Diagnostik, Diagnose und passende Therapie

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Schaukelstuhl
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Beitrag Di., 05.09.2023, 19:51

candle. hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 18:28 Mir ist bisher nur so halb klar um was es dir geht. Ist es die Anerkennung mittels Diagnose, dass süchtige Eltern deine Problematik ausgelöst haben? Oder ist es "Schuld" die lieber dem Alkohol zugewiesen wird als "inkompetenten" Eltern um die Eltern nicht "zu beschmutzen"?

Und was sind "richtige" psychische Erkrankungen und welche nicht? Wie kannst du das trennen?
Ich habe den Eindruck, dass genau das, was hier passiert, das Problem ist!
Viele Erwachsene, die im dysfunktionalen Familien aufgewachsen sind, haben psychische Probleme genau aufgrund der Muster, die sie sich als Kind/Jugendliche wegen der Probleme in der Familie aneignen mussten. Aber fassbar ist das alles irgendwie nicht.
Es ist schwierig, seine Probleme zu erkennen/zu beschreiben, wenn nichts fassbar ist. Es war alles so subtil und hat trotzdem massive Auswirkungen auf das Leben jetzt. Es wäre "einfacher", sagen zu können, da war körperliche oder sexuelle Gewalt. Natürlich wünschen wir uns sowas nicht, versteht mich bitte nicht falsch!
Aber was ich (wir) erlebt haben, war auch schlimm! Aber in den Diagnose-Kriterien wird das eben nicht abgebildet. Die subtile (und darum kaum fassbare) emotionale Gewalt, die Vernachlässigung der kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit und Geborgenheit, nach Schutz von den Eltern, nach Wahrgenommen-Werden und Raum-Einnehmen-Dürfen, all diese elementaren Bedürfnisse wurden nicht erfüllt! Jegliche Selbstbestimmung wurde unterdrückt, ich (wir) waren nur zur Bedürfnissbefriedigung der Eltern da.
Das ist schlimm!
Eine eigene Diagnose oder zumindest eine "Aufnahme" in die Diagnose der kPTBS wäre hilfreich, um das Schlimme irgendwie fassbar zu machen. Um das Leid und Entsetzen, die Angst und Traurigkeit, das Allein-Gelassen-Werden in der Kindheit abzubilden und irgendwie "wahr" zu machen.

Ich zB. war mir sehr lange nicht bewusst, dass mein ausgeprägtes Funktionieren um jeden Preis nicht normal ist. Dass es nicht normal ist, sich um jeden zu kümmern, der auch nur im Entferntesten eine Überforderung zu erkennen gibt. Dass ich eigene Bedürfnisse wahrnehmen und nicht immer hinter jeglichen fremden Bedürfnissen zurück stellen kann. Dass das Wohl von allen anderen über allem steht. Dass ich jegliche Konflikte direkt lösen muss. Dass ich nicht immer beschwichtigen, ausgleichen, besänftigen und trösten muss. Dass ich nicht alle Verantwortung auf mich beziehen, sondern dort lassen kann, wo sie hingehört.

Eine eindeutige Diagnose wäre für mich hilfreich (gewesen), um Geschehens anerkennen und als behaödlungswürdig sehen zu können. (" es war doch alles nicht so schlimm. "Es waren doch so viele gute Zeiten". "Sie haben das doch nich absichtlich gemacht" "es gab doch keine Schläge/keine Misshandlung "... Das alles sind Sätze, sie mich bis heute begleiten und es mir schwierig machen, das Leid und die Not vom kleinen, ungeschützten Kind damals zu sehen und als Leid und Not anzuerkennen...)

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caduta
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Beitrag Di., 05.09.2023, 19:54

LovisTochter hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 18:07 Kann es sein, dass es bei Eurem Wunsch nach einer eigenen Diagnose um das gesehen werden und sich einer Gruppe zugehörig fühlen geht? Das ist zumindest das, was mich sehr anspringt. Bei Euch beiden.
Eine Diagnose sollte aus meiner Sicht schon etwas sein, wo man sich irgendwo wiederfindet. Wo man sich 'gesehen' fühlt. Ich denke schon, dass das wichtig ist.

