Falsche Erziehung > verkorkste Psyche ?

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Zwackel
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Beitrag Di., 16.02.2010, 00:34

Liebe chicheringrün !
Danke ! Das hat mir wirklich gutgetan !
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Cyw
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Beitrag Di., 16.02.2010, 10:34

Hallo Zwackel und ihr anderen,

es klingt in der Tat so, als hätten deine Eltern genügend Fehler gemacht - auch abgesehen von dem Missbrauch, der nun nicht mehr nur als "Fehler" bezeichnet werden kann, sondern in keinem Fall hätte passieren dürfen. Geschweige denn die Haltung deiner Mutter dazu, dazu fallen mir keine Worte ein.

Aber: Ich denke trotzdem, dass es zu einfach ist, alle Schuld für die eigene Entwicklung nur im Elternhaus zu suchen. Das funktioniert einfach nicht. Es können zwei Menschen genau gleich aufwachsen und trotzdem Dinge unterschiedlich bewerten, empfinden, und so völlig unterschiedlich geformt werden. Ich kenne in meinem Umkreis genug Erwachsene, die unter gleichen Bedingungen aufgewachsen sind, auch dieselben Dinge wahrgenommen (Vater schlägt, z.B.) und doch völlig anders darauf reagiert haben und zu anderen Menschen herangewachsen sind. Ein Geschwisterpaar, das mir grade vor Augen ist, hat sich derart unterschiedlich entwickelt, dass die eine nun seit knapp 20 Jahren alleine lebt und Männer an sich - naja, nicht verteufelt, aber ihnen nicht traut und ihre Gegenwart im Privaten meidet. Ihre Schwester lebt seit jeher in glücklichen Beziehungen und ist seit ebenfalls knapp 20 Jahren glücklich verheiratet. Beide haben die Schläge als Kinder wahrgenommen und sind doch heute ganz unterschiedlich.

Es spielen einfach noch viele andere Faktoren mit rein. Das übrige soziale Umfeld, wie das Kind Dinge von sich aus aufnimmt/bewertet, ob man die Dinge irgendwann "richtig" verarbeiten kann, ... das sind alles völlig individuelle Sachen, die Eltern nicht beeinflussen. Ein Kind aus gutem Hause (und damit meine ich nicht die oberflächlich "guten", bei denen die Familie nur leere Hülle ist oder so, sondern wirklich intakte Familien) kann völlig abrutschen, während auch Kinder aus völlig zerrütteten Familien ein normales und glückliches Leben führen können.

Die Schuldfrage ist daher in meinen Augen nicht so einfach zu beantworten. Und - ich hatte dazu schonmal was geschrieben, in nem anderen Thread - ist es denn im Endeffekt wirklich so relevant, wer oder was Schuld hat? Es geht doch nicht darum, dass du deine Eltern dein Leben lang hassen willst, obwohl dir das natürlich völlig frei steht. Aber viel hilfreicher wäre es doch, diese Packen, die du aus der Kindheit noch mit dir rumschleppst, jetzt aufzulösen und abzuwerfen. Und hinterher mit dem Wissen hervorzugehen, dass du (DU!) es geschafft hast, trotz der schrecklichen Situation in deiner Kindheit dein Leben zu meistern und mit dir und deiner Vergangenheit im Reinen zu sein. Ich vermute, es hilft nur sehr kurzfristig, antiautoritäre Erziehung allgemein und deine Eltern speziell zu verteufeln, das mag sicherlich gut tun, aber ob es weiterhilft?

Was mich allerdings ein bisschen wundert, ist, dass du noch so engen (?) Kontakt mit dem Rest deiner Familie zu haben scheinst. Bruder sowie Vater. Warum?

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Zwackel
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Beitrag Di., 16.02.2010, 10:58

Cyw hat geschrieben:...es hilft nur sehr kurzfristig, antiautoritäre Erziehung allgemein und deine Eltern speziell zu verteufeln, das mag sicherlich gut tun, aber ob es weiterhilft?
Was mich allerdings ein bisschen wundert, ist, dass du noch so engen (?) Kontakt mit dem Rest deiner Familie zu haben scheinst. Bruder sowie Vater. Warum?
@Cyw: Erstmal vielen Dank für die ausführliche Antwort !

Der Grund, warum ich noch engen Kontakt zu meiner (Rest-)Familie habe (Mutter ist schon gestorben) ist hauptsächlich der, dass ich eben nicht einfach nur meine "Eltern verteufeln" will !

