Meine Mutter ist schwer krank...

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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AnnaK
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Meine Mutter ist schwer krank...

Beitrag Do., 03.04.2008, 20:20

... und ich völlig überfordert.
Ich stecke gerade in den Endzügen meiner Analyse, war gerade im Aufbruch in mein neues Leben.
Ich habe ein hartes Jahr hinter mir, in dem ich erfahren habe, dass mein Mann ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit eine Affäre begonnen hat, die letztes Jahr schwanger wurde. Nach und nach kristallisierte sich raus, dass sie nicht die einzige war. Es folgte ein Kampf um die Ehe und um mich, den ich in Teilen auch hier im Forum angesprochen und besprochen habe. Dieser Kampf endete im Januar, zur Geburt dieses Kindes. Wir haben uns getrennt. Als er endgültig alle Sachen aus der Wohnung geholt hat, ich eine Mitbewohnerin gefunden habe die vor einer Woche eingezogen ist habe ich mich wie wahnsinnig darauf gefreut diesen K(r)ampf endlich hinter mir lassen zu können. Frei zu sein, endlich ich zu sein und endlich meinen Uni Abschluss und mein weiteres Leben in die Hand nehmen zu können und durchzustarten.

Nun wurde mir letzte Woche mitgeteilt, dass eine Freundin von mir ins Koma gefallen sei, Meningitis. Am gleichen Tag wurde meine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert: Diagnose Lungenentzündung.
Die Freundin ist gestern gestorben.
Heute habe ich mit den Ärzten meiner Mutter gesprochen, es sieht sehr schlecht aus. Sie gehen davon aus, dass die Veränderungen ihrer Lunge Metastasen sind. Sie suchen derzeit nach dem dazugehörigen Tumor.
Meine Mutter ignoriert diese Sache, vielleicht auch, weil die Ärzte nicht so richtig Tacheles mit ihr gesprochen haben. Mein Vater geht davon aus, dass sie Anfang nächster Woche nach Hause kommen wird weil die Antibiotika ja so gut anschlagen. Ja die Entzündung geht zurück, aber die Veränderungen der Lunge leider nicht...
Ich warte nun voller Bangen die Ergebnisse der Tumormarker ab und denke die ganze Zeit: Nein!!!! Ich bin noch nicht groß genug, um sowas durchzustehen.
Mein kleiner Bruder ist erst 14, meine Mutter so klein und zerbrechlich wie ich sie nie erlebt habe und ich bin an einem Punkt an dem ich das Gefühl habe, ich kann das alles nicht.... Ich habe jetzt ihren kleinen Betrieb halbwegs in die Hand genommen neben Job und Uni (für die ich im Moment nichts mache), habe das häusliche soweit organisiert, für den Rest der Woche ... aber jedes Mal wenn ich bei ihr im Krankenhaus bin.... laugt und saugt es mich aus. Ganz nebenbei läuft hier zu Hause auch nicht alles so rund wie könnte. Vorgestern wurde nach langem Streit mit Versatel dann ohne Vorankündigung mein Telefonanschluss gekappt... so einen Mist muss ich zwischendrin auch noch regeln...

Ich fühle mich so furchtbar alleine... mit meinem Mann kann ich derzeit nicht reden. Ich kann es einfach nicht.... da steht so viel zwischen uns... es ist so viel zerbrochen..

Mein Vater war irgendwie noch nie anwesend. Er ist ein Workaholic.... Seine emphatischen Fähigkeiten lassen sehr zu wünschen übrig...ich weiß, dass er den Laden nicht am Laufen halten kann... Ich muss ihm erklären, dass sie nicht nächste Woche nach Hause kommen wird, dass er das Ganze Gott verdammt endlich ernst nehmen muss...

Ich bin völlig überfordert mit der Situation... aber zusammenbrechen kann ich auch nicht...
Ich weiß nicht was ich mir in diesem Thread erwarte... Zuspruch... Mut... einfach ein offenes Ohr... praktische Tipps zur Bewältigung... keine Ahnung...

Ich bin einfach am Ende... und dennoch muss es weiter gehen... Ich habe Angst, so furchtbare Angst vor dem was noch alles kommt. Und fürchterliche Wut, dass es jetzt so ist wie es ist, und ich einfach keinen Frieden kriege...
Ich muss für mich sorgen, muss meine Zukunft endlich in die Hand nehmen, nachdem ich das so lange habe schleifen lassen. Und gleichzeitig steht da diese Familie ... in der jeder Einzelne völlig ängstlich steht ... Ich habe ja so schon die letzten Wochen kaum geschlafen, um alles hinzukriegen...

