Wie kann ich das unaussprechliche aussprechen?

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Draußen
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Beitrag Di., 15.03.2011, 19:57

Willkommen Memory,

meine Therapeutin ist unter anderem Analytikerin. Wir arbeiten nicht speziell an dem Trauma (ich bin mir auch grad wieder nicht sicher, ob es überhaupt eines ist). Ich bin auch nicht deshalb zu ihr gekommen, das hat sich erst später herausgeschält. Ich bin ja als "ganze Person" zu ihr gekommen und dazu gehört das wohl auch.

Ich habe das unaussprechliche erst zur Sprache (zum Brief) gebracht, als ich an nichts anderes mehr denken konnte und so ist es jetzt auch Thema.

gx draußen

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Tamila
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:31

Hallo Draußen!

Bei mir war es ähnlich, bin erst wegen meiner psychosomatischen Beschwerden und weil ich einfach keinerlei Stress mehr standgehalten habe, zu ihm gekommen, nahe am Burnout sozusagen. Erst einige Monate später wurde ich getriggert und zwar heftigst, dann war das Thema raumeinnehmend. "Ganze" Person.....ich fühl erst mit der Geschichte wieder ganz! Was aber trotzdem sich herausstellte, ist, dass er auch in Traumatherapie ausgebildet ist. Er hat mich von dem Thema nicht mehr entlassen. Er ist aber auch tiefenpsychologisch ausgebildet und z.B. eine Art Körpertherapie usw.
Ich fragte dich deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass er im Gegensatz zu meiner früheren Therapeutin auf das Trauma völlig anders eingeht, mich dabei führt, mich leitet, mich an der Hand nimmt, wo ich nicht mehr weiter weiß oder blockiert bin, mit Techniken oder Fragen oder über Träume. Aber er hat die Führung übernommen und auch die direkte Auseinandersetzung mit Traumainhalten angeleitet. Für mich war das wichtig, denn ich selbst würde am liebsten jede Stunde vor dem Thema fliehen!
Aber am Ende war es immer richtig, er fasst auch immer zusammen. Mein Therapeut meint, der Missbrauch hat mein Leben bestimmt und deshalb ist er so wichtig, anzugehen als großes Thema, das alles miteinbeziehen wird , ganz automatisch.

Hilft dir deine Therapeutin das auszusprechen, was du nicht kannst? Warum glaubst du momentan, dass du dir nicht mehr sicher bist, ob dein Missbrauch ein Trauma ist???
Und was für Blicke meinst du, die dich nicht mehr loslassen?

LG Memory
लोकाः समस्ताः सुखिनो भवन्तु]

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Draußen
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:44

Memory,

ich bin zur Zeit kaum in der Lage mit meiner Therapeutin in einem Raum zu sein. Sie ist da, sie zeigt mir ihre Bereitschaft zuzuhören, sie blickt mich offen und freundlich an, wartet geduldig auf meine Themen. Ich brauche Struktur, darum habe ich sie gebeten und seitdem führt sie mich auch vorsichtig, wenn ich es nicht kann.

Ich schaue sie nur selten an und wenn dann nur ein oder zwei Sekunden. Mehr schaffe ich nicht (frag mich nicht warum). Aber ihre Blicke kann ich deutlich spüren. Ich kann die Blicke auf meiner Haut spüren, wie sonst Berührungen. Sogar jetzt kann ich durch das Erinnern daran so was ähnliches wie eine Schattenberührung spüren. (ist das verständlich?)

gx draußen

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Tamila
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:53

Jemanden nicht ansehen, geschieht meist aus Scham....oder Angst....gibt sie dir irgendwie ein komisches Gefühl? Stört dich was? Ich hatte mal eine Therapie vor Jahren, die mir nicht gut tat, weil die Therapeutin völlig unbeholfen und unstrukturiert mit mir umging und sonstwohin mit mir herumwirrte...

Vertraust du deiner Therapeutin? Ich kann meinem seit dem ich mich Öffnen konnte und er mir soviel Halt gibt, sehr vertrauen, und sehe ihm gern in die Augen, sie geben mir Halt. Also ich meine, dass muss nicht an dir liegen....sondern kann auch an ihr liegen, was sie ausstrahlt, vielleicht hat sie selbst Scham mit dem Thema? Sie ist eine Frau.

LG Memory
लोकाः समस्ताः सुखिनो भवन्तु]

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Draußen
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:16

Sie ist wunderbar. Als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass das passt. Ich erinner mich gerne an ihre Augen, daran, wie sie mich anschaut. Ich habe auch immer das Gefühl, dass sie weiß, was sie tut. Sie geht mit meinen Themen vorsichtig um, aber auch eindeutig und selbstbewusst. Ich kann von ihrer Kraft und Klarheit profitieren. Ihre Grenzen sind meiner Meinung nach weit jenseit meiner Probleme.