Ich liebe sie ja auch sehr, hänge immer noch an ihnen. Ausserdem fühle ich mich irgendwie für die beiden verantwortlich, da es ihnen beiden psychisch (Bruder) und körperlich (Vater) zur Zeit absolut schlecht geht.

Es geht mir in Bezug auf meine Kindheit mehr darum, zu verstehen, was abgelaufen ist. Leider kann ich Vieles gar nicht nachvollziehen, es kommt mir völlig irrational und irrsinnig vor, was meine Eltern so getrieben haben.
Cyw hat geschrieben:Es können zwei Menschen genau gleich aufwachsen und trotzdem Dinge unterschiedlich bewerten, empfinden, und so völlig unterschiedlich geformt werden.
Das kann ich nur bestätigen. Mein Bruder und ich sind völlig unterschiedliche Charaktere, obwohl wir in der gleichen Familie aufgewachsen sind.

Im übrigen ist es ja nicht so, dass ich mein Leben gar nicht auf die Reihe kriegen würde. Ich habe ein abgeschlossenes Studium (obwohl ich kurz vor dem Examen ein Baby bekommen habe) und einen bombensicheren Job, den ich - auch mit mittlerweile zwei Kindern - ganz gut mache und mit dem ich alleine die ganze Familie ernähre.

Darauf glaube ich kann ich durchaus stolz sein, oder nicht ?
Ich denke aber, dass ich mein Leben nicht wegen der Erziehung meiner Eltern einigermassen hingekriegt haben, sondern vielmehr trotzdem.

Viel Hilfreiches haben sie mir leider nicht auf den Weg gegeben !
Damit will ich keine Fehler entschuldigen, die ICH zu verantworten habe, es ist einfach nur eine Tatsache !

LG, Zwackel
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candle
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Beitrag Di., 16.02.2010, 11:05

Zwackel hat geschrieben:
Es geht mir in Bezug auf meine Kindheit mehr darum, zu verstehen, was abgelaufen ist. Leider kann ich Vieles gar nicht nachvollziehen, es kommt mir völlig irrational und irrsinnig vor, was meine Eltern so getrieben haben.
Da bist Du mir ja weit voraus gewesen, denn ich habe das Irrationale lange nicht sehen können.

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luftikus
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Beitrag Di., 16.02.2010, 11:10

Zwackel hat geschrieben:
Wie seid ihr erzogen worden und hat es euch geschadet ?

LG, Zwackel
Hm, ich würde sagen, der Erziehungsstil meiner Eltern (bzw. hauptsächlich meiner Mutter) war von Ängstlichkeit geprägt. Sie hatte ständig Angst, mir könnte etwas passieren, ich könnte krank werden oder ich könnte auf "die falsche Bahn" geraten. Außerdem glaubte sie damals, mir alles abnehmen zu müssen, weil ich in ihren Augen ziemlich nutz- und talentlos war.

Ich denke schon, dass mir dieser Erziehungsstil geschadet hat, weil ich nicht richtig gelernt habe, auf mich selbst zu vertrauen und auch mal mutige Entscheidungen selbst zu treffen. Trotz dem ich inzwischen meinen eigenen Verstand gebrauchen kann, sitzt da immer dieses kleine ängstliche Männchen in meinem Hinterkopf, das im entscheidenden Moment häufig ruft: "tu das nicht! es könnte schief gehen."

Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur verhältnismäßig wenige Menschen als Kind eine wirklich hilfreiche Erziehung genossen haben, die eine starke, selbstsichere, aber dennoch nicht arrogante Persönlichkeit zur Folge hatte...

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Cyw
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Beitrag Di., 16.02.2010, 11:44

