Es hat trotzdem etwa 30 Stunden gedauert, bis ich nicht mehr mit der Angst in die Stunde kam, diesmal würde sie mich aber endgültig nach Hause schicken - und ich mit meiner inneren Not wieder allein bleiben. Fast weitere 30 Stunden später kann ich nun mit einem Lächeln zurückblicken und feststellen, was für ein durch und durch verängstigtes Häschen ich die ganze Zeit war. Und dass es nun anders ist, dass ich mit mehr Vertrauen durchs Leben laufen kann.
Manchmal gerät mir das ein bisschen aus dem Blick. Denn die depressiven Episoden kehren immer noch zu mir zurück, manchmal überfällt mich wieder die Angst, und ich kann immer noch nicht ausmachen, wodurch sie denn nun ausgelöst wird, und der Kampf gegen svV ist phasenweise sogar größer (weil der Druck größer ist) als vor der Therapie.
Aber:
- Mein Selbstvertrauen ist gewachsen, und die Welt kommt mir bewältigbarer vor. Ich traue mir wieder mehr zu und habe gelernt, dass ich meiner inneren Stimme ruhig vertrauen kann. Das gibt mir Sicherheit. Ich traue mich immer öfter, eine eigene Meinung zu haben und nachzufragen, wenn ich über bestimmte Dinge unsicher bin oder etwas nicht richtig verstanden habe.
- Ich kann mich selbst, meine Geschichte, meine Gefühle, Gedanken und Reaktionen auch besser akzeptieren, weil ich sie besser verstehe.Ich kann meine eigenen Leistungen besser anerkennen und nehme mich häufiger selbst als Maßstab, anstatt mich nur mit anderen Leuten zu vergleichen, kann eigene Fehler besser annehmen, ohne mich dafür zu verurteilen und mir die Daseinsberechtigung abzusprechen.
- Ich nehme mich selbst wichtiger. Ich traue mich, Wünsche und manchmal sogar Kritik auszusprechen, und siehe da: Ich bekomme viel eher, was ich mir wünsche. Ich kann mein Leben dadurch viel besser gestalten und fühle mich den Gegebenheiten weniger ausgeliefert. Ich nehme mich selbst und meine Bedürfnisse (mindestens) genauso wichtig wie die Bedürfnisse anderer Leute. Ich habe gelernt, an mich zu denken und daran, auf mich zu achten, und es macht mir keine Angst mehr, das zu tun. Ich traue mich mehr, meine Interessen zu vertreten, weil ich immer öfter zu glauben wage, dass ich das „darf“, dass meine Wünsche und Bedürfnisse gleichrangig mit denen anderer Menschen sind. Und mir ist bewusst geworden, dass auch ich elementare Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlaf und Bewegung habe, die regelmäßig erfüllt werden wollen und dass ich darauf achten muss – dass ich dafür verantwortlich bin.
- Ich habe meine Ressourcen besser kennengelernt, kann mich besser entspannen und grüble kaum noch und kann, wenn ich mich doch dabei erwische, leicht wieder damit aufhören. Ich habe mir außerdem Strategien angeeignet, um inneren Druck zu reduzieren (klappt nicht immer, aber immerhin!), und ich habe gelernt, mich von den Problemen anderer Leute abzugrenzen und sie nicht zu meinen eigenen Problemen zu machen. Ich kann (meistens) daran glauben, dass schlechte Phasen wieder vorbeigehen und dass ich sie aushalten kann. Dadurch kann ich sie besser akzeptieren und bin eher bereit, mit ihnen leben zu lernen, wenn sie sich denn schon nicht vermeiden lassen.
- Ich habe zwei wichtige Schritte bewältigt, nämlich die Beendigung einer Beziehung, in der ich mich gefangen gefühlt habe, von der mir klar war, dass ich daran kaputtgehe und die ich trotzdem lange nicht geschafft hatte, zu beenden und meinen Studienabschluss, trotz all meiner Probleme, inklusive einer Unterbrechung der Masterarbeit, um meinen sterbenden Vater zu pflegen und trotz seines Todes. Darauf kann ich stolz sein.
Das alles zusammen macht auch schon ein deutliches Plus an Lebensqualität aus. Auch wenn ich immer noch zum Teil erheblich Symptome habe, würde ich die Therapie daher als Erfolg bezeichnen. Ach so, und der wichtigste Punkt vielleicht: Ich lebe noch und habe auch nicht vor, das in absehbarer Zeit zu ändern. Das war nicht immer so, und es kann gut sein, dass meine Therapeutin mir das Leben gerettet hat.