Wenn ich jemandem erzählt habe ich mache Therapie wegen Depression, hat er mich angeschaut als käme ich vom Mond und das kann ich auch verstehen. Es hat einfach nicht gepasst, außer vielleicht ganz am Anfang. Aber ich wusste nicht was ich sonst hätte sagen sollen. Es war die offizielle Diagnose. :kopfschuettel:

Und nein, ich mache aktuell keine Therapie mehr, kann es also nicht mehr klären. Aber es stört mich immer noch. Mir fehlen die Worte um zu vermitteln, was eigentlich mein Problem ist und vor allem DASS es ein Problem ist.

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caduta
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Beitrag Di., 05.09.2023, 20:08

Schaukelstuhl hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 19:51 Ich habe den Eindruck, dass genau das, was hier passiert, das Problem ist!
Viele Erwachsene, die im dysfunktionalen Familien aufgewachsen sind, haben psychische Probleme genau aufgrund der Muster, die sie sich als Kind/Jugendliche wegen der Probleme in der Familie aneignen mussten. Aber fassbar ist das alles irgendwie nicht.
Es ist schwierig, seine Probleme zu erkennen/zu beschreiben, wenn nichts fassbar ist. Es war alles so subtil und hat trotzdem massive Auswirkungen auf das Leben jetzt. Es wäre "einfacher", sagen zu können, da war körperliche oder sexuelle Gewalt. Natürlich wünschen wir uns sowas nicht, versteht mich bitte nicht falsch!
Aber was ich (wir) erlebt haben, war auch schlimm! Aber in den Diagnose-Kriterien wird das eben nicht abgebildet. Die subtile (und darum kaum fassbare) emotionale Gewalt, die Vernachlässigung der kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit und Geborgenheit, nach Schutz von den Eltern, nach Wahrgenommen-Werden und Raum-Einnehmen-Dürfen, all diese elementaren Bedürfnisse wurden nicht erfüllt! Jegliche Selbstbestimmung wurde unterdrückt, ich (wir) waren nur zur Bedürfnissbefriedigung der Eltern da.
Das ist schlimm!
Eine eigene Diagnose oder zumindest eine "Aufnahme" in die Diagnose der kPTBS wäre hilfreich, um das Schlimme irgendwie fassbar zu machen. Um das Leid und Entsetzen, die Angst und Traurigkeit, das Allein-Gelassen-Werden in der Kindheit abzubilden und irgendwie "wahr" zu machen.
Danke! Du drückst genau das aus, was ich leider nicht so schön sagen konnte. Wenn es nicht um körperliche Gewalt oder sM geht, wird man automatisch nicht mehr ernst genommen, weil: Das kann doch dann gar nicht so schlimm gewesen sein. Und was soll das jetzt noch für Folgen haben. Es ist doch schon so lange vorbei.

Das Leid wird wieder einmal - so wie früher - nicht gesehen. Und als Betroffene ist man - wieder einmal - sprachlos. Dafür bräuchte es eine geeignete Diagnose, wie auch immer man sie nennen möchte.

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candle.
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Beitrag Di., 05.09.2023, 20:10

Schaukelstuhl hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 19:51 Eine eigene Diagnose oder zumindest eine "Aufnahme" in die Diagnose der kPTBS wäre hilfreich, um das Schlimme irgendwie fassbar zu machen. Um das Leid und Entsetzen, die Angst und Traurigkeit, das Allein-Gelassen-Werden in der Kindheit abzubilden und irgendwie "wahr" zu machen.
Ja, der emotionale Mißbrauch fehlt im Text schon und kommt allgemein in der Gesellschaft wohl noch nicht so an. Das hat mich auch lange gestört, falls du das meinst? Andererseits steckt es eben auch mit drin, ob Gewaltätigkeit oder sonstwas- ohne die emotionale Komponente geht auch nichts. Vielleicht sollte man diese Diagnose dann nicht "Wort für Wort" für sich übersetzen.
Letztlich sind aber für eine Diagnose die Symptome entscheidend und nicht unbedingt das was du "erlebt" hast auch wenn das für dich verständlicherweise von sehr großer Wichtigkeit ist.

