Kontaktabbruch zur Borderline Mutter

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Kontaktabbruch zur Borderline Mutter

Beitrag Di., 17.01.2012, 15:13

Hallo an alle,

ich weiß nicht so recht, wie ich mich in Bezug auf meine psychisch kranke Mutter verhalten soll, deshalb möchte ich Euch den Sachverhalt schildern. Vielleicht kennt ja jemand eine ähnliche Situation und kann sich mit mir austauschen.

Meine Mutter hat die Diagnose Borderline und kombinierte Persönlichkeitsstörung. Ich bin 37 Jahre alt und habe noch eine zwei Jahre jüngere Schwester. In unserer Kindheit war es so, dass ich die Rolle des Sündenbocks/Blitzableiters hatte und von meiner Mutter oft körperlich misshandelt, beschimpft und angespuckt wurde. Meine Schwester hat eher weniger abbekommen, hat aber auch darunter gelitten, dass ich geschlagen wurde. Mein Vater war sehr ruhig und konnte sich auch nicht gegen die Wutanfälle meiner Mutter abgrenzen. Er hat mich auch nicht schützen können, so wie er sich selbst nicht schützen konnte.

Meine Schwester und ich sind irgendwann ausgezogen und haben ein eigenes Leben geführt. Ich in München, meine Schwester erst in München, dann in Wien. Unsere Eltern haben wir nur noch selten besucht, vielleicht so viermal pro Jahr.

Vor drei Jahren ist mein Vater an Krebs erkrankt und nach einem Jahr Krankheit gestorben. In dem Jahr seiner Krankheit ist meine Mutter in die Psychiatrie gegangen (wo sie nach einiger Zeit die Diagnose bekam), weil das alles für sie zu viel war. Meine Schwester ist alleinerziehende Mutter einer 4jährigen Tochter und war arbeitslos. Deshalb ist sie dann wieder zurück in unsere alte Heimat gezogen, 30 km vom Elternhaus entfernt. Ich habe fast alle Wochenenden und den Jahresurlaub bei meinem Vater verbracht und hab mich öfter krankschreiben lassen. So haben meine Schwester und ich uns um unseren Vater gekümmert. Als er starb, war ich allein bei ihm, weil Mutter das nicht ertragen konnte und meine Schwester sich um die Kleine kümmern musste.

Seit unser Vater gestorben ist, also seit 2 Jahren, ist meine Mutter abwechselnd in der Psychiatrie und zu Hause. Sie hat immer mehr Alkohol getrunken und immer weniger gegessen. vor ca. 9 Monaten habe ich es nicht mehr ausgehalten und ihr gesagt, dass sie Alkoholikerin ist und dass ich sie nur noch besuche, wenn sie nichts getrunken hat. Daraufhin hat sie im Streit den Konakt zu mir abgebrochen. Danach wollte sie den per SMS wieder aufnehmen, aber ich habe nicht mehr darauf reagiert. Kurz darauf hat sie ebenfalls zu meiner Schwester im Streit den Kontakt abgebrochen und diesen dann wieder gesucht. Meine Schwester hat auch nicht mehr reagiert.

Seit ein paar Monaten ist sie wieder in der Psychiatrie. Sie wurde per Gerichtsbeschluss entmündigt und hat eine Magensonde zur Zwangsernährung. Es geht ihr sehr schlecht. Meine Schwester besucht sie seit zwei Wochen wieder mit ihrer Tochter. Die Kleine ist sehr froh, dass sie ihre Oma wieder hat. Wenn meine Mutter keine Wutanfälle hat, kann sie sehr lieb sein und die Kleine hat noch keine schlechten Erfahrungen mit ihr gemacht, da der Umgang immer von uns überwacht wurde.

