ich mag das, was wir thematisch angefangen haben, noch mal aufgreifen. Das Thema beschäftigt mich nämlich schon eine ganze Weile, ohne dass ich bisher eine deutliche Position finden konnte. Vielleicht gelingt es mir beim Schreiben.
Ist das denn nahezu ausgeschlossen? Wieso glaubst du das?Black XistenZ hat geschrieben:wenn von vornherein nahezu ausgeschlossen ist, dass sich durch einmischung etwas zum positiven verändert - ist es dann gerechtfertigt, dieses risiko einer verschlimmerung einzugehen?
Und inwiefern kann sich das noch verschlimmern?
Ich denke, es gibt eine weitere Kategorie. Und die bereitet mir Sorgen. Ich kann's erst einmal nur umschreiben, wenn ich gleich die möglichen Konsequenzen konstruiere, die ein Ansprechen der Eltern haben könnte. Ich glaube, deine Sorge gilt der gleichen Angelegenheit, aber die hat mit "Prügel als legitimes Erziehungsmittel" nichts zu tun.BX hat geschrieben:es kommt eben sehr darauf an, ob eltern aus überforderung oder verzweiflung handeln oder ob sie aus moralischer überzeugung heraus handeln. wenn eltern prügel als legitimes erziehungsmittel ansehen oder kinder nicht als vollwertige menschen betrachten dürfte es wesentlich schwerer sein für die kinder etwas zu tun als wenn die eltern nur aus offensichtlicher überforderung zur prügelstrafe greifen
Angenommen, ich sehe auf der Straße eine Mutter, die ihrem Kind eine Ohrfeige gibt, gehe hin und sage in einem ruhigen Ton: "Wissen Sie, ich finde es nicht richtig, dass Sie Ihr Kind ohrfeigen."
Die überforderte Mutter könnte plötzlich in Tränen ausbrechen und sagen, sie wäre so gestresst gewesen, dass sie die Nerven verloren hat. Oder sie wird beschämt sein und gar nichts sagen, wortlos mit dem Kind weitergehen. Irgendwo in diesem Spektrum würde ich die Reaktion einer überforderten Mutter sehen.
Die Mutter, die eine Ohrfeige als selbstverständliches Erziehungsmittel betrachtet, wird mich vielleicht angehen und mir sagen, dass mich das ja wohl gar nichts anginge. Daraufhin könnte ich sagen, dass es mich sehr wohl etwas anginge; immerhin handelt es sich erstens um ein Kind, das nicht für sich selbst einstehen kann und zweitens um einen Straftatbestand, der von öffentlichem Interesse ist (Es ginge mich schließlich auch etwas an, wenn ich sehen würde, wie ein Jugendlicher einen Rentner körperlich verletzt, wie jemand Fahrerflucht begeht oder etwas in der Art).
Mal unabhängig davon, was aus dieser Unterhaltung würde -die die Aufmerksamkeit der Mutter zunächst auf mich und vom Kind weglenkte-, dürfte ja theoretisch auch hinterher dem Kind nichts weiter passieren. Oder siehst du in dem Ansprechen der Mutter oder in der Unterhaltung irgendwo einen Anhaltspunkt dafür, dass das Kind für sein Verhalten bestraft werden müsste? Das Kind hat nichts getan, außer vielleicht beobachtend daneben zu stehen.
Szenario Nummer 3 wäre, wenn die Mutter mit ihrem Kind anschließend nach Hause ginge und es sich dort erst richtig vorknöpft. Was könnte alles als Begründung herhalten? Das Kind hätte sie in eine blöde Situation gebracht ("Wegen dir muss ich mich blöd von der Seite anquatschen lassen!"); die Mutter ärgert sich über mich und lässt ihren Ärger am Kind aus; die Mutter hat sich von mir zusammengestaucht gefühlt und muss, um sich wieder besser zu fühlen, jemand anderen zusammenstauchen - am besten das Kind, weil das in einer wesentlich schwächeren Position ist. Das hat nicht mal im Entferntesten etwas mit Erziehung zu tun. Es geht bloß um Macht (wobei das bei den anderen Fällen auch das übergeordnete Thema wäre und jede Begründung nur eine Legitimation darstellt).
Eltern, die aus dieser Motivation heraus handeln, finden immer wieder einen Grund zum Prügeln. Dazu braucht es mich und mein Ansprechen nicht. Diese Eltern haben zuvor geprügelt und tun es auch hinterher. Deswegen bin ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich damit etwas verschlimmern könnte. Es klingt womöglich zynisch, aber einmal mehr oder weniger... darauf kommt's doch nicht an. Und wenn ich keinen Anlass liefere, finden solche Eltern eben einen anderen. Insofern finde ich es noch fraglich, ob wegen mir tatsächlich einmal mehr geprügelt wird.
Und wenn es doch schlimmer werden sollte, wird es eventuell so offensichtlich, dass das Jugendamt einschreiten könnte.
