Kriegskinder - Mein Papa weint so oft

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Thread-EröffnerIn
Himmelblau
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weiblich/female, 31
Beiträge: 38

Kriegskinder - Mein Papa weint so oft

Beitrag Di., 24.07.2012, 13:33

Hallo Forum,

ich hoffe ihr könnt mir ein wenig weiter helfen.
Die Sache ist die:
Mein Daddy ist Jahrgang '32, in Berlin aufgewachsen, bis er mit der Kinderlandverschickung 1943 nach Österreich kam.
Er hat den Krieg und Fliegerangriffe und den ganzen Mist also als Kind miterlebt.
Nun hat er ein langes Leben hinter sich, er ist geistig und körperlich noch total fit (immerhin ist er schon 80...) aber dennoch mache ich mir Sorgen.
Er weint immer häufiger, ich habe das Gefühl das ihm fast jede emotionale Regung die Tränen in die Augen treibt. Über das Geschehene will er dennoch nicht so richtig reden. Ich traue mich auch nicht so richtig nachzufragen. Er ist oberflächlich betrachtet ein toller Vater, er hat immer alles für mich getan, aber innerlich kam er mit immer so distanziert vor.

Über seine Kindheit redet er von sich aus fast garnicht, im Gegensatz zu meiner Mutter die oft und viele "Kriegsgeschichten" und dem vermeintlich harmlosen Landleben zu der Zeit erzählt. Mein Vater verdrückt sich dann meist, und wenn er das nicht tut, nun, dann sitzt er dabei und weint und schluchzt.

Es tut mir so weh zu sehen wie er scheinbar zunehmend darunter leidet. Wie kann ich ihm nur helfen?

Himmelblau
Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

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Hawkeye1975
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 37
Beiträge: 5

Beitrag Di., 24.07.2012, 13:58

Hallo himmelblau!

Ich kenne das von meiner Mutter! Sie hat auch viel im Krieg mitgemacht und gehört zu denen, die im Krieg aus ihrer Heimat vertreben wurden. (Sie ist TEschechin und wurde damals von den Besatzern vertieben) Sie hat sehr viel hinter sich, war Monatelang auf der Flucht und hat viel erlebt. Bombenangriffe, Luftschutzkeller u.s.w. Darüber hatte sie nie gedete, bis ie letzten Jahre, wo sie älter wurde, sie oft geweint hat. Dann hatten wir in der Stadt mal eine Sonderausstellung zum Thema "Flüchlinge und Heimatvertriebene im 2. Weltkrieg) Ich war mit ihr dort und da brach alles raus. Sie brach in Tränen aus und redete das erste mal drüber. Ich habe ihr zu einer Therapie geraten und nun geht es ihr besser. Nun bei ihr war die Ausstellung der Auslöser, dass sie mal redete. Ich weiß nicht, wie Du Deinen Papa dazu bringen könntest, aber zwingen kann man keinen, das hat auch keinen Sinn. Vielleicht versuchst Du es mal auf Umwege um ihn zum reden zu bringen. Jemanden konket drauf anzusprechen bringt oft nichts, außer, das sich derjenige nur noch mehr verschließt. Vielleicht versuchst Du einfach das Pferd sozusagen von hinten aufzuzäumen.

Viel Glück
Hawkeye

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leuchtturm
[nicht mehr wegzudenken]
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weiblich/female, 49
Beiträge: 2003

Beitrag Di., 24.07.2012, 16:24

mir fällt spontan diese Bücher hier ein:

... 338&sr=8-1

... 338&sr=8-3

ob er damit was anfangen könnte? Manchmal öffnet so eine Lektüre das Schweigen

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per aspera...
Helferlein
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weiblich/female, 50
Beiträge: 64

Beitrag Do., 30.08.2012, 08:11

Himmelblau, diese "neuen" Gefühlsregungen hängen auch mit dem fortgeschrittenen Alter zusammen: Ich sehe es auch bei meinem Vater (85) in den letzten Jahren häufiger (und zum 1. Mal), dass er ganz plötzlich sentimental wird, ihm Tränen in die Augen treten, etc.

Das Thema ist, dass ihm sehr wohl bewusst ist, dass es jetzt "auf die letzte Strecke" geht, und das Lebensende immer absehbarer wird. Da ist es logisch, dass mensch immer öfter die Vergangenheit vor dem geistigen Auge passieren lässt - und natürlich auch alle Lebenstrauer, alles Versagen und der Seelenschmerz dadurch wieder auflebt...

Auch mein Vater will (mit mir) darüber nicht weiter sprechen - er hat seine Gefühle noch nie gut äußern können. Mit meiner Mutter geht das etwas besser.

Ich glaube nicht, dass ich meinem Vater da viel helfen kann: Mit der Vergangenheit kann man sich entweder abfinden - oder eben nicht, wenn sie zu hart/ entbehrungsreich/ schmerzhaft war. Eine Therapie käme für ihn nicht infrage...