Mein Problem ist nun, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Ein Teil von mir möchte keinen Kontakt mehr, denn ich habe in der Vergangenheit sehr unter der Selbstzerstörung meiner Mutter gelitten. Nun habe ich seit einem Jahr einen lieben Partner, wir sind zusammen gezogen und ich habe einen neuen Job, mit dem ich zufrieden bin. Jeder Besuch bei meiner Mutter hat mich wieder runtergezogen, jedes Telefonat hat mir die Stimmung verhagelt. Meine Mutter ist so unglaublich bedürftig und möchte viel Zuwendung haben. Aber ich habe keine Gefühle für sie, nur unendliches Mitleid und Schuldgefühle, wenn ich mich nicht um sie kümmere. Genau das ist der andere Teil, der ein schlechtes Gewissen hat, weil kein Kontakt mehr besteht.

Das ist also mein derzeitiger innerer Konflikt und ich würde mich freuen, wenn jemand seine Gedanken oder Erfahrungen dazu schreibt.

Danke schön und liebe Grüße

Freifrau

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Mary-Lou
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Beitrag Di., 17.01.2012, 15:50

Ich glaube, die Frage ist, welcher Teil zieht dich mehr runter? Was würde dich seelisch mehr belasten?
Frühling: „Eine echte Auferstehung, ein Stück Unsterblichkeit.” (Henry David Thoreau)

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Beitrag Di., 17.01.2012, 16:06

Hallo Mary-Lou,

das ist eine gute Frage. Grundsätzlich würde mich beides belasten, das ist ja das Blöde. Es geht mir sehr gut ohne Kontakt, aber sobald ich von meiner Mutter höre, wie es ihr geht, dass sie nach mir fragt, dass sie vielleicht bald stirbt..., kommt eine große Traurigkeit und das schlechte Gewissen und spontan fühl ich mich wie ein kleines Kind, das sofort hinrennen und die Mami in den Arm nehmen will. Ich denk mal, das ist eben was ganz Altes. Etwas später kommt dann ein erwachsenerer Teil, der sagt - Nee, das mach ich nicht mehr mit, ich will endlich meine Ruhe haben und mein Leben genießen! Ich will mich nicht mehr kümmern, keine Anrufe mehr, keine Besuche mehr, kein Elend mehr! Sie hat entschlossen, dass sie nicht mehr leben will, denn deswegen isst sie nix mehr, also ist das ihre Entscheidung und ich mag mich davon nicht noch mit runter ziehen lassen!

Und die beiden streiten halt ständig.
"Bei den Frauen gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sie sind Engel, oder sie leben noch." (Charles Baudelaire)

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candle.
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Beitrag Di., 17.01.2012, 16:09

Hallo Freifrau!

Unter diesen Umständen würde ich den Kontakt nicht abbrechen. Was das für dich dann an Schuldgefühlen nach sich ziehen kann, mag ich mir jetzt nicht ausdenken. Sich lösen braucht viel Zeit, aber die bleibt dir scheinbar nicht.

Viele Grüße!
candle
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Beitrag Di., 17.01.2012, 16:26

Hallo candle,

danke für Deine Antwort. Das hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber wenn ich wüsste, dass sie in Kürze stirbt, dann wäre die Entscheidung vielleicht, dass ich eben in den sauren Apfel beißen und sie noch ab und zu besuchen würde.

Es kann aber sein, dass sie in dem Zustand noch Jahre dahinvegetiert. Und ich hab da leider ein ziemliches Abgrenzungsproblem. Obwohl meine Mutter mich misshandelt hat und ich z.B. ihre körperliche Nähe nicht ertragen kann, fühle ich mich sehr verantwortlich und zugehörig und ihr Zustand beeinträchtigt meine Stimmung. Ich hätte es gerne anders, aber so ist es nunmal.

Andererseits, werde ich wohl so oder so leider immer wieder hören, wie es ihr geht, da ich ja sehr engen Kontakt zu meiner Schwester habe.

Naja, am 28.01. besuche ich meine Schwester und habe die Möglichkeit, meine Mutter zu besuchen (ich wohne 500 km entfernt). Falls ich sie besuche, wird dieser Besuch mich wahrscheinlich total runterziehen.

