Diagnosen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

Vincent
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:12

Und wenn man auch noch so sehr (haarspalterisch) zu differenzieren versucht in Bezug auf Diagnosen: Es ist (und bleibt) vor allem, was es ist. Ob es eine (komplexe) PTBS ist oder Borderline - macht dann auch kaum noch einen Unterschied, wenn man mit sich alleine ist oder mit anderen Menschen zusammen. Der Wahnsinn ist nunmal konkret da - hier wie dort.

Und er wird kein Ende finden, der Wahnsinn, wenn man ständig nur diese Konstruktionen definiert - und darüber dann auch sich selbst.

Man sieht das hier im Forum besonders gut: Die meisten wissen ganz genau bescheid über das was sie haben oder nicht haben. Aber wie sie es lösen, darüber wissen sie so gut wie nichts.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:14

stern, ich würde nicht sagen, dass deine Reaktion sozusagen alleine DEIN Thema war. Sonst hätte ich diesen Faden gar nicht aufgemacht - du hast heftig reagiert, aber hättest du ebenso heftig reagiert, wenn dir dein Hausarzt bei einer Magenverstimmung eine Gehirnerschütterung attestiert hätte? Vermutlich nicht. Und warum nicht? Die Antwort auf die Frage liegt eben NICHT in dir, sondern in der Konstruktion von wertenden Diagnosen, die weder von dir kommt noch von mir noch von irgendeinem einzelnen Arzt xy, sondern die immer weitergetragen werden, solange man sich das gefallen lässt.

Vincent, ja, genau: der Wahnsinn. Treffend gesagt.

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candle.
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:16

Jetzt bin ich auch noch hier gelandet.
pandas hat geschrieben: Das kann für Überlebende von Katastrophen, die sich NICHT als psychisch gestört fühlen, durchaus ein Problem darstellen.
Was sollten die denn für ein Problem haben?

candle
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Entknoten
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:18

leberblümchen hat geschrieben: Weiß nicht, ob ich dich jetzt falsch verstanden habe, aber es darf doch JEDER Therapiepatient seine Störung haben - insofern als er damit angenommen wird. Letztlich hat auch der übelste Schurke einen Grund für sein So-Sein. Und sollte ein solcher eine Therapie machen, wäre es wichtig, dass auch ihm mit Wohlwollen begegnet wird. Ansonsten wäre man wieder im Modus "gute Störung - schlechte Störung". Mag sein, dass das in bestimmten Bereichen tatsächlich relevant ist - für einen Friedensnobelpreis taugt ein Psychopath eher nicht... Aber in der Therapie-Praxis spielt die ethische weiße Weste zunächst keine Rolle. Was meiner Meinung nach gelegentlich vergessen wird...
Du verstehst es tatsächlich nicht.

Es geht MIR darum dass ich nicht mehr nur funktionieren konnte und die Fassade in meinem Leben aufrecht halten musste dass ich alles so prima verpackt habe.

WELCHE Diagnose gefunden worden wäre, das wäre mir egal gewesen.
Aber mit 37 Jahren vor einem Menschen zu sitzen, dem ich mein Leben erzähle, und der mir dann zum ersten Mal sagt dass das nicht normal ist, dass ich anders leben und fühlen kann und darf, der mir sagt dass ich allen Grund haben so zu sein, aber es besser werden KANN, diese Erleichterung, die kann ich nicht in Worte fassen.

Denn ich war mir immer allem bewusst, aber ich war mir nie bewusst dass ich eben "nicht so bin wie ich bin", sondern dass ich anders sein kann.
Ich war nämlich bis dato immer die, die alles gut verpackt hat. Ohne Folgen. Ich habe immer die Erwartungen erfüllt alles richtig zu machen.