Ich kann nur präsent sein, mit ihm etwas unternehmen, zuhören + antworten, wenn doch mal 2, 3 persönlichere Sätze fallen.
Ich glaube, es wäre eine Erleichterung für ihn, wenn ich (einzige Tochter) in einer glücklichen Lebenssituation wäre - aber damit kann ich leider nicht dienen. Vielleicht hast du eine eigene Familie/ Kinder, mit denen du deinen Vater etwas trösten/ aufmuntern kannst?

LG

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Anne1997
Forums-Gruftie
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weiblich/female, 53
Beiträge: 625

Beitrag Do., 30.08.2012, 08:52

per aspera... hat geschrieben:Ich kann nur präsent sein, mit ihm etwas unternehmen, zuhören + antworten, wenn doch mal 2, 3 persönlichere Sätze fallen.
Liebe Himmelblau,

denke ähnlich wie per aspera und kann deren Worte nur unterstreichen: Du kannst für Deinen Vater einfach "nur" da sein, mal etwas unternehmen, irgendwohin fahren, zuhören, antowrten und vielleicht einmal den Mut haben, Deine Wahrnehmung ihm gegenüber anzudeuten. Es könnte sein, dass ihn das sehr berührt, (innerlich) freut. Es braucht dazu nicht vieler Worte.
Dass diese "weichen" Emotionen, das Sentimentale zunehmen, das kenne ich auch von meinem eigenen Vater sehr gut. Er weint auch sehr viel, schon wenn er angerufen wird.
Er packt heute immer die Frontbriefe seines Vaters aus, macht Kopien, gibt sie anderen zu lesen - seine Form der Verarbeitung des Vaterverlusts im Krieg.

Die Buchtipps von leuchtturm kann ich nur (auch für Dich persönlich oder als Geschenk) empfehlen. Kenne das Buch von Sabine Bode, das ist wirklich klasse. Von ihr gibt es auch noch das Buch zu den Enkeln der Kriegskinder (also mehr oder minder für unsere Generation).
Es gibt zwei Tiefenpsychologen / Psychoanalytiker, die Arbeiten dazu geschrieben haben. Hartmut Radebold hat seine therapeutische Arbeit sogar quasi unterbrochen (hier ein (mich sehr berührender) Skript einer Sendung im SWR), um mit seinen persönlichen Kriegstraumata umzugehen (auch von ihm gibt es ein Buch).
Der andere, Michael Ermann, fast am Kriegsende geboren, hat hier einen Aufsatz zu einem Forschungsprojekt "Wir Kriegskinder" geschrieben. Vielleicht können diese Tipps Dir selbst weiterhelfen - man muss das alles aber gar nicht lesen. Es kann auch mal so wie im Beitrag von Hawkeye1975 geschehen, dass plötzlich - auch aus "nichtigem" Anlass - manche Erinnerungen "durchbrechen". Forcieren sollte (braucht) man hier gar nichts.
Finde es wirklich so schön zu lesen, wie Du Dir Gedanken um Deinen Vaters machst. Das kommt so behutsam an, dass Du sicher einen inituitiv guten Umgang mit Deinem Vater finden wirst! Du hilfst schon ganz schön viel!

Liebe Grüße,
Anne

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bittermint
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Beiträge: 69

Beitrag Do., 30.08.2012, 16:38

hey,
ich denke, wenn du deinem vater helfen willst, dann kannst du das auch sehr gut. du kannst ihm zeigen, dass du für ihn da bist, dass du bereit bist, seine traurigkeit mit ihm zu teilen, das kannst du ihm anbieten - es kann natürlich sein, dass er dazu nicht bereit ist, weil er zu lange zeit sich nicht geöffnet hat / öffnen konnte. wenn du für ihn da sein willst, geht das natürlich über gespräche, über interesse an ihm und seiner vergangenheit. du kannst ihm das gespräch anbieten (fragen, ob er was erzählen will, oder ihm sagen, dass es dich sehr bewegt, wenn es ihm schlecht geht und du gerne mehr über ihn wissen möchtest), aber auch einfach nur deinen arm um seine schulter legen oder ihn , ob er bilder zeigen mag. wahrscheinlich muss diese annäherung vorsichtig geschehen, wenn ihr beide bisher noch nicht über solche themen gesprochen habt. vielleicht gibt es aber auch anknüpfungspunkte, wie erzählungen oder bilder von seinen eltern.
am wichtigsten ist vielleicht, zu signalisieren, dass du offen für seine geschichte bist, dann muss er entscheiden, ob er sie teilen kann / will.
liebe grüße, bittermint

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Sinarellas
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weiblich/female, 40
Beiträge: 2125

Beitrag Do., 30.08.2012, 17:32

Ich denke es ist nicht deine Aufgabe sich um ihn zu kümmern (sehen andere anders).
Ich denke du hilfst ihm am besten indem du ihm Möglichkeiten an die Hand gibst, wo er sich hinwenden kann.
..:..

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