Es ist eben ein blöder Konflikt. Ich erwarte auch keine Lösungen, aber ich würde gerne Eure Meinungen hören oder wissen, wie Ihr das seht. Also vielen Dank dafür!!

Liebe Grüße

Freifrau
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Mary-Lou
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Beitrag Di., 17.01.2012, 16:39

Vielleicht ist es einfacher, wenn du dich fragst, was dich auf Dauer mehr belasten würde?

Hättest du Gewissensbisse und Schuldgefühle bis an dein Lebensende, die dich irgendwann auffressen?
Würden dich Besuche irgendwann in ein depressives Loch ziehen?

Es kommt eben auf die Intensität der Gefühle an (insb. auch in Bezug auf deine Erfahrungen aus der Vergangenheit), die das jeweilige Handeln bei dir auslöst.
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Waldschratin
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Beitrag Di., 17.01.2012, 17:18

Hallo Freifrau,
ich kann dich gut verstehen,weil ich Ähnliches mit meiner Mutter erlebte und z.T. auch noch erlebe...

Dieses Schwanken zwischen Schuldgefühl und Bedarf an Abgrenzung z.B.
Ich hab irgendwann mal begriffen,daß sich bei meiner Mutter und mir die Beziehungsebenen "getauscht" haben,und zwar auch schon,als ich noch ganz klein gewesen sein muß.

Frag dich mal,wer von euch beiden denn eigentlich die "Mutter" ist und wer das "Kind"?
Und wie es eigentlich sein sollte und v.a. früher hätte sein sollen,als du noch klein warst.

Da drüber kommt man dann recht direkt an die eigenen Verletzungen,die eigenen Defizitgefühle und man kann sowas wie "abrechnen" mit der Mutter.
Das klingt jetzt rabiater,als ich es meine.
Ich hab da tatsächlich ne "Rechnung" aufgemacht und bin z.T. auch grade noch dabei.Bin deshalb auch wieder in Therapie gegangen,weil da viel davon noch zu tun hat mit den Depressionen,mit denen ich mich die letzte Zeit rumschlage.

Diese "Abrechnung" brauche ich,damit ich weiß,was ich ihr zu vergeben habe.Denn "bekommen" werd ich von dieser Mutter nix mehr.Und das,was sie zu geben hat - an Manipulation und mich benützen - da hab ich keinen Bock mehr drauf,da will ich nix mehr davon,da hab ich mehr als genug abbekommen.
Also hab ich mich für den Weg entschieden,ihr ihre "Schuld" zu "erlassen" - irgendwann,eines Tages,wenn ich genug "abgerechnet" hab mit ihr.Dazu brauch ich sie selber gar nicht - sie würde das eh nur zu zerstören und boykottieren versuchen,bin ich doch wie du der "Sündenbock" bei ihr und kann von daher sowieso nie was "richtig" machen,weil das in ihrer Denke gar nicht vorkommen darf,sonst müßte sie ja mal selber Verantwortung für ihr eigenes Tun übernehmen.

Wenn du es schaffst,deiner Mutter das wieder "zurückgeben" zu können,was eigentlich ihr Teil an eurer Beziehung war und dafür dir das zu nehmen,was eigentlich dein Part an der Beziehung ist,dann kriegst du da ein bissl mehr Frieden und Klarheit rein in deine Gefühle - so gehts mir jedenfalls - und kannst besser abwägen,welchen Weg mit ihr du besser gehen kannst.

Denn ich geb dir recht,ist bei mir genauso : Ich hab wie du auch nur die Wahl zwischen Pest und Pocken,also entweder Abgenzung mit Schuldgefühlen,oder weiteres Manipulieren und mich benutzen ertragen.
Dazwischen gibt es nichts bei ihr,da hab ich schon jede Menge versucht...

Hast du vielleicht auch fachliche Hilfe dabei?