Völlig entsetzte Grüße
AnnaK

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Taffi
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Beitrag Do., 03.04.2008, 21:17

Sch***!

Liebe Anna,

mir tut's so unendlich leid für dich, dass du nicht zur Ruhe kommst. Da denkt man, man hat das Tal durchschritten und unter Mühen den Gipfel erreicht, da merkt man: das war erst der beschissene Anfang und man hat (scheinbar) keine Kraft mehr. Das kann doch alles nicht wahr sein...!

Leider kann ich dir nichts Hilfreiches raten. Höchstens vielleicht, dass du ganz klar Prioritäten setzt, nach denen du deine Kraftreserven einteilst und bestimmte Aufgaben einfach delegierst. Vielleicht meldest du dich ja doch bei deinem Mann, bittest ihn um Mithilfe...? Viel reden müsst ihr ja vielleicht gar nicht. Andererseits... wenn du fürchtest, er lässt dich hängen, weil er sich anderweitig verpflichtet fühlt, dann lass es lieber

Auf jeden Fall hoffe ich, dass du liebe Menschen in deiner Nähe hast, die dich einfach mal schwach sein lassen und in den Arm nehmen können. Und schaff dir Zeit-Räume, in denen du sein kannst.
Ich wünsche dir von Herzen Vertrauen darin, dass du das durchstehen und den Gipfel wirklich erreichen wirst.

Alles, alles Liebe *Kerze für dich anzünd*,
Taffi
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PeggySue
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Beitrag Do., 03.04.2008, 21:40

Liebe Anna,

du hast deine Situation sehr eindringlich geschildert ... du hast mein ganzes Mitgefühl. Was für dich aber keine Hilfe bedeutet.

Ist sehr schlimm, was mit deiner Freundin geschehen ist, herzliches Beileid.

Bei der Mutter gibt es ja noch keine endgültige Diagnose, also bitte gib der Hoffnung auch einen entsprechenden Raum. Das hilft ihr und auch dir.

Ganz praktisch schlage ich dir vor, alle Familienmitglieder, besonders deinen Vater, um ihre aktive Unterstützung zu bitten (eher dazu auffordern). Du vergibst dir da gar nichts, wenn du deine eigene Überforderung eingestehst. Im Gegenteil. In dieser Situation wäre auch jeder andere für Hilfe dankbar.

Das mit deinem Mann habe ich nicht ganz verstanden. Ist es dein Ex-Mann, von dem du im ersten Teil deines Postings geschrieben hast, oder ist es ein neuer Partner, den du nicht belasten willst?

Ich schicke dir viele gute Gedanken,

liebe Grüße,
Paula

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Nachtvogel
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Beitrag Do., 03.04.2008, 23:04

Ach du liebe Zeit! Wenn's kommt, dann natürlich alles auf einmal

Liebe AnnaK,

ich kann dich gut verstehen. Ich war nämlich einmal in einer ähnlichen Situation, in der gleich mehrere wichtige Aspekte meines Lebens quasi zusammengestürzt sind. Man hat dann wirklich das Gefühl, als wenn einem der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Besonders schlimm ist es, wenn man dann auch noch ganz alleine mit den ganzen Sorgen dasteht. Das war bei mir ähnlich: Mutter schwer krank, Vater nicht richtig ansprechbar (kann nicht über Gefühle reden), Beziehung am krieseln - hätten uns ein paarmal fast getrennt (Partner selbst sehr depressiv, ständige starke Krisen, noch viel Negatives von seiner Seite aus), Abschluss von der Uni (Prüfungen), danach Arbeitslosigkeit (Enttäuschung, Sinnlosigkeit, Wut, Verzweiflung, Selbstzweifel).
Was mir in dieser Situation sehr geholfen hat, waren die Gespräche mit meiner Therapeutin (zu der ich dann gekommen bin). Es war auch Psychoanalyse, wobei sie allerdings auch flexibel ist. Du hast geschrieben, dass sich deine Analyse in den Endzügen befindet. Kannst du sie denn nochmal verlängern? Gerade jetzt wäre doch akute Krisenhilfe angesagt!

