Fehlender Sinn. Depression?

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Blätterwald
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Beitrag Di., 09.11.2010, 12:06

Ich empfinde es inzwischen so, dass ich nicht leben "muss", nicht glücklich sein "muss". Es gibt keinen Zwang zu leben. Wenn ich morgen sterben soll, dann sterbe ich eben, ich habe keine Angst mehr vorm Tod. Obwohl ich jetzt ganz gerne lebe. Naja, wer soll das verstehen.
Sinnlos heißt für mich, dass es weder Sinn, noch nicht Sinn hat, alles ist einfach da, ich stelle keine Sinnfragen mehr. Für mich ist der Sinn des Lebens das Leben selbst und gut. Wie Ratlosigkeit schrieb, kann man sich, da das Leben keinen Sinn festlegt, auch selbst einen schaffen. Aber ich brauche das alles nicht mehr. Ich glaube auch nicht mehr, irgendetwas zu "wissen". In Wirklichkeit weiß niemand irgendwas, was das hier alles soll.
Seitdem die ganzen ankonditionierten Vorstellungen aufgegeben wurden und erkannt wurde, dass das alles gedankliche Konstrukte, kombiniert mit Gefühlen sind, die da scheinbar mit sich kämpfen (was soll dieses Scheißleben, ich will ein anderes, wie soll ich am besten leben oder entscheidender wie soll ich am besten sterben?) ist alles ok und das Erleben, egal worin es besteht, ist viel schöner, intensiver als vorher. Ich kann ewig auf ne schöne Tasse oder Pflanze starren. Ja, da ist jetzt sowas wie Dankbarkeit und Staunen, was das Leben alles für Blüten hervorbringt.
Und all das wegen einer kleinen Wahrnehmungsverschiebung, nach der "ich" nicht mehr als eigenständige Entität getrennt vom Rest der Welt gesehen wird. Eigentlich ist da nie was Getrenntes, aus sich heraus Existierendes, also auch keine "Täter", aber der Eindruck getrennt zu sein, "solide" zu sein, scheint sehr, sehr real. Und gehört wohl zu den kuriosesten Eigenarten, die das Lebensspiel hervorgebracht hat. Ich falle da auch ab und zu noch rein. Aber selbst wenn man nur einmal eine "Einheitserfahrung" durch Meditation oder spontan gemacht hat, wird der Glauben an "mich" ordentlich durchgeschüttelt. Naja, jede Depri schüttelt den Glauben an "mich", an das Modell meiner selbst, auch ordentlich durch, es wird nur meistens versucht, es wieder herzustellen bzw. es mit anderen Gedanken und Gefühlen zusammenzusetzen.
Leider gibt es nicht den einen Weg, um klar zu sehen, was immer schon da ist. Eigentlich gibt es halt gar keinen Weg, weil es ja immer schon nur "Sein" gibt und "ich" nur ein Gedanke ist.

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Ratlosigkeit
[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag Mi., 10.11.2010, 22:57

Hallo, melde mich noch einmal zurück.
SandyZ. hat geschrieben:@ratlos:
Zitat:@sandyZ
es lohnt sich auf jeden Fall in Yalom mal reinzuschauen. Habe schon einiges von ihm gelesen. Aber das triffts eigentlich nicht...


Tut mir leid, dass deine unvollständige Lektüre von Yaloms Büchern es nicht trifft. Ist nicht so schlimm...
Was trifft es denn wo eigentlich?
Diese Bemerkung ist einfach nur unangemessen.

Zu Meditation und Buddhismus kann ich inhaltlich nichts sagen, weil das Dinge sind, die mich nicht ansprechen - aber das sind z.B. Dinge, die einem Leben Sinn geben können, wenn man sich dafür interessiert (jetzt halt nicht gerade meinem Leben).

Mit Durchgang/Neuorientierung meine ich, daß es vielleicht von Zeit zu Zeit notwendig ist, alles in Frage zu stellen, auch wenn das schmerzhaft ist, damit man eine neue Richtung findet, einen neuen Weg - oder bei jungen Leuten: DEN Weg. Descartes machte das mit 45 Jahren durch: alles in Frage stellen - Resultat war seine großartige Erkenntnis Cogito ergo sum.

