Müki hat geschrieben:Ich denke aber daß der Narzisst das was er aus der Störung hat durchaus als einen Gewinn sieht.
hm, mglw. meinen wir ähnliches, benennen es nur anders. Begrifflich finde ich mittlerweile "Funktion" besser als z.B. Nutzen, Gewinn, Grund, Sinn... und zwar weil zum Bleistift eine Spaltung eben auch eine Funktion hat... z.B. die Funktion eben mit bestimmten Seiten, Strukturen, Prozessen oä eben nicht in Kontakt zu kommen, weil sonst die Psyche aus den Latschen kippen würde. Also Funktion als Selbstschutz i.w.S., was in der früheren Lebenswirklichkeit auch durchaus viel Sinn machte ("funktional war"), heute aber nicht mehr unbedingt viel Sinn macht, sondern vielmehr dysfunktional ("destruktiv") wurde (weil daraus heute auch reichlich Leiden erwächst... und andere Bewältigungsstrategien an sich angemessener wären, die aber noch nicht zur Verfügung stehen).
Und so kann man IMO aus vielen destruktiven Bewältigungsstrategien (wozu ich auch z.B. Selbstmitleid zähle) AUCH eine Funktion ableiten, die es erfüllen soll. Wie gesagt: Braucht niemand anzunehmen, ich kann mit d. Sichtweise mitunter viel anfangen, weil sie auch dazu dienen kann, etwas versöhnlicher zu sehen (anstelle sich z.B. fertig zu machen: Wie destruktiv gehe ich eigentlich mit xy um... warum muss ich zu solchen absurd Strategien greifen, usw. Wenn man das lebensgeschichtlich näher aufdröselt, kann man zumindest zu dem Ergebnis kommen, dass es damals vielleicht gar nicht sooo absurd war, z.B. sich sich zu verletzten (z.B. weil die Psyche anderweitigen Schmerz gar nicht verkraftet hätte, und man dann vielmehr z.B. in einer Psychose dekompensieren hätte können, usw. Mag teils auch nur ein schwacher Trost sein, kann aber einer sein).
Empfinde ich auch als stimmige Definition, die ich auch gut mit der von Debussy zusammenbringen (mit der ich wie gesagt ebenfalls viel anfangen kann), sprich: das Selbstmitleid als etwas abgekoppeltes, das stattdessen dazu dient etwas anderes zu kompensieren... z.B. in Kontakt mit seinem eigentlichen Leid, seiner Trauer, Traurigkeit, etc. zu kommen.Eremit hat geschrieben:Ich habe oft den Eindruck, daß Selbstmitleid eine Kompensationshandlung ist, weil die jeweilige Person ihr eigentliches, tatsächliches Leid nicht (mehr) "findet" (finden will?). Tatsächlich ist es doch so, daß alle Menschen ihr Leid - ihr wahres Leid - größtenteils vor sich selbst verstecken (und somit vor der Umwelt).
In dem Punkt bin ich aber ein bisschen hin- und hergerissen... und zwar mit folgender Begründung: Ich denke viel Leid entsteht gerade daraus, dass man eben NICHT mit sich selbst in Kontakt ist (der Depressive z.B. nicht, dessen Leid durch durch irgendwelche depressiven Wolken, Sinnlosigkeits"gefühlen" etc. überdeckt ist. Auch derjenige nicht, der sich die Arme aufschneiden muss, weil er seinen eigentlichen Schmerz eben nicht aushalten kann. Der gespaltene Narzisst nicht, der nur ENTWEDER mit seiner selbstwertlabilen Seite in Kontakt kommt ODER mit seiner "grandiosen" (bzw. evtl. verhindert die Spaltung gänzlich mit dem labilen Selbstwert in Kontakt zu kommen). Und auch derjenige, der in tiefem Selbstmitleid hängt ist gerade nicht sonderlich gut mit sich in Kontakt... gerade wenn man die Definition zugrunde legt, dass das Selbstmitleid anderes kompensieren soll (z.B. die Auseinandersetzung mit dem worunter man eigentlich leidet). Insofern passt auch "Versteckspiel" in allen Fällen gut... weil das "eigentlich Leid" hinter anderem (wie Sinnlosigkeitsgedanken, Opfermentalitäten, etc. versteckt ist). Und ja, das kommt mir gerade in puncto Selbstmitleid auch noch in den Sinn: Es kann in der Tat leichter auszuhalten sein, sich mal so richtig als arme Sau zu fühlen, die von allem und jedem ungerecht behandelt wird, als wirklich in Kontakt mit dem eigentlichen Schmerz zu kommen oder in Kontakt mit Eigenanteilen oder was weiß ich.Echtes Leid kann zwar produktiv gelebt werden, kann aber auch sehr destruktiv sein und das Selbst in den Abgrund reißen und zerstören, viel schneller und leichter als jedes aufgesetzte Selbstmitleid, oder nicht? Zumindest wirkt es auf mich wie ein großes Versteckspiel...
Und insofern: Wenn man wirklich in Kontakt mit sich ist, ist das eigentliche, "echte" Leid meiner Erfahrung nach endlich... sicher auch schmerzhaft, aber nicht zerstörerisch... es ebbt mit der Zeit auch wieder ab... ja, ich finde das Bild von Wellen treffend. Dann wenn ich etwas kompensieren muss (egal auf welchem Weg... vermutlich aber auch bei Selbstmitleid als Kompensationsstrategie), ist meine ganz deutliche Erfahrung, dass dann Prozesse in Gang gesetzt werden, die sich hochschaukeln, zerstörerisch sein können, schwer begrenzbar sind.
IaW: Destruktive Bewältigungsstrategien schaffen sich zusätzliches Leid (im Fall von Selbstmitleid z.B., dass sich andere Menschen u.U. abwenden... usw.) = Verlagerung