In Sachen praktische Dinge kann ich mich den anderen nur anschliessen: Setze dir Prioritäten. Das ist jetzt eine Ausnahmesituation, in der du dich befindet, und ja muss man nicht alles zu 100% erledigen können. Das wird sicherlich jeder verstehen. Wäre auch nicht schlecht, wenn dein Vater ebenfalls einiges mehr tun könnte - zuhause, evtl. im Betrieb deiner Mutter, deinen Bruder unterstützen ... Ist natürlich eine schwere Aufgabe für dich, ihm auch das noch beizubringen - aber zumindest einen Versuch ist es wirklich wert. Vielleicht geht es ihm auch nicht hauptsächlich um die Arbeit, zumindest nicht jetzt. Verdrängung kann auch eine Ursache sein. Mein Vater wollte auch überhaupt nicht wahrhaben, dass meine Mutter Krebs haben könnte, .. Vielleicht will sich deine Mutter zur Zeit auch überhaupt nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Auch deshalb ist es sicherlich gut für dich, wenn du mit dem Therapeuten sprechen kannst. Mit deinen Eltern geht es zur Zeit anscheinend ja nicht, obwohl das sonst ja eigentlich das Naheliegenste wäre. Ging bei mir damals aber auch nicht .. zumindest nicht am Anfang.

LG, Nachtvogel

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AnnaK
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Beitrag Sa., 05.04.2008, 02:43

Ich danke Euch für Eure Anteilnahme...
Ich muss reden, es muss raus... hier kann ich´s lassen. Wer nicht lesen will, muss ja nicht....

Meine Mutter wurde noch heute verlegt.
Man hat uns Angehörigen keine Hoffnung mehr gemacht....
wenn´s gut geht ... noch ein paar Wochen.... haben sie gesagt.... Chemo lohnt sich wahrscheinlich nicht mehr haben sie gesagt.... die Entscheidung fällt Anfang nächster Woche...

Ihr hat das noch keiner gesagt....
Ich kann das nicht...
... Aber sie hat Angst. Ganz fürchterliche Angst...
Und ich fühle mich so schrecklich, weil denke.... wenn es wirklich so ist... dann soll sie bitte einfach morgen die Augen nicht mehr aufmachen, damit die Angst ein Ende hat.... Aber wie kann ich die Hoffnung so schnell, so bereitwillig aufgeben?!

Ich würde am Liebsten einfach nur hinfahren, gar nichts mehr sagen und sie einfach nur noch in den Arm nehmen und nicht mehr los lassen bis es vorbei ist....
Sie wird doch nächste Woche erst 46... sie sollte doch als Oma meine Kinder irgendwann mit groß ziehen... und ihren eigenen Sohn vorher noch...

Ich habe meine Tante angerufen, und eine Freundin meiner Mutter....habe meinen Mann angerufen, dass er sich mehr um unsere Hunde kümmern soll und ich mehr Luft habe...und ich habe just letzte Woche noch mal 60 Stunden bewilligt bekommen für die Analyse....habe morgen eine Notsitzung einberaumt bekommen... meine Therapeutin ist super.... soweit bin ich wohl versorgt...soweit wie man das halt sein kann...

Ich habe auch Angst....

AnnaK

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Nachtvogel
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Beitrag Sa., 05.04.2008, 09:47

Angst hatten wir auch alle damals... dann ist aber trotzdem alles irgendwie seinen Weg gelaufen. Man merkt in den Situationen schon, was zu tun ist.

Ich habe festgestellt, dass man gar nicht so viele Worte braucht. Einfach dasein reicht schon. Vielleicht ein paar Blumen mitbringen (Schnittblumen dürfen meist mit ins Zimmer genommen werden) und/oder eine bunte Genesungskarte mit allen möglichen Unterschriften drauf von Nahestehenden, die an sie denken. Das bringt etwas Farbe ins Krankenzimmer und Freude, weil sie weiss, dass alle an sie denken.

Ich freue mich, dass deine Therapeutin so schnell reagiert hat! Wenigstens bekommst du schon mal Unterstützung von der Seite. Schreiben hilft sicherlich auch viel .. habe ich damals auch gemacht.

LG, Nachtvogel

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Taffi
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Beitrag Sa., 05.04.2008, 10:52

Liebe Anna

weiß gerade gar nicht, was ich sagen soll. Ich würde dir so gern etwas von der Angst und Schwere nehmen.

Die Ärzte werden mit deiner Mutter sprechen oder gesprochen haben. Und dennoch ist es so schwer zu reden in solch einer Situation. Da versucht einer für den anderen stark zu sein, und das, was gesagt werden will, findet keinen Weg nach außen - auf beiden Seiten. Sprachlosigkeit herrscht oft auch deshalb, weil vieles einfach zu banal erscheint.

