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Sa., 10.10.2015, 10:02
Es verlohnt vielleicht der Hinweis, daß nicht jede sexuelle Erregung ihren Ursprung in Situationen hat, die wir landläufig mit Sex, Nähe, Liebe usw. verbinden. Starke körperliche Aktivität beispielsweise - die Muskeltätigkeit schlechthin erregt ebenso, wie intensive intellektuelle Beschäftigung. So schreibt es zumindest S. Freud in den "Drei Abhandlungen", die für mich immer noch DER Text zur Sexualtheorie sind. Das erklärt für mich zB auch die große "Freude am Sport", die gerade heute so viele empfinden - aber meistens nicht wissen und dann erst recht auch nicht wissen wollen, daß es (auch noch: autoerotischer) Sex ist, der sie happy macht, wenn sie 12 km joggen oder 90 min in der Muckibude schwitzen. Das erklärt für mich auch die große Lebenszufriedenheit vieler Menschen, die körperlich sehr schwer arbeiten und das sehr gerne tun, obschon sie "nicht auf den Kopf gefallen sind" - "Sesselfurzen" ist eben nicht für alle so sexy, wie man denken mag.
Sexuelle Erregung durch intellektuelle Beschäftigung nehmen schon deswegen nicht sehr viele Menschen wahr, weil sie sich schlicht nicht intellektuell beschäftigen - zumindest nicht über die gewisse Schwelle hinaus: Lesen von wirklich guten Büchern, die zum mit-, nach- und weiterdenken anregen, fordern, vom Leser eine Auseinandersetzung, ein Ringen und eine Stellungnahme abfordern. "Denken ist geil" - und erst recht dann, wenn man es gemeinsam tut. Nicht umsonst wird an den Universitäten unter den Assistenten und Mitarbeitern ziemlich viel rumge ... ähmja. Diese Form der Erregung merkt man selbst zB bei geschäftlichen Besprechungen, bei denen um nüchternste Themen die Leidenschaften so hoch kochen können, das sie sich in körperlichen Aktionen entladen. Wissenschaftler die von früh bis spät nachts am Schreibtisch sitzen, Bücherwürmer, "eggheads" - das sind schlicht: Lustmolche, die man auch getrost als glückliche Perverse bezeichnen darf (aber am besten nur hinter ihrem Rücken!). Begriffe wie Wissensdrang, selbstlose Hingabe, Wahrheitsliebe, Forscherleidenschaft usw. sind eigentlich nur von der Öffentlichkeit sehr gerne hingenommene rationalisierende Verleugnungen dieser sexuellen Komponente, von der die Öffentlichkeit ja auch nichts wissen will.
Ich glaube, die sexuelle Erregung bei der Psychotherpie könnte auch darin einen Ursprung haben - zu dem freilich noch andere hinzukommen können, wie die notorische "Übertragung" einer früheren sexuellen Beziehung auf den Therapeuten, die sich in landläufiger Diktion als Verliebtheit äussert - dieses so zärtlich gepflegte und mit tiefen romantischen Seufzern vielbeschworene höchste aller Gefühle ist schließlich nichts anderes als eine psychotische Episode des Alltagslebens, über deren pathologisches Wesen sich wegen ihrer Sozialüblichkeit - und der Sozialüblichkeit der Verliebtheitsromantik - normalerweise nie jemand Gedanken macht.
In der Psychotherapie jedoch - egal welcher Schule - macht man sich Gedanken, muß man sich Gedanken machen, und das ist, wie gesagt, sexuell erregend. Und ich glaube, daß diese Erregung auch dadurch verstärkt wird, um je intensiver die Betroffenheit ist von dem, was man denkt oder worüber man denkt. Meine Erfahrung ist es, daß Therapiesitzungen ihren Schatten voraus werfen. Erst recht bei meiner niederfrequenten Therapie - 1x monatlich - beginnt spätestens 10-14 Tage ein Einkreisen meiner Gedanken in eine Umlaufbahn um meinen Therapeuten, zumal ich stets in diesem Zeitraum vorbereitende, meist sehr lange mails an ihn zu schreiben beginne. Und meine Erregung ist dann an einem Höhepunkt, wenn ich in seiner Wartezone auf und ab marschiere.
Nur ist das alles für mich nicht sehr ungewöhnlich - "buissness as usual". Für Leute, die in ihrem Leben nur wenig (oder gar keine) Zeit mit intellektueller Betätigung verbracht haben, und/oder zu ihrer Sexualität niemals ein gesundes Verhältnis bekommen haben, kann dieses Erleben natürlich sehr beklemmend sein. Und ich glaube, das ist bei dem berühmten "Durchschnittspatienten" wohl meistens der Fall.
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Möbius am Sa., 10.10.2015, 10:46, insgesamt 1-mal geändert.