Kontaktabbruch mit Eltern - wie geht es weiter?

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Whale
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Kontaktabbruch mit Eltern - wie geht es weiter?

Beitrag Sa., 10.06.2017, 20:57

Hallo Zusammen!

Ich habe vor 6 Monaten den Kontakt zu den Eltern endgültig abgebrochen.
Es gab schon einen Abbruch vor ca 13 Jahren (für 6 Monate). Nach einem Seminar zum Thema "Heilung des inneren Kindes" sind die verdrängten Szenen, vor allem aus meiner Jugend, nach oben gekommen. Seelischer Missbrauch, Demütigung, keine Privatsphäre, Unterdrückung jeglicher Eigenständigkeit, …. Das ganze Programm eben. Seit ich ein Teenager bin kämpfe ich darum, als Erwachsene Person gesehen zu werden. Ich dachte immer, irgendwann müssten sie es doch verstehen. Ich habe verstanden, dass das nie passieren wird und jetzt kann ich nicht mehr und ich will einfach nicht mehr darüber reden und streiten. Ich sehe keinen anderen Weg mehr.

Nun zu meinen Fragen:

1. Ich stehe zu meiner Entscheidung und zweifle nicht daran. Trotzdem verbringe ich sehr viel Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken, wütend zu werden, Szenen Revue passieren zu lassen und mich zu fragen, ob ich nicht doch anders hätte handeln können, mich hätte durchsetzen können. Dann resigniere ich und erkenne zum 1000sten Mal an, dass ich keine Chance hatte.
Geht es jemanden ähnlich und wenn ja, wie geht ihr damit um? Habt ihr einen Weg gefunden damit abzuschliessen?

2. Am meisten schmerzen mich die Liebesbeziehungen die ich nie eingegangen bin, aus Angst. Weil ich wusste, dass sich meine Mutter in alles einmischen würde und die Beziehung an sich reissen würde und versuchen würde, alles zu kontrollieren. Und dass meine Liebesbeziehung eine grossartige Gelegenheit war mich zu demütigen und lächerlich zu machen.
Könnt ihr diese "ungelegten Lieben" ad acta legen? Wie?
Ich tue mir furchtbar schwer damit und falle immer wieder in depressive Phasen, wo ich mir endlos vorstelle, wie wunderbar diese Beziehung gelaufen wäre und es tut mir so leid darum. Auch wenn ich weiss, dass die heile Welt meine Traumwelt ist und es in der Realität nie so perfekt gelaufen wäre.

Dazu muss ich vielleicht sagen, dass ich seit 12 Jahren eine feste, gute Beziehung lebe und insofern vieles geschafft habe. Dh ich könnte ruhig glücklich sein in der Gegenwart.

Vielleicht kann mir jemand mit seinen Erfahrungen ein paar Ideen liefern, wie ich mit meiner Vergangenheit Frieden schliessen kann.

Vielen Dank im voraus für eure Hilfe,
Whale

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Waldschratin
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Beitrag So., 11.06.2017, 11:01

Hallo Whale,
und erstmal willkommen im Forum!

Was du beschreibst, würde ich jetzt mal eine "ganz normale Reaktion" nennen. Du hast Verletzungen davongetragen und es gab leider keinen Weg, die miteinander (gemeinsam mit deinen Eltern) zu verarbeiten und wieder zueinander zu finden.
Das ist traurig und das ist schlimm, und dass du darüber - und ja auch über die erlittenen Verletzungen an sich und all das "Verpasste", was hätte sein können,wenn - wütend bist und enttäuscht und traurig, find ich logisch und wie gesagt : normal. Ne "richtige" und "gesunde" Reaktion.

Jetzt ist die Frage, was macht man mit diesen Reaktionen/Gefühlen/Zuständen?

Erstmal brauchen diese Gefühle ja ihren "Raum", haben ihre Berechtigung und wollen "Ausdruck". Gehört für mich zum "lebendig sein dürfen" unbedingt dazu, auch wenns keine angenehmen, schönen Gefühle sind.
Ich selbst hab für mich gute Erfahrungen damit gemacht, wenn meine Gefühle "sein" dürfen, wie sie sind. Ausdruck bekommen (Wut z.B. , da "kille" ich gerne mal halb aufgeblasene Luftballons o.ä. Trauer braucht Tränen und Klagen, Enttäuschung geht bei mir in Wut und Trauer über), und dann aber auch "Antwort". Trauer braucht Trost, Wut braucht Geborgenheit, Enttäuschung braucht Bestätigung etc.
Dann kann ich leichter loslassen, kann die Gefühle "ziehen" lassen.

Um das aber auch tatsächlich und nachhaltig/auf Dauer hinzubekommen, brauche ich Vergebung dazu. Dem Verletzer seine "Schuld" mir gegenüber "erlassen", also nicht weiter bestehen auf "Wiedergutmachung" und "Entschädigung". Z.B. auf ein "Einsehen" deiner Eltern oder ne Entschuldigung von ihnen oder dass sie dich jetzt doch endlich mal als Erwachsene begreifen können.

Es ist EIN Schritt, das mit dem Verstand zu verstehen, und ein nächster, es mit dem Herzen zu begreifen. Und ein letzter, das Verstehen und Begreifen anzunehmen und "gelten" zu lassen/für "gültig" zu erklären.
Dazu braucht es bei mir jedenfalls jedes Mal neu einen bewußten, willentlichen Entschluss von mir, der erstmal kein bissl mit meinen Gefühlen übereinstimmt.

Wenn ich mich dazu entschließe, dann deshalb, weil ich selber endlich meinen Frieden haben möchte damit und nicht - wie du es ja oben beschreibst - dauernd innerlich noch dran "hängen" will und davon umgetrieben zu werden und mich andauernd noch damit beschäftigen müssen will.
Und nicht, weil ich so ein guter und edler und "perfekter" Mensch wäre. :-D Oder ich "Mitleid" und "Erbarmen" mit meinen Verletzern hätte.

Das hab ich nicht. Vielleicht mittlerweile, wo ich viiiiiiiiel Abstand und inneren Frieden über all dem habe, kann ich manches verstehen und aus ihrer Sicht begreifen. "Entschuldigen" tu ich da aber gar nix!

Ich bleibe aber bei mir mit all diesem Vorgehen und daher : brauche ich die "Mitarbeit" und Resonanz meiner Verletzer ganz einfach nicht, um mit all dem fertig werden zu können und Frieden zu finden.

Ich bin da bisher ganz gut damit gefahren, suche auch kein "Ende" mehr, damit ich "endlich" leben kann. Ich lasse "fließen", weil ich gelernt hab, wenn mal wieder was auftaucht, kann ich damit umgehen und fertigwerden und es "gehen lassen".Und bis ich das kann, bleibe ich "lebendig" und "im Fluß", solange ich mit den Gefühlen wie oben beschrieben in Kontakt und Umgang bleiben kann.

Schließt natürlich alles an Vor- und Rückschritt, Verweigerung und Gebocke und "mich abschalten" mit ein.
Wichtig ist mir nicht, da drin "perfekt" zu sein oder zu werden, sondern immer wieder "zurückfinden" zu können zum Wesentlichen.

So, das war jetzt mein ganz Ureigenstes und bestimmt nicht "Mainstream", aber vielleicht kannst du dir ja ein bissl was für dich "rauspicken". :)

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saffiatou
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Beitrag So., 11.06.2017, 11:52

Hallo Whale,

Waldschratin hat das ganz gut beschrieben.

Ich habe vor ca 7 Jahren den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen, es ist bis jetzt schwer und ich hadere immer mal wieder - weil es ist eben Familie. Aber gleichzeitig habe ich erkannt, daß es mir besser geht, ohne Kontakt.
Whale hat geschrieben: Sa., 10.06.2017, 20:57 Trotzdem verbringe ich sehr viel Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken, wütend zu werden, Szenen Revue passieren zu lassen und mich zu fragen, ob ich nicht doch anders hätte handeln können, mich hätte durchsetzen können.
Leider läßt sich da ja nichts mehr ändern, der Schmerz ist trotzdem da. Du kannst aber jetzt für Dein Leben die Verantwortung übernehmen (wie Du es ja auch mit dem Kontaktabbruch gemacht hast) und dafür sorgen, daß es Dir jetzt endlich gut geht! Als Kind oder Jugendliche bist Du auf Deine Eltern angewiesen, und sie haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß es Dir gut geht und Du physisch und psychisch alles bekommst, das haben sie nicht und Du ziehst die Konsequenz
Whale hat geschrieben: Sa., 10.06.2017, 20:57 Dann resigniere ich und erkenne zum 1000sten Mal an, dass ich keine Chance hatte.
Geht es jemanden ähnlich und wenn ja, wie geht ihr damit um? Habt ihr einen Weg gefunden damit abzuschliessen?
Das Schwere an dieser Situation ist, daß Du nun alleine bist. ICh hatte manchmal das Gefühl ich wurde verstoßen, obwohl das ja falsch ist, denn ich will den Abbruch und nicht meine Familie. Eine lange Therapie hat mir geholfen und auch die Einsicht, daß meine Eltern in ihren Traumen zu sehr verstrickt sind, daß sie sich nie ändern würden und auch den SChmerz, den sie mir angetan haben nicht anerkennen. ICh habe endlose Briefe an sie geschrieben, meinen Schmerz berichtet - aber das wurde alles als nichtig abgetan. Daher ist mir klar, daß es keinen anderen WEg gibt. Mein Thera sagt immer der Abbruch muss ja nicht für immer sein, aber er ist für eine ganze Weile die beste Möglichkeit, endlich mal für mich zu sorgen. Ich weiß inzwischen, daß der Abbruch zu meiner Familie endgültig ist. Vielleicht wird sich das bei Dir ja nach einigen Jahren ändern.

Alles Gute,
Saffia
never know better than the natives. Kofi Annan

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Whale
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Beitrag Mo., 12.06.2017, 09:00

Hallo Waldschratin!

Erstmal danke dafür, dass du meine Reaktion als "normal" einstufst. Ich hab mich zeitweise schon für ziemlich dämlich gehalten. Weil ich, obwohl ich mich regelmässig dabei erwischt habe in diesem Hamsterrad zu denken, nach 2 Sekunden wieder drin war. :kopfschuettel:

Dass sich mit der Zeit irgendwas tut war mir schon klar, weil der Zorn mit der Zeit verraucht ist, grösstenteils. Und auch die imaginären Streitgespräche mit meiner Mutter, die echt heftig waren und Verteidigungsreden Freunden gegenüber sind fast versandet. Rechtfertigungen darüber, warum ich mich als Jugendliche so und so (beschränkt/eingeschränkt) verhalten habe laufen noch.

Bewusst das Thema zur Seite legen, entgegen den Gefühlen hab ich früher schon probiert, halbherzig, hat aber nicht geklappt. Ich habe dann immer das Gefühl, dabei etwas zu verlieren. Vielleicht gefällt mir die Opferrolle (es war so schlimm) insgeheim auch irgendwie.

[quote=Waldschratin post_id=942206 time=1497175303 user_id=52227]
Dazu braucht es bei mir jedenfalls jedes Mal neu einen bewußten, willentlichen Entschluss von mir, der erstmal kein bissl mit meinen Gefühlen übereinstimmt.


Zu lesen, dass es bei dir funktioniert, und dass es keinen eindimensionaler Weg in den Frieden gibt, tut gut. Den habe ich auch immer gesucht. DEN richtigen Umgang damit, und dann ist alles gut.

Also gehe ich mal weiter den Weg durchs Gestrüpp, das sich rückblickend doch schon auch ein Stück gelichtet hat.

Vielen Dank für deine Hilfe,
Whale

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Waldschratin
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Beitrag Mo., 12.06.2017, 09:33

Whale hat geschrieben:Bewusst das Thema zur Seite legen, entgegen den Gefühlen hab ich früher schon probiert, halbherzig, hat aber nicht geklappt. Ich habe dann immer das Gefühl, dabei etwas zu verlieren. Vielleicht gefällt mir die Opferrolle (es war so schlimm) insgeheim auch irgendwie.
Vielleicht braucht es die Opferrolle z.Zt. ja auch noch?
Würde sie dir "gefallen", dann wärst du eher masochistisch veranlagt - natürlich auch ne Möglichkeit. :) Und dann auch ein Weg raus, wenn es zutreffen würde.
Aber da du ja leidest unter diesen "Muster-Wiederholungen", hat das jetzt auf den ersten Blick für mich nix mit "gefallen" zu tun.
Whale hat geschrieben:Zu lesen, dass es bei dir funktioniert, und dass es keinen eindimensionaler Weg in den Frieden gibt, tut gut. Den habe ich auch immer gesucht. DEN richtigen Umgang damit, und dann ist alles gut.

Also gehe ich mal weiter den Weg durchs Gestrüpp, das sich rückblickend doch schon auch ein Stück gelichtet hat.
Eben! :)
Es ist immer gut, auch das im Blick zu behalten, was man alles schon geschafft hat.
Und außerdem : Gönn dir Hilfe dabei! Freunde, vielleicht ein Seelsorger/Coach, vielleicht auch Therapie?

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Beitrag Mo., 12.06.2017, 18:10

Hallo Saffiatou,

ob es bei mir für immer sein wird, weiss ich noch nicht. Für immer fühlt sich sehr lange an. Ich weiss aber, dass ich jetzt mal für ein paar Jahre Ruhe brauche.
saffiatou hat geschrieben: So., 11.06.2017, 11:52 ICh habe endlose Briefe an sie geschrieben, meinen Schmerz berichtet - aber das wurde alles als nichtig abgetan. Daher ist mir klar, daß es keinen anderen WEg gibt.
Ich habe im Lauf der Jahre immer wieder versucht meine Gefühle zu erklären... den Text kennst du.
Es ist nie angekommen und ich bin zur gleichen Erkenntnis gekommen wie du.
Ich verstehe den psychologischen Hintergrund meiner Eltern (eigene Kindheitserfahrungen, leben in einer Zeit in der Auseinandersetzung mit den eigenen Themen eben kein Thema ist.) Trotzdem frustriert es mich damit leben zu müssen, dass ihre Weltsicht/Denkweise derart festgefahren und eingeschränkt ist. Und dass dies mich dazu zwingt, meinen eignen Eltern eine tiefe Wunde zu schlagen wenn ich dafür sorge, dass es mir gut geht.
saffiatou hat geschrieben: So., 11.06.2017, 11:52 Das Schwere an dieser Situation ist, daß Du nun alleine bist.
Das macht mir nichts aus. Echte Hilfe/Unterstützung/Verständnis war in der Beziehung ohnehin rar zu finden. Ich habe lange Zeit meine Probleme mit mir selbst ausgemacht und musste erst mal lernen, dass es echte Hilfe gibt und ich sie auch bekommen kann.

Vielen Dank für deine Antwort und diesen Satz:
saffiatou hat geschrieben: So., 11.06.2017, 11:52 Als Kind oder Jugendliche bist Du auf Deine Eltern angewiesen, und sie haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß es Dir gut geht und Du physisch und psychisch alles bekommst,
Liebe Grüße
Whale

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Whale
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Beitrag Mo., 12.06.2017, 18:41

Waldschratin hat geschrieben: Mo., 12.06.2017, 09:33 Vielleicht braucht es die Opferrolle z.Zt. ja auch noch?
Herrgott nochmal!!!!!
Tut das gut zu lesen, dass es einfach nur OK sein kann, wo ich jetzt gerade bin!!!!
Waldschratin hat geschrieben: Mo., 12.06.2017, 09:33 Gönn dir Hilfe dabei! Freunde, vielleicht ein Seelsorger/Coach, vielleicht auch Therapie?
Wie ich an Saffia oben geschrieben habe, habe ich inzwischen gelernt, mir Hilfe zu holen. Hatte ein sehr gutes Gespräch in einer Beratungsstelle, mit Freunden geredet (nichts so hilfreich, aber wenigstens nicht kritisch), Tipps/Unterstützung in einem Psychotherapieforum geholt ,-)

Liebe Grüße
Whale


Waldschratin
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Beitrag Mo., 12.06.2017, 19:44

Whale hat geschrieben:Herrgott nochmal!!!!!
Tut das gut zu lesen, dass es einfach nur OK sein kann, wo ich jetzt gerade bin!!!!
:-D :hugs:

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