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carö
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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:05

hallo freifrau,

ganz schwierig.
bei mir waren es im grunde sowohl mutter als auch vater, die sich ähnlich manipulativ und missbräuchlich und gleichzeitg sehr bedürftig mir ggü. verhalten haben. bin zwischen mitleid und wut und schuldgefühlen hin- und her gependelt und konnte mich lange nur schlecht abgrenzen.

ich weiss nicht, ob dir das irgendwie helfen könnte, aber mir hat geholfen, dass ich zum beispiel, wenn ich zu besuch fuhr - oft auch getrieben von verpflichtungs- und schuldgefühlen, versucht habe mit mir selbst so ein "beobachtungsexperiment" zu machen, d.h. ich habe versucht mich selbst dabei wahrzunehmen, ob ich mich verändert habe im umgang mit meinen eltern, wenn ja, wie... oder ob ich mich besser als früher abgrenzen konnte etc.. das war für mich ein hilfreicher trick, um innere distanz reinzukriegen und mir immer wieder klar zumachen, dass ich NUR für mich zu besuch fahre.. vor allem, wenn ich mich mal wieder total gezwungen und genötigt fühlte, dann war es hilfreich mir bewusst zu machen, dass ich nicht wirklich muss, sondern, dass ich da auch ein bestimmtes ziel für mich verfolge, zB., dass ich fahren wollte, weil ich einfach nicht so weit war, um ganz selbstbewusst den besuch mal ausfallen zu lassen - aber auch weil ich gar keinen endgültigen kontaktabbruch wollte. wollte sehen, ob ich mich besser abgrenzen kann. bin aber auch jahrelang nur noch zu weihnachten zu besuch da gewesen, sonst nicht mehr. ich konnte ne lange zeitlang mehr einfach nicht ertragen.

aber es ist sehr schwer... v.a. wenn dann noch so eine schwere krankheit dazu kommt. bei meinem vater war es so, dass er sehr schnell starb an den folgen seines alkoholmissbrauchs, er war so hilflos und so extrem bedüftig... wobei ich da bereits soweit war, ihm ggü. keinen groll mehr zu hegen. habe nur den kranken und schrecklich einsamen menschen gesehen... hätte ihn aber niemals pflegen können. das weiss ich sicher. diese grenze hätte ich nicht überschreiten können.

meiner mutter ggü. gelingt es mir inzwischen recht gut, nein zu sagen.

alles gute für dich!
Es ist krass, was man erreichen kann, wenn man sich traut. (Aya Jaff)

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sofa-held
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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:17

Freifrau hat geschrieben:Aber ich habe keine Gefühle für sie, nur unendliches Mitleid und Schuldgefühle
hallo Freifrau,

mal ganz Tiefenpsychologisches dazu: kann es sein, dass sich hinter der Gefühllosigkeit und den Schuldgefühlen Hass (=sehr viel Gefühl) verbirgt? Wut wegen dieser andauernden Manipulation? Bei Schuldgefühlen fängt meine Thera immer an nachzubohren und am Ende kommt ein sehr ursprüngliches Gefühl wie Aggression zum Vorschein.

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Freifrau
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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:22

Hallo Waldschratin,

es hat mir sehr gut getan, Deine Worte zu lesen, vielen Dank.

Stimmt, bei mir war es ähnlich. Die Rollen haben sich auch schon früh vertauscht. Und es war so, dass sie wichtiger war als ich. Sie will mir nicht vorsätzlich was Böses, aber sie steckt so vollkommen in ihren eigenen Dramen drin, dass sie mich einfach nicht wahrnimmt. Und als Kind war ich immer da zum Druckabbau. Wenn sie mich dann wieder mal beschimpft und geschlagen hatte, kam sie irgendwann und hat mich in den Arm genommen und gesagt, ich solle doch Verständnis haben, sie wäre müde oder hätte Schmerzen oder sonstwas. Ich kanns heute noch nicht ertragen, wenn sie mich in den Arm nehmen will.

Mit ihr selber könnte ich auch keine Rechnung aufmachen, nur ohne sie. Sie streitet nämlich alles ab und ich glaube, dass sie die Misshandlungen wirklich aus ihrem Bewusstsein gestrichen hat, weil sie damit nicht klar kommen würde.