Sinn ist nichts objektiv Vorhandenes. Wir werden geboren, leben, sterben und kein Hahn kräht mehr nach uns. Sinn ist etwas Subjektives, was jeder für sich selbst finden oder erschaffen muß. Wer Buddhismus gut findet, soll das machen, wer Geld scheffeln will soll das tun, wer Mutter Theresa nachfolgen will oder eine Großfamilie mit 13 Kindern gründen will, auch recht - so lange es den Betreffenden befriedigt, ihm das Gefühl gibt, etwas SINNVOLLES zu tun.

Aber manchmal bricht es eben zusammen. Ich z.B. habe gerade zu nichts Lust, nichts interessiert mich oder macht mir auch nur Spaß. Alles, was mich bisher beschäftigt hat, hat seinen Glanz verloren. Hinter allem lauert die Frage: Und, will ich das? Und die Antwort ist immer: Nein, eher nicht.

Ich fühle mich mies dabei, und die Ausgangsfrage von Variann war ja: ist das eine Depression oder eine Sinnkrise? Vielleicht eine Sinnkrise, die depressiv macht? Oder eine Depression, die eine Sinnkrise auslöst?

Ich bin noch auf der Suche und habe keine Ahnung, ob ich wieder einen Sinn finden werde (mir einen SInn zusammenbauen werde können). Und weil ich nicht seitenweise die gleiche KLage anstimmen will (auch das erscheint mir sinnlos ),lass ichs jetzt mal gut sein.... Ich geh mal auf die Suche und seh mir die verschiedenen Möglichkeiten mal an... Das Gute an der Sinnlosigkeit ist die damit verbundene Freiheit - man kann machen was man will
Alles ist gut, wenn es aus Schokolade ist.

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Blätterwald
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Beitrag Mi., 10.11.2010, 23:39

"Ich bin noch auf der Suche und habe keine Ahnung, ob ich wieder einen Sinn finden werde (mir einen SInn zusammenbauen werde können). Und weil ich nicht seitenweise die gleiche KLage anstimmen will (auch das erscheint mir sinnlos ),lass ichs jetzt mal gut sein.... Ich geh mal auf die Suche und seh mir die verschiedenen Möglichkeiten mal an... Das Gute an der Sinnlosigkeit ist die damit verbundene Freiheit - man kann machen was man will "
Klingt gut.
Descartes: Und was ist, wenn ich nicht denke? Oder besser wer denkt? Na, ich. Und wer ist ich? Sinnlos, haha.
Alles ist gut, wenn es aus Schokolade ist. - Das macht Sinn .

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Hoffnungsschimmer1
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Beitrag Do., 11.11.2010, 10:13

Hey,
Ich würde nicht sagen dass das eine Depression ist.
Eine Depression kann natürlich mehr oder weniger stark ausgeprägt sein, aber das was du zur Zeit hast, ist eine Phase im Leben, in der du nach dem Sinn des Lebens suchst.
Das haben viele Menschen einfach zwischendurch.
Du darfst dir jetzt aber auf gar keinen Fall einreden dass du Depressionen hast, diese Diagnose können nur Psychiater stellen.
Wenn es dir wirklich sehr sehr schlecht geht, melde dich doch einfach bei einer Psychologin / einem Psychologen zu einer Therapie an, vielleicht ergibt sich daraus tatsächlich eine Depression, oder vielleicht tut es dir auch gut mit einer Fachperson die unter Schweigepflicht steht, über deine Gedanken zu reden.


Liebe Grüße & viel Erfolg bei der Ursachenfindung.
Und noch was.
Ich habe Depressionen, aber dank Flouxetin haben sich meine Selbstmordgedanken bei einer sehr geringen Dosierung schon erheblich gemäßigt.
Das heißt aber nicht dass man es nur medikamentös regeln kann.


Viel Erfolg.

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schmetterling.1983
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Beitrag So., 14.11.2010, 12:42

Blätterwald hat geschrieben:Seitdem die ganzen ankonditionierten Vorstellungen aufgegeben wurden und erkannt wurde, dass das alles gedankliche Konstrukte, kombiniert mit Gefühlen sind, die da scheinbar mit sich kämpfen (was soll dieses sch***, ich will ein anderes, wie soll ich am besten leben oder entscheidender wie soll ich am besten sterben?) ist alles ok und das Erleben, egal worin es besteht, ist viel schöner, intensiver als vorher.
Also ich finde es schön, dass du das für dich so gefunden hast, leider klappt es für mich nicht so. Als ankonditioniert erlebe ich es auch nicht.
Es ist fast eine Kosten/Nutzen Rechnung, um es mal ganz pragmatisch zu sagen, ich leide momentan mehr als ich Freude habe.
Bzw. empfinde ich die Freude nicht als ausreichend genug um das Leiden was ich empfinde ertragen zu wollen.
Daher möchte ich "besser" Leben, was für mich heißt einen Weg finden das Leiden zu reduzieren oder, falls das nicht geht, das Leben aufgeben.
Schön ist eigentlich alles, wenn man es mit Liebe betrachtet.
Christian Morgenstern