Aber sie zeigt mir ständig Gefühle, es sind wohl die, die ich haben sollte aber nicht zulasse. Die Gefühle, die zu meinen Geschichten gehören. Nicht zu viel und sie lässt die auch schnell wieder ausklingen, aber das ist für mich schwer auszuhalten. Der Gedanke, selbst fühlen zu müssen löst in mir große Angst aus (Angst und Scham kann ich viel zu gut empfinden).

Ich tue mich mit dem Öffnen schwer, fürchte ich. Mir ist auch nicht ganz klar, was das bedeutet. Mein Kontrollbedürfnis ist da irgendwie im Wege. Wie ist dir das Öffnen gelungen und iwe sieht sowas konkret aus? Kann man das überhaupt beschreiben?

gx draußen

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Tamila
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:54

Das ist super, dass du ihr vertraust, und sie wunderbar ist für dich. Das mit den Augen hatte ich nicht so verstanden, ich dachte, es verfolgt dich irgendwie.
Mit der Öffnung? Hmmm, ich glaube, es war so...ich wurde beruflich mit dem thema aus dem Nichts heraus überrollt, bis dahin hatte ich eine sehr gut funktionierende Maske nach außen hin gezeigt, ein nach außen relativ gut funktionierendes Ich. Innerlich ging es mir Jahr für Jahr aber schlechter. Das Geheimnis war mir schon lange lange bewusst. Nur enge Freunde u. Freundinnen wussten wirklich davon. Aber auch noch nicht das ganze Ausmass.
Als mir dies passierte, dass ich an dem Berufstag derart aufgewühlt war, zitterte, fast ohnmächtig war und zuhause plötzlich eine Flut von Erinnerungen über mich brach, war ich gezwungen, es in der nächsten Stunde zu sagen. So in der Art ist mir das noch nie passiert. Das Fass war einfach voll. Dann kam dann alles durch den Brief raus, auch das Ausmass des Missbrauchs.
Von da an hat der Therapeut mich geleitet. Z.B. ich musste hinsehen, was auftaucht (auf ein Geschehen) und dann versuchen zu reden, was ich sehe. Es konnte auch nur ein Bild sein, ein Teil davon, ein winzig kleiner: der Kopf meines Vaters, das Schlafzimmer. Er versuchte etwas mich herumzuführen: wie sah es dort aus. War das zimmer groß usw. Und ich schaffte anfangs nur, einzelne Wörter, mal einen Satz zu sagen. Dann setzte er sich neben mich, weil ich absolut dissoziiert da sass. Da beschrieb ich z.B. ein Körpergefühl. Und das Bild setzte er in etwa für mich zusammen. Er fasste das zusammen, half mir auch in die Erwachsenenebene zurück und in das Hier und Jetzt, fragte, was ich am Abend machen werde usw.
Das war der Aufbruch des Redens....einzelne Bildszenen....und ich überwand mich einfach, es war sooo unsagbar schwer beim ersten Wort, aber es wollte einfach raus, ich war innerlich ganz sicher: jetzt oder nie mehr im Leben. Als ich die ersten Bilder (die ja noch harmlos waren) beschrieben hatte, kam es von allein ins Rollen.
Es war nur die erste Überwindung. Aber dieses Erzählen habe ich dann gefestigt, mit Freundin, anderen Menschen, denen ich vertraue....manche persönlich....manchen schriftlich. Und seitdem geht es besser und besser. Ich habe nur nicht aufgehört es solange zu sagen, bis ich selbst Ruhe hatte innerlich. ..

Du schaffst das, ein bißchen Mut und ganz ganz viel Willen helfen dir dabei! Es gilt zu erkennen, dass das Kontrollbedürfnis ein vermeintlicher Schutz ist, zumindest im Heute. Gib niemals auf! Es geht um dich! Immer ein kleines Stück...deine innere Stimme führt dich!
Der Gedanke, selbst fühlen zu müssen löst in mir große Angst aus (Angst und Scham kann ich viel zu gut empfinden).
Das mit dem Fühlen ist für mich auch schwerer. ich will auch nicht so gern weinen. Aber es geht besser. Ich lasse langsam los. ich glaube, es kommt eins nach dem anderen. Aber ohne diese äußere Führung des Therapeuten wäre es nicht gegangen, nie....aber auch dieser Zufall mit der Triggersituation war nötig für den ersten Anstoss sozusagen.

Was wünschst du dir am meisten in der Therapiestunde nächstes mal?

LG Memory
लोकाः समस्ताः सुखिनो भवन्तु]

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Draußen
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:23

WOW... danke Memory. Das ist sehr dicht, ich muss es morgen nochmal lesen.
Memory hat geschrieben:Was wünschst du dir am meisten in der Therapiestunde nächstes mal?
Nur eines eigentlich: Ich will sie anschauen, eine genze Weile und nur damit aufhören, weil ich es möchte und nicht, weil ich es nicht mehr aushalte.