Vielleicht kommt es dir grausam von mir vor, dass ich diese Fragen habe. Ich stelle sie dennoch:
  • Weißt du, wie deine Mutter über den Tod an sich denkt, woran sie (nicht) glaubt?
  • Weißt du, wie deine Mutter beerdigt werden wollen würde?
  • Gibt es etwas, das deine Mutter unbedingt noch einmal machen/hören/sehen/... möchte?
  • Wo möchte deine Mutter die restliche Zeit, die ihr bleibt, verbringen?
  • ...
Viele Menschen, Betroffene und Angehörige, finden es hilfreich, über all das zu sprechen, auch wenn es erst einmal sehr schwer ist.
Frag doch mal in der Klinik nach, ob sie selbst jemanden haben oder Kontakt herstellen können zu jemandem, der in einem Hospiz arbeitet. Ansonsten würde es sich bestimmt für euch alle lohnen, wenn ihr selbst in einem anruft und um Begleitung bittet. Ob es mobile Dienste gibt, weiß ich nicht. Aber die Mitarbeiter da können sicher Auskünfte erteilen.

Ich möchte dir das wirklich ans Herz legen, denn Hospiz-Mitarbeiter sind speziell für solche Fälle ausgebildet. Sie schaffen es als Außenstehende, dass das Schweigen durchbrochen wird und die größten Ängste bei allen Beteiligten etwas kleiner werden.

Ich drück dich lieb,
Taffi
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Elfchen
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Beitrag Sa., 05.04.2008, 11:49

Liebe Anna

Es ist wirklich viel Schweres, was Du da tragen musst.
Ich möchte Dir sehr ans Herz legen, immer einen Schritt um den nächsten zu tun, nicht zu weit nach vorne zu blicken und einen Tag, eine Stunde um die andere zu nehmen.
Ich habe das ganze letzte Jahr auch so gehandelt in meiner schweren Zeit, die noch nicht zu Ende ist, und es hat mir geholfen, zu überleben.

Besonders berührt hat mich auch Dein kleiner Bruder. Er verliert seine Mutter, hat nicht richtig einen Vater wie ich das verstanden habe und ist selber mit sich und seiner Pubertät beschäftigt. Ist da für Hilfe gesorgt? Hat er jemanden, der für ihn da ist?

Und ich fühle mich so schrecklich, weil denke.... wenn es wirklich so ist... dann soll sie bitte einfach morgen die Augen nicht mehr aufmachen, damit die Angst ein Ende hat.... Aber wie kann ich die Hoffnung so schnell, so bereitwillig aufgeben?!
Das darfst Du nicht auch noch auf Dich laden. Es ist ein absolut verständliches Gefühl, denn was nützt die Hoffnung wenn die Realität eine andere ist..... mach Dir bitte nicht auch noch deshalb Schuldgefühle! Es ist auch gut, wenn Du sie gehen lassen kannst, wenn ihre Zeit gekommen ist.
Ich würde am Liebsten einfach nur hinfahren, gar nichts mehr sagen und sie einfach nur noch in den Arm nehmen und nicht mehr los lassen bis es vorbei ist....
Vielleicht wäre das das Beste. Ich habe viel mit Sterbenden gearbeitet und weiss, dass sie selber wissen..... Deine Mutter muss wahrscheinlich noch durch die Phasen der Angst, der Wut, der Trauer und des Loslassens hindurch. Wie lange das dauert, das weiss niemand. Aber es wird ihr helfen, wenn Du einfach da bist, da sind Worte sowieso überflüssig, ausser, wenn sie reden möchte.
Es ist so grausam, aber diesen Weg muss jeder ein Stück weit alleine gehen. Das Schlimmste ist das danebenstehen und nichts tun können.

Vertrau darauf, dass alles seinen Weg geht, der uns leider nicht immer verständlich ist, aber wir müssen uns beugen.

Alle meine guten Gedanken sind bei Dir!
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

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AnnaK
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Beitrag Sa., 05.04.2008, 17:58

@Taffi:
Nein die Fragen sind gar nicht makaber... ich stelle sie mir auch... ich habe auf keine einzige eine Antwort.

Über das Sterben wird nicht gesprochen, weil die Diagnose noch nicht eindeutig gestellt ist (Der Tumor nicht lokalisiert) und mein Vater sich weigert vorher drüber zu sprechen.