Zwackel hat geschrieben: Der Grund, warum ich noch engen Kontakt zu meiner (Rest-)Familie habe (Mutter ist schon gestorben) ist hauptsächlich der, dass ich eben nicht einfach nur meine "Eltern verteufeln" will !
Verteufeln ist imho aber gar nicht nötig, um Distanz zu schaffen. Seit ich 13 bin, habe ich keinen bzw. jetzt, nach vielen Jahren wieder ab und zu mal sporadischen Kontakt. Erst war ich stinkwütend auf ihn, weil er mich - vor allem nach der Scheidung meiner Eltern, als die "Neue" kam - richtig mies behandelt hatte, deshalb hatte ich auch entschieden, ihn nicht mehr sehen zu wollen. Mittlerweile sehe ich das so: Er hat damals so gehandelt, wie er es nunmal richtig fand. Die neue Beziehung und sein neues Glück war ihm wichtiger als ich. Schön und gut, das war damals seine Entscheidung und sie hat mir nicht gut getan (genauer gesagt, ich habe einige Jahre daran geknabbert und es hat mir weh getan), aber ich muss ihn dafür nicht hassen. Nur - er muss jetzt eben auch damit leben, dass ich keinen gesteigerten Wert mehr auf Kontakt lege, mich von mir aus nicht melde und ihn auch zu meiner Hochzeit nicht einlade - da kann er noch so oft sagen, mehr Kontakt würde ihn freuen. Das ist heute MEINE Entscheidung, weil ich sie richtig finde. Ich hab ihm verziehen, aber er bedeutet mir leider nicht mehr besonders viel. Aber vermutlich unterscheidet sich daran auch unsere Situation: Du hängst an deiner Familie und liebst sie noch. Daher kann ich schon verstehen, dass es für dich richtig ist, den Kontakt nicht einzustellen. Auch da geht wohl jeder seinen eigenen Weg, und was mir geholfen hat, muss noch lange nicht anderen helfen

Zwackel hat geschrieben: Es geht mir in Bezug auf meine Kindheit mehr darum, zu verstehen, was abgelaufen ist. Leider kann ich Vieles gar nicht nachvollziehen, es kommt mir völlig irrational und irrsinnig vor, was meine Eltern so getrieben haben.
Es klingt allerdings auch so. Irrational und unsinnig. Ich kann mir kaum vorstellen, dass rational denkende Menschen, sogar Akademiker, tatsächlich glauben, dass man mit einer Erziehung völlig ohne Regeln, ohne Grenzen, wo die Kinder tun, was immer sie wollen, den Kindern einen Gefallen tut. Andererseits: Ich bin zu jung, als dass ich die Zeiten damals verstehen könnte. Heute liegen mir völlig andere Werte und anderes Wissen zugrunde, ich kann ja _sehen_, was diese Art von Erziehung den Kindern gebracht hat. Ohne diese Kenntnisse - wer weiß. Haben wirklich so viele Eltern ihre Kinder antiautoritär erzogen und wussten oder ahnten, dass es ihnen schaden würde? Das kann ich wiederum auch nicht glauben. Manchmal ist gut gemeint eben nicht gut getan.

Wie geht es denn voran, konntest du schon einiges von dem verstehen, was dir passiert ist? Gründe finden und nachvollziehen? Hast du deine Eltern irgendwann einmal gefragt, warum sie dachten, ihr solltet so erzogen werden? War das wirklich hauptsächlich Egoismus und Lebensfreude auf Kosten der Kinder oder war es auch eine gute Portion Unwissenheit und Naivität? Was glaubst du?

Im Übrigen stimme ich dir zu, dass du sehr stolz sein kannst.

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Zwackel
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Beitrag Mi., 17.02.2010, 12:58

Cyw hat geschrieben: Wie geht es denn voran, konntest du schon einiges von dem verstehen, was dir passiert ist? Gründe finden und nachvollziehen?
@Cyw:
Mein Vater hat mir erzählt, dass seine antiautoritären Ansichten eine Reaktion auf die Nazizeit waren.
Es war auch eine Art Rebellion gegen seinen Vater, der wohl damals auch ein kleiner Nazi war. Mein Großvater hatte sich das Geschäft eines Juden unter den Nagel gerissen, der deportiert worden war.
Für meinen Vater erklärte sich der Erfolg der Nazis bei den Deutschen durch die Autoritätsgläubigkeit und den blinden Gehorsam der Leute, die sie von ihren Eltern, der Schule und der Kirche anerzogen bekommen hatten.
Irgendwie kann ich es vor diesem Hintergrund sogar verstehen, dass er seine Kinder bewusst komplett anders, ohne Befehle, ohne Strafen und engen Grenzen erziehen wollte.
Leider ist er mit seiner Strategie ziemlich weit übers Ziel hinausgeschossen und hat uns Kindern eben auf andere Weise geschadet.

Immerhin: Nationalsozialistisches Gedankengut und kritiklose Autoritätshörigkeit sind für mich tatsächlich absolut daneben. Aber das trifft ja wohl auch auf die große Mehrheit derer zu, die eine ganz "normale" Erziehung genossen haben.

LG, Zwackel
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