Diagnosen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

Vincent
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:43

stern hat geschrieben:Und ab zu gab es schon Überlegungen, Borderline aus den ICD zu streichen... bis jetzt nicht geschehen.
Mein Therapeut hat gesagt (wie hier ja oft subjektive Aussagen eingeleitet werden ), dass Borderline eine völlig veraltete, undifferenzierte Diagnose sei, unter der am Anfang des 21. Jahrhunderts zig Symptome subsumiert wurden. Der wird fast ungehalten, wenn jemand aus der Gruppe diesen Begriff benutzt. (Was mir eigentlich zeigt, dass ich bei dem wirklich gut aufgehoben bin.)

Ich persönlich finde den Begriff ("Grenzgänger") dennoch völlig angemessen, weil er eben all diese spezifischen Symptome impliziert, die mit emotionaler Instabilität im weitesten Sinne zu tun haben - und mit dissoziativen Phänomenen einhergehen.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:53

Ich finde es bemerkenswert, dass viele Menschen offenbar die Diagnose gleichsetzen mit der Störung. Das ist, als wenn jemand eine h&m-Tüte sieht und denkt, die Tüte sei das Shirt. Und als würden alle Menschen plötzlich nackt sein, nur weil man das Etikett aus ihren Klamotten entfernt.

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stern
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:53

Vincent hat geschrieben:Mein Therapeut hat gesagt (wie hier ja oft subjektive Aussagen eingeleitet werden ), dass Borderline eine völlig veraltete, undifferenzierte Diagnose sei, unter der am Anfang des 21. Jahrhunderts zig Symptome subsumiert wurden.
ja, das ist sicherlich ein Problem dieser Diagnose, dass man viel, das heterogen in der Erscheinung ist, darunter fassen kann... so dass sie auch inflationär zum Einsatz kommen kann.

Borderline nannte man es ursprünglich wegen vermutete Nähe zu Psychosen... ich glaube, das sieht man heute eher nicht mehr so (sie ist ja auch als PS gelistet).

Heute sieht man es eher in der Nähe von Traumafolgestörungen, aber wie Jenny zu Recht sagte, ist man sich hier noch nicht einig, weil angeblich nicht immer Traumata zugrunde liegen sollen...

Dissos werden sicherlich häufig sein, sind aber, wie ich glaube, nicht zwingend "notwendig", um die Diagnose stellen zu können. Heterogenes Erscheinungsbild.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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Widow
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:57

@ leberblümchen: "Diagnosen dekonstruieren" - bin ich hier im Derrida-Seminar?! Nein, im Ernst: Offenbar muss akzeptiert werden, dass es (nicht nur hier) vollkommen verschiedene Meinungen ("Meinungen" sind nicht Wissenschaft ...) zum Thema "Diagnosen" gibt.
Und offenbar muss man sich klar machen, dass dieses "Thema" nie abstrakt verhandelt werden kann, sondern immer auch wertend (auf- oder abwertend). Das dürfte daran liegen, dass hier ausschließlich Diagnose-TrägerInnen schreiben. (Und im Falle der hier vorliegenden Diagnosen impliziert das auch ganz viel Scham und ganz viel Angst: "Bin ich falsch/liege ich falsch/hab ich das/darf ich so sein" etc.)

Ach, eins noch: So ganz die wissenschaftliche Unschuld aus dem Derrida-Seminar bist Du hier keineswegs gewesen (die es ohnehin nicht gibt): Indem Du nicht das Konzept "Psycho-Diagnose" schlechthin in Frage gestellt, sondern von Anfang an einen Keil ins Thema und damit in die Debatte darüber getrieben hast, indem Du die Wahrnehmung von "guten" und "schlechten" Diagnosen differenziert hast, hast Du von Beginn an gespalten (nein, ausnahmsweise rede ich hier jetzt in diesem Psychotherapieforum nicht von "abgespalten", sondern von "spalten" = polarisieren). Dieser Keil muss die üblichen Wertungsbewegungen, die hier Auf- und Abwertung sind, hervorrufen - weil alle irgendwie "Betroffene" sind.
Habe ich auch schon fleißig gemacht. Schäme ich mich für und tut mir leid. (Garantieren, dass mir das nicht wieder passiert, kann ich allerdings nicht.)

Übrigens: Ich kenne meine Diagnosen nicht, und ich bin auch nicht neugierig drauf. Die Krankenkasse hat 340 Stunden gezahlt und Mr. G. hat seit über vier Jahren Zeit für mich - mehr muss ich nicht wissen.

