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Mi., 19.05.2010, 23:36
Das stimmt sicher, dass man die subjektive Seite, wie Leid erlebt und empfunden wird, nicht vergleichen und nicht messen kann. Das geht nicht und man sollte es erst gar nicht versuchen.
Manche Menschen macht das eigene Leid sensibler für das anderer. Und manche Menschen hängen so in ihrem Leid drin, dass sie für niemandem außer sich selbst einen Gedanken, einen Blick oder ein Gefühl übrig haben.
Trotzdem gibt's auch die objektive Seite, das Geschehen, die Biographie, die schon einfach auch aus Fakten besteht. Und die kann man auch nicht ganz außen vor lassen.
Es gibt außer dem, wie es jetzt gefühlt und erlebt wird, als dem aktuellen Leid, subjektiven Leidensdruck, auch das vergangene, erinnerte Leid. Damit meine ich, das, was man aushalten musste, was man hinter sich gebracht hat, was man ertragen hat.
Und deshalb gibt's da auch immer wieder Konflikte, weil natürlich leidet jeder subjektiv vom Leidensdruck her am meisten, unter dem, was ihn jetzt belastet, drückt. Aber dann gibt's auch das Bewusstsein dafür, was war. Und dieses Leid wird dann oft verglichen. Und da sagt dann auch ein Mensch, der vielleicht seine ganze Kindheit und seine ganze Jugend, vielleicht die ersten 20 Jahre durch die Hölle gehen musste, ja dann auch ganz berechtigt, dass das doch mehr ist an Leid, als der ertragen hat, der vielleicht 20 Jahre glücklich und zufrieden leben durfte und dann einen Überfall verkraften muss.
Und das ist so diese Krux, dass subjektiv natürlich jeder leidet, aber objektiv das ertragene Leid ganz verschieden groß und lange gewesen ist. Und Menschen, die sehr viel ertragen mussten, fühlen sich dann auch nicht gesehen und nicht in ihrem Leid anerkannt, wenn man es nur noch auf den subjektiven Leidensdruck reduziert.
Das ist eine ganz einfache Sache. Es können zwei Menschen gearbeitet haben. Der eine hat 8 Jahre gearbeitet, der andere 8 Stunden. Am Ende dessen haben beide Rückenschmerzen.
Der spärliche Arbeiter jammert. Der andere hingegen hat dafür kein Verständnis und mault:"Von was soll Dir denn der Rücken weh tun?". Dabei kann dem vielleicht der Rücken sehr weh tun, weil er es nicht gewöhnt ist. Aber der, der x mal mehr gearbeitet hat, ist eben nicht der geeignete Ansprechpartner. Nicht dem, der soviel mehr aushalten/leisten musste als er selber, sollte er dann die Ohren volljammern. Das ist dann eben der Mangel an Taktgefühl, der sich rächt. Man sollte nicht gerade dort versuchen, Verständnis zu finden, wo man logischerweise keines erwarten kann. Die Reaktion, die das herausfordert ist doch klar negativ!
Und das ist immer wieder diese Sache. Leid, das ertragen wurde, ist nochmal was ganz anderes als Leiden im Moment.
Das Leiden im Moment, das subjektive kann ich immer anerkennen. Aber das Aufblähen von Menschen, die gar nicht so belastet waren und dann so tun, das löst dann eben häßliche Reaktionen aus, weil sie damit eben das tatsächlich ertragene Leid von anderen eigentlich verspotten. Es ist so eine Art Hochstapelei. Und das kommt nie gut an.
Von daher: Oft reden Menschen über Leid, aber sie reden über zwei ganz verschiedene Dinge.
Ich hatte z.B. das Vergnügen in der Psychosomatik eine Mitbewohnerin zu haben, die massive Schuldgefühle hatte, weil sie ihr ganzes Leben lang nur Glück hatte und immer nur Glück, während andere das nicht hatten. Sie hat mir den ganzen Tag die Rübe vollgejammert, mir, nach einem Suizidversuch ein paar Wochen vorher, mit einer Vorgeschichte, die "man nicht vergleichen soll, weil man keinen findet, der genauso viel hat" (O-Ton der Stationsschwester). Gemeint war: auszuhalten hatte und Schwierigkeiten bewältigen muss.
Dass man da irgendwann zu so jemandem sagt: "Du spinnst doch, so ein Gewese zu machen wegen nichts und hier Leute zu nerven, die mehr tot als lebendig sind!", finde ich eigentlich eine sehr normale und menschliche Reaktion. Da fehlt vielen vor lauter Eigenem oft total das Taktgefühl und dann kriegen Menschen halt auch - an sich - blöde Sprüche ab.
Es war halt nicht geschickt von ihr einer hochsuizidalen Mitpatientin ein Buch mit dem Titel "Sterben ist wie Umziehen! Nur in ein schöneres Haus!" zu schenken.
Sorry, aber da kommt's einem doch hoch, wie manche nur mit sich beschäftigt sind.
Ich habe viele solcher Dinge erlebt. Und oft sind die, die sich dann so bitter beklagen über mangelnde Feinfühligkeit, die gewesen, die am allerschlimmsten bei anderen in die Kerbe gehauen haben, es aber wieder mal selber - wie überraschend ?! - nicht gemerkt haben. Das Umfeld merkt es aber und es merkt es sich auch.
LG
Jesusechse
PS Viele der Aktionen, die manche beklagen, haben sie selber mal mit eigenen Aktionen in Gang gesetzt, und merken dann nicht, dass das, was sie dann getroffen hat, nur die Reaktion auf ihr eigenes deplaziertes Verhalten war. Ich nenn' sowas Bummerrang-Effekt. Und ja, der Bummerrang ins Genick tut weh, schade, dass er bei den meisten dann trotzdem nicht zum Nachdenken anregt.
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Jesusechse am Mi., 19.05.2010, 23:52, insgesamt 1-mal geändert.