Und plötzlich erkennst du dass DU sehr wohl gelitten hast. Und dass DU auch ein Recht darauf hast.
Das verändert alles.
Zuletzt geändert von Entknoten am Mo., 05.10.2015, 21:19, insgesamt 1-mal geändert.
Dum spiro spero. Dum spero amo. Dum amo vivo.
Cicero

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stern
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:18

pandas hat geschrieben:Hope°, kPtbs ist als Diagnose bei Patient_innen so beliebt, weil davon ausgegangen wird, dass der Persönlichkeitskern an sich rund, gesund, normal ist (oder noch besser 'hochbegabt, aber nicht gefördert') und alles Irre nur von den Traumata kommt.
Borderline hingegen gilt als der Klassiker der irren Persönlichkeitsstörungen.
nöö, sehe ich nicht so. Die kptbs bringt ja anders als die ptbs auch einen Persönlichkeitsschaden zum Ausdruck. Es gibt zwischen beiden Diagnosen Überschneidungen. Und ab zu gab es schon Überlegungen, Borderline aus den ICD zu streichen... bis jetzt nicht geschehen. Evtl. nimmt man in ICD11 die kptbs auf... also da ist das letzte Wort eh noch nicht gesprochen. Was Störung ist, hat auch damit zu tun, was ICD/DSM als solche sehen.
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pandas
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:19

candle. hat geschrieben:Jetzt bin ich auch noch hier gelandet.
pandas hat geschrieben: Das kann für Überlebende von Katastrophen, die sich NICHT als psychisch gestört fühlen, durchaus ein Problem darstellen.
Was sollten die denn für ein Problem haben?
Zum Beispiel, dass davon ausgegangen wird, dass sie (pauschal) nicht mehr so einsatzfähig sind wie zuvor und erst ein paar Wochen in einer Klinik verbringen sollten?

Oder noch genereller, dass ihnen mit mehr Skepsis begegnet wird als zuvor aus der Befürchtung heraus sie KÖNNTEN Symptome entwickeln?

Etc.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


pandas
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:21

stern hat geschrieben:Was Störung ist, hat auch damit zu tun, was ICD/DSM als solche sehen.
Na ne, wie etwas gesehen wird von den Menschen, richtet sich ja nicht alleinig nach den Vorgaben von oben.
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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:21

Candle, man kann den Menschen wirklich etwas einreden. Das muss ja nun nicht auch noch sein. Mir hat man z.B. immer eingeredet, ich müsste sehr unter der Scheidung meiner Eltern leiden. Hab ich aber nicht. Damals war das noch die Ausnahme, dass Eltern sich scheiden ließen. Ein Lehrer hat mich regelrecht gestalkt (kein Scherz!), weil er meinte, den Ersatzvater spielen zu müssen.

Oder jemand macht eine Therapie wegen eines bestimmten Problems, und dann reitet der Therapeut auf einem relativ belanglosen Teilaspekt rum, der ihm besonders wichtig erscheint und auf den er "fixiert" ist.

Ja, klar, Entknoten, das geht wohl so gut wie jedem Patienten so (mir auch). Ist sehr entlastend. Aber was hat das mit dem Thread-Thema zu tun?

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candle.
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:24

pandas hat geschrieben: Zum Beispiel, dass davon ausgegangen wird, dass sie (pauschal) nicht mehr so einsatzfähig sind wie zuvor und erst ein paar Wochen in einer Klinik verbringen sollten?
Wer sollte das denn tun, wenn diejenigen keine Beschwerden davon getragen haben?
Oder noch genereller, dass ihnen mit mehr Skepsis begegnet wird als zuvor aus der Befürchtung heraus sie KÖNNTEN Symptome entwickeln?
Wer begenet ihnen mit Skepsis?

Ich denke, du hast dich da gerade mit deinem Beispiel verzettelt.

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Widow
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:28

ziegenkind hat geschrieben:Aber so eine überschaubare Depression hätte ich schon auch für verlockend gehalten
Ich glaube, dieser Satz bringt exakt auf den Punkt, um was es im ptf oftmals eigentlich, aber meist vollkommen unausgesprochen, geht: Ums Sichaufwerten (und andere Abwerten).

Jeder suizidale Depressive und jeder Hinterbliebene eines suizidanten Depressiven wird solche Sätze einfach nur schrecklich finden.

Und jeder kPTBS-/PTBS-/Borderline-Patient (und seine Angehörigen und ggf. Hinterbliebenen) werden Sätze einfach nur schrecklich finden, die IHR Leid kleinzureden versuchen.