Nochmals liebe Grüße in die Runde
Widow

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lamedia
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:01

...sorry, war zu persönlich, der beitrag...
Zuletzt geändert von lamedia am Mo., 05.10.2015, 22:13, insgesamt 2-mal geändert.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:05

@ Candle,
Gut, mir könnte man nichts einreden
Etwas Einreden ist ja nicht nur etwas Aktives und Bewusstes. Es kann auch unbeabsichtigt erfolgen, wie im Falle des Nocebo-Effektes. Diagnosen, Prognosen, Wissen über Nebenwirkungen, ... KÖNNEN dazu führen, dass man genau das ausbildet, was diagnostiziert und prognostiziert wird, als mögliche Nebenwirkung genannt wird, ..., um auf leberblümchen Annahme zurückzukommen, dass Diagnosen die Eigenwahrnehmung beeinflussen KÖNNEN.

Z.B.
(...)
Voreilige Diagnosen können ebenso massiv schaden wie übertriebene Warnungen vor Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten oder Therapien. (...) Was ihre Prognosen anrichten können und dass sie auf manche Patienten wie eine furchtbare Verwünschung wirken, ist Ärzten häufig nicht bewusst und es geschieht in den meisten Fällen auch nicht absichtlich.
(...)
Das falsche Signal. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt besser nicht. Denn wenn Sie ihn falsch verstehen, könnte das tödlich enden.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/39389

Ich finde das Thema "Nocebo-Effekt" sehr spannend.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:07

Widow, mir scheint eher, ich hab den Keil thematisiert - ist doch eine Metadiskussion ÜBER den Keil, der längst existiert, nur eben unsichtbar. Und alles, was unsichtbar werkelt und wirkt, ist gefährlich - und wird deshalb nicht grundlos tabuisiert.

Jenny, ich bin auch so eine. Interessanterweise entwickle ich die Symptome dann wirklich. Also, die sind dann nachweisbar. Und da ich mich kenne, gehe ich davon aus, dass ich sie nicht bekommen hätte, wenn man mich nicht vorher darauf hingewiesen hätte.

edit: Widow, Wissenschaft ist nicht unbedingt unschuldig.


Widow
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:15

leberblümchen, ja sicher hast Du den Keil thematisiert, indem Du ihn, der hier im ptf ohnehin ständig rumgeistert, auch hier eingeführt und damit auch von Anfang an explizit gemacht hast.
Gleichwohl hätte die Debatte hier vielleicht anders verlaufen können, wenn Du das Thema "offener" präsentiert hättest. (Um ehrlich zu sein: Ich glaube, das hätte das Einsetzen des Wertungsmechanismus nur verzögert, bestenfalls ...)

Edit: Dass Wissenschaft alles andere als unschuldig ist, habe ich geschrieben (sollte ich eine doppelte Verneinung verwendet haben?!). Ich ergänze: Sie ist auch nie wertfrei.
Zuletzt geändert von Widow am Mo., 05.10.2015, 22:17, insgesamt 1-mal geändert.

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candle.
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:17

Jenny Doe hat geschrieben: Etwas Einreden ist ja nicht nur etwas Aktives und Bewusstes. Es kann auch unbeabsichtigt erfolgen, wie im Falle des Nocebo-Effektes. Diagnosen, Prognosen, Wissen über Nebenwirkungen, ... KÖNNEN dazu führen, dass man genau das ausbildet, was diagnostiziert und prognostiziert wird, als mögliche Nebenwirkung genannt wird, ..., um auf leberblümchen Annahme zurückzukommen, dass Diagnosen die Eigenwahrnehmung beeinflussen KÖNNEN.
Das habe ich schon verstanden und bezweifle das auch gar nicht. Nur bei mir kommt das nicht zum Tragen.

Ich fand es damals ganz gut zügig eine Diagnose zu bekommen, weil die sich für mich ganz drastisch von der Depression unterschied. Und es machte mir möglich wirklich an einzelnen Punkten/ Beschwerden zu arbeiten um mich wieder herzustellen.

Was ich problematisch finde ist, dass kaum berücksichtigt wird wer schon lange Beschwerden hat oder erst relativ neu erworben. Ich habe ja immer dieser Vorher- Nachher- Kontrast und hänge sehr an meinem alten nahezu unbelasteten Ich. Das muß irre schwer sein sich dieses Ich selber zu erarbeiten als wie bei mir, die es dann irgendwie leichter hatte mit meinem speziellen Orientierungspunkt.

Ach, ich weiß auch nicht was ich sagen soll?

Letztlich geht es wohl darum: Ist meine Diagnose Ausrede für jegliches Verhalten? Nein!