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Hoffnungsschimmer1
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Beitrag So., 14.11.2010, 21:26

Also die letzten 3 Worte, bitte streichen.
Du musst kämpfen, das Leben ist einfach ein Kampf.
Und manche sind schwächer und vom Glück im Stich gelassen, manche werden mit Glück und Stärke nur so zugeschüttet, und es gibt die jenigen, die das Glück haben, die Stärke in sich selbst zu suchen und zu finden !

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Blätterwald
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Beitrag So., 14.11.2010, 22:03

@schmetterling.1983
Es macht mich immer sehr betroffen, wenn ich Freunde treffe, die voll drin stecken in den ganzen Leiden und Sorgen und Ängsten. Ein Leben in der Kluft zwischen dem, was sein sollte und dem was ist. Selbst erlebt, wie schrecklich das sein kann. Ja, auch diese Kosten/Nutzen-Rechnungen. Hatte vor einem Jahr kurz vor Weihnachten vorsorglich einen Abschiedsbrief geschrieben, weil sich wieder alles bis ins Unerträgliche zusammengebraut hatte.
Jetzt ist hier auf einmal die Wahrnehmung, dass jeder (ohne Ausnahme) in Wirklichkeit absolute Ruhe und Frieden ist, rein, klar, unendlich, ohne Schuld, ohne Besitz, ohne Geschichte. Alle Dramen spielen nur wie als extrem real wirkender Film an der Oberfläche. Als Ausdruck des "Seins", als "Sein" in Form. Mit deinem wahren Wesen als sich selbstwahrnehmendes "Nichts" hat der Inhalt des Films und als welche Person du darin auftrittst nichts zu tun. Gedanken, Gefühle, Bilder, Klänge tauchen auf und verziehen sich wieder.
Es wäre zu schön, wenn diese entspannte Form der Wahrnehmung direkt an alle Leidgeplagten übertragen werden könnte, aber das funktioniert leider nicht. X Bücher und Methoden können maximal drauf hinweisen.
Auf jeden Fall gibt es (auf der Ebene der Lebensgeschichte) immer Hoffnung. Denn soviel ist absolut klar, selbst wenn alles dunkel wie die Nacht erscheint, kann das Leben jederzeit überraschende Wendungen nehmen. Und dann kann gesehen werden, dass die Nacht sein musste, um den Tag begrüßen zu können. Naja, also ich hätte das Beste im Leben verpasst, wenn ich mich wie geplant, physisch entfernt hätte.
Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe und Gute.
@Hoffnungsschimmer1
"Du musst kämpfen, das Leben ist einfach ein Kampf."
Das sehe ich nicht so. Genau dieser Gedanke macht das Leben erst richtig zum Kampf. Als Kampf von mir gegen das vermeintlich feindliche Universum. Aber dieser Kampf kann nicht gewonnen werden. Ein Kampf gegen Windmühlen. Ein Kampf in sich selbst, denn wer kämpft da gegen wen? "Ich" als Person bin nur geglaubte Gedanken, Bilder und Gefühle und die scheinbar "Anderen" sind auch nur Gefühle, Gedanken, Bilder, an die geglaubt werden. Also kämpfen Gedanken, Gefühle, Bilder in endlosen Schleifen in sich selbst. Tja, was bleibt da, wenn man sich das wirklich klar macht, außer der bedingungslosen Kapitulation?

