Suizid

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.

Eremit
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Beitrag Di., 21.07.2015, 11:36

seestern1968 hat geschrieben:Nichts ist schlimmer für Hinterbliebene, als mit einem Haufen offener Fragen zurückzubleiben.
Schon mal bei einem Suizid dabei gewesen?
seestern1968 hat geschrieben:Ein Abschiedsbrief enthält zwar möglicherweise auch Schreckliches, aber man hat wenigstens sowas wie eine Begründung, eine Antwort auf das quälende "warum".
Wenn man das "warum" nicht schon zu Lebzeiten kannte, ändert ein Abschiedsbrief de facto auch nichts mehr.
Ursa hat geschrieben:Es gibt keine Gründe für Selbstmord. Man bringt sich nicht um, weil man sich dazu entschieden hat, sondern weil man dazu gezwungen wird von seinem eigenen Bewusstsein.
Gründe würden die Aufmerksamkeit nur auf etwas völlig Irrelevantes umlenken, und vom Wesentlichen ablenken. Dass die Person krank war.
Mit Verlaub, aber das ist Blödsinn hoch drei. Man denke z.B. nur an Japan. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden dort auch Lebensversicherungen bei Suizid ausgezahlt. Oft genug nehmen sich Familienväter das Leben, um die Familie finanziell abzusichern. Es gibt sehr wohl Gründe, die nichts mit Krankheit zu tun haben.

Mal ganz abgesehen davon, dass ja die Krankheit selbst ein Grund für Suizid sein kann. Man denke z.B. an schwere unheilbare Krankheiten, an Siechtum. Es gibt genug Menschen, die ein Leben, das nur noch aus Leid besteht, nicht als lebenswert ansehen.

Zu guter Letzt: In der Regel sind jene, die nach einem Suizid das Fehlen eines Abschiedsbriefs beklagen, jene, die sich zu Lebzeiten des Suizidanten nicht gerade stark für diesen interessiert haben. Die Forderung nach dem Abschiedsbrief ist in den meisten Fällen tatsächlich nicht mehr als ein Feigenblatt, um sich öffentlichkeitswirksam moralisch reinzuwaschen.

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seestern1968
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Beitrag Mi., 22.07.2015, 21:09

Hallo Eremit,

ja - ich habe Anfang diesen Jahres einen Suizid als Angehörige miterlebt und trage sehr schwer daran.

Mein Lebensgefährte hatte zwar immer wieder diverse Probleme, über die er sehr offen mit mir gesprochen hat, aber er hat mich auch immer wieder in Sicherheit gewiegt. Immer, wenn ich anfing, mir Sorgen um ihn zu machen und versucht habe, ihm bei einer Lösung zu helfen, hat er mich kurz gedrückt und gesagt: 'Mach Dir nicht so viele Gedanken. So schlimm ist das alles nicht.' Er schien auch nicht depressiv zu sein, konnte sich oft geradezu ansteckend an kleinen Dingen freuen.

Dann hat er von heute auf morgen mit mir Schluss gemacht, für mich völlig unerklärlich. Es hätte nichts mit mir zu tun. Er würde mich lieben und das auch für immer tun, hat er gesagt, und ich war fix und fertig, weil er weder mir noch anderen Freunden Gründe dafür nennen wollte. Und kurz darauf hat er sich umgebracht. Ohne Abschiedsbrief. Mir würde es helfen zu wissen, was ihn dazu bewegt hat. Bei aller Vertrautheit, die zwischen uns geherrscht hat, hat er mir irgendwas nicht sagen können oder wollen. Und ich weiß nicht was.

