Beitrag
So., 08.07.2012, 19:49
Natürlich ist einer der Gründe, Burnout zu bekommen, keinen Ausgleich zu etablieren. Aber das ist gleichermaßen Ursache wie Symptom. Meist existiert am Anfang sehr wohl noch ein Gefühl für sich, Ausgleich... aber "das Projekt" nimmt überhand, gewinnt an Priorität. Nach und nach wird der Waldlauf reduziert und abgeschafft, da "faul" mit der Familie im Zoo herumlatschen, was man sich vor kurzem noch nie hätte nehmen lassen, während man produktiv sein könnte, geht nicht... Die Freunde, die Kollegen, mit denen man einst feiern und blödeln könnten werden zu Bremsklötzen im Funktionieren. Man vergrault sie eher, schiebt sie weg, wird aggressiv und extrem zynisch. Mit einem Burnoutler Freizeit verbringebn wollen wird bald ebenso ungut, wie mit ihm arbeiten. Er fordert maximales, und fühlt sich schnell durch diesen sozialen Müll ausgebremst - der davor jedoch Lebensqualität, Entspannung brachte. Wie gesagt, nach und nach werden die Säulen der Resilienz abgetragen, die vorher durchaus da gewesen sein können. Wer dabei bleibt und seine Pausen ernst nimmt, wird auch eher nicht an Burnout erkranken. Daher wird auch genau das Trainiert: Sich wieder spüren. Und: Pausen machen!
Viele Menschen mit Burnout fallen oft nach dem ersten Zusammenbruch bald in einen zweiten. Ihrer Struktur gemäß erwarten sie auch von der Heilung Hochdruck. Sie wollen sie in der maximal kürzesten Zeit. Sobald sich die erste Verbesserung des Zustandes einstellt, rennen sie wieder los. Sie mögen sich die erste Zeit noch widerwillig an Pausen halten, aber bald ist das vergessen und der alte Rhytmus drin. Die meisten Patienten die ich kennen lernte, hatten zumindest einen Rückfall - der aber dann weit heftiger als der Erste ist. Ich persönlich sehe es eher so, dass die nie gesund waren, insofern auch der zweite Burnout noch der erste ist.
Freilich ist Burnout ein Überbegriff. Das trifft aber auf eine ganze Menge Krankheiten zu, für die man trotz einer Menge Symptome nur einen klaren Überbegriff hat. Liest man sich etwa Infos zu diversen Erkrankungen durch, wird man immer eine ganze Liste an Symptomen finden, wovon nie alle zutreffen müssen. Oft aus einer Liste von zehn Symptomen nur drei oder vier. Nur wurde da der Überbegriff irgendwo in ein Buch geschrieben und als Diagnose gefestigt. Man könnte aber ebenso sagen, Depression gibt es nicht, oder sämtliche Persönlichkeitsstörungen gibt es nicht. Denn das sind ja auch nur zusammengetragene Symptome. So könnte man sagen, Depression ist ja nur ein bisschen Traurigkeit, Niedergeschlagenheit oder Faulheit, haben ja alle mal. Was viele Depressive auch zu hören bekommen. So wie eben Burnoutlern unterstellt wird, sich eine schicke Modekrankheit auszudenken, um ein paar Wochen Urlaub feiern zu können.
Und: Burnoutler empfinden die Diagnose sehr wohl als persönliches Versagen. Ich war in einem Forum für Burnoutler unterwegs. Jeder wurde von seiner Diagnose überrumpelt und wollte sie nicht wahr haben - schimpfte oft sogar den Arzt für seine Anmaßung, dachten an Fehldiagnosen, sie wollten ja nur Schmerzmittel haben, Schlaftabletten, weils halt grad keine Ruhe finden, ihnen alles weh tut, sie körperlich grad einen Aussetzer nach dem anderen haben. Reichen da nicht Antibiotika? Ist doch sicher nur ne verschleppte Grippe. Oft vergehen Wochen, die Symptome werden schlimmer - ja - und der Notarzt ist oft das notwendige Ende. Und. Sie lügen meistens ihr Umfeld und Arbeitgeber ob ihrer Diagnose an, aus Angst vor blöder Nachrede, aus Angst, unterstellt zu bekommen, dass sie nicht Leistungsfähig sind... viele wollen nach drei Monaten wieder voll durchstarten... und müssen durch Scheitern erkennen: Was nicht geht, das geht halt nicht. Neuankömmlinge mit der frischen Diagnose fragen meist, wie man so schnell wie möglich wieder fit ist, denn es ist viel zu tun. Selbst wenn sie von drei Wochen Auszeit hören, fassen sie nicht, so lange ruhig gestellt sein zu sollen... Auch meine erste Frage an die Therapeutin war: Wann bin ich wieder fit? Ich erwartete, in allerallerspätestens zwei Monaten wieder völlig her gestellt zu sein. Und das war ein Zeitraum den ich für unfassbar großzügig hielt... gönnerhaft regelrecht. Innerlich dachte ich, zwei, maximal fünf Sitzungen werden reichen, in spätestens drei Wochen bin ich wieder fit wie ein Turnschuh. So habe ich allerdinsg nie bei einer Depression gedacht. Da war das "nicht können und in Folge das nicht mehr wollen" im Vordergrund.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]