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heissundkalt
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Beitrag Mo., 15.11.2010, 12:36

Hallo!
Ich möchte auch ein paar Worte dazu sagen und hoffe, ich gerate nicht allzu sehr off-topic...
Blätterwald hat geschrieben:@schmetterling.1983
"Du musst kämpfen, das Leben ist einfach ein Kampf."
Das sehe ich nicht so. Genau dieser Gedanke macht das Leben erst richtig zum Kampf.

das geht mir ganz genau so.
ich bin jetzt mit 26 an einem wendepunkt. ich muß mich entscheiden. entweder ich halte durch in meinem künstlerischen beruf, stelle mich immer und immer wieder dem bewerbungsdschungel, dem beweisen-müssen, meinen eigenen zweifeln usw... oder ich sattele beruflich um. mir erscheint alles unaglaublich anstrengend und auch ich sehe keinen sinn mehr... auch nicht in der kunst. dazu diese verlogene branche, in der ich aus-und eingehen muß. nichts als oberflächlichkeit und schein. und ich muß mitspielen.
aber auch ich hatte, wie ihr shcon so schön sagtet, hinter die kulissen geschaut...

da meinte meine therapeutin, dass es darauf ankommt, sich selbst einen sinn zu schaffen. im grunde auch ein egozentrischer gedanke. denn viel zu sehr will man doch etwas für andere tun. man will gut sein, um gut dazustehen, man will etwas erfüllen und bebraucht werden.

ich zum beispiel habe durch ein erbe geld und könnte sicher noch eine ganze weile überleben, ohne einen finger zu rühren. und gerade diese tatsache ließ mich verzweifeln, weil ich mich fragte - warum bin ich hier? warum mache ich nicht schluß?aber es geht schließlich um MICH! darum ,dass man selbst sich ein erfülltes leben schafft... ob nun durch einen beruf, hobbies oder was auch immer.
natürlich soll das nicht heißen, dass einem egal sein sollte, was um einen herum passiert. aber es geht darum, dass jeder nur für sich verantwortung trägt. jeder hat die aufgabe sein glück zu finden.
und man stelle sich vor, das wäre kein problem... man wäre das leben langweilig... also doch ein bisschen kampf

meine therapie hilft mir jedenfalls dabei auch malo dinge auszuschalten. andere haben so viele sorgen, so große geldnöte... mein schlechtes gewissen fraß mich völig auf, und tut es auch jetzt ab und an noch.
und klar, helfen ist gut, helfen sollte jeder wo er kann, aber bitte nicht so , dass man selbst sich innerlich so kaputt macht.
ich glaube, wenn man einen sinn vermisst, dann vielleicht weil man sich selbst und seine bedürfnisse nicht kennt, oder ansgst hat sie auszudrücken und/oder sich selbst ernstzunehmen.
so ist es jedenfalls bei mir.

Liebe Grüße!
H&K
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Thread-EröffnerIn
Variann
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Beitrag So., 21.11.2010, 15:43

@ Blätterwald:
Ich finde das, was du schreibst, wirklich sehr interessant und habe das Gefühl, dass darin eine Art Wahrheit oder Erkenntnis liegt, zu der ich mich irgendwie hingezogen fühle. Dass das Gefühl des Getrennt-sein möglicherweise nur eine Illusion ist und verantwortlich für viele Probleme, ging mir auch schon des öfteren durch den Kopf; ich habe auch einiges darüber gelesen (im Zusammenhang mit Buddhismus).
Aber wenn man die Erfahrung der Einheit gemacht hat, wie du sagst, und man erkannt hat, dass viele der Gefühle und Gedanken, die man sich macht, nur an der Oberfläche existieren (obwohl sie zuweilen sehr stark sind) und mit ankonditionierten Vorstellungen zusammenhängen, will man dann überhaupt noch ein "normales" Leben (aus Sicht der Gesellschaft) führen - studieren, arbeiten, sich anpassen etc.? Ich meine z.B., wenn ich studiere, hängt das ja irgendwie damit zusammen, dass mir von früh an die Vorstellung beigebracht wurde, es sei wichtig, zu studieren und zu lernen, um mal einen einigermaßen gutbezahlten Job ausüben zu können, der es mir wiederum ermöglichen soll, gut zu leben und eventuell eine Familie gründen zu können - also gewissermaßen alles Pläne, Hoffnungen, Bedürfnisse, die die Gesellschaft in mich reingelegt hat. Wenn nun diese oberflächlichen Bedürfnisse etc. wegfallen, welche Motivation habe ich dann noch, all dies zu tun? Also kurz gesagt: Wie lebt man als "Erleuchteter" (ich weiß, der Ausdruck ist ein bisschen übertrieben)? Geht der innere Erkenntnisprozess mit einem Ausstieg aus der Gesellschaft einher? Freue mich sehr auf Antworten.

