Liebe Sandrin,
ich bin in der "Therapie-Szene" (kann man das überhaupt so nennen?) neu, insofern mag das alles Quatsch sein, was mir zu Deinen Aussagen einfällt: Dann bitte einfach mal kurz auf den Eisbärenschädel hauen (möglichst auf den Hinterkopf) - und jut is.
Aber ich gebe zu bedenken:
Präambel: Es gibt überall schwarze Schafe: Unter den PatientInnen, unter den TherapeutInnen und unter den ÄrztInnen (PsychiaterInnen, aber auch anderen Ärzten).
1. Behauptung (meine!): "Psychotherpie" zu benötigen/nutzen, ist hierzulande immer noch etwas, das den Betroffenen stigmatisiert (das ganze allerdings "Coaching" zu nennen, ist echt trendy - so wie sein eigener "Arbeitskraftunternehmer" zu sein etc.). Insofern gehe ich nicht davon aus, dass es in Mode kommt, "therapy" chic zu finden und als lifestyle-Zubehör aufzufassen.
2. Fachmensch für die Einschätzung der "Krankheitswertigkeit" eines psychischen Problems ist letztlich die/der aufgesuchte TherapeutIn/PsychiaterIn. (Ein subjektiv empfundener Leidensdruck muss dem auf seiten der/des PatientIn natürlich vorausgehen, weil sonst kein Fachmensch aufgesucht würde, doch glaube ich [s. 1. Behauptung], dass viele Menschen sehr viel Leidensdruck aushalten, bis sie den Schritt wagen, und dann gehe ich davon aus, dass jemand, der "nur" eines Coachings bedarf, das von einer/einem verantwortungsbewussten Thera auch gesagt bekommt.
3. Abgesehen von Selbstzahlern müssen Psychotherapien durch irgendwelche Drittinstanzen in der BRD genehmigt werden (GKV, PKV, Beihilfestelle), weil die sie ja bezahlen. Deren Budgets aber sind insgesamt gedeckelt, so dass sie sehr genau hinschauen, wem welche therapeutischen Maßnahmen zugeteilt werden - das ist in der "Körper-Medizin" ja nicht anders (und oft ist beides einfach ungerecht!).
4. Wenn nun ein Orthopäde hergeht und aus seiner subjektiven fachlichen Einschätzung meint, dass bei Patient A eine Reha-Maßnahme und dann noch eine anschließende Physiotherapie sowie eine UV-Bestrahlung angebracht sind, bei Patient B aber nicht, dann hat der viel weniger Begründungsaufwand, die Kassenleistungen für Patient A durchzukriegen, als ein Psychotherapeut für seinen Patienten A. (Patient B müssen beide nur sagen: Gehen Sie mehr joggen!")
5. Ambulante Psychotherapie - auch eine 300stündige Analyse - ist im gesundheitssystemischen (und übrigens auch wirtschaftlichen) Gesamtdurchschnitt deutlich kostengünstiger als stationäre Psychotherapie (das ist bei physiotherapeutischen Maßnahmen nicht anders). Insofern wäre es eigentlich erfreulich, wenn mehr ambulante Therapien bewilligt würden, denn damit könnte früher dem Einzelnen und ökonomischer der Allgemeinheit 'geholfen' werden.
6. Das Argument "Psycho wird trendy, Psychotherapie wird zum
dernier cri, Lifestyle-Attribut und/oder zur Wellness-Methode" kenne ich aus einer bestimmten Ecke: Der der Ärzte, die das Psychotherapie-Gesetz wieder kippen wollen (das 1999 in Kraft getreten ist, glaub ich), um psychotherapeutische Behandlungen aus dem kassenärtzlichen Versorgungsrichtlinienkatalog (und damit letztlich aus der GKV-Finanzierung) zu schmeißen. Ich habe mich da noch nicht wirklich durchgearbeitet, ist ziemlich kompliziert - aber es geht offensichtlich wieder um das, um das es bei Lobbyismus immer geht: Um die Kohle und deren Verteilung.
My 2 cents - aber vielleicht auch einfach Falschgeld, weil ich in der Materie nicht drin bin. Dann, wie gesagt, weg damit!
Ach: Eins noch: Hier lesen sicherlich auch Menschen mit, die von Dir, liebe Sandrin, immer mal wieder angeführte "Therapie-Karriere" machen (oder gemacht haben). Die finden solche Aussagen wie die folgende bestimmt extrem aufbauend:
sandrin hat geschrieben:Dass man sein Leben nicht in die Hand nehmen möchte, weil man sich fürchtet, kann vielleicht die Indikation für eine Therapie sein, aber irgendwann muss man sich einfach auf die Hinterfüße stellen und die Verantwortung übernehmen.
Irgendwie assoziierte ich dabei frei, dass man dazu wohl manchen die Hinterfüße amputieren und anderen transplantieren könnte, weil erstere bestimmt auch mit Prothesen gut zurecht kommen - bei der Resilienz ...
Einen herzlichen Gruß in die Runde
Widow
Edit: Omg: Mir Narzisstin kommt gerade die Assoziation, dass an der von Dir für Therapie eingeführten Kuscheldecken-Metapher meine Aussage über die Stimme meines Hintercouchlers schuld sein könne, in der ich mich manchmal zusammenrollen mag ... (ja, ich beziehe halt alles auf mich). Falls dem so sein sollte, dann sei versichert: Mr. Gemini52 hat mich schon total zersägt und wird es wieder tun. Zur Illustration: Er hat mich "armselig" genannt - aus seiner Perspektive zurecht, aus meiner nicht, aber manchmal kann ich doppelt sehen .