Ich hab schon ein paar Therapien hinter mir, hab viel an mir gearbeitet, denn sonst hätte ich bis hierher nicht überlebt. Aber ich bin wieder für eine Einzeltherapie angemeldet, leider muss ich da noch vier Monate warten, weil die Therapeutin gut und deshalb erst dann frei ist.

Mir ist inzwischen auch klar geworden, dass ich von ihr nichts mehr erwarten kann. Trotzdem bin ich oft noch wütend und traurig.

Ja richtig, Pest oder Pocken... Ich weiß es nicht. Momentan tendiere ich wieder dazu, dass ich sie nicht besuche, dass ich einfach meine Schwester besuche und meine Nichte, mir eine schöne Zeit mache und diese nicht überschatten lasse von einem Besuch bei ihr. Das kann aber morgen vielleicht schon wieder anders sein.

Darf ich Dich fragen, ob Du noch regelmäßig Kontakt zu Deiner Mutter hast?

Liebe Grüße

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"Bei den Frauen gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sie sind Engel, oder sie leben noch." (Charles Baudelaire)

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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:33

Liebe Carö,

danke auch für Deine Worte. Dieses Experiment hört sich interessant an. Ich denk auch wirklich, dass wenn ich zu meiner Mutter gehen würde, ich es deswegen täte, weil ich eben das Schuldgefühl vermeiden will. Oder weil ich mich eben nicht trau, einfach "nein" zu sagen oder denke, meine Mutter leidet darunter, wenn ich den Kontakt weiter verweigere.

Für mich ist sie auch krank und einsam und arm, ich weiß auch, dass ihr Verhalten eben auch von einer schlimmen Kindheit herrührt. Aber dann kommt manchmal auch die Wut hoch, weil sie mich so misshandelt hat, dieses Gefühl ist eben auch da. Ich denk mal, ich hab schon sehr oft Verständnis für sie haben müssen, deswegen sollen meine Gefühle auch eine Berechtigung haben. Ich könnte sie auch niemals selbst pflegen. Dazu müsste ich mich doch zu sehr verbiegen.

Liebe Grüße
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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:36

Hallo sofa-held,

da hab ich mich vielleicht falsch ausgedrückt. Ich meinte, dass ich keine Liebe für sie empfinde. Die hat sie mir ausgeprügelt. Und ja - ich empfinde ganz oft eine Stinkwut auf sie. Die Schuldgefühle rühren wohl daher, dass ich glaube, ich muss mich um sie kümmern, weil sich das halt so gehört, denn sie ist ja schließlich meine Mutter.

Ich hab kürzlich das Buch von Alice Miller "Die Revolte des Körpers" gelesen, das erklärt es ganz gut.

Liebe Grüße
Freifrau
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Beitrag Di., 17.01.2012, 19:59

Freifrau hat geschrieben:Darf ich Dich fragen, ob Du noch regelmäßig Kontakt zu Deiner Mutter hast?
Ich hab jetzt seit einigen Jahren überhaupt keinen direkten Kontakt mehr zu ihr,nur noch "indirekt" krieg ich was mit von ihr über die Familie meines Bruders,weil sie bei denen mit im Haus lebt.

Aber ich hab da nen ähnlichen Prozess dazu hinter mir,wie Carö ihn beschreibt.
Das Abnabeln von Muttern ging über viele Jahre,obwohl ich mit 17 schon ganz von Zuhause ausgezogen bin.Aber sie hat es immer wieder geschafft,mich unter ihre Fuchtel zu manipulieren.

Ich hab mir das richtig erkämpfen müssen,nicht mehr zu "spuren",so wie und wann sie es grad wollte.Eben auch wegen der Schuldgefühle und v.a. anfangs,indem ich mir immer noch erhoffte,sowas wie ne Klärung zu erreichen,nen Konsens zwischen uns.Und ich mir wohl auch lange Jahre immer mal wieder noch erhoffte,doch mal von ihr noch als Kind gesehen zu werden und nicht nur als Gebrauchsgegenstand.

