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Di., 12.01.2016, 20:43
Es kommt jetzt - ausnahmsweise - nix von wegen Psychoanalyse und Sigmund Freud, sondern etwas aus meinem früheren Leben als Anwalt:
Wenn Menschen unter Stress stehen, kommt es u.a. zu der neurophysiologischen Reaktion, daß viel mehr Informationen, die ansonsten unter den "Quatschfilter" fallen, zum Bewußtsein geleitet werden. Evolutionärer Hintergrund: wenn's um's Überleben geht, kann jede Kleinigkeit vielleicht wichtig sein !
Das hat heutezutage die Folge, daß Menschen in hohen Stressituationen ihre Aufmerksamkeit auf völlig nebensächliche, äussere Umstände richten, die sie in Bezug auf ihre eigene Situation interpretieren. Das ist, zumindest teilweise, auch ein Abwehrmechanismus: man lenkt sich selbst von dem ab, worauf es eigentlich ankommt - womit wir dann doch wieder bei der Psychoanalyse wären, ja gut, ok, ich hör' ja schon auf !
Wenn ich Mandanten zu existenziell wichtigen Terminen begleitet habe, mündlichen Verhandlungen in Zivilprozessen, bei denen es um wahnsinnig viel Geld ging, erst recht Strafverhandlungen: meine Mandanten waren die Angeklagten, ich der Verteidiger. Was den Mandanten alles aufgefallen ist, und was sie erklärt wissen wollten: warum der eine Richter immer so an seiner Nase gerieben hat ? Das war immer, wenn mein Mandant etwas gesagt hat ! Wenn jemand anderes was gesagt hat, hat er nicht an seiner Nase gerieben ! Das ist Ihnen nicht aufgefallen, Herr Rechtsanwalt ?! Wozu sind Sie Anwalt , wenn Sie nicht mitbekommen, was hier abgeht ! Daß der Richter möglicherweise Schnupfen gehabt haben könnte, oder eine Allergie, das war dem Mandanten dann nie beizubringen. Es mußte irgendein Geheimcode sein, mit dem dieser Richter dem Gegenanwalt oder dem Staatsanwalt geheime Zeichen gegeben hat das sieht doch jedes Kind da müssen wir einen Befangenheitsantrag stellen ... pffft.
Ich mußte mal, um mich wieder ans Thema "Was trägt die Frau von heute zur Dissoziation?" anzuwanzen, eine Firma in die Insolvenz begleiten. Die beiden Gesellschafter und Geschäftsführer waren tief zerstritten, der eine war vernünftig, der andere hat durchgedreht. Deswegen habe ich den Vernünftigen gebeten, mich zum Termin beim Insolvenzrichter zu begleiten, damit mir nicht der Durchgedrehte am Ende noch im Termin die Vollmacht wieder entzieht. Denn beide waren "alleinvertretungsberechtigt". Das hat der Vernünftige auch sofort eingesehen. Der Durchgedrehte hat daraufhin Wert darauf gelegt, auch mitzugehen. Na gut, hat er ja ein Recht drauf.
Es war im Hochsommer, ein strahlender, glühend heißer Julitag. Ich also vor'm Gericht aus meinem Auto gestiegen, und meine Gesellschafter getroffen, und ich bin bald aus den Espandrilles gekippt. Die waren angezogen, wie zum Wiener Opernball: feierliche dunkele Anzüge, die Damen - auch die waren erschienen ! - im Kosthümchen, da waren rund 20.000 € an Klamotten aufgetakelt worden. Und geschwitzt haben sie dementsprechend, wie die Schweine. Und wie sie mich dann angelappt haben, vor allem der Durchgedrehte und seine Frau: was mir denn einfiele, als Anwalt eines seriösen Unternehmens bei so einem wichtigen Termin in Latschen, jeans und tshirt aufzulaufen ! Ich hätte wohl überhaupt keine Ahnung, was sich gehört ! Eine irre Zankerei über Garderobefragen setzte ein, ich hab die Streithennen (die Hähne hielten sich etwas zurück), dann einfach stehen lassen, und bin losgelatscht, zum Büro des Insolvenzrichters, die Topgestylten mir hinterher. Sie mußten ja aufpassen, daß ich nix falsch mache ! Und der Richter hat mir dann die Tür aufgemacht: in Ledersandalen, jeans und tshirt, hat meine topgestylten wie verschwtitzen Gesellschafter (und die in Etikettefragen zerstrittenen Streithennen) hämisch grinsend angeguckt, und vielsagend nichts gesagt.
So haben wir dann im Büro des Insolvenzrichters gesessen. Der Richter und ich in jeans und tshirt, und die stilbewußten Unternehmerfamilien wußten garnicht, wohin sie zuerst weggucken sollten vor Verlegenheit über ihre völlig unangemessene Ausstaffierung. Der Durchgeknallte hat verschämt seinen seidenen Schlips ausgezogen und einen Hemdknopf aufgemacht. Gesagt hat dann keiner mehr was von den stilbewußten Pleitegängern, geredet haben nur noch der Insolvenzrichter und ich.
Leute, Leute: es kommt einen Scheyssdreck darauf an, was ihr anhabt (solange etwaige primäre und eventuell vorhandene sekundäre Geschlechtsmerkmale züchtig verdeckt sind von wegen Abstinenzverbot und so) - es kommt darauf an, was Ihr sagt und tut !