Für mich würde es mit Diagnose leider auch nicht besser vom Gefühl her.

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Scars
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Beitrag Di., 05.09.2023, 20:19

caduta hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 19:54 Und nein, ich mache aktuell keine Therapie mehr, kann es also nicht mehr klären. Aber es stört mich immer noch. Mir fehlen die Worte um zu vermitteln, was eigentlich mein Problem ist und vor allem DASS es ein Problem ist.
Das ist so ziemlich das, was diese Betroffenen, die vom Therapeuten abgewiesen wurden auch gesagt haben. Es geht jetzt nicht explizit um mich, ich habe ja psychische Erkrankungen (auch wenn’s mir da gerne an Einsicht fehlt ja, aber die Therapeuten können die ja offensichtlich klassifizieren) und wäre somit versorgt.

Ich habe das im Hinterkopf, was du schreibst, lisbeth, dass das irgendwann in einer aktuell diagnostizierbaren psychischen Erkrankung enden kann (nicht muss) aber denke eben an die Leute, bei denen es auf dem Level „Beziehungsproblematik und emotionale Beeinträchtigung aufgrund belastender Beziehungserfahrungen“ bleibt. Ich glaube fast nicht, dass die Bagatellisieren sonst wären sie nicht zum Therapeuten gegangen? Und ich habe insbesondere diese Beziehungsprobleme mit sich selbst und anderen als Symptom im Kopf.

Ein letzter Versuch der Erklärung was ich meine wäre: angenommen die kPTBS wäre die Lungenentzündung, dann suche ich die Erkältung dazu. So wie es bei Depression ja auch Abstufungen gibt. Klar, kann es bei Trauma keine Abstufungen geben, weil entweder war es traumatisch oder nicht, also in dem Sinne „der kleine Bruder“ der kPTBS.

Vielleicht ist das abstrakt und anonym einfach auch nicht ausreichend darstellbar, was ich meine. Mir fällt zumindest nix mehr ein. Aber so wirkliche Gegenargumente zu meinem Gedankengang, warum es sowas nicht gibt oder geben sollte, habe ich auch nicht gefunden.
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candle.
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Beitrag Di., 05.09.2023, 20:25

Dieses Video ist keine Werbung, bietet aber, wie ich finde, einen guten Überblick zur kPTBS. :)

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lisbeth
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Beitrag Di., 05.09.2023, 20:42

caduta hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 20:08 Danke! Du drückst genau das aus, was ich leider nicht so schön sagen konnte. Wenn es nicht um körperliche Gewalt oder sM geht, wird man automatisch nicht mehr ernst genommen, weil: Das kann doch dann gar nicht so schlimm gewesen sein. Und was soll das jetzt noch für Folgen haben. Es ist doch schon so lange vorbei.
Das kann ich so nicht bestätigen. Mir haben zB erst meine Therapeutinnen vermittelt, dass das was ich als Heranwachsende erlebt habe eben *nicht* normal war und sehr wohl schlimm war, auch ohne körperliche Gewalt. Ich selbst bin eigentlich ganz lange durch die Gegend gelaufen mit dieser inneren Haltung, dass ich mein eigenes Erleben nicht ernstnehmen kann weil "da ja nix passiert ist".

Mittlerweile gibt es doch auch 'passende' Konzepte dazu, wie zB Bindungstraumatisierung oder Entwicklungstrauma. Und ja, darin kommt auch vor, dass das für einen Säugling sehr wohl lebensbedrohlich ist (also so empfunden wird) wenn die Bezugsperson durch innere oder äußere Abwesenheit nicht verfügbar ist. Also, konzeptionell ist das sehr wohl erfasst und wird auch in verschiedenen Therapierichtungen abgebildet (zB Schematherapie), auch wenn es im ICD nicht abgebildet ist.