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ziegenkind
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:21

Widow, hast du recht. Aber damals in der Klinik hab ich das gedacht, ne kleine Depression. Ist schwachsinnig, weiß ich auch. Genau so schwachsinnig, wie die Vorstellung, ach Trauma, wie schön, hab ich immer mal wieder krasse Aussetzer, aber haben mich alle lieb
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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stern
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:23

leberblümchen hat geschrieben:Widow: Und deswegen finde ich die Idee sehr verlockend, die Diagnosen zu dekonstruieren. Peng. Was wäre dann?
Nun, ich würde annehmen, dass ich meine Schwierigkeiten auch so mitteilen könnte... nur die Benennung würde halt wegfallen. Und wenn der Therapeut das hört, denkt er vielleicht: Oh, ich hatte schon 1-2 (oder auch mehr) Patienten, die ähnliches berichteten... und vielleicht entdeckt er dann manche Parallelen. Nichts anderes ist die Diagnose ja: Eine Systematisierung. Nun, natürlich ist das auch heikel: So gibt es sicher Ähnlichkeiten, aber da Menschen nie gleich sind auch immer Unterschiede.

Mir ging es mal so, dass ich nach ein paar Schwierigkeiten gegoogelt habe (ob es vielleicht Leute gibt, die das kennen bzw, was das sein könnte.. konnte ich nie zuordnen. Und dann stolperte ich über einen Text... und ich hatte eine Mega-Aha-Effekt, weil ich diese Schwierigkeiten dort so treffend beschrieben sah, wie es mir auch ergangen ist. Und plötzlich hatte das auch einen Namen.

Und so macht es einen Unterschied, ob etwas, das vorhanden ist, schlichtweg benannt wird... oder ob man etwas sucht, von dem man glaubt, dass man es haben müsste (z.B. irgendeine Traumatisierung oder bestimmte Symptome).

So könnte ich nun sagen: Ich habe (auch) Störung x (ich lege keinen Wert darauf, dass das offiziell diagnostiziert wird, aber ich könnte es knackig benennen). Oder ich beschreibe es (so hatte ich es auch vorher gemacht... und ich nehme den Fachleuten, denen ich das schilderte, schon etwas übel, dass sie das nicht früher benannten und etwas erklärten. Das hätte mir manches erspart, ebenso entsprechende Recherchen, die ich deswegen veranlasste, weil ich überlegte, wie ich Abhilfe schaffen kann. Ich nehme an, hier fehlte schlichtweg das spezifische Wissen, denn es wurden mir auch unpassende Empfehlungen gegeben. Gut gedacht, aber eben nicht stimmig. War hier nicht so tragisch... trotzdem: Die werden ja nicht schlecht bezahlt. Und dafür möchte ich auch einiges erwarten können).
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:34

Aber, stern, mit dem "einfach so Benennen" ist es leider auch nicht so leicht. Sprich: Eigentlich funktioniert es gar nicht. Man tut nur so, als sei das der Fall. Womit man sich die Welt natürlich leichter macht.

Gerade z.B. in Bezug auf den Therapeuten, der dann also feststellen würde: "Frau Müller berichtet dasselbe, was Frau Meier und Herr Lehmann mir berichtet haben. Das waren doch die mit Störung xy - dann wird Frau Müller sicherlich auch..." - das macht keiner absichtlich; das passiert automatisch dann, wenn man in Kategorien denkt. Gäbe es diese Kategorien nicht - was natürlich irgendwo auch eine Utopie ist -, wäre der Schritt hin zu "Frau Müller ist wie Frau Meier" deutlich größer und gewagter.

Mich wundert weniger, dass es nicht möglich ist, die Diagnosen komplett abzuschaffen; mich wundert eher der Widerstand gegen diese Phantasie. Ich frage mich, was das für Nachteile hätte? Man könnte natürlich sagen: "Wenn ich weiß, dass Frau Meier Diagnose xy hat, kann ich Frau Müller schneller helfen, wenn ich sie unter derselben Diagnose abhefte" - aber ich würde vermuten, dass die Gefahr viel größer ist, Frau Müller auf diese Weise gar nicht gerecht zu werden.

Bei Medizinern ist das auch häufig der Fall, dass die gar nicht mehr zuhören, wenn sie sich erst mal eine Diagnose gebildet haben. Es bestünde ja die Gefahr, die Meinung revidieren zu müssen...


Widow
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:43

Ja, ziegenkind, dumm ist das, was wir hier ständig tun. Richtig doof dumm.

