fällen stufe ich die Probleme als etwas geringfügiger ein, wenn es akut um Partnerprobleme oder Trauer geht, was man selber nicht bewältigt. Und dann gibt es die Kategorie der schwereren Fälle (Da muß ich mich wohl leider auch gerade einsortieren).

Dann gibt es offenbar tatsächlich Verfahrensfehler von Therapeuten, was ich an sich auch für menschlich halte. Traurig ist es immer für den, der diesem zum Opfer gefallen ist.

Und dann gibt es noch die absolut resistenten Klienten, die im Grunde die Vergangenheit betreuern, aber selber in genau den selben Mustern gefangen bleiben. Vielleicht muß da dann ein Therapeut auch die Stärke haben zu sagen, dass es nichts wird mit der Zusammenarbeit oder aber an einen speziellen Kollegen verweisen.

Mehrere Therapeuten wie viele Menschen geben für mich immer mehr input als ein Mensch. Das ist an sich wohl auch logisch. Und so gerne ich manche Therapeuten mochte, war ich doch auch auf den anderen neugierig wie er seine Methode rüberbringt. An Wertschätzung mangelte es auch nicht. Und an einem fremden Menschen klammern ist auch nicht wirklich mein Ding. Da war ich doch immer recht autark, aber gut andere sind anders und kenne das so auch teilweise aus der Familie.

Ein Nachreifen war für mich schon auch mal leicht spürbar in Teilsequenzen, aber an sich traf mich immer die Aussage ich wäre zu erwachsen, schon als Kind und ja, das haftet noch immer an mir. Ob mir das schadet? Ich denke nicht, denn ich habe ja nun viele Dinge bewahrt, die ich als Kind mochte und jetzt noch mag. Meine Suche jetzt fußt immer auf dem was ich früher mochte. Da hat sich wenig geändert.

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Beitrag Mo., 04.04.2011, 23:30

Warum nun manche Menschen dazu neigen jegliche Verantwortung am Schirmständer aufzuhängen, wird wohl ein nie gelüftetes Geheimnis bleiben. Ich bin froh, dass es mit mir so nicht ist. Und die, die nie wirklich Verantwortung übernehmen, sind für mich schon auch bedauernswert, weil sie ja auch leiden. Letztlich bleibt es jedem seine Entscheidung. Allerdings habe ich das Gefühl, dass manche Therapie wie eine Seifenoper konsumieren wo dann nichts bei rumkommt, aber Berieselung durch einen Therapeuten nutzt eben nichts, wenn man es nicht praktisch anwendet. Und so war es bei mir mit aktuellen Konflikten, habe Lösungswege besprochen und natürlich die Lösung in mir getragen, aber mir fehlte die Kraft es zu tun. Und was habe ich getan: All meinen Mut zusammengenommen und es getan, weil die Frage nach den Konsequenzen sehr interessant war, weil derjenige mit dem man im Konflikt steht beachtlicherweise immer gleich reagiert. Wütend ist wütend oder so, schlimmer geht ja nicht.

Naja, nun will ich meine Quassellaune mal wieder hier einstecken und hoffe, Ihr könnt mit meinem Beitrag etwas anfangen woraus sich sicher wieder neue Entwicklungen ergeben werden in diesem Thread.

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chandelle
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Beitrag Mo., 04.04.2011, 23:30

Warum nun manche Menschen dazu neigen jegliche Verantwortung am Schirmständer aufzuhängen, wird wohl ein nie gelüftetes Geheimnis bleiben. Ich bin froh, dass es mit mir so nicht ist. Und die, die nie wirklich Verantwortung übernehmen, sind für mich schon auch bedauernswert, weil sie ja auch leiden. Letztlich bleibt es jedem seine Entscheidung. Allerdings habe ich das Gefühl, dass manche Therapie wie eine Seifenoper konsumieren wo dann nichts bei rumkommt, aber Berieselung durch einen Therapeuten nutzt eben nichts, wenn man es nicht praktisch anwendet. Und so war es bei mir mit aktuellen Konflikten, habe Lösungswege besprochen und natürlich die Lösung in mir getragen, aber mir fehlte die Kraft es zu tun. Und was habe ich getan: All meinen Mut zusammengenommen und es getan, weil die Frage nach den Konsequenzen sehr interessant war, weil derjenige mit dem man im Konflikt steht beachtlicherweise immer gleich reagiert. Wütend ist wütend oder so, schlimmer geht ja nicht.

Naja, nun will ich meine Quassellaune mal wieder hier einstecken und hoffe, Ihr könnt mit meinem Beitrag etwas anfangen woraus sich sicher wieder neue Entwicklungen ergeben werden in diesem Thread.

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turbulent2
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Beitrag Di., 05.04.2011, 07:09

Ich glaube, dass viele die Verantwortung am Schirmständer abgeben, weil es leichter ist.

Genauso wie sich viele hinter ihrer Krankheit verstecken: Ich habe Borderline, darum habe ich das so und so gemacht!
Ich kann das nicht besser, ich hab Borderline,...usw.

Ich kenne viele Menschen, die diese Aussagen dauernd benutzen, nur um der eigenen Verantwortung zu entkommen.
Sie stellen ihre Krankheit als etwas dar, was ihnen scheinbar das Gehirn raubt.
Aber mal reflektieren und kucken, WARUM war das jetzt TATSÄCHLICH so, was habe ich falsch gemacht?!, wälzen sie alles auf die Krankheit ab.
Ausrede Nummer 1.
Find ich zum Kotzen.
Natürlich ist man durch eine psychische Krankheit eingeschränkt, dass weiß ich selber, muss mir keiner sagen, aber wenn ich merke, dass Menschen dies als Flucht suchen, um munter weiter mist zu bauen, werd ich sauer.

Aber liegt wohl im Wesen des Menschen, der ist faul.
Reflektieren bedeutet arbeit. Verantwortung übernehmen auch.
Dann lieber rausreden.

Es ist immer leichter, die Schuld bei anderen zu suchen, als bei sich selbst.
Von daher, scheiß Therapeut! anstatt: Mensch, was muss ICH anders machen?

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