Aber meine Mutter baut wirklich gerade täglich ab.... und ich finde es so ungerecht, dass meinem Bruder nicht gesagt wird worum es hier geht, weil er doch auch die Chance haben soll sich zu verabschieden....
Und ich will, dass sie sich verabschieden kann. Dass sie ihre Wünsche äußern kann... es gibt noch so viel zu besprechen...

Ja, ich glaube auch, dass meine Mutter es spürt... wir haben ein unausgesprochenes Einverständnis. Manchmal schaut sie mich an und ich glaube wir wissen beide wie es aussieht, und dass die andere es auch weiß... auch wenn wir es nicht aussprechen.

Hospiz ist eine gute Idee... ich werde das gleich am Montag angehen. Auch in der Schule werde ich die Vertrauenslehrerin kontaktieren. Ich habe mich heute krank gemeldet und werde auch am Montag nicht arbeiten gehen...
Es muss so vieles organisiert werden und in die Wege gebracht werden. Es ist nur noch so wenig Zeit...

Ich hätte gerne für das Gespräch mit meinem Bruder Untersützung.... ich will das nicht mit meinem Vater allein machen müssen.
Der hat allerdings heute schon den Eindruck gemacht, als sei das bei ihm gesackt... mal warten... ich sehe ihn morgen noch mal...

Ich habe wegen meinem Bruder die Mutter eines seiner Freunde, die auch mit meiner Mutter befreundet ist und vor einigen Jahren mit unserer Unterstützung die Leukämie besiegt hat informiert. Ich habe sie gebeten noch nicht drüber zu sprechen mit meinem Vater oder meinem Bruder... aber sie ist vorbereitet sich um den Kleinen mit zu kümmern...

Jetzt sitze ich hier und habe ein grottenschlechtes Gewissen weil ich nicht bei ihr bin...aber andererseits weiß ich, dass ich das nicht kann... ich kann nicht rund um die Uhr da sein... ich will es so gerne... aber ich kann es nicht... nach einigen Stunden bin ich so am Ende... ich muss auftanken...
Ich treffe mich heute abend noch mit Freunden...

Ich bin im Moment ziemlich abgeklärt... putze, wasche, plane... und stehe völlig neben mir...
Aber anders ist das wohl nicht zu machen...
AnnaK

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Taffi
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Beitrag So., 06.04.2008, 22:35

Liebe Anna!
AnnaK hat geschrieben:Ich bin im Moment ziemlich abgeklärt... putze, wasche, plane... und stehe völlig neben mir...
Aber anders ist das wohl nicht zu machen...
Hmm, wäre es wohl schon, aber anders ist nicht immer besser. Und außerdem steckst du in einer derart schwierigen, emotional belastenden Situation, dass du dir wohl kaum noch aussuchen kannst, wie du damit umgehst.

Ich finde es gut, dass du diese alltäglichen Handlungen noch hinkriegst. Alltag, Routine kann auch einen gewissen Halt bieten, wenn alles andere unsicher wird, ins Wanken gerät

Wie war es bei der Analyse?

Gestern hab ich ganz doll an dich gedacht: es ergab sich für mich ein Gespräch über Hospiz-Arbeit. Die Berichte fand ich unglaublich berührend, weil so viel Versöhnliches für die Beteiligten mitzunehmen ist. Es sind noch so tiefgreifende Prozesse möglich, die die Geschehnisse "rund" machen. Prozesse, die bei aller Trauer und Angst, bei allem Schmerz sehr tröstlich sind. Mir selber sind bei dem Gespräch die Tränen in die Augen gestiegen, ich bekam Gänsehaut - und atmete dennoch auch auf. Loslassen... Das fällt so schwer und tut weh. Aber es kann zugleich auch so friedlich oder Frieden bringend sein.

Ich erinnerte mich in dem Zusammenhang an den Tod meines Großvaters. Als ich ihn das letzte Mal sah, wusste ich nicht, dass es das letzte Mal sein würde. Aber ich hab mich (warum auch immer) von ihm verabschiedet, als wäre es die letzte Begegnung. Vielleicht war es ganz tief drin eine Gewissheit, die ich nicht erklären kann und mich dazu "trieb". Ich konnte jedenfalls nicht gehen, bevor ich nicht sicher war, dass meine letzten Worte zu ihm durchdrangen: dass ich ihn sehr lieb hab.
Dann starb mein Opa. Und ich war soo dankbar, dass ich mich von ihm verabschiedet habe. Ich empfand es als großes Geschenk, dass ich das tun konnte; dass es diese Möglichkeit gab. Du selbst schreibst auch, dass du deinem Bruder und deiner Mutter wünschen würdest, dass sie sich noch voneinander verabschieden können. Gleiches gilt sicher auch für dich.