Ich glaube, das Entscheidende ist doch eher, ob das therapeutische Gegenüber mich sieht, ob ich mich gesehen und "erkannt" fühle in meiner inneren Not. Und ob ich selbst anfangen kann, meine eigene innere Not auch als solche zu erkennen und mich selbst darin ernst zu nehmen. Schritt für Schritt. Erst wenn das aus mir selbst heraus passiert, dann bin ich da ein Stück weiter gekommen. Eine äußere Instanz, die mir sagt, Sie haben ICD F-irgendwas? Damit mache ich mich ja auch wieder davon abhängig, wie andere mich oder mein Erleben bewerten.
Schaukelstuhl hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 19:51 Eine eindeutige Diagnose wäre für mich hilfreich (gewesen), um Geschehens anerkennen und als behaödlungswürdig sehen zu können. (" es war doch alles nicht so schlimm. "Es waren doch so viele gute Zeiten". "Sie haben das doch nich absichtlich gemacht" "es gab doch keine Schläge/keine Misshandlung "... Das alles sind Sätze, sie mich bis heute begleiten und es mir schwierig machen, das Leid und die Not vom kleinen, ungeschützten Kind damals zu sehen und als Leid und Not anzuerkennen...)
Ganz ehrlich? Auch diejenigen die körperlich und / oder sexuell misshandelt wurden, tun sich oft extrem schwer damit, das Geschehene anzuerkennen. Dass es ein Label dafür gibt, macht nicht unbedingt den Unterschied.

Und ich glaube, das Problem ist auch, dass man innerlich immer vergleicht oder abwägt: Der oder die hatte es schlimmer oder nicht (ganz) so schlimm. Dabei lässt sich Leiden doch nicht aufwiegen und vergleichen. Und, trotz aller ICD-Codes und Diagnosekriterien, auch nicht von außen "objektiv" bewerten. Wird jede(r) bestätigen können, der oder die das zweifelhafte Vergnügen hatten, mal bei einem psychiatrischen Gutachter zu sitzen.....
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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LovisTochter
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Beitrag Di., 05.09.2023, 21:42

Danke Lisbeth.
Das Entwicklungs- und Bindungstrauma kam mir nämlich auch in den Sinn sowie der emotionale Missbrauch und vieles was ich jetzt hier von Euch und auf der von Scars verlinkten Seite gelesen habe, trifft für mein laienhaftes Verständnis genau in diese Kategorien. Hinzu kommt noch die Problematik der Co-Abhängigkeit.
Aus meiner Sicht sind dies aber keine Problematiken, die ausschließlich eKS betreffen, sondern leider recht häufig bei Kindern aus dysfunktionalen Familen zu finden sind.

Mir geht es auch heute noch oft so, wie Lisbeth es beschreibt, nämlich, dass mir in vielen Punkt selbst noch gar nicht klar ist, dass vieles was zuhause lief eben fern ab von normal war. Für mich war es das aber, vollkommen normal. Das führt auch heute noch dazu, dass es mir ganz oft schwer fällt zu glauben, dass ich wirklich krank bin und nicht nur simmuliere. Weil: Da war ja gar nichts. Und das trifft auch sMb. Da bringt mir die Schublade gar nichts. War ja alles nicht so schlimm und ich stelle mich nur an.

Die Sätze die ihr zu hören bekommen habt, die Euer Leid und erleben so abwerten, dann ist mein Gedanke dazu, dass dies eher weniger damit zu tun hat, dass das was Ihr beschrieben oder erzählt habt, grundsätzlich keine Anerkennung finden, sondern dass Ihr da (sorry) an Id**t*n geraten seid. Egal ob Profi oder nicht.
Ähnlich denke ich bei dem Punkt: Diagnose Depression aber eigentlich trifft es das gar nicht so richtig. Klar depression als Begleitsymptom, aber eben nicht als Hauptdiagnose. Genau da kommen wir wieder an den Punkt, warum dieser Faden ja auch erstellt wurde. Die Relevanz von vernünftiger Diagnostik.
Wäre die vernünftig gelaufen, dann wäre da sicher noch etwas anderes als eine Depression herausgekommen. Dafür braucht es aber keine neue Diagnose sondern Therapeuten, die ihren Job ernstnehmen und dementsprechend auch über den Tellerrand hinausschauen, bzw. immer hinschauen, genau. Diagnosen sind ja nicht statisch und können im Laufe der Zeit angepasst werden.