Ich hab längst schon begriffen gehabt,daß sie mich benutzt für sich selber und ihre eigene Stabilisation,aber seit ich verstehe, daß sie im Grunde ihre eigenen,unerwünschten Persönlichkeitsanteile auf mich nicht nur projizierte,sondern regelrecht "auslagerte" und somit an mir bekämpfte,hab ich wieder ein gut Stück Abstand mehr.Da kam wieder ein bissl mehr zur Ruhe in mir - weil ich verstanden habe,daß es mit mir persönlich gar nix zu tun hatte.Und weil ich besser einordnen konnte,warum ich dauernd drum hab kämpfen müssen,endlich mal wahrgenommen zu werden von ihr,mir das aber bis auf den heutigen Tag nie gelang.
Sie hat mich nicht nur instrumentalisiert,ich kam und komme nicht vor in ihrer Wahrnehmung.
Da lief und läuft was reichlich (halb)psychotisch ab bei ihr...

Im Grunde mach ich es auch so wie Carö : versuchen,bei mir selber zu bleiben,in all dem,was mich sonst meiner Mutter gegenüber noch so bewegen mag.

Ich bin inzwischen recht weit weg von ihr,so rein emotional.Sie hat nicht mehr viel mit mir zu tun,ich bring ihr wenige Gefühle noch entgegen.Und wenn,dann ist es meist Wut oder Enttäuschung oder Trauer.Und natürlich all die lieben Defizitgefühle,die sie hinterlassen hat in mir.Aber die hab ich schon länger "weg" von ihr,die sind länger schon nicht mehr auf sie gerichtet.

Inzwischen hab ich auch nen recht stabilen Egoismus ihr gegenüber entwickelt.Ich unterstütze zwar meinen Bruder dabei,mit ihr fertigzuwerden,aber nur aus der Ferne.Ich lasse mich schon seit Jahren nicht mehr von ihr in ihre Nähe manipulieren,obwohl sie das trotz ihres Alters nach wie vor hartnäckig versucht.
Ich versuch,den Schaden,den sie in der Verwandschaft anrichtet durch ihre Lügen und Verleumdungen über mich,einzudämmen,wo es nur geht.Und da sie mehr und mehr die Kontrolle verliert über ihre "Phantasien" und inzwischen öfter mal Phantasie und Wirklichkeit doch recht krass-auffällig verwechselt,fällt mir das immer leichter,weil auch die Verwandschaft inzwischen deutlich mitkriegt,wer von uns beiden die "Gschpinnerte" ist.So hat sie nämlich immer versucht,mich darzustellen...
Gut,aber das kann ich jetzt auch besser einordnen auf dem Hintergrund dieser "Auslagerung" auf mich.

Ich weiß,daß ich mich nicht einlassen werde auf irgendwas Richtung "Pflege" bei ihr - obwohl und grade weil ich Krankenschwester bin.
Und ich weiß nicht,ob ich sie nochmal sehen will,nochmal Kontakt will,bevor sie mal stirbt.Momentan hab ich da sehr meinen Frieden darüber,daß sie das ohne mich tun wird.
Aber das kann sich auch noch ändern.Mal sehen,was ich in der derzeitigen Therapie noch weggearbeitet bekomme,vielleicht taucht da dann auch der Wunsch mal wieder auf bei mir,sie nochmal zu sehen.Ich laß es auf mich zukommen.

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Dampfnudel
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Beitrag Di., 17.01.2012, 20:32

Liebe Freifrau,

was Du von Deiner Kindheit schreibst, klingt schon ganz schön belastend und schwer. Du hast da viel mitgemacht!!! Vieles, was Du geschrieben hast, erinnert mich an mich selbst und meine Kindheit/Familie, nur dass meine Mutter keine Borderline-Störung hat und ihre Ausbrüche keine körperliche Gewalt, sondern (nach einem für mich nicht einzuordnenden verbalen Wutausbruch) in erster Linie ein (jedenfalls für mein kindliches Gefühl) langandauerndes Ignorieren der kleinen Dampfnudel zur Folge hatten.

