Lotosritter, aber wie sollen in einer viel späteren Therapie die Umstände, so wie von Dir gefordert, erforscht werden?
Es ist ja schon so, dass, wenn man sich für eine Klage im justiziellen Sinn, also vor Gericht, entscheidet, die Umstände detailliert faktisch erforscht werden - ob die Erinnerung ausreicht, um den (hier verdächtigten) Täter noch zur Rechenschaft zu ziehen (oder nicht, wenn die Umstände nicht mehr genügend erforscht werden können; dann wird der verdächtigte Täter freigesprochen).
Es ist ja nunmal so, dass das Umfeld lange Zeit gesellschaftlich getragen dazu beigetragen hat, sexuellen Missbrauch zu vertuschen und durch die gesellschaftliche Tabuiersierung die Betroffenen nicht in der Lage waren, sich nach außen zu wenden - wenn sie es getan haben, wurde eher versucht, es auszureden: Sexueller Missbrauch wurde schlicht nicht ernst genommen.
Kaum jemand verdrängt oder vergisst einen heftigen Unfall. Aber gerade beim sexuellen MIssbrauch durch nahe Menschen, bei einer derart tiefen Verletzung, soll dies so oft geschehen?
Und deshalb macht dieser Vergleich keinen Sinn: Ein heftiger Unfall an sich ist nicht strittig im Umfeld. Keiner wird zu einem Unfallopfer sagen: "Das ist nicht so schlimm. Da war nichts. Das bildest Du Dir ein." Lediglich wird bei Unfällen nach einer Mitverschuldung gefragt. Aber dies ist hier gegensätzlich nur für die juristische Seite relevant. Keiner wird bezweifeln, dass ein Unfallopfer auch bei Mitverschulden ein weites Spektrum an Hilfen bedarf und (je nach Schwere des Unfalls) traumatisiert ist. Dies ist die Erklärung dafür, warum ein Unfall oft nicht vergessen wird. Das Geschehnis an sich wird im übrigen im weiteren Verlauf des Lebens durchaus auch mal verdrängt, wenn man zb völlig gesundet ist. ABER: Macht ja nichts, da ein Unfallopfer sofort gesellschaftliche Anerkennung und Hilfe und somit (hierzulande) bestmögliche Heilung bekommt.
Eine tragbare Erklärung für manchen Fall habe ich jedoch: In vielen Fällen wird der Missbrauch erst später als solcher erkannt, weil erst mit zunehmender Reife das Geschehen eingeordnet werden kann. Dieserart Missbrauchsgeschehen können tatsächlich vergessen und wiedererinnert werden. Sie werden vergessen, weil sie vom Opfer nicht als Schändung begriffen wurden.
Nun, das hängt nicht damit zusammen, dass das Opfer es selbst nicht als "Schändung" begreift, sondern dass es ihm - wie ich nun bereits beschrieb vom Umfeld nicht zugestanden wird, seine Symptome etc. als Folge von sexuellen Missbrauch zu sehen und die Tat als Tat des sexuellen Missbrauchs.
Verdrängt bedeutet auch nicht vergessen in dem Sinne, dass es "nichts ausmacht", sondern die Verdrängung sorgt für Symptome vielschichtiger Art bis hin zur Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen, aber auch Abspaltung des Körpers u.ä.
Und dies, weil der Körper missbraucht worden ist, nicht weil der sexuelle Übergriff als okay emfunden wurde und erst später als Schändung definiert.
Und wenn es nicht so wäre: Woher kommt denn dann die Wahrnehmung an sich? Wenn es niemand so erleben würde, dann würde es auch niemanden geben, der dafür beigetragen hat, dass sexueller Missbrauch heute als Straftat angesehen wird. Dies war ja nur möglich, weil einige Betroffene davon berichtet haben, wie fürchterlich sie dies erlebt haben.
Aufgrund der Tatsache, dass es bis vor jüngerer Zeit gesellschaftlich tabuisiert war, sexuellen Missbrauch als solchen zu begreifen und entsprechende Hilfen zu gewährleisten, wäre eine Aufhebung der Trennung Jura und Therapie fatal:
Denn es ist in vielen Fällen eben nicht mehr möglich, die Umstände zu erforschen.
Dies ist auch eine Kernbasis dafür, dass der Fonds Sexueller Missbrauch ins Leben gerufen werden konnte: Dies ist explizit auch deshalb geschehen, weil die Strafverfolgung hier über Jahrzehnte hinweg versagt hat.
Ansonsten: Es ist freiwillig, einen Antrag dort zu stellen. Menschen, die von sexuellen Missbrauch betroffen waren und an den Traumatsierungen leiden, können dies nutzen, aber niemand zwingt sie dazu. Warum nun behauptet wird, irgendwer rede dies ein, finde ich leicht abwegig.
Dies sagt dann ja auch, dass diejenigen, die sich dies einreden lassen, aber "in Wirklichkeit" nicht betroffen sind, irgendwelche andere Gründe haben, sich dies einreden zu lassen und eher charakterschwach sind. Warum sollte dies (häufig) so sein?