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Fr., 26.06.2015, 12:18
Hallo
Ich melde mich hier zum ersten mal zu Wort. Bislang habe ich mich mit dieser Phobie, die man gar nicht getraut auszusprechen, nur selber befasst und keine therapeutische Unterstützung beigezogen. Nach wie vor hoffe ich, mich mit gesundem Menschenverstand, auf dem aus meiner Sicht die ganze Psychologie aufgebaut ist, heilen zu können oder meine Ängste in den Griff zu kriegen.
Ich bin selbstständig und kann mir daher den Tagesplan selber einrichten und über alles selber entscheiden. Die Angst, in der Öffentlichkeit zu versagen, und sich in die Hosen zu machen, lässt einem nicht mehr neutral entscheiden. Man macht Kompromisse, die immer zugunsten der Phobie gehen und gegen jeden Entscheid des gesunden Menschenverstand gehen.
Ich dem Bereich, indem ich arbeite, schein ich einer der besten weltweit zu sein, doch habe ich mir über die letzten 10 Jahre, wegen dieser Phobie, viele Möglichkeiten und Angebote entgehen lassen, die mich längerfristig auf Ort und Stelle treten liessen anstatt weiterzukommen.
Wie hier auch schon oft erwähnt, das Verlassen des Hauses oder nur der Gedanke, das Haus bald auch nur für wenige Minuten zu verlassen, treibt einen den Schweiss auf die Stirn und endet in Panikattacken, die alles lahmlegen.
Bis 26 Jahre war ich "normal". Angstzustände und Panikattacken kannte ich nur von Hollywoodfilmen und Erzählungen.
Ich glaube, dass meine Arbeit, die Präzision auf höchstem Niveau fordert, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben, mich zu einem "kontrollfreakartigen" Menschen gemacht hat, der denkt, immer alles genauestens kontrollieren und vorhersehen zu müssen.
Seinen Körper nicht unter Kontrolle zu haben und in der Öffentlichkeit oder vor Freunden oder Geschäftspartnern auf diese Weise zu versagen, könnte sich auch existenziell auf meine Arbeit und mein Unternehmen auswirken, und trieb über die Jahre die Angst voran und machte alles noch schlimmer.
Meine Freundin hat über die Jahre mich schrittweise entlarvt. Anfangs hab ich ihr von gelegentlichen Magenschmerzen erzählt, dann hab ich mich bei Wikipedia in Krankheitsbilder von Reizdarmsyndromen usw eingelesen und versucht mein Problem damit zu vertuschen, Blasenschwäche usw. Die Liste geht unendlich, ihr kennt das alles...
Doch alles fällt irgendwann auf, denn so sehr man versucht, nicht aufzufallen, desto mehr gerät man unter Druck und schliesslich in Panik und neigt dazu ungewollt aufzufallen.
Ich behaupte sogar, dass einige meiner Freunde, vermuten was los ist, aber sich aus Respekt nicht getrauen mitzuteilen.
Seit meine Freundin Bescheid weiss, geh ich mit ihr wieder vermehrt raus (progressive längere Strecken und Parcours). Sie zeigt Verständnis dafür, und gibt mir nicht das Gefühl, das mit mir etwas nicht in Ordnung ist. Ich glaube, der Schlüssel liegt tatsächlich darin, sich mitzuteilen, so peinlich es einem auch ist. Immer wieder tauchen die Worte "LOS LASSEN" im Zusammenhang mit unserem Leiden auf. Wir können nur los lassen, wenn wir sicher sind, dass man uns auffängt. Das ist, glaube ich, der zentrale Punkt.
Natürlich vermeide ich es immer noch, rauszugehen, und wenn, dann weiss ich immer genau, wo eine Toilette wäre. Mittlerweile ist es aber bei mir schon heikel, wenn ich weiss in einer U-Bahn hat es nur 1 Toilette auf 100 Bahnfahrende, oder im Restaurant nur eine Toilette, wo man dann bei jedem, der sie aufsucht, Panik kriegt, weil das Klo besetzt ist. Busfahren ohne Toilette ist im Moment undenkbar, im Kaufhaus mit vollem Warenkorb Schlange stehen,
Autofahrten auf Strassen, wo Stau sein könnte, Kinobesuche und ähnliche Situationen lassen mich schon nur beim Schreiben total verängstigen.
Was hier nicht gross abgehandelt wurde, aber ich denke, ist auch ein wichtiges Thema, sind die Ess- und Trinkverhalten.
Irgendwann denkt man, die Natur austricksen zu können und isst und trinkt einfach nicht, wenn man rausgehen muss. So hab ich das die letzten 10 Jahre gemacht. Wenn ich am Morgen irgendwo hinmuss, stehe ich 3 - 4 Stunden bevor ich zur Tür raus muss, sitze, bis mir die Beine eingeschlafen sind, auf dem Klo und hoffe "alles" rauszudrücken zu können. Ich esse und trinke nichts mehr (bei langen Reisen, schon am Tag zu zuvor fast nichts mehr) und hoffe so, meine Ängste etwas mildern zu können, da ich meinem Kopf sagen kann, es ist alles raus, nichts kann passieren.
Ich weiss, dass das gefährlich ist und man nicht machen sollte, aber wenn man Panikattacken und Angstzustände hat, macht man alles um diese zu lindern.
Eigentlich wollte ich nicht soweit ins Detail gehen, aber es tat gut mal aufzuschreiben, womit man tagtäglich zu kämpfen hat. Ich glaube, dieses Tabuthema ist weiter verbreitet, als man denkt, weil es tatsächlich die peinlichste Form aller Phobien ist.
Ich freue mich, bald mehr von euch zu lesen.