Meine erste Therapieerfahrung machte ich mit 23 Jahren. Ich war damals nicht mutig genug, oder noch nicht bereit für Veränderung.
Erst 14 Jahre später beschloss ich, es noch einmal zu versuchen. Mein Leidensdruck war damals mäßig groß- ich wollte nur wenige Stunden in Supervision für meine Arbeit und damit einhergehende Fragestellungen investieren.
Die erste Stunde- Rahmenbedingungen. „Bevor Sie schwerwiegende Entscheidungen treffen, wie eine Scheidung oder Abbruch der Therapie, oder wenn Sie Suizidgedanken haben: melden Sie Sich bitte unbedingt bei mir, damit wir darüber sprechen können.“
Suizidgedanken? Scheidung? Diese Therapieregel fühlte sich absurd an. Ich will doch nur ein paar Mal kommen, um mir ein Thema anzuschauen, das in der Arbeit aufgetaucht ist…
Die ersten Wochen waren die Termine unregelmäßig, mal 2 Wochen dazwischen, dann wieder drei. Kein Gefühl für das, was wir da tun und wo das hin führt.
Erzählungen, ganz ohne Gefühl, warum auch? Ich konnte mir ja alles erklären!
Kontrolliert und souverän. Ein dickes Mauerwerk rund um mich, das ich selbst nicht wahrgenommen hatte.
Nach einigen Monaten wirkte etwas in der Therapie- das weiß ich jetzt im Nachhinein. Es/Etwas begann zu schmerzen- so sehr, dass ich diese Gefühle mit Hungern unterdrücken musste. Wieder ein halbes Jahr später erstmals tiefe Traurigkeit, Verzweiflung, der Wunsch zu sterben, Sehnsucht nach Halt, Trost, Wärme, Geborgenheit und das Gefühl einer tiefen Abhängigkeit zur Therapeutin.
Jede Stunde ein innerer Kampf. „Ich darf nicht bedürftig sein, ich darf nicht zu viel sein, ich bin längst zu viel mit Allem, ich muss mich zusammenreißen.“
Die Therapeutin hat mit unglaublicher Geduld und vor allem Nervenstärke und Zuversicht meine Verzweiflung mit mir gehalten und getragen, gewürdigt und wertgeschätzt.
In vielen Stunden bin ich in einer Decke eingehüllt auf dem Sofa gelegen und habe geweint, oder habe versucht zu weinen, während sie daneben saß und einfach „da“ war.
Es gab gemeinsame Stille, lachen, Nahrung für die Seele und Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten.
Einer der größten Erfolge ist, dass ich mich nun fühle wie ein erwachsener Mensch. Früher dachte ich, es sei „normal“, sich immer wie ein Kind zu fühlen. Auch die eigenen Grenzen zu kennen und selbst wahren zu können, oder mich angstfrei im Leben bewegen zu können, bereichern mein Leben auf wunderbare Art und Weise. Ich werde nicht mehr überflutet von unaufhaltbaren Gefühlen, sondern weiß, dass Traurigkeit jetzt manchmal kommt, und dann auch wieder geht. Ich spüre, dass ich gut bin, wie ich bin, und wertvoll, und… ich mag mich genau so.
Meine Diagnosen: kPTBS, Anorexie, somatoforme Störung.
Ich habe erstmals ein Leben- nach über 40 Jahren- das bunt und spürbar ist. Ich bin kein Stein mehr, sondern weich und warm und lebendig.
Dafür werde ich immer dankbar sein.
Mit meiner Therapeutin bin ich nach wie vor in Kontakt- alle paar Monate. Weil es schön ist, und ich das darf. Ich darf mir im und vom Leben das holen, was gut ist für mich.
Das wünsche ich allen, die das lesen, auch von ganzem Herzen!!!
(Nachtrag: ist ab jetzt alles einfach und immer gut? Nein. Aber handhabbar.)
Dankbar..
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