münchnerkindl hat geschrieben:Ich kenne eine Menge Leute mit psychischen Krankheiten und von denen ist absolut niemand einfach so zum Spass und aus Modegründen diagnostiziert worden.
Wir posten hier aber bei einem Thema der Plauderecke, wo es - so habe ich Hiob verstanden - in der Tat um Mode-Störungen oder gar um aus Profitinteressen erfundene Krankheiten geht. Dass es psychisch schwer kranke Menschen gibt, die sehr leiden und denen Medikamente und Therapien Gott sei Dank helfen, heißt ja nicht, dass es nicht auch anderes gibt. Man muss doch wenigstens sehen: Es gibt Graubereiche zwischen Gesundheit und Krankheit und wir tendieren dazu, im Körperlichen wie Psychischen, Befindlichkeiten immer schneller als krank zu diagnostizieren. Außerdem gibt es, ebenfalls Körperlich wie Psychisch, einen Trend zur Selbstoptimierung, bei der auch vor medizinischen Eingriffen nicht zurückgeschreckt wird. Ich habe ja nichts gegen Diagnosen, Psychopharmaka, Medizin und Psychologie per se, aber genauso wenig wie die moderne Medizin ein Fluch ist, ist sie eben nur ein Segen. Und ein paar Entwicklungen, die in dem von Hiob angesprochenen Kontext stehen, halte ich persönlich für problematisch. Auch wenn vielleicht die Vorteile sogar überwiegen, sehe ich nicht ein, die Nachteile einfach auszublenden. Das wäre ja so, als ob man nicht über das Grauen von Tierversuchen sprechen darf, wenn mit ihrer Hilfe ein wunderbares Medikament erzeugt wird. Welche Abwägung dann getroffen wird, ist ja damit noch gar nicht festgelegt. Genauso wenig wie die moderne Medizin ein Fluch ist, ist sie eben nur ein Segen. Und ein paar Entwicklungen, die in dem von Hiob angesprochenen Kontext stehen, halte ich persönlich für problematisch. Auch wenn vielleicht die Vorteile sogar überwiegen, sehe ich nicht ein, die Nachteile einfach auszublenden.
Ich sage nicht: Es gibt keine kranken Menschen, sie werden nur so diagnostiziert. Ich sage nicht: Psychopharmaka und Therapien schaden nur!!! Ich hoffe, das wird wahrgenommen.
Ich glaube schon, dass man Lungenentzündungen von Beinbrüchen unterscheiden kann oder eine Magersucht nicht auf den ersten Blick wie eine Panikattacke anmutet.
Man kann körperliche Gebrechen und geistige Krankheiten natürlich vergleichen, aber es gibt eben auch Unterschiede, und die können gerade im Fall der Diagnose sehr relevant werden: Die Psyche ist nichts Materielles. Wenn eine Depression als Stoffwechselstörung des Gehirns betrachtet wird, dann ist das nicht falsch, aber es ist eben nicht die einzig mögliche Interpretation.
Psychische Erkrankungen werden nicht ohne Grund oft als Kriterienbündel definiert, wobei nicht alle Kriterien zutreffen müssen, eben weil es alles sehr schwammig ist. Die Diagnostik will aber Eindeutigkeit. Daher werden Gruppen gebildet und das Kontinuum Pflöcke reingehauen, um Schubladen zu bilden. Ist ja auch sinnvoll, wir müssen ja wissen, worüber wir sprechen, wem was hilft usw. Aber dadurch passiert etwas, das ist alles bereits Interpretation.
Und natürlich wird anderes ausgeblendet… aber das soll es ja auch, weil ja nur ein Bruchteil mit einer Diagnose beschrieben wird/werden soll, sprich: meine Lungentzündung z.B., die manche Pathologien im Vergleich zu gesunden Lungen aufweist. Trotzdem bin ich mehr als eine Lungenentzündung, sondern immer noch eine Mensch, mit vielen gesunden Anteilen
(und auch @ münchnerkindl)
Ja, aber das kann auch zum Problem werden, denn wer bin ich denn für die Ärzte? Die Lungenentzündung in Bett 3. Das Ausblenden führt allzu leicht zu einem Reduzieren auf. Kann ja auch richtig und wichtig sein, hat aber eben auch Folgen. Für die psychischen Erkrankungen gilt das auf Grund der höheren Komplexität noch umso mehr.
Klar muss kein Mensch sich behandeln lassen. Aber das ist doch eine recht theoretische Feststellung. Mir ging es gerade um die gesellschaftlichen Zwänge, die die körperliche und psychische Optimierung des Menschen belohnen und auf nicht voll funktionsfähige Mitglieder Druck ausüben, der Teilweise das Leiden und damit die Krankheitsqualität erst erzeugt.
Goldbeere hat geschrieben:Und obwohl psychische Beschwerden keine klaren Grenzen haben und man immer diskutieren kann, wo die Schwelle zwischen noch normal und eher pathologisch liegt, ergibt sich eine Behandlung doch meistens aus einem inneren Leidensdruck des Betroffenen.
münchnerkindl hat geschrieben:An allererster Stelle steht hier mal daß ein Mensch leidet und ihm geholfen werden sollte. Und ja, dazu braucht es erstens eine Diagnose, damit man sehen kann was braucht die Person.
Ist denn jeder mit einem psychischen Leidensdruck krank?! Aber wie gehen wir denn ran: Wer unter einer Trennung leidet, ist nicht krank, aber wer nach 3 Jahren immer noch total Liebeskummer hat, sollte sich doch mal in Therapie begeben. Warum aber dann nicht auch schon nach 3 Wochen? Wenn der Therapeut doch gute Strategien zur Bewältigung hat oder sogar eine schöne Pille?