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Do., 25.02.2016, 00:36
Daß es dem Therapeuten auffällt, wenn man sich für ihn "anders" anzieht, war mir auch klar, was es noch schwieriger machte. Es ging mir nicht um ein bestimmtes Aussehen, sondern gerade um das Wissen, daß meine Kleidung womöglich Deutungen hervorrief, die unzutreffend waren. Z.B. könnte es sein, daß manche Therapeuten ausnahmslos düstere/schwarze Kleidung als Zeichen von Depression oder Negativität o.ä. ansehen, oder daß bestimmte Farben mit bestimmten Gefühlen oder Vorlieben oder Persönlichkeitsanteilen assoziiert werden. Ich hatte große Sorge, daß ich eben "falsch" eingestuft werde, wozu auch die Kleidung beitragen kann, weil ich weiß, daß die Kleidung das Urteil über den anderen beeinflußt, ob nun berechtigt oder nicht, ist dafür unerheblich.
Umgekehrt führte auch die Kleidung des Therapeuten zu Mißverständnissen. Der erste trug braune Lederschuhe mit einer interessanten Naht, der zweite modische Laufschuhe, und im Gespräch betrachtete ich diese so genau, daß es beide verunsicherte. Der erste fragte, ob etwas mit seinen Schuhen sei, ob sie schmutzig seien, vielleicht fragte er sich, ob ich einen Schuhfetisch hätte oder schüchtern sei. Die Wahrheit, daß einfach nur das Muster interessant anzuschauen ist, hätten beide entweder nicht geglaubt oder komisch gefunden.
Die Kleidungsauswahl ist eine Quelle vieler unnötiger Mißverständnisse.
Ein Totenkopfhemd ist an sich heutzutage nicht mehr provokant, aber wenn ICH es trage, dann schon. Und zu erklären, daß ich es in dem Moment nicht trage, um zu provozieren, hätte es noch komplizierter gemacht. Dann wäre die gesamte Therapiestunde für das Thema Hemd draufgegangen, so wie viele Therapiestunden um die Definition oder Diskussion um einzelne Begriffe draufgingen.
Ich wollte auf meinen Therapeuten übrigens nicht angenehm, sauber, attraktiv usw. wirken, sondern ich wollte so wirken, daß er mich möglich korrekt diagnostizieren konnte, aber da ich ja nicht wußte, was ich vermittele und welche Störungen ich vielleicht habe, konnte ich mich nicht dementsprechend anziehen. Authentisch anziehen, das ist schwierig, für mich ist jede Kleidung irgendwie eine Ver-kleidung. Es gibt keine Kleidung, die wirklich zu einem paßt, alles von einem repräsentiert und darstellt, sondern ist vielmehr irreführend und nur eine Momentaufnahme einer Laune.
Ich frage mich, ob noch andere dieses Problem hatten oder sich darüber solche Gedanken machten. Ich traute mich aber nicht, das in der Therapie weiter auszuführen, weil mir derartige Andeutungen als paranoide Gedankengänge ausgelegt wurden, was das Eigentliche nicht erfaßt. Die Vermeidung von Mißverständnissen, die diese aber absurderweise noch verschlimmert, ist keine Paranoia, sondern ein reales, ständig sich wiederholendes Problem.