Es ist zusätzlich zu diesem schweren Verlust für mich sehr schlimm, immer darüber nachzugrübeln und mich zu fragen, ob ich ihm nicht doch irgendwie hätte helfen können. Aber er hat mich nicht gelassen. Ich habe ihn sehr geliebt und weiß, dass er mich ebenso geliebt hat, auch wenn da etwas war, was er mit sich 'rumtrug und nicht mitteilen konnte. Wenn Du schreibst, diejeniegen, die hinterher das Fehlen eines Abschiedsbriefes beklagen seien meist die, die sich zu Lebzeiten nicht wirklich für den Suizidenten interessiert haben, kann ich das in meinem Fall echt nicht bestätigen. Ich habe mich aus tiefstem Herzen bemüht, meinem Freund beizustehen, wenn er Sorgen hatte, und wäre für immer an seiner Seite geblieben, egal was passiert wäre - wenn er es bloß zugelassen hätte.

Seestern

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SoundOfSilence
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Beitrag Mi., 22.07.2015, 22:37

Liebe Seestern,

ich werde nicht spekulieren darüber, was dein Freund gedacht haben mag.

Aber ich möchte dir gerne sagen, dass es manchmal, obwohl man gut in der Lage sein sollte zu SAGEN was Einen bedrückt, einfach nicht geht.
Manchmal möchte man gerne, hält sich aber doch zurück, weil man spürt, es wäre zu viel für das Gegenüber, weil das Gegenüber es doch nicht ganz so gut mit einem meint, weil man die "Sozialkompetenz" nicht hat, sich zu erkennen zu geben...
Aber manchmal stimmt alles: Zeit, Ort, Gesprächspartner - und trotzdem bringt man es "nicht über sich"... Da sind - innere, nicht äußere - Widerstände. Vielleicht sind das eigene Glaubenssätze, die einen abhalten, oder schlicht weil plötzlich das Gefühl (die Verzweiflung) weg ist, sobald man es fassen will... Und manchmal richten sich diese Widerstände auch gegen das Aufschreiben...

Liebe Grüße,
Silence
Hello darkness, my old friend...


Eremit
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Beiträge: 8876

Beitrag Mo., 27.07.2015, 17:00

seestern1968 hat geschrieben:ja - ich habe Anfang diesen Jahres einen Suizid als Angehörige miterlebt und trage sehr schwer daran.
Das ist hart, sowas mit eigenen Augen mitansehen zu müssen.
seestern1968 hat geschrieben:[…] und ich war fix und fertig, weil er weder mir noch anderen Freunden Gründe dafür nennen wollte. Und kurz darauf hat er sich umgebracht. Ohne Abschiedsbrief. Mir würde es helfen zu wissen, was ihn dazu bewegt hat.
Warum bist Du Dir da so sicher? Genauso gut hätte ein Abschiedsbrief nur noch mehr Fragen aufwerfen können.
seestern1968 hat geschrieben:Es ist zusätzlich zu diesem schweren Verlust für mich sehr schlimm, immer darüber nachzugrübeln und mich zu fragen, ob ich ihm nicht doch irgendwie hätte helfen können. Aber er hat mich nicht gelassen.
Weder hat er um Hilfe gefragt, noch hat er es zugelassen, dass Du ihm hilfst, ergo konntest Du ihm auch nicht helfen.

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Meerestochter
Helferlein
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Beiträge: 36

Beitrag Mo., 21.12.2015, 08:14

Hallo!

Ich bin der Meinung, dass es sehr wohl besser ist, wenn ein Abschiedsbrief hinterlassen wird, in dem erklärt wird, warum derjenige keinen anderen Ausweg gesehen und sich zum Suizid entschlossen hat. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn sich die Hinterbliebenen jahrelang (oder womöglich den Rest ihres Lebens) mit der Frage nach dem "Warum?" herumquälen müssen.

MfG
Meerestochter


montagne
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Beitrag Mo., 21.12.2015, 13:32

In meinem Bekanntenkreis hat sich jemand vor Jahren suizidiert, war schon älter, dennoch. Es gab zwar keinen Abschiedbrief, aber indirekte Gespräche. Jeder, der ihn kannte, wusste,w as kommen wird und warum. Ich denke es half schon allen Angehörigen und Freunden, zu wissen, dass der Freitod im Vollbesitz der geistigen Kräfte erfolgte, dass niemand Schuld war, sondern das eben das Ergebnis der persönlichen Bilanz desjenigen war.
Es blieben zumindest keine Schuldgefühle und keine offenen Fragen nach dem "Warum" oder "Hätte man helfen können?" zurück. Schwer genug ist sowas allemal. So war es vielleicht ein kleiner Trost.

Insofern kann ich mir vorstellen, so schwer das Thema auch ist, dass es ein bisschen hilft. den ich zumindest kann mir so eine Situation vorstellen, in der jemand nach persönlicher bilanz aus dem Leben scheiden möchte, es aber tatsächlich nichts mit den Angebörigen oder Freunden zu tun hat, so wie es mit dem Bekannten eben war. Und dann finde ich es, unabhängig davon, auf welcher Seite ich dann stehen würde, irgendwie hilfreicher, korrekter Abschiedsbriefe zu schreiben oder sich in irgend einer Weise im Vorfeld zu äußern.
Ist nur meine persönliche Meinung.
amor fati

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Myhre
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Beitrag Fr., 25.12.2015, 07:36

Ich finds echt schwer zu beurteilen.
Oft habe ich nicht die Kraft mich zu erklären und keine Hoffnung verstanden zu werden.
Darum sind meine Suizidversuche ohne Abschiedsbrief erfolgt,bis auf einen.
Die Angehörigen sind da auch nicht das Problem,die rücken sich ihre Sicht eh zurecht.
Meine Kinder haben das was ich zu sagen habe immer schwarz auf weiss erhalten,damit sie es festhalten können.
Denn man kann ja auch so plötzlich versterben.
Bilanzsuizid oder nicht....ich finde es nicht richtig Schuld zuzuweisen.
Was ändert das denn?
Ich entscheide und trage die Verantwortung....nicht der andere.
Ja...ich habe Selbstmörder gefunden und erlebt,dass liebe Freunde sich suizidiert haben.
Schuldig fühle ich mich trotzdem immer,auch wenn ich das "Warum" weiss.
Weil ich gehofft habe,das "Warum" heilen zu können und einfach durch Liebe auflösen zu können...oder wenigstens zu lindern.
Es war nicht genug.
Ein Abschiedsbrief löst das Problem nicht.Für beide Seiten nicht.
VG
Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran bemessen wie Tiere behandelt werden.
Mahatma Ghandi

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Krang2
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Beitrag Mo., 01.02.2016, 20:19

Hallo,

vorab: In meinem Umfeld hat mehr als eine Person Selbstmord begangen oder es ernsthaft versucht.

Manchmal würde ein Abschiedsbrief die Schuldgefühle auf Seiten der Freunde und Angehörigen gar nicht mindern, sondern vergrößern. Denn dann würden sie vielleicht denken, sie hätten die vermeintlichen Gründe für den Selbstmord beseitigen können. Außerdem muß der angebene Grund im Abschiedsbrief nicht der tatsächliche sein, dies entweder absichtlich (wofür es verschiedene Motive gibt) oder unbewußt.

Es mutet für mich seltsam an, von jemandem, der mit dem Leben und somit auch mit allen sozialen Beziehungen und Normen innerlich abgeschlossen hat, eine formelle Erklärung zu erwarten. Natürlich ist es rücksichtslos, plötzlich und unerwartet und scheinbar grundlos zu verschwinden, aber das ist die Gedankenwelt derer, die weiterleben möchten. In der Gedankenwelt dieser Hinterbliebenen wäre meist auch kein Platz für das Hinnehmen einer ehrlichen Erklärung der Motive für den Selbstmord. Wenn der Selbstmörder das Gefühl hätte, es gäbe jemanden, der die wahre Natur seiner Probleme verstehen kann (und eine Erklärung nicht nur als Kombination aus Ablaßbrief und Schuldfreisprechung betrachtet) und ihm vielleicht helfen könnte, dann hätte er sich ja nicht umgebracht bzw. es versucht.

Zuletzt gebe ich zu bedenken, daß viele Selbstmorde spontane Entscheidungen aus Ausnahmezuständen oder schweren Depressionsschüben heraus sind, in denen das Abfassen einer halbwegs rationalen Erklärung dem Betroffenen schier unmöglich wäre.

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Krang2
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Beitrag Mo., 01.02.2016, 20:23

montagne hat geschrieben:oder sich in irgend einer Weise im Vorfeld zu äußern.
Ist nur meine persönliche Meinung.
Das beinhaltet die Gefahr, davon abgehalten zu werden, wozu nicht nur die Angehörigen sogar rechtlich verpflichtet wären. Manche Leute spielen nach einem Selbstmordversuch sehr glaubhaft den Einsichtigen, nur um Familie und Psychiater in Sicherheit zu wiegen und ihre Ruhe zu haben.

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wind of change
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Beitrag So., 16.07.2017, 13:23

Ich glaube, ich würde als Angehöriger " leichter " damit umgehen können, wenn ein Abschiedsbrief des ' Suizidenten ' dabei wäre. Hätte ich bis jetzt eigentlich gedacht. Sicher kann ich es aber auch nicht sagen, würde vielleicht auch die Schuldgefühle verstärken, wer weiss.

Wie ist es, wenn ein Angehöriger sich das Leben nimmt? Ihn / sie möglicherweise sogar noch findet??? Hat man das irgendwann ' verwunden '? Und wenn ja, wie???

Hat das irgendjemand erlebt?

Mich würde das interessieren. Nicht aus ' Sensationslust ' und keine Sorge ( falls das irgendjemand denken sollte ), ich habe Nicht vor, mich zu suizidieren.

Mich würde es interessieren, weil ich ' Angehörige ' kenne und ich da im Moment etwas hilflos bin.
Gehe so weit, wie du sehen kannst. Wenn du dort ankommst, wirst du sehen, wie es weitergeht.
(Autor unbekannt)
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Sehr
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Beitrag So., 16.07.2017, 13:40

Ein Verwandter hatte sich das Leben genommen. Das ist schon lange her, ich konnte mich nie verabschieden, bis vor Kurzem. Habe von ihm geträumt - ich wusste ja, dass er sich töten wird, nicht mehr lebt, dass ich nur träume. Und so hab ich ihn gedrückt und geküsst zum Abschied. Das war schön.
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wind of change
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Beiträge: 3669

Beitrag So., 16.07.2017, 13:51

Danke Sehr.
Wie würdest du reagieren oder was geht in dir vor, wenn es irgendwelche " Suizidnachrichten " gibt und Leute sich in deinem Beisein über das Thema unterhalten, die nicht wissen was du erlebt hast? Oder wenn jemand mit dir über das Thema ( aus irgendwelchen Anlässen ) redet / reden will ( nicht weil dieser jemand selber " gefährdet " wäre ) und der jemand nicht weiss, dass du als Angehöriger auch so etwas erlebt hast?
Nur wenn du darauf antworten magst, sonst ist es natürlich auch ok ;-)
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Sehr
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Beitrag So., 16.07.2017, 14:21

Also mir macht das nichts aus. In meiner Familie gab es viele Todesfälle, ob natürlich oder nicht, auch Mord. Ich nehme es keinem übel oder sowas, wenn jemand drüber reden will oder gar mich auf sowas anspricht, ist es ok.
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Kimba&Blacky
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Beitrag Mo., 16.10.2017, 17:55

Ich finde, es kommt stark auf den Grund des Suizides an.
Wenn es jemand aus psychotischen Gründen tut, dann wäre eine Erklärung gut, aber dazu wird derjenige wohl kaum nicht​ in der Lage zu sein.

Ich denke, in vielen Fällen werden die Angehörigen aber schon damit rechnen.

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