Natürlich ist das Abschiednehmen letztlich ein schwacher Trost. Und dennoch: mir tat es gut, anzunehmen, dass mein Großvater in dem Wissen um meine Gefühle für ihn gegangen war. Das war das Wichtigste, was es für mich noch zu sagen gab. Als er dann ging, war für mich klar, er ging allein - aber nicht einsam, nicht verloren.
AnnaK hat geschrieben:Über das Sterben wird nicht gesprochen, weil die Diagnose noch nicht eindeutig gestellt ist (Der Tumor nicht lokalisiert) und mein Vater sich weigert vorher drüber zu sprechen.
Nun, manche Menschen haben Angst, dass die Geschehnisse, Schicksale dadurch wahr werden, dass man sie anspricht. Nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinn ("Dinge herbeireden"). Dein Vater muss ja nicht darüber sprechen, wenn ihn das zu sehr in Schrecken versetzt. Wobei ich inständig hoffe, dass nicht jeder von euch für sich und in seiner Angst allein bleibt.
AnnaK hat geschrieben:Ich hätte gerne für das Gespräch mit meinem Bruder Untersützung.... ich will das nicht mit meinem Vater allein machen müssen.
Der hat allerdings heute schon den Eindruck gemacht, als sei das bei ihm gesackt... mal warten... ich sehe ihn morgen noch mal...
Hat sich da etwas Neues ergeben?
Ich finde es völlig legitim, wenn du dir da (andere oder weitere) Unterstützung holst. Und wie es scheint, gibt es ja auch die eine oder andere Person, die sich einbinden lässt.
AnnaK hat geschrieben:ich kann nicht rund um die Uhr da sein... ich will es so gerne... aber ich kann es nicht... nach einigen Stunden bin ich so am Ende... ich muss auftanken...
Das ist verständlich. Es kostet unheimlich viel Kraft, die eigenen Emotionen zu kontrollieren, besonders, da sie ja so heftig sind. Das Wehren, das Ankämpfen... und das alles in dir. Vielleicht ergibt es sich für dich und deine Mutter (und die anderen Familienangehörigen), dass ihr spürt, ob/dass es gut ist, diese ganze Energie, all diese starken Gefühle nicht anzubinden, sondern loszulassen.

Ich sende dir wärmendes Licht.

Alles Liebe,
Taffi
Es ist wichtig, jemanden dort abzuholen, wo er gerade ist. Aber manchmal ist es auch wichtig, jemanden dort zu lassen, wo er gerade sein will.

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sino
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Beitrag So., 06.04.2008, 22:59

Hallo Anna,

auch von mir in dieser für dich sehr schweren Zeit viel Kraft und Wärme.

Alles Liebe

sino (vb)
You were born. And so you're free. So happy birthday. Laurie Anderson

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Kolja
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Beitrag Mi., 09.04.2008, 12:15

liebe anna,

beim lesen deines berichts hatte ich fast ein bißchen tränen in den augen, weil es einfach zuviel, des aushaltbarens ist.

solche extreme mußte ich zum glück noch nciht erleben.
ich war nur mal soweit, daß ich psychisch nur down war und mehrfach suizid-versuche startete.
als der 3. auch fehl schlug, suchte ich hilfe. psychologen keine chance, sofort was zu kriegen -kont ich vergessen.

habe mich dann an einen seelsorger der kirche gewandt und ihm geschrieben. der hat zugehört, ist auf mich eingegangen.
vielleicht wäre das auch was für dich, denn du brauchst unbedingt unterstützung und aufbauende rückenstärkung.
ein sellsorger redet übrigens NICHT nur über gott und kirche! den ich da hatte, der war ein echte ersatz für den psychologen, bis ich nach 2 jahren endlich einen fand.
übberleg es dir mal, daß du einen seelsorger einfach mal um gespräch bittest, oder hast du nen therapeuten?
erst mal nur ein gespräch, da hast du ja sicher nichts zu verlieren.

lg, kolja
Es sagte Schwester Seele zu Bruder Leib: "Sag Du's ihm! Mir glaubt er ja nicht."