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Blätterwald
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Beitrag Di., 23.11.2010, 01:17

@Variann
Dass der Erkenntnisprozess mit einem Ausstieg aus der Gesellschaft zu tun haben muss, und jahrelanges, mühevolles, zurückgezogenes Üben erfordert, ist ein weitverbreiteter Irrglauben, der v.a. durch die institutionellen Religionen am Leben gehalten wird. Im Gegenteil, die Einstellung, dass etwas Besonderes getan werden muss, um das zu sein, was man schon ist, kann die Ich-Vorstellung noch verstärken. Wer oder was ist es, der Meditation, Beten oder Therapieren erlebt? Ein personelles Ich? Aber wie soll ein Konstrukt aus Gedanken, Gefühlen, Bildern erleben? Wie sollen Gedanken erleben? Vielmehr werden scheinbar in bedeutungsvolle Objekte strukturierte Gedanken, Gefühle, Bilder, Klänge, im Bewusstsein betrachtet. Wenn nun klar gesehen wird, dass „ich“ nicht auf auf dieses Konstrukt reduziert werden kann, sondern ich in Wirklichkeit die dahinterstehende, alles durchdringende, generierende Lebenskraft/Quelle/Bewusstsein bin, dann ist nicht mehr sehr bedeutsam, ob sich der Inhalt des Bewusstseins in einer Höhle im Himalaya oder im Büro abspielt.
Gleichzeitig, gerade weil es für den inneren Frieden nicht relevant ist, spricht nichts dagegen, zu studieren, zu lernen, Freunde, Familie zu haben, also ein „normales“, westliches Leben zu führen. Der spezielle Mensch hat immer noch Vorlieben und Bedürfnisse, die entsprechend des Kontextes ausgelebt werden. Warum nicht all die Lebensimpulse ausleben? Warum den Körper vernachlässigen? Aber die innere Zufriedenheit ist davon nicht mehr berührt, da sind keine Sorgen mehr darüber, was geschieht. Was ist, ist. Wenn Pläne gemacht werden sollen, tauchen gedankliche Pläne auf, kein Problem. Im Grunde genommen ist es sehr einfach. Leben passiert einfach. Alles auf Autopilot. Ob mit oder ohne Ich-Einbildung.
Die Fragen, die du stellst, habe ich selbstverständlich auch gestellt. Diese Gedanken tauchen aus der Personen-Sicht zwangsläufig auf. Denn „ich“ will immer Gewissheit haben, dass es „mir“ gut geht, dass es „mir“ nützlich ist, am liebsten über den Tod hinaus. Natürlich ist das aus nondualer Sicht lachhaft, aber wenn „du“ voll verwickelt bist, sind das ernsthafte Fragen. Also mach dir klar, „du“ wirst in diesem Prozess sterben, das rotierende Selbstmodell zerlegt sich. Aus der Ich-Perspektive hat alles seinen Preis. Wer sich diesen Gedanken und Ängsten nicht stellen will, sollte sich lieber fernhalten. Solange es noch relevant erscheint, was „danach“ ist und ob es „mir“ gut gehen wird, kann das eingebildete Selbstmodell nicht in sich zusammenbrechen. Irgendwie muss da eine Art Aufgeben stattfinden.
Wahrscheinlich wird das äußere Leben „danach“ laufen wie vorher, aber ohne inneres Zentrum der Wahrnehmung oder dem Gefühl persönlicher Täterschaft und all dem emotionalen Stress, der damit verbunden ist. Stärkeres Empfinden von Glückseligkeit kann sein, muss nicht sein. Da man wesentlich konzentrierter, ruhiger, „anwesender“ ist, werden wahrscheinlich alle erlernten Fertigkeiten viel effizienter ausgeführt werden. Es kann auch eine komplette private und berufliche Neuorientierung stattfinden. Niemand kann dir das genau sagen, alles ist möglich. Aus der Ich-Perspektive wird versucht eine Vorstellung zu generieren, wie es ist, wenn „ich“ erleuchtet bin, oder wie es ohne „mich“ sein wird. Genauso kann ich Ideen und Modelle darüber entwickeln, wie es ist, eine Katze zu sein. Aber wie es sich wirklich als Katze erlebt, keine Ahnung.
Ich hatte immer Sorgen, dass ich wie E. Tolle auf der Parkbank lande. Oder verwirrt in der Psychiatrie. Andererseits hatte ich vor Vipassana und Advaita immer wieder starke Todessehnsucht, um endlich Ruhe zu haben. Also rein logisch hatte ich nix zu verlieren und E. Tolle hat deshalb auf der Parkbank gesessen, weil er zu dem Zeitpunkt nichts anderes brauchte, um in vollkommener Zufriedenheit zu sein und nicht weil er ein Penner sein musste oder sein wollte. Jetzt ist er Millionär. Aber das hat „er“ nicht getan, das hat sich so ereignet und hat nichts mit dieser vollkommenen Zufriedenheit zu tun.
Ich kann hier nur ein paar Aspekte ausführen, bei Interesse, bitte das Internet durchschnarchen oder Lehrer aufsuchen.