Damit eine Diagnose überhaupt Sinn ergibt, muss zu dieser eine explzite Behandlungsleitline erabreitet werden. Ohne diese keine evidenz basierte Behandlung. Und genau dafür sind Diagnosen nicht nur aber eben auch gedacht - Zuführung zur richtigen Behandlung.
Diesbezüglich bin ich bei Lisbeth, denn Behandlungskonzepte für Entwicklungs- und Bindungstraumatisierungen gibt es.

Der einzige Bereich, der mir bekannt ist und wo ich es wirklich ganz furchtbar für Betroffene finde, ist das OEG. Das deckt nämlich tatsächlich emotionalen Missbrauch und psychische Gewalt bisher nicht mit ab.
Wer nicht auf seine Weise denkt, denkt überhaupt nicht. (Oscar Wilde)

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candle.
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Beitrag Di., 05.09.2023, 22:12

Mal eine andere Frage: Hat von euch jemand als Kind mal versucht aus dieser leidlichen Lebenssituationen herauszukommen?

Ich habe vor kurzen eine Doku gesehen wo es eine junge Frau als Jugendliche versucht hatte und prompt wieder Zuhause gelandet ist.

Ich weiß, dass ich sehr oft abhauen wollte, mich aber nicht getraut habe.

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Scars
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Beitrag Di., 05.09.2023, 22:30

LovisTochter hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 21:42 Aus meiner Sicht sind dies aber keine Problematiken, die ausschließlich eKS betreffen, sondern leider recht häufig bei Kindern aus dysfunktionalen Familen zu finden sind.
Meinst du also bei entsprechender Diagnostik würde man eine kPTBS herausfinden können weil Entwicklungs-/Bindungstrauma? Und meine „geschädigt aber nicht traumatisiert“ Personengruppe gibt es gar nicht sondern ist in Wahrheit dann doch traumatisiert nur wird es nicht ausreichend anerkannt bzw. von den Betroffenen (noch) nicht zugegeben?

Die Erfahrung, dass rein emotionale Gewalt nicht ausreichend gewürdigt wird, habe ich übrigens nicht gemacht. Ehrlich gesagt dachte ich auch, dass das als Ereignis für die komplexe PTBS zählt.
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NeueWege
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Beitrag Mi., 06.09.2023, 00:47

Hallo Candle,

zu deiner Frage zum Abhauen: Ich habe es tausendmal gespielt und mir vorgestellt. In unterschiedlichen Varianten. Denn auch ich habe gar nicht wahrgenommen, dass das, was meine Eltern mit mir gemacht haben, nicht richtig ist. Obwohl es körperlich und lebensgefährlich war. Für mich war diese Art der Behandlung normal, ich dachte, das muss so sein. Ich bin seit meiner Geburt körperlich chronisch krank, deshalb dachte ich, das für mich da andere Regeln gelten als für „normale“ Kinder. Dass ich selbst schuld bin an den Misshandlungen, weil ich eben krank war. Meine Eltern haben auch durchaus sehr viele schöne Dinge mit mir gemacht und mir viel ermöglicht, da war es kaum zu erkennen. Das ist natürlich keine Entschuldigung. Aber instinktiv wollte ich immer da weg, hatte fast ein schlechtes Gewissen deswegen.