Davon abgesehen: Was bedeutet es für das Kind, wenn sich jemand schützend vor es stellt, es verteidigt? Mag sein, es hasst mich hinterher, weil es meint, wegen mir würde es erneut geschlagen werden. Dann ist nichts verloren. Vielleicht gibt es diesem Kind aber auch ein bisschen Vertrauen. Vertrauen darin, dass sein Wohl nicht jedem auf der Welt egal ist.
BX hat geschrieben:ich finde/fände es bedenklich auf puren verdacht hin den missbrauchsvorwurf auszusprechen, denn auch das kann verheerende folgen haben.
Aber zwischen "Ich hau mal eben einen ungeheuerlichen Verdacht raus" und "ich werde gar nichts sagen/fragen" liegen Welten!
Was spricht dagegen, ein offensichtlich in sich selbst zurückgezogenes Kind mal anzusprechen und zu fragen, ob es ihm (nicht) gut geht, ob alles in Ordnung ist? Vielleicht sagt es, es wäre alles in Ordnung. Ob man's dann glaubt oder nicht, spielt keine Rolle; dann ist Schluss. Das Kind hat entweder nichts zu sagen oder will nichts sagen. Das muss man dann akzeptieren. Vielleicht kriegt man auch zu hören, sein Merrschweinchen wäre gerade gestorben, oder das Kind hat sich mit einem Freund verkracht. Vielleicht kommt auch was ganz anderes. Das wird man dann sehen.
Ich glaube, mir geht's darum, erst einmal aufmerksam zu sein und diese Aufmerksamkeit den Kindern auch zu zeigen.
Ich bin, was das betrifft, skeptisch. Die von dir angedachten Bedingungen zur Einmischung gibt es. Der Diskurs ist seit den späten 60ern im Gange. Gesetzliche Grundlagen gibt es inzwischen ebenso. Es gibt im Strafgesetzbuch den Paragraphen 225: "Misshandlung von Schutzbefohlenen". Kinder haben in Deutschland das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit - sie selbst können es aber nicht einklagen. Und viele Erwachsene/Eltern kümmert dieser Paragraph offensichtlich einen Dreck. Ob eine Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz (wird ja gerade diskutiert) nach 40 Jahren Diskurs plötzlich etwas ändern würde, wage ich ernsthaft zu bezweifeln.BX hat geschrieben:allerdings meinte ich schon wirklich meine forderung nach mehr kinderrechten eher im sinne von gesetzlichen grundlagen und einer abstrakten gesellschaftlichen diskussion. erst wenn das bewusstsein für diese problematik geschärt ist und behörden hinweise oder gar kinder selbst ernster nehmen kann die zivile einmischung auf individueller ebene wirklich von erfolg gekrönt sein.
Tja, offensichtlich nicht.BX hat geschrieben:wenn die lage nicht mehr so aussichtslos ist, eltern also nicht mehr so einen übergroßen spielraum für verbrechen an ihren kindern haben, der durch die erziehungsautonomie im rechtlichen und gesellschaftlichen raum gedeckt wird, genau dann werden auch mehr menschen hinsehen und handeln.
Was ich allerdings glaube, ist, dass noch zu viele Menschen nicht wissen, dass Eltern eben nicht die volle Erziehungsautonomie genießen. Und viele wissen auch nicht, was z.B. eine Ohrfeige körperlich anrichten kann (Hirnschaden, selbst Tod) - von seelischen Schäden mal abgesehen. Und da kann man reden, reden, reden - diejenigen, die's bis heute nicht verstanden haben, werden auch morgen noch sagen: "Ein Klaps auf den Hintern hat noch niemandem geschadet." Diejenigen kannste nur selber mal übers Knie legen in der Hoffnung, dass sie die Beschämung spüren. Wie unwürdig ein Verhalten auch gegenüber Kindern ist, merken manche wenigstens dann, wenn man sie ebenso unwürdig behandelt.
Wie gesagt: Der Kopf ist schon längst nicht mehr dran...BX hat geschrieben:der fisch stinkt eben immer am kopf zuerst... und deshalb muss man den kopf als erstes abschlagen - heisst in unserem fall es darf nicht mehr im ermessensspielraum der eltern liegen ob sie ihre kinder regelmässig verprügeln oder als emotionale müllhalde missbrauchen.
Das stimmt. Deswegen bin ich ja dafür, dass man aufmerksam ist und nachfragt (sic!), statt vom Besten auszugehen. Wer sich von Nachfragen ("Hab hier so viel Gebrüll gehört - ist ist was passiert; kann ich helfen?" - sich ein bissi naiv zu stellen, halte ich durchaus für eine gute Strategie) in die Ecke gedrängt oder angegriffen fühlt, ist doch nicht ganz sauber. Es wird aber auch viele Eltern geben, die froh sind, wenn z.B. die Nachbarn aufmerksam sind und sich um die Kinder sorgen.BX hat geschrieben:und von schreienden eltern und weinenden kindern kann man eben nicht mit sicherheit auf eine verfehlung der eltern schließen - kinder bauen nunmal unendlich viel mist, deshalb sind sie ja kinder
Lieben Gruß,
Taffi