(Aber weißt Du: Ich erlebe mich gerade selbst wieder als jemanden, der Menschen mit fast schlimmstem - nein, nicht rituell - sexuellem Missbrauchserleben und entsprechender psychischer Zerrüttung sowie schwierigen [weil so vieles verhindert worden ist] Lebensumständen voller Mitleid begegnet, während ich mir bissi dysthymisch angeschlagenem, chronisch trauerndem Frühminimalgestörtem ohne irgendein Gefühl gegenüberstehe. Nee, stimmt nicht: Mit Verachtung. Was für ein Hanswurst, ein aufgeblasener Popanz bin ich denn "im Vergleich" ...
Und ich weiß, dass, wenn "verglichen" wird - und das tun wir hier implizit und unbewusst immer, davon zeugt die Tatsache, dass dieses Thema immer wieder in Gestalt unterschiedlicher Fragestellungen hochkocht -, meine "Traumatisierungen" weniger "gelten" als alles, was mit Kindern&Sex/Gewalt zu tun hat.
Indem ich das "weiß", habe ich mir diese gesellschaftlichen Maßstäbe zueigen gemacht.
Dass das dumm ist, weiß ich zwar auch - denn: Nicht jedes missbrauchte Kind hat eine psychische Erkrankung davon getragen / nicht jeder Trauernde rutscht in die Suizidalität etc., entscheidend ist das individuelle Leid und seine Symptome [und dafür gibt es keinen objektiven "Maßstab"], nicht das Geschehen als solches -, allein: Wie so oft hilft mir mein Wissen da häufig gar nichts.
Wenn ich merke, dass andere sich in ihrem Leid "über mich erheben" wollen [auch wenn die vielleicht was ganz anderes wollen und gar nicht spüren, dass das ein Nebeneffekt ist], dann passiert es mir leider bis heute oft, dass ich fuchsig werd und bös und auch solche schrecklichen Sätze schreibe oder sage, wie Du ihn da vorhin geschrieben hast.

Ich finde es sehr schwierig, da rauszukommen. Aber mir ist das wichtig, wie wohl den meisten hier.)

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lamedia
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:53

leberblümchen hat geschrieben: Bei Medizinern ist das auch häufig der Fall, dass die gar nicht mehr zuhören, wenn sie sich erst mal eine Diagnose gebildet haben. Es bestünde ja die Gefahr, die Meinung revidieren zu müssen...
Hm, ich glaube, das ist auch ein ökonomisches Problem: Kostendruck, Effizienzsteigerung. Zudem werden Psychiater/Mediziner im Studium auf Algorithmen geschult, also auf mehr oder weniger komplexe Wenn-Dann-Abläufe. Da geht es um eindeutige Ja/Neins. Das Zuordnen von Patienten in Gruppen spart Zeit und ermöglicht überhaupt erst, solche Behandlungsalgorithmen anzufangen. Und in den meisten Fällen haut es dann auch irgendwie hin. Konkrete Befindlichkeiten, biographische Auffälligkeiten von Patienten (sprich: ihre Subjektivität) zu verstehen, die von Schemata abweichen, das ist in diesem Denken überflüssig,

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stern
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 22:58

Nun, ich glaube Störungen sind nicht alle so einzigartig, wie man das vielleicht glaubt, wenn man nicht noch ein paar Leute kennt, denn es ähnlich geht (oder hört, dass es andere Menschen gibt, die ähnliches berichten).

Und ich denke, die Psychoszene hat auch einiges mit Fachwissen zu tun. Z.B. wenn ein Patient berichtet, jedes Mal wenn ich einen Mann/Frau sehe, werde ich panisch, ob ich vielleicht homosexuell bin... das beschäftigt mich Stunden. So hat der Therapeut vielleicht persönlich keinen Bezugspunkt dazu, aber weiß dann (hoffentlich), das könnten vielleicht Zwangsgedanken sein (oder vielleicht ist jemand tatsächlich homosexuell, kann sich das aber nicht eingestehen)... um nicht zu sagen: Auch Programme werfen dem Behandler einiges aus, woran sie denken müssen.

Und wenn man dann zu dem Schluss kommt, dass es sich um Zwangsgedanken handelt, gibt es Erfahrungswerte, was anderen Patienten geholfen hat. Andernfalls müsste jeder Therapeut (im Versuch-und-Irrtum-Verfahren) das Rad neu erfinden.

Und wie gesagt: Die Diagnose ist ja nicht alles... ein Arzt schaut ja mehrere "Dimensionen" an... und wenn man das differenziert betrachtet, erkennt man auch, dass Depression nicht gleich Depression ist, sondern das man das individuell spezifizieren kann... man fordere halt mal seinen Bericht an. Dort ist das sicherlich auch etwas aufgedröselt (ja nach Verfahren evtl. etwas abweichend). So hat (so sehe ich das), aus tiefenpsychologischer Sicht, ein depressiver nicht zwingend mehr Reife als jemand mit PS... und auch, wie man das ursächlich erklärt hängt natürlich auch von individuellen Gegebenheiten ab.
Zuletzt geändert von stern am Mo., 05.10.2015, 23:01, insgesamt 1-mal geändert.
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