Mein Vater ist im letzten Mai auch an Krebs gestorben. Während seiner letzten Lebenswochen haben meine Mutter und ich ihn gemeinsam gepflegt und sind da eigentlich zu einem ganz guten Team zusammengewachsen. Aber hinterher habe ich plötzlich eine ungeheure emotionale Entfernung zu ihr entwickelt. Wenn sie traurig ist und ich das mitbekomme (ich wohne mehrere 100 km entfernt, so dass wir uns nicht so oft sehen), dann nehme ich sie zwar in den Arm und versuche sie zu trösten. Aber es ist oft so, als ob wir zwei völlig fremde Leute wären, und ich empfinde dabei einfach gar nichts. Es ist rein mechanisch. Ganz komisch. Aber ich fühle mich auch verpflichtet und habe Schuldgefühle, wenn ich nicht darauf reagiere. Im Augenblick kommen mir unsere Rollen oft vertauscht vor: ich habe die Mutter-Rolle, sie die Kind-Rolle. Das hat meine Mutter implizit auch schonmal so geäußert, und sie scheint es auch von mir zu erwarten, dass ich "ihre" Rolle jetzt übernehme. Und ich glaube, ohne dass sie es erwartet hat oder wollte, ist das auch schon öfters so gewesen, als ich noch klein war.

Liebe Grüße
Dampfnudel
Alles hat seine Zeit.

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Beitrag Di., 17.01.2012, 21:48

Liebe Waldschratin,

danke, dass Du mich an Deiner Geschichte teilhaben lässt.

Meine Mutter hat auch unerwünschte Anteilen auf mich ausgelagert und diese dann bekämpft, das hab ich aber auch erst später begriffen. Als Kind hab ich natürlich gedacht, dass ich schlecht bin.

Einmal hat sie meine Schwester erstaunt beobachtet, wie diese mit ihrer Tochter umgeht. Meine Schwester ist zum Glück und auch wundersamerweise eine sehr liebevolle Mutter. Dann sagte meine Mutter plötzlich: "Jetzt wird mir erstmal bewusst, wie unschuldig eigentlich so ein Kind ist." Ich finde, das sagt schon viel aus.

Dass Deine Mutter aktuell noch schlecht über Dich redet (wohl der Projektionen wegen), find ich schon heftig. Bei mir ist das zum Glück nicht so. Ich bin irgendwann 500 km weg gezogen und nur noch selten zu Besuch gekommen und von da an, war ich in Mutters Borderline-Welt meistens auf der weißen Seite. Überhaupt ist vieles besser geworden seit der räumliche Abstand da war. Ich fürchte nur, dass dann mein Vater mehr abbekam. Meine Verwandtschaft weiß auch genau, wie die Dinge wirklich liegen. Neulich hat meine Tante zu meiner Schwester gesagt, dass es sie nervt, wenn meine Mutter über ihre schlechte Kindheit klagt. Denn wenn einer sich hinsetzen könnte und heulen, dann sei das ich. Für mich sind diese Dinge sehr wichtig, weil sie mir zeigen, dass meine Wahrheit real ist und ich mir nichts einbilde. Denn manchmal zweifel ich sehr an meiner Wahrnehmung, da meine Mutter alles abstreitet. Meine Schwester ist da auch sehr wichtig für mich. Wenn ich sie nicht hätte, würd ich wohl noch mehr an mir selbst zweifeln.

Ich bin keine Krankenschwester, aber ich hab eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie gemacht und hatte früher mal ein starkes Helfersyndrom, das ich aber auf gesunde Maße einschränken konnte. Woher das wohl kommt?

Bei mir und meinen Gefühlen zu bleiben, das fällt mir aber noch sehr schwer, ich muss da manchmal eeewig hinlauschen.

Vieles verstehe ich mittlerweile im Kopf. Aber das nützt mir leider nicht immer viel, weil es von den Gefühlen her eben schwer umsetzbar ist.

Ich schicke Dir liebe Grüße
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