Gn8 draußen

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Tamila
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 10:01

Liebe Draußen,

könnte es Scham sein, wenn du sie so wunderbar findest? Minderwertigkeitsgefühle kennen wir M.opfer wohl sehr gut Ich würde an deiner Stelle, das haargenau ansprechen. Ich würde sagen, ich kann Ihnen nicht lang in die Augen sehen, und weiß gar nicht warum. Schäme ich mich vielleicht? Sie könnte dir helfen, es herauszufinden oder wenn du selbst es nachfühlst vor der Stunde, es ansprechen, dass du es vermutest, dass es deshalb ist. Dann könnte sie dir das aus ihrer Sicht beschreiben!
Alles nicht Ausgeprochene ist trotzdem da und wirkt im Verborgenen weiter. ich finde Schönes kann man auch behalten, so wie man es fühlt oder will, aber Bedrückendes ist besser, wenns ans Licht kommt, zumindest im Therapierahmen.

LG Memory
लोकाः समस्ताः सुखिनो भवन्तु]

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Draußen
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 10:57

Hallo Memory,

wir haben schon darüber gesprochen, sie weiß, wie ich mich dabei fühle. Mein Problem ist, dass ich mich sehr schnell ausgeliefert fühle, bei ihr schon in dem Moment, wo ich merke, dass sie mich wahrnimmt. Ich vertrage es sehr schlecht, wenn die Aufmerksamkeit auf mir liegt.

Es ist für mich entlasten zu sehen, wie sich jedes Mal etwas ändert, manchmal nur ein ganz klein wenig, manchmal viel. Jeder Schritt der sichbar wird, ist für mich eine kleine Befreiung.

gx draußen

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lisalotte
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 21:29

vielleicht hilft dir meditation.. schau mal bei google und such nach "osho". der hat auch gute bücher darüber geschrieben.

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lisalotte
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 21:30

"osho meditation" ist aber viel auf englisch...

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chandelle
[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag Mi., 16.03.2011, 21:55

Hallo zusammen!

Ich finde diesen Thread gerade ganz interessant. Ich bin noch nicht so weit wie Ihr und noch nicht in Therapie, ABER wie weiß man nun was war ist was mir im Kopf rumgeistert?

Wie seid Ihr drauf gekommen? Wart Ihr auch völlig ahnungslos vorher?
Wenn ich hier störe, dann sagt Bescheid.

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<markus>
neu an Bo(a)rd!
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Beiträge: 2

Beitrag Mi., 16.03.2011, 22:34

Liebe Forum-Teilnehmerin!

Ich kann mich Memory nur anschließen. Bei einer Therapie ist es äußerst wichtig zu schauen, welche Schule/Richtung der Therapeut/die Therapeutin verfolgt und wie speziell er/sie ausgebildet ist. Vielleicht lohnt es sich, nach jemandem zu suchen, der besser zu dir passt.
Nur so als Anregung...

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Draußen
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Beitrag Do., 17.03.2011, 09:26

Willkommen Chandelle,
chandelle hat geschrieben: ABER wie weiß man nun was wahr ist was mir im Kopf rumgeistert?
ich habe nicht die geringste Ahnung, ob wahr ist, was mir im Kopf rumgeistert. Es fühlt sich an wie Erinnerungen. Fantasien oder Träume fühlen sich für mich anders an. An meinen Erinnerungen kleben manchmal (nicht immer) heftige Gefühle, das ist bei anderen Erinnerungen nicht so.

Wirklich wissen, was wahr ist könnte ich nur, wenn ich den Täter fragen würde und er mir wahrheitsgemäß antwortete.

Meine Erinnerungen sind alt, ich habe irgendwann mal versucht mich einer "Freundin" anzuvertrauen, keine gute Idee.

Wenn es mir gut geht, denke ich immer gerne:"ach Quatsch, alles nicht so schlimm." oder "Kannjagarnichtsein" oder "da war nix" dann glaube ich mir selber nicht. Aber irgendwann ist da nicht einfach nur eine Erinnerung, sondern das Gefühl, als würde es genau im Moment wieder passieren.

Meine Erinnerungsfragmente ergeben keine Geschichte, es sind nur Brocken.

Mein Zweifel an dem Ganzen ist für mich sehr schlimm, weil ich scheinbar die Wahl habe, ob ich mir glaube und dann ist mir Schreckliches widerfahren oder ob ich mir nicht glaube und dann habe ich nur ein Problem mit meiner Fantasie.

hoffe, das war irgendwie verständlich
gx draußen

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Laura13
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Beitrag Do., 17.03.2011, 11:52

@ Draußen:

Das, was du zuletzt geschrieben hast, könnte wörtlich von mir sein......mir geht es genauso....

Liebe Grüße und viel Kraft,
Laura
Die Nacht holt heimlich durch des Vorhangs Falten
aus deinem Haar vergeßnen Sonnenschein.
Schau, ich will nichts, als deine Hände halten
und still und gut und voller Frieden sein.

Rainer Maria Rilke

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