Und jeder Schizoide, Narzisst, Psychotiker ...

Dass es in diesem Psychotherapie-Forum so oft genau darum geht und genau solche Sätze fallen, beweist, dass wir hier alle am richtigen, uns angemessenen Ort sind.

Beste Grüße in die Runde
Widow

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candle.
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:30

leberblümchen hat geschrieben:Candle, man kann den Menschen wirklich etwas einreden. Das muss ja nun nicht auch noch sein. Mir hat man z.B. immer eingeredet, ich müsste sehr unter der Scheidung meiner Eltern leiden. Hab ich aber nicht.
Da würde ich dann wohl auf stur schalten.

Gut, mir könnte man nichts einreden, aber nerven tut es schon, wobei ich schon sehr oft vor solchen Problemen stand, dass ich offenbar merkwürdige Empfindungen habe. Erklärungen helfen dann.

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stern
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:32

leberblümchen hat geschrieben:stern, ich würde nicht sagen, dass deine Reaktion sozusagen alleine DEIN Thema war. Sonst hätte ich diesen Faden gar nicht aufgemacht -
Ich habe das schon verstanden... aber ganz bezugslos war es ja auch nicht, dass dir auf einmal das Thema "Diagnosen" eingefallen ist.

[quote]du hast heftig reagiert, aber hättest du ebenso heftig reagiert, wenn dir dein Hausarzt bei einer Magenverstimmung eine Gehirnerschütterung attestiert hätte? Vermutlich nicht. Und warum nicht? Die Antwort auf die Frage liegt eben NICHT in dir, sondern in der Konstruktion von wertenden Diagnosen, die weder von dir kommt noch von mir noch von irgendeinem einzelnen Arzt xy, sondern die immer weitergetragen werden, solange man sich das gefallen lässt.[/quote]
öööhm... erinnerst du dich an eine (körperliche) Verletzung, die ich hier auch berichtet hatte und die der Arzt zunächst in Frage stellte... und andere Störungen in den Raum stellte. Auch hier sollte ich recht behalten... und die kruden Mutmaßungen (zu möglichen anderen, nicht stigmatisierenden körperlichen Störungen) machten mir ziemlich zu schaffen, gelinde gesagt. Für den Facharzt, den ich nicht sofort konsultieren konnte, war das hingegen eine eindeutige Sache.
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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:35

Widow: Und deswegen finde ich die Idee sehr verlockend, die Diagnosen zu dekonstruieren. Peng. Was wäre dann?

Candle: Ich konnte damals nicht auf stur schalten; was wiederum der Störung geschuldet war. Er lauerte mir auf, hielt die Autotür auf und wollte mich nach Hause fahren. Er rief oft bei mir an, noch nach dem Abi. Er schickte mir Bücher, die er geschrieben hatte (und die keine Abnehmer gefunden haben). Ich konnte auf dem Schulhof keine fünf Meter gehen, ohne dass er mich anquatschte, wenn er Ausicht hatte. Und alles immer mit den einleitenden Worten: "Du brauchst ja jetzt jemanden, der sich kümmert". War offiziell sicher nicht "schlimm" oder böse, aber dennoch hat es mich belastet. Vielleicht weil ich dem "Sich-Kümmern" nichts entgegensetzen konnte.

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candle.
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:38

Mir hätte das Angst gemacht Leberblümchen!

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leberblümchen
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Beitrag Mo., 05.10.2015, 21:41

OT, naja, ich wusste, dass körperlich keine Gefahr ausging (jedenfalls hab ich mir das so gedacht). Es war mehr so dieses subtile: "Naja, du Arme", das immer so mitgeschwungen ist. Der schoss wirklich immer so auf mich zu. Meine Freundinnen und dann später auch mein Freund haben sich schon lustig gemacht. Ich fand ihn auch nicht wirklich toll; ansonsten wäre ich vielleicht noch geschmeichelt gewesen... Ich kam mir einfach nur so abgestempelt vor - und das war ich ja auch.

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