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heissundkalt
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Beitrag Mo., 13.12.2010, 23:26

@ Blätterwald

Es wäre zu schön, wenn diese entspannte Form der Wahrnehmung direkt an alle Leidgeplagten übertragen werden könnte, aber das funktioniert leider nicht. X Bücher und Methoden können maximal drauf hinweisen.

meine mutter beschäftigte sich in ihrer zweiten lebenshälfte sehr intensiv mit den themen, die u angesprochen hast. "zwangsläufig" bekam ich sehr viel davon mit. ich habe ab und zu ein bisschen dagegen rebellieren wollen, aber das lag eher daran, dass meine mutter hier, auf der erde, im irdischen dasein, dann manchmal irgendwo hängenblieb... irgendwo in diesen gedankengängen. sie war auch der überzeugung, dass ihre krankheit (krebsähnlich, sehr selten) ein ausdruck ihres kampfes wäre. auch mir leuchtete das ein. leider kamen die erkenntnisse vielleicht zu spät - der körper war schon zu kaputt, regeneration durch den geist ist sicher ab einem punkt nicht mehr möglich.

jedenfalls glaube ich, dass unser, hier auf der erde, begrenztes bewußtsein eben nur ein minimum fassen kann. immer und immer wieder verstricken wir uns "in uns" - in depressionen und dergleichen.
mir jedenfalls geht es so, dass ich, vielleicht wie meine mutter, immer wieder festhalte und viele ängste durchlebe.

ich habe neulich das buch "gedanken erschaffen realitöt" von dieter broers angelesen. im buchladen, aber ich glaube ich kaufe es mir. aus quantenphysikalischer und biochemischer sicht erläutert er das verhältnis von geist und materie. zwar mußte ich als absolut physikalischer laie sehr in meinen Physik-Schulkenntnissen (die nicht gut sind) graben, aber fand es fasziniert wie pur wissenschaftlich, ohne esoterische sichtweisen, er das ganze erklärt.

lg, H&K
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Beitrag Di., 14.12.2010, 20:59

@heissundkalt
Ich sehe es nicht so, dass "Krankheiten" Folge eines Kampfes, negativer Gedanken oder Ähnlichem sind. Zum Einen ist es eine Definitions- oder Perspektivfrage, was "krank" überhaupt ist. Zum Anderen wird damit impliziert, dass überhaupt Jemand Schuld an seiner Krankheit haben könnte. Schon wieder dieses kleine "Ich", dieser Gedanke, dass "ich" hier überhaupt was zu melden habe. Niemand hat Schuld, es geschieht einfach. Es mag gewisse statistische Korrelationen geben, wonach sich gesund ernährende, Sport treibende, optimistische Menschen weniger krankheitsanfällig sind, aber naja, alles mehr oder weniger interessante Konzepte, scheinbare Kausalität. Können trotzdem Krebs oder Depressionen kriegen, einen Unfall haben und zack weg aus dem Theater. „Aber wie konnte das passieren, der war doch immer so gesund und lustig“, jaja…
Es gibt Menschen, in denen einfach so im größten körperlichen/psychischen Leid die Identifikation mit dem Körper und allen anderen Erscheinungen aufgegeben und dadurch tiefer Frieden erlebt wird. Kam erst letztens eine schöne Sendung auf ARD ("Fast wäre ich gestorben..."). Darin berichtete eine Frau, dass sie nach einem schwerem Unfall innerlich sagte:"ich kann einfach nicht mehr" und die innere Antwort:"du musst auch nicht mehr" und alles von ihr abfiel und sich tief in einen totalen Frieden entspannte. Die Identifikation kam zwar später zurück, aber diese Art "Nahtoderfahrung" war für sie extrem prägend.
"Wir" haben nicht ein begrenztes Bewusstsein, sondern sind Bewusstsein, das sich in der Erfahrung des Menschseins begrenzt, sozusagen als ein möglicher Ausdruck, als Realisation seiner Selbst. Und innerhalb dessen taucht alles auf, was es so (bedingt) zu erleben gibt - und das scheint ne ganze Menge zu sein.
Das Konzept "Gedanken erschaffen die Realität" scheint mir etwas verdreht. Aus der Wirklichkeit (unendliches Potential/Quelle/Bewusstsein) heraus erscheinen Gedanken (neben Gefühlen und Sinneswahrnehmungen) als ein Aspekt des Wahrnehmungsinhaltes. Alles ist ineinander und interaktiv als Einheit verwoben und wird wahrgenommen. Darin eingeschlossen der Eindruck von Kausalität/Raum/Zeit/Getrenntheit.
Es ist natürlich intellektuell ganz interessant über den Zusammenhang von Geist und Materie zu spekulieren. Aber man braucht das nicht allzu ernst zu nehmen. Das sind sich laufend ändernde gedanklich abstrakte Theorien (vielleicht mit Schaubildern verziert), die mit der Wirklichkeit/Quelle nur insofern zu tun haben, als dass sie in ihr als ein Aspekt auftauchen

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Beitrag Mi., 15.12.2010, 14:34

...dieses buch fand ich deshalb spannend, weil es wissenschaftliche belege enthält. es ist eben nichts "verdrehtes" gewesen. allerdings kann ich das auch schlecht wiedergeben und es gehört auch nicht wirklich hier hin.

krankheiten, ob nun physisch oder psychisch, entstehen durch einen konflikt. ob das nun verallgemeinert werden kann - dazu habe ich mir noch keine meinung gebildet, jedenfalls bin ich überzeugt davon, dass krebs auf diese art entsteht. wieder rein wissenschafltich beweisbar - durch einen kurzschluß im gehirn werden falsche impulse ausgesandt... allerdings ist das schulmedizinisch natürlich noch nicht anerkannt. denn es stellt ein ganzes system infrage.
gut, das führt aber alles zu weit.
ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass wir selber unser autopilot sind. weil alles - unser "ich", und alles um uns ein und dieselbe materialisierte energie ist. wieder sehr verschroben, ich weiß aber meiner meinung nach ist alles eins. nur haben wir das vergessen, vielleicht mit dem zeitpunkt unserer geburt. und leider hilft auch dieser gedanke nicht wirklich zu einer entspanntheit, jedenfalls hilft er mir nicht. weil mein bauch anders funktioniert als mein kopf... analytisch begreifen, ok... aber dieses von der energie abgespaltenes "ich" fühlt anders.

ich merke gerade, dass ich nicht gut in worte fassen kann, was ich ausdrücken möchte
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Beitrag Mi., 15.12.2010, 14:36

ach so... der begriff "schuld" ist meiner meinung nach sowieso völlig fehl am platz.... "schuld" existiert nicht in diesem zusammenhang.
"verantwortung" trifft es besser. jeder ist verantwortlich für sich...
auch für seine gesundheit... weit, weit über sport und gesunde ernährung hinausgehend, wenn ich einigermaßen verständlich machen konnte, was ich denke...
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Beitrag Mi., 15.12.2010, 22:15

Ob nun Konflikte Krankheiten erzeugen oder Krankheiten Konflikte sei mal dahingestellt. Wissenschaftliche Theorien würde ich grundsätzlich nicht allzu ernst nehmen. Die kommen und gehen, wie alles andere auch. Wissenschaft dreht sich nur in sich selbst, was völlig ok ist. Aber wirkliche Antworten, was das hier alles soll, warum hier was zu erleben ist, wird sie genauso wenig liefern, da landet man unweigerlich im Unendlichen bzw. beim Henne-Ei-Paradox.
"aber dieses von der energie abgespaltenes "ich" fühlt anders" - hm, "dein ich" ist nicht von der energie abgespalten, denn egal, ob man alles was ist Bewusstsein nennt (in der Materie wahrgenommen wird) oder Materie, die sich selbst wahrnimmt, es gibt nur DAS. Alles andere ist ein genialer Eindruck, eine Täuschung, die aber auch nur ein Aspekt von DEM ist.
Stimmt schon, wenn es nur bei intellektuellen Konzepten bleibt und nicht tiefer rutscht, nützt das nicht allzu viel. Am besten: verstehen, dass es nichts zu verstehen gibt, dann wird es verstanden:-).

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