Mit 13 hatte ich es aber geschafft, dass ich in ein Internat konnte. Da war es schön. Ich konnte nur nie verstehen, warum andere Heimweh hatten oder was das überhaupt sein soll. Aber ja, da ging es mir dann besser. Aber obwohl ich einen sehr guten Draht zu den Erziehern dort hatte, habe ich nie erzählt, wie es zu Hause für mich ist. Ich war ja in den Ferien noch daheim. Mit 16 hatte ich dann eine eigene Wohnung. Haben meine Eltern mir erlaubt und finanziert. War sehr weit weg von ihnen, ich war ab da nur noch ab und an zu Besuch. Sie waren mit mir einfach komplett überfordert. Und das hat bei mir leider bleibende Schäden hinterlassen, physische und psychische.

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NeueWege
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Beitrag Mi., 06.09.2023, 01:08

Ich möchte fragen, wie für euch denn die perfekte Therapie aussehen würde, wenn dann ein Bindungstrauma diagnostiziert ist. Mit emotionaler Gewalt und/oder Vernachlässigung durch die wichtigsten Bezugspersonen? Mit welchen Methoden habt ihr gute Erfahrungen gemacht? Was hat euch geholfen? Hat es jemand geschafft, dass schlechte Erinnerungen in der Vergangenheit bleiben und die Gegenwart nicht mehr belasten? Konnte jemand eine stabile Partnerschaft aufbauen?

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Sinarellas
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Beitrag Mi., 06.09.2023, 06:46

(kann mir kurz wer erklären worum es gerade genau geht? Irgendwie verstehe ich es nicht ganz, wofür braucht es ein Label oder eine eigene Diagnose, also welche Symptome sind nicht in einer oder mit mehreren Diagnosen zusammenzufassen? Ich hab den Faden verloren)
..:..

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Scars
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Beitrag Mi., 06.09.2023, 08:21

Sinarellas hat geschrieben: Mi., 06.09.2023, 06:46 (kann mir kurz wer erklären worum es gerade genau geht?
Zusammengefasst war meine Ausgangsfrage, warum es nicht sowas wie „Entwicklungs-/Folgestörung durch belastende Beziehungserfahrungen“ gibt, die symptomatisch besonders Beeinträchtigungen in Beziehungen und im eigenen emotionalen Erleben abdeckt aber gleichzeitig nicht so schwerwiegend ist wie z.B. eine Persönlichkeitsstörung oder kPTBS.

Anlass war mein Austausch mit Betroffenen aus Suchtfamilien (könnte man beispielhaft für dysfunktionale Familienverhältnisse nehmen), die zum Therapeuten gegangen sind weil sie z.B. Kontaktprobleme o.Ä. bemerken (oder andere typische Probleme von Menschen mit „belastenden Beziehungserfahrungen“) und abgewiesen wurden, weil sie „nicht psychisch krank“ seien im Sinne von einer diagnostizierbaren Erkrankung z.B. Depression, PTBS. Da kam natürlich die Frage auf, ob die Therapeuten einfach schlecht waren und man bei genauerer Diagnostik z.B. eine kPTBS hätte finden können oder ob die Leute tatsächlich wie von mir vermutet durchs Raster fallen, weil es keine passende Diagnose für deren Leiden gibt (weil z.B. nicht traumatisiert, keine Traumasymptome sondern „nur“ schwerer belastet).

Lässt sich für mich nicht abschließend beantworten wäre aber von meiner Seite erstmal fertig damit.
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Montana
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Beitrag Mi., 06.09.2023, 08:35

NeueWege hat geschrieben: Di., 05.09.2023, 13:59 Ich dachte, die PTBS-Diagnose braucht man vor allem, weil die Krankenkasse dann das EMDR übernimmt?
Die Krankenkasse (in D) übernimmt Therapie, und was genau dort dann gemacht wird, interessiert sie gar nicht. Wenn ein Therapeut EMDR durchführen kann, dann rechnet er dafür ganz normal seine Therapiestunden ab. Und natürlich braucht man keine PTBS-Diagnose dafür, denn andere Traumafolgestörungen können ebenfalls ein Grund sein, warum EMDR gemacht wird.

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