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Mo., 11.09.2017, 00:05
Hallo Tenken,
Das Problem mit den alleinerziehenden Müttern ist, dass sie alles abkriegen.
Die Wut und Trauer über die verschwundenen Väter landet auch bei ihnen, da keine realen Ansprechpartner da sind.
Es ist natürlich irgendwann als Heranwachsende(r) die Frage nach dem Elternteil zu stellen, der verschwunden ist.
Das man als Betroffener dazu neigt, sich an dem verbliebenen Elternteil zu reiben und auch eine gewisse Schuld dort zu sehen, da man ja um die Fehler dieses Mensch weiß ist sehr verständlich.
Es ist eine sehr schwere Bürde damit zu leben, dass ein Elternteil ein Kind nicht gewollt oder nicht genug gewollt hat.
Das ist nun mal die bittere Warheit hinter verschwundenen Elternteilen.
Gleichzeitig ist die Bindung an den verbliebenen Elternteil stark belastet und normalerweise auch ungut enger.
Tenken, Du hast zu Beginn geschrieben, dass die Mutter sich mit dem Vater verkracht hat.
Aber das ist ja immer etwas auf Gegenseitigkeit.
Unter anderem ist Dein leiblicher Vater sehr aktiv weggegangen und hat offenbar nie wieder versucht sich mit Dir zu treffen oder sich auch nur dafür interessiert was aus Dir wird.
Und das ist hart.
Die interessante Frage hier ist: Welches Vorbild hattest Du als Mann bezüglich Vater?
Der leibliche ist davongerannt, der pflichtbewußte Ziehvater eierte relativ beziehungslos zu Dir und eventuell auch
zu Deiner Mutter herum. Das ist durchaus typisch für Depressionen und für Alkoholiker.
Im Grunde ist auch er weggelaufen, nur nicht physisch sondern durch Alkohol und Arbeit.
Er hat das klassische Modell gelebt und hat sich als Mensch nicht so weit entwickelt, dass er auf eine gesunde Weise
sein Leben lebte, mit den Eckpfeilern Familie, Freunde, Arbeit. Vielleicht konnte er das nicht?
Wer weiß welche Sehnsüchte er als junger Mann hatte und welchen Mangel er hatte?
Vielleicht war das ähnlich wie bei Dir? Und später mußte er merken, dass er es trotz Wunsch eine Familie zu haben nicht schaffte sich innerlich für sie zu öffnen?
Ich finde es toll, dass Du vieles bewußt wahrnimmst und erkannt hast.
Da fängt schon der 1. beträchtliche Unterschied zu Deinem Stiefvater an. Ich glaube nicht dass er sich die Fragen gestellt hat, die Du Dir stellst.
Du hast die Chance.
Aber es wird für Dich ein steiniger Weg, denn woher sollst Du wissen, wie man sich zu seinen Kindern als Vater beziehen kann und mit ihnen eine aktive Beziehung aufbaut? Die Gefahr ist durchaus da, dass Dich das maßlos überfordert und Du diese Nähe auch gar nicht gut aushalten kannst, die Kinder von Natur aus herzustellen suchen.
Und dann könnte Dein Schicksal ähnlich verlaufen.
Die Frage ist: Möchtest Du Kinder? Möchtest Du eine Familie gründen?
Oder möchtest Du nur Deiner Freundin einen Gefallen tun? Oder traust Du Dich das Projekt Familie abzulehnen,
weil Du nicht wirklich daran glaubst? Oder ist das Vorbild Deines Ziehvaters stark und Du glaubst das irgendwann auf jeden Fall machen zu müssen, da Mann das so macht?
Ich finde Du solltest warten wie sich das bei Dir entwickelt und Dich mit all diesen Fragen auseinandersetzen.
Kinder haben kann man, muss man aber nicht.
Es ist ein einschneidendes Erlebnis und eine Strapaze für ein Paar.
Die Frage ist: erlebt man das trotzdem als Bereicherung oder löst es eher Fluchttrieb aus?
Es verändert eine Beziehung und das ist O.K., auch das sexuelle Attraktivität nicht ewig hält ist durchaus normal.
(Siehe Außenbeziehung der Eltern)
Es bereichert das Leben nicht zwangsläufig Kinder zu haben, für viele ist es eine Sinnfrage oder/ und ein biologischer Trieb. Ich habe einige Frauen kennengelernt, die im Nachhinein ihre Entscheidung für Kinder in Frage gestellt haben.
Das Deine Mutter so stabile Verhältnisse geschaffen hat ist alles andere als selbstverständlich.
Ich weiß nicht wie sie das Leben als reine Hausfrau ertragen hat, aber auch das ist doch eine beachtliche Leistung?!
Vielleicht ist Deine Mutter keine Leuchtiode, aber ich finde das wesentliche für Kinder hat sie doch hinbekommen:
Ein stabiles Heim. Wenn auch nichts im Leben letztlich perfekt ist.
Typisch für Menschen ohne Urvertrauen ist das Klammern an Geld und materielle Dinge.
Auch Deine Mutter hat eine psychische Geschichte und es gibt Gründe für ihre Ausprägungen.
Ob es wirklich mit dem Bruder zum Erbschaftsstreit kam, allein wegen der Wohnung?
Meist steckt da eine lange Geschwisterproblematik dahinter.
Letztlich kann man sagen: Jeder Mensch meistert das Leben so gut er es kann und gibt sein bestes.
„Leben heißt, langsam geboren zu werden. Es wäre auch zu bequem, wenn man sich fertige Seelen besorgen könnte.“
Antoine de Saint-Exupéry (1900-44).