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AnnaK
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Beitrag Mi., 09.04.2008, 23:13

@Kolja:
Danke.
Ja, ich hab ja eine Therapeutin. Die ist auch wirklich richtig super!

Ja, ich hab mich noch mal gefangen...
Die Klinik in der sie jetzt ist...
dort hat man sie noch nicht aufgegeben.
100%ige Heilung... na da mach ich mir nichts vor... ist eher unwahrscheinlich.
Aber so schnell muss es nicht gehen... und vor allem können die noch einiges für ihre Lebensqualität tun...

Die Metastasen im Kopf, die sie gefunden haben werden gleich bestrahlt. Heilplan für die Lunge wird aufgestellt, wenn der Tumor richtig klassifiziert ist. Ihr Allgemeinbefinden steigert sich momentan täglich. Sie isst wieder und ist recht gut drauf... Die Diagnose hat sie auch vergleichsweise gut weggesteckt und wir hatten gestern ein sehr gutes Gespräch.
Es tut gut endlich auch mit ihr reden zu können...

Naja, die Ärzte sind so ein Verein für sich. Fachlich sicher gut, die Resultate bisher sprechen für sich...aber menschlich...
Obwohl ich gestern morgen angerufen habe und gesagt habe, dass ab 13:00 jemand von uns da sein wird um die Diagnose gemeinsam mit ihr zu besprechen hat die Ärztin sie meiner Mutter doch einfach so vorher schon ohne Not vor den Kopf gelatzt....
Wäre ich nicht zufällig früher gekommen, hätte meine Mutter da allein gesessen... tse!

Ich lebe im Moment von Tag zu Tag.
Freue mich riesig wenn sie zwei Scheiben Brot zum Abendessen verdrückt und lachen kann...
Was in drei Monaten ist... das weiß noch kein Mensch.
Da die Ärzte den Kampf aufnehmen wollen ist Kampfwille angesagt. Also Ärmel hochkrempeln und ran...
Informationen beschaffen, da sein, organisieren dass der Kleine unter ist wenn wir in der Klinik sind und ganz nebenbei noch mein eigenes Leben leben...

Ermutigte und trotzdem erschöpfte Grüße
AnnaK

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AnnaK
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Beitrag Fr., 11.04.2008, 07:58

Im Moment schlage ich mich mit dem Entsetzen rum, wie schnell ein Mensch demontiert werden kann...

Meine Mutter wurde entmündigt.
Rein rechtlich fand ich diesen Schritt zwar erschreckend... aber letztlich ganz gut. So Ratz Fatz wie die da in der Klinik sind, wird man als Patient ganz gern mal platt gefahren. Wenn die erst mal für jeden Schritt an meinem Vater vorbei müssen, wird das meine Mutter auch schützen.

Aber damit einher geht, dass meine Mutter spürt, dass sie nicht mehr für voll genommen wird.

Das widerstrebt mir im Moment derart, dass es mir die Kehle zuschnürt. Die Ärzte reden gar nicht mehr mit ihr, sondern nur noch mit mir und meinem Vater. Er hat entschieden, dass meine Mutter nicht wissen wie schlecht es um sie steht. Er ist noch auf dem Trip: Die werden die in drei bis sechs Monaten hinbiegen, und dann kommt sie wieder heim.

Er verschließt die Augen. Ich habe gestern noch mal mit der Ärztin gesprochen. Die Metastasen haben den kompletten Brustraum eingenommen, beide Lungenflügel von unten bis oben, das Bauchfell, das Gehirn in beiden Hemisphären....
Es ist davon auszugehen, dass auch andere Organe befallen sind. Ob der Tumor in der Lunge die Muttergschwulst ist, ist auch noch nicht klar.

Hat sie nicht ein Recht darauf zu wissen wie es aussieht?! Sie ist doch eine erwachsene Frau... ob man nun Chemotherapie machen will oder nicht mit all ihren Nebenwirkungen vor dem Hintergrund, dass das nur ein Spiel auf Zeit ist, das muss sie doch selbst entscheiden dürfen.
Oder ist es besser ihr das nicht zu sagen um sie nicht zu entmutigen und ihren Kampfwillen aufrecht zu halten...
Was ist Recht? Was ist falsch?
Darf man einen Menschen so belügen?
Es widerstrebt mir so sehr, meine Mutter derart zu entrechten...

Verwirrte Grüße
AnnaK

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Taffi
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Beitrag Fr., 11.04.2008, 12:49

Liebe Anna ,

ich bin angesichts deiner letzten beieden Beiträge selber (auch) verwirrt. Vielleicht ist es aber auch meine innere Unentschiedenheit bzw. Skepsis meiner eigenen Einstellung gegenüber. Also wäge sorgsam ab, was ich schreibe, hm?

Du hast geschrieben, deine Mutter lebe auf, scheint auf dem Weg der Besserung sein. Da fand ich's für mich selbst beschämend, den Teufel an die Wand gemalt zu haben, indem ich von Hospiz usw. sprach.
Offenbar steht der Ausgang des Ganzen noch nicht fest. Anscheinend gibt es noch berechtigte Hoffnung. Der Überlebenskampf deiner Mutter ist nicht aussichtlos. Selbst wenn die Chance nur 1:1.000.000 betragen würde - es wäre eine.
AnnaK hat geschrieben:Oder ist es besser ihr das nicht zu sagen um sie nicht zu entmutigen und ihren Kampfwillen aufrecht zu halten...
Mich verstört die Sicht und das Handeln deines Vaters. Sicher, Menschen sind verschieden, und ich kenne deine Mutter überhaupt nicht. Ich frage mich dennoch, wie man alle Kräfte mobilisieren soll, wenn man im Unklaren darüber gelassen wird, dass bzw. wie sehr man sie braucht.
Ich könnte mir vorstellen, dass das Ahnen, aber Nicht-Wissen mehr Kraft bindet, als dass es sie bewahrt und nutzbar macht. Der unbedingte Wille zum (Über-)Leben kann Berge versetzen. Wir Menschen entwickeln ihn aber erst im Angesicht des Todes bzw. werden uns des Willens dann erst wirklich bewusst.
AnnaK hat geschrieben:Hat sie nicht ein Recht darauf zu wissen wie es aussieht?! Sie ist doch eine erwachsene Frau... ob man nun Chemotherapie machen will oder nicht mit all ihren Nebenwirkungen vor dem Hintergrund, dass das nur ein Spiel auf Zeit ist, das muss sie doch selbst entscheiden dürfen.
Ja.
Auch wenn der Kampf aussichtlos sein sollte, liegt in dem Wissen um ihren Zustand für deine Mutter auch noch eine Chance. Mich macht's ganz betroffen, dass dein Vater ihr verwehrt, sie zu ergreifen.

Wahrscheinlich spielt es gerade keine (große) Rolle, wie und warum es dazu kam, dass dein Vater die Vormundschaft über deine Mutter bekommen hat. Aber das hier...
AnnaK hat geschrieben:Aber damit einher geht, dass meine Mutter spürt, dass sie nicht mehr für voll genommen wird.
... lässt mich schwer schlucken. Wer noch merkt, dass er es nicht wird, sollte für voll genommen werden. Ich kann nicht begreifen, wie deiner Mutter ihr Selbstbestimmungsrecht entzogen werden konnte. Mich erschüttert das.

Dazu kommt, dass ich mit Besorgnis auf das Verhältnis zwischen dir und deinem Vater schaue. Ich projiziere aufs Übelste, das weiß ich, aber meine Sorge ist, dass, wenn deine Mutter diesen Kampf verliert, du deinem Vater schwere Vorwürfe machst. Schon jetzt deutet sich für mich an, dass zwischen euch etwas zerbricht. Ich weiß nicht, wie du bis jetzt zu deinem Vater standest. Meine Befürchtung ist, dass ihr euch auch noch zu allem Überfluss verliert, falls deine Mutter geht

Was sagt dir dein Herz: Willst du deine Mutter über ihren Zustand informieren? Auch auf die Gefahr hin, dass dein Vater es dir verübelt? Oder willst du lieber schweigen und die Ängste deines Vaters mittragen? Was kannst du dir ggf. selber am ehesten verzeihen?
Ich nehme an, dass dein Vater aus Angst so handelt. Angst, die er nicht sehen und/oder aushalten kann, und dass er vielleicht auch deine Mutter schützen will - auf die einzige Weise, die ihm derzeit noch bleibt.

Es muss für dich zur Zeit unvorstellbar schrecklich sein... Ich drück dich sehr lieb.

Alles Gute,
Taffi
Es ist wichtig, jemanden dort abzuholen, wo er gerade ist. Aber manchmal ist es auch wichtig, jemanden dort zu lassen, wo er gerade sein will.

"Erfahrungen sind Maßarbeit. Sie passen nur